(c) Monika Rittershaus |
Die ursprüngliche Fassung beinhaltete schon komische Elemente, mischte buffa und comique, Operette mit klassischer Oper. In Frankfurt mit der Inszenierung von Barrie Kosky kam eine weitere Interpretation des Stoffes hinzu. 140 Jahre später eine Metaebene erreicht, auf der zitiert und interpretiert, Geschichte verarbeitet werden kann. Es kommt noch amerikanisches Varieté dazu, die Treppe als Bühnenstilmittel von der Antike bis zum Broadway, Sozialkritisches auf den Spuren von J.R. Lenz SOLDATEN bis zu Brecht, eine grundlegende Verfremdung und Desillusionierung durch Kommentarfunktion mittels einer Stimme, spätestens überdeutlich beim winkenden Auferstehen der begehrenswerten Carmen am Ende der Oper.
Karikierende Tanzeinlagen nehmen den Ernst des Geschehens, zelebrieren das Ewigweibliche in seiner fordernden, dominanten und libertinären Emanzipation, die 1847 und 1875 die Bürger erschütterte, während sie bei sozial Benachteiligten, Arbeitern und Knechten schon bekannter war. Vorläuferinnnen waren wohl Salomé und Salonlöwinnen der französischen, englisch-schottischen Höfe, aber auch die Marketenderin Mutter Courage von Grimmelshausen (1670), auch Landstreicherin, Soldatin, Hure, siebenmalige Ehefrau und spätere Zigeunerkönigin. Legendäre "Weibsbilder", die die Öffentlichkeit erschütterten.
Kosky greift hier auch zu amerikanischen Gepflogenheiten im Show- und Filmbiz, das Gorillakostüm als Belustigung oder gar Horrorvariante. Was bei Carmen (vielgesichtig gespielt, eher stolz und unnahbar mit beeindruckender Stimme Tanja Ariane Baumgartner) irgendwie stört, es sei denn man würde eine Brücke zum Tierisch-Vamphaften schlagen, was zu stark ist. Dafür war sie erotisch zu reduziert. Für Witz und Horror auch zu schwach, sitzt die Gute auf der riesigen Treppe und wäre beinahe wegen des Kostüms gestolpert beim Hinsetzen. Vielleicht wurde ihre "Schlechtigkeit" zu lange und zu stark betrachtet, die heißblütige Zigeunerin voller Begehren, die sogar den starken Torero Escamillo (Andreas Bauer) dazu veranlasst die weltberühmte Passage "Auf in den Kampf, Torero" zu singen, als ob es eine Herausforderung mit Todesfolge sein könnte, mit Carmen eine Nacht zu verbringen.
(c) Monika Rittershaus |
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Immer wieder denkt man daran, dass der todesmutige Macho hier eine regelrechte Versagensangst zeigt, dass die Männer leiden an der starken Frau, der eine wird aus Liebe und Begehren wider Willen straffällig, der andere befürchtet Image- und Stärkeverlust. Don José mit seinem Soldatenmantel wirkt von der Erscheinung nicht sonderlich galanmäßig, eher besitzergreifend (die zurzeit aktuellen Fessel- und Leinenspiele werden zitiert, José möchte sie, sie ihn, an sich fesseln und wie ein Tier an der Leine halten), er wirkt trotz seines authentischen Leidens zu grob, als ob er es mit Vieh zu tun hätte, seine Stimme (Luc Robert) dagegen überzeugend. Micaela, das liebenswerte Bauernmädchen (Juannita Lascarro), reizvolle Unschuld und Gewissensmahnerin schafft es nicht, den Don auf den wahren Weg zurückzubringen. Blind vor Wut und Eifersucht tötet er Carmen. Die gesamte Brisanz ist der Ermordung der Carmen allerdings durch die Aufhebung der Tat genommen. Interessante choreographische Arrangements, unvergesslich Carmen im schwarzen Kleid mit Riesenschleppe wie ein schwarzer Schmetterling über die Treppen ausgebreitet. Oder die langbeinige Carmen in engen Hosen und Highheels die Treppe hinunter- und hinaufsteigend. Eine CARMEN-Inszenierung in drei statt vier Akten, die Klischees im Kostüm und Bühnenbild weitgehend meidet, den Schauplatz auf die Treppen von Rom oder Madrid, Paris oder sonstwo verlegt und auf ein sehr fähiges Orchester unter Sebastian Weigle bauen kann.