Ist Liebe abwaschbar ?
Maria wusch drei Wochen ihre Bettwäsche nicht. Sie hatte über mehrere Wochen darinnen gelegen mit ihrem Geliebten. Der Geliebte war ein komischer Mann. Immer wenn sie kochte, leckte er die Teller mit der Zunge ab, wie ein kleiner Hund. Man brauchte die Teller danach gar nicht mehr spülen – so blank waren sie. Natürlich leckte auch Maria ihren Teller ab, um es ihm gleichzutun. Sie lachten über die blitzblanken Teller und lachten am meisten über sich selbst.
Wenn sie morgens wach wurden, erzählten sie sich ihre Träume und lachten. Wie sehr musste der Geliebte lachen, wenn sie morgens Träume erfand, in denen er vorkam in den unmöglichsten Situationen. „Geliebter“, sagte sie am frühen Morgen „mir träumte, Du hättest im Hauptbahnhof Fußball gespielt mit den Brötchen der Bäckerei Kamps und alle standen um Dich herum und applaudierten Dir !“ Das freute ihn sehr, weil er die Brötchen der Bäckerei Kamps nicht mochte. Er liebte die Brötchen von Terbeuyken.
Manchmal brauchte sie auch nichts zu erfinden, weil seine Umarmung ihr das Gehirn verschloss und das war noch schöner, als die Erinnerung an die nächtlichen Träume.
Er war ein lustiger Mann, der Geliebte. Wenn sie sich abends nach der Arbeit trafen, strahlte er sie an und küsste sie und freute sich immer wieder aufs Neue, sie zu überraschen. Mal hatte er eine besonders schöne Musik für sie aufgelegt, mal hatte er ein delikates Mahl zubereitet – manchmal stand eine besonders gute Flasche Wein auf dem Tisch und überhaupt brannte immer am späten Abend eine Kerze im Wohnzimmer, wenn er anfing, sie zu umarmen und zu küssen. Dann sang er kleine Lieder für sie, trug sie ins Bett, zog sie aus und machte das, was Geliebte mit ihren Geliebten so gerne tun. Er schaltete das Fernsehgerät an und sie genossen eng aneinander liegend einen Tatort, bevor die Erotik ihren Mantel der Nacht über sie warf.
Nun war er weg. Eine Reise nach Schottland musste er unternehmen, weil er dort ein kleines Haus in Besitz nehmen sollte, welches ihm vererbt wurde von seinem Onkel. Vielleicht würde für immer dort bleiben. Er wollte das Haus inspizieren, es renovieren und sich dort niederlassen. Sie sollte ihm in den Ferien folgen und mit ihm den schottischen Sommer genießen.
Danach würde sie wieder nach Berlin fahren in ihre Heimat, weil sie noch berufliche Verpflichtungen hatte. Bis zur Rente würde sie noch ein paar Jahre dort leben müssen. Der Geliebte hingegen war ein Lebenskünstler – und Lebenskünstler müssen nicht arbeiten. Wenn die ein Haus in Schottland erben, sind sie glücklich und leben dort ihr Leben. Wenn es sein muss, auch alleine.
Das erzeugte in Maria einen Konflikt. Wenn er sie doch so liebte, warum blieb er dann nicht bei ihr in Berlin ? Er könnte doch das Haus vermieten und bei ihr bleiben. „Du verstehst das nicht“, sagte er, „Es ist meine Freiheit, die ich dort erleben werde. Wir sehen uns alle paar Monate. Du kommst zu mir und ich zu dir und ansonsten ist meine Geduld so groß, das ich einen Elefanten mit den Zähnen ziehen könnte. Irgendwann bist du in Rente und dann leben wir in Schottland für immer zusammen in dem kleinen Haus“.
Maria musste bei diesen Worten stets weinen, wünschte sich doch so sehr, ihrem Geliebten immer wieder aufs Neue morgens die Träume zu erzählen und von ihm am Abend überrascht zu werden.
Keinesfalls wollte sie die kommenden Jahre in Berlin die Hälfte des Jahres alleine leben – und auch die Vorstellung, das man sich täglich schreibe und telefoniere, konnte sie nicht trösten.
„Wenn Liebe da ist, solle man sie auch leben und täglich aus ihr schöpfen können“, war ihre Devise. In ihrer Not suchte sie ihre Heilpraktikerin auf und bat um Rat.
Die Heilpraktikerin, eine erfahrene Frau, war empathisch und meinte, Maria solle diese Liebe beenden. Das sei auf die Dauer nicht gut für sie und sie habe etwas Besseres verdient.
„Aber wie soll ich das machen?“, jammerte Maria. „Wasche die Liebe einfach ab“, war der kluge Rat der erfahrenen Meisterin der Heilkunst.„Das Wasser wird dir helfen. Nutze es, wo auch immer du kannst !“
Maria befolgte den Rat und fing an zu putzen. Alle Fenster, alle Möbel, den Boden – ja sogar die Türen wusch sie ab. Es folgte das gesamte Geschirr, die Töpfe, der Backofen – es gab nichts in der Küche, was sie nicht gespült oder abgewaschen hätte. Es folgte die Bettwäsche, die Handtücher, eine Waschmaschine nach der anderen wurde in Gang gesetzt. Sie selbst lag jeden Abend über eine Stunde in der Badewanne und wurde langsam aber sicher auch innerlich sauber.
Nach zwei Monaten Putz- und Wascharbeiten war sie geheilt. Sie eilte zur Heilpraktikerin und berichtete ihren seelischen Zustand.
Nun, Sie werden es erraten. Diese Aktion des „Abwaschens der Liebe“ hatte die Liebe zu sich selbst stark gemacht. Maria hatte gelernt, mit sich selbst im „Reinen“ zu sein, hatte gelernt mit sich selbst klar zu kommen auf so wundersame Art und Weise, dass sie weit entfernt vom „Anhaften“ an den Geliebten nun wusste, das er der Richtige sei.
Sie fing an, ihre kleine Wohnung, ihre Umgebung zu lieben, war entspannt wie nie zuvor in ihrer heilen sauberen Welt, das sie voller Freude die Ferien erwartete, um zu ihrem Geliebten nach Schottland zu reisen.
Die Heilpraktikerin hatte sie gelehrt, worauf es ankommt.
(c) Karin Michaeli