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Dienstag, 29. April 2014

Wie war's bei der Neuaufnahme der TOSCA im Nationaltheater Mannheim am 26.04.2014?

Tosca in Mannheim
  
Seit 20 Jahren ist die TOSCA von Puccini ein Erfolg in Mannheim und konnte dieses Jahr noch einmal in Kooperation mit der Opéra du Rhin, Strasbourg, toppen mit einer herrlich vollblutigen Ludmilla Siepneva, einem schwergewichtigen und idealistischen Michail Agafonov als Voltaire- und Bonaparte-Anhänger Cavaradossi und last not least einem imposanten Scarpia als hinterhältiger, gerissener und skrupelloser Polizeichef von Rom (Jorge Lagunes). Ein sehr zufriedenes und begeistertes Publikum mit etlichen Bravobekundungen feierte diesen dreistündigen Abend gebührlich.

Die Geschichte der Staatslenker präsent und Wurzel allen Übels: Die Oper spielt am 16. und 17. Juni 1800 in Rom. Zwei Tage zuvor kam es im Piemont zur Schlacht bei Marengo zwischen den Truppen Frankreichs und Österreichs, das die monarchistischen Italiener unterstützte. Puccini baut diese wichtige Auseinandersetzung als spannendes Moment mit ein und lässt zwei Tage später im ersten Akt am 16. Juni mittags den Sieg über Napoleon feiern. Gegen Mittag des 14. erstürmten die Österreicher Marengo, und die Franzosen mussten sich zurückziehen. Puccini lässt die Kanonen als Ausdruck der Freude feuern. Was eine Handlung in der Oper in Gang setzt, die das tragische Ende der Freiheitsliebenden besiegelt. Am Nachmittag des 14. konnten die Franzosen jedoch die Schlacht wenden und die Koalitionstruppen schließlich schlagen. Im 2. Akt der Oper erreicht die Nachricht von der Niederlage der Koalition am Abend des 16. Juni Rom. Die Katastrophe der Handlung am 17. Juni um 4 Uhr morgens. Diese Fixpunkte auf der Zeitleiste beschreiben auch den Anstieg der Spannungskurve.

Tosca in Strasbourg
Der Maler Cavaradossi arbeitet in der Kirche Sant’Andrea della Valle, seine progressive Geisteshaltung wird durch die Figur des Messners ebenso beleuchtet wie die Rolle der Frauen in der Monarchie mit Religiosität als Stützpfeiler des Systems. So stinken doch alle Weiber "nach Hölle" und sind die Voltairianer wie Cavaradossi "alles Ketzer" - "mit denen kann man nicht reden". Floria Tosca, eine berühmte Sängerin leidet an chronischer Eifersucht, die Achillesferse der weiblichen Seele, nicht nur auf der Bühne. Im Disput mit dem Maler fordert sie die blauen Augen der vermeintlichen Kontrahentin Attavanti, die das Vorbild war für eine Darstellung der Maria Magdalena, durch ihre schwarzen zu ersetzen. Man merkt, wie das kleinste Indiz fremder Weiblichkeit Stürme der Entrüstung in ihr auslösen können. Diese Schwäche wird wenige Stunden später der Polizeichef Roms Scarpia bestens einzusetzen wissen, um alles zu erfahren, was er wissen will. Denn der von den Franzosen eingesetzte Konsul in Rom Angelotti sitzt schon seit 1799 und der Rückeroberung Roms durch die Koalition in der Engelsburg in Haft. Er kann an diesem 16. Juni fliehen und war schon in der Kirche, bevor Tosca auftritt. Cavaradossi erkannte ihn und gab ihm sein Tagesessen und Wein, damit er zu Kräften kommt. Der Kanonenschuss zur Feier der Niederlage Napoleons wird von beiden als - was er auch war - Warnschuss interpretiert, der den Ausbruch Angelottis anzeigt. Sie fliehen und der Maler versteckt Angelotti. Scarpia und seine Leute tauchen auf, verhören den Messner, sind überzeugt, dass der Maler Angelotti geholfen hat, und der Polizeichef beginnt seine giftige Spinnenweben um Tosca zu stricken. Er verkauft sich als Weihwasser, das sie zu höheren Ehren gelangen lassen könnte. Der Fächer der Attavanti, im Kapellenversteck ihres Bruders gefunden, bringt ihn auf die Idee, seine teuflischen Pläne zu beginnen. "Er [Cavaradossi] an den Galgen, sie in meine Arme!" Der Anblick des Fächers macht Tosca rasend, sie eilt zum Aufenthaltsort des Geliebten, die Polizei auf den Fersen. Scarpias Plan wird durch den Einzug der Geistlichen, Gebete und Gottesdienst - kontrastreich in der Szene - abgesegnet. Puccini zeichnet sehr kritisch einen hinterhältigen, berechnenden, brutalen und süßlich umgarnenden Charakter, der über Leichen geht. Dieses Tier an Menschlichkeit könnte uns in Diktaturphasen, in skrupellosen und korrupten Gesellschaften immer und überall begegnen.

In Akt 2 dann der Fortgang des Plans: "Was ich begehre, verfolge ich", so deklariert der Polizeichef seinen Antrieb. Ganz brutal wirft er seinen Polizeioffizier zu Boden, weil er Angelotti nicht gefunden hat. Aber die Polizei hat mittlerweile Cavaradossi festgenommen, was den Chef beruhigt. Er verhört den Maler, will die Beteiligung hören, das Versteck. Der aber schweigt. Für Scarpia und seinen "Ort der Tränen" im Palazzo Farnese eine Provokation. Er verordnet Folter und verhört dabei Tosca, die ihrem Geliebten zu Hilfe kommen will. Als sie ihn leiden hört, verrät sie das Versteck Angelottis. Sie versucht Scarpia umzustimmen, aber dessen Zorn entbrennt neu, denn der Maler lacht die Polizei aus und beschimpft sie, weil er mit dem Sieg Napoleons rechnet. Das Todesurteil fällt, der Galgen wartet. Und nun kommt der Teil des Plans, der Tosca betrifft, er fordert ihre Hingabe. Sie kämpft und wehrt sich, überredet ihn, das Todesurteil abzuwenden. Scarpia ordnet 
Tosca in Strasbourg
an, dass es eine Scheinerschießung werden soll. Und spielt hier schon falsch. Sein "Macht es so, wie bei Palmieri ..." eine einzige Täuschung. Tosca erbittet sich noch eine Ausreisegenehmigung, was sie auch bekommt, bevor sie sich scheinbar hingibt. Sie ersticht ihn jedoch verächtlich bei seinem rabiaten Annäherungsversuch. "Und vor dir hat ganz Rom gezittert", zischt sie dem Sterbenden zu. Der Zuschauer atmet auf, dass die Belagerung der Schönen ein Ende hat.
Puccini verquickt hier politisch motivierte Verfolgung und Tötung Andersdenkender mit einem Mord aus schweren seelischen Nöten. Ein ungeheuerlicher Zwiespalt für Tosca, eine kultivierte, anständige Frau, voller Ideale und künsterischer Reinheit, schwach wie ein Seidenfaden, wenn die Eifersucht tobt. So hat sie einen schweren Verrat begangen, wenn auch nur, um ihren Geliebten zu schützen. Angelotti wurde im Versteck gefunden, entzog sich aber der Hinrichtung durch Selbstmord.

Im dritten Akt dann der Maler in der Engelsburg im Freien gefangen, voller Wehmut über das Ende, den Abgang, zerrissen von den emotionalen Widersprüchen, Liebe und Angst, ohne seine Geliebte noch einmal zu sehen. Cavaradossi erbittet sich eine Stunde vor der Hinrichtung, einen Brief an Tosca schreiben zu dürfen und zahlt dafür mit dem letzten Geld in der Tasche. Der Brief wird niemals weiterbefördert, er bleibt achtlos liegen. Aber Tosca kommt selbst in den Hof geeilt, beruhigt Ihren Geliebten, zeigt ihm die Lösung seines Dilemmas, den Weg in die Liebe und Freiheit mit ihr. Er kann es nicht glauben, dass "diese süßen Hände töteten", für ihn, um ihn zu retten. Nachdem er einen Ausweg sieht und glaubt, nicht echt erschossen zu werden, stellt er sich angstfrei den Kugeln, und Tosca betrachtet alles wie einen schaupielerischen Akt voller Grazie, Größe und Raffinesse, triumphiert über den angeblichen Coup, ihr Geliebter nur zum Schein hingerichtet, klatscht Beifall zu seinem Abgang: "Ecco un' artista!" - welch ein Künstler. Aber alles entpuppt sich als Lüge - der Mord Scarpias noch mehr gerechtfertigt. Ihr Wunsch, ihre Illusion, ihr Verstehen der Welt, ihre Liebe kollabieren durch die bittere Falschheit des Scarpia. Sie hat ihren Geliebten eigentlich nur angstfrei in den Tod geleitet. Aber dennoch ist sie sich bewusst, dass sie über allem zu einer Mörderin geworden ist. Als die Soldaten wieder zurückkommen, entzieht sie sich der Verhaftung durch einen Sprung von der Engelsburg. Auf der Bühne ein nicht realistisch dargestellter Abgang ins dunkle Off. Mit den Worten "O Scarpia, avanti a Dio!" - Scarpia, ich komme zu Gott, richtet sie sich demütig und dennoch unchristlich selbst und bleibt doch unbeschadet in ihrer Heldenhaftigkeit, Reinheit und in ihrer Liebe.

Puccini hat mit dieser modernen, kritischen und dramatischen "Kriminaloper", einem "melodramma", einen Schritt zum Musiktheater gemacht und auch Elemente des offenen Dramas integriert, mit der Parallelität verschiedener Handlungen, Szeneneinblendungen in einem größeren Handlungsrahmen, Geräusche aus der Umwelt, die die Stimmung transportieren oder gegensätzlich spiegeln, ohne die Illusionsbühne aufzugeben. Diese Modernität kurz vor der Jahrhundertwende, ohne Aussparung der heroischen Gesten und Exaltiertheit der Helden und Diven der klassischen Oper, wie man sie auch in den berührenden Filmen von Georges Méliès zwischen 1890 und 1914 sieht, hat Puccini einen sicheren Platz in der Ehrenhalle der Komponisten verschafft. Das Theater jedoch hat mit dieser Szenentechnik schon 1776 bei Lenz und später bei Büchner operiert.