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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Sonntag, 5. Dezember 2010

Hörbuch: Die Irrfahrten des Odysseus

Hertha Kratzer
Die Irrfahrten des Odysseus
Buch, auch Audio-CD, Audiobook, ab 10-11 Jahren
Wien 2010, Hardcover oder 2 CDs (auch mit 4 CDs)
ab 12,95 €, Carl Ueberreuther Verlag

Diese 3000 Jahre alte Sage ist so spannend wie die gesamten Märchen der Gebrüder Grimm zusammen, denn die Odyssee ist ursprünglich aus 24 Gesängen oder mehreren Abenteuern zusammengesetzt. Die Sage ist umfassend und fesselnd, die Zuhörer brauchen Energie und Ausdauer, um die Abenteuer zu verstehen und auseinanderzuhalten. Vor allem die Namen und Querverbindungen der Helden müssen verstanden sein. Leider ist auch das angehörte Hörbuch etwas atemlos, wie schon die Sagen der Kelten aus demselben Verlag. Es fordert.

Um was geht es bei der Odyssee? Es sind unzählige, teils lebenbedrohliche, teils lehrreiche oder lockende, teils tödliche Abenteuer, die Odysseus und seine Männer bestehen müssen, und nicht wenige müssen ihr Leben lassen. Ich habe mich hier an G. Bosold und seiner Erklärung der griechischen Mythologie orientiert und zu seinen Erläuterungen verlinkt.
Das sind z. B. die freundlichen Lotophagen, die sich allein von der Lotosfrucht ernährten. Die Männer, die von der Lotosfrucht gegessen hatten, dachten nicht mehr an Rückkehr und wollten bei den Lotophagen bleiben. Odysseus musste sie mit Gewalt entführen. Oder der Zyklop Polyphem, der insgesamt sechs der Männer verschlang. Odysseus machte Polyphem mit Wein trunken, so konnten sie entkommen. Allerdings war Polyphems Vater der Meeresgott Poseidon, sodass die weitere Irrfahrt von Poseidons Zorn verfolgt war, andererseits behütet von der göttlichen Athene, der Beschützerin vieler Helden.
Der Windgott Aiolos gab Odysseus einen Schlauch, in dem verschiedene Winde eingeschlossen waren, auf sein Schiff und ließ die Winde Odysseus' Schiff schon bis fast vor Ithaka treiben. Allerdings öffneten Odysseus Männer wider die Weisungen den Schlauch, weil sie aus Troja mitgebrachte Schätze vermuteten. Ein Sturm erhob sich, der die Gefährten wieder bis zurück zu Aiolos trieb, der ihnen aber ein zweites Mal nicht beistand. Sie segelten weiter an die Küste der Lästrygonen (griech. Laistrygones), die ein wildes Volk von menschenfressenden Riesen waren. Sie schnappten sich Männer und zerstörten die Schiffe mit Felsblöcken. Nur Odysseus' eigenes Schiff kam davon. Damit rettete Odysseus sich und die noch lebenden Kampfgefährten. Bei der Halbgöttin und Zauberin Kirke (Circe) verwandelten sich einige Männer in Schweine. Der Gott Hermes leitete Odysseus an, wie er sie zurückgewinnen könnte. Bei Kirke wurden sie verwöhnt, von ihren schönen Dienerinnen bewirtet und verwöhnt. Erst nach einem Jahr dachten sie an die Rückkehr. Kirke verlangte jedoch vorher einen Besuch der Unterwelt.
Odysseus stieg zum Eingang der Unterwelt hinab. Dort traf er die Seelen des blinden Sehers Teiresias, Agamemnon, Achilleus und seiner Mutter, die ihm von der Treue seiner Gattin und den aufdringlichen Freiern berichtete.
Die Fahrt führte sie weiter zur Insel der Sirenen. Auf Kirkes Rat verklebte Odysseus die Ohren seiner Gefährten mit Wachs. Sich selbst ließ er an den Mast binden, um den Gesang der Sirenen hören zu können.
Darauf kamen Odysseus und seine Gefährten zur Meerenge, wo Skylla und Charybdis die Durchfahrenden bedrohten. Ihr Schiff konnte glücklich passieren, doch sie verloren wieder sechs Männer.
Der Seher Teiresias hatte sie zwar gewarnt, aber auf der Insel des Helios töten die Männer, während Odysseus schlief, verbotenerweise die heiligen Rinder des Helios. Der getane Frevel zeigte sich,
Max Beckmann: Odysseus und Calypso
indem die Häute der Tiere umherkrochen und das Fleisch an den Bratspießen brüllte.
Die Strafe der Götter traf sie in Gestalt eines Sturmes, der das Schiff zerstörte. Odysseus blieb allein am Leben. Auf einem Floß aus Schiffsteilen wurde er wieder zur Meerenge von Skylla und Charybdis zurückgetrieben, überlebte jedoch und wurde dann zur Insel Ogygia getrieben, wo ihn die Nymphe Kalypso gesund pflegte und er sieben Jahre verbrachte.
Von dort kam Odysseus wiederum auf einem Floß und nochmals im von Poseidon gesandten Sturm schiffbrüchig schließlich schwimmend zur Insel der Phaiaken.
Heimkehr Odysseus nach Ithaka
Der König der Phaiaken, Alkinoos, hatte bereits vor Odysseus' Bericht über seine Irrfahrten zugesagt, ein Schiff zur Heimkehr Odysseus zur Verfügung zu stellen. So konnte Odysseus nach seiner Erzählung sofort nach Hause, nach Ithaka gelangen.

Ein besonderer Leckerbissen für Literaturfans, der nicht in den erwähnten Ausgaben enthalten ist: Ein Text von Franz Kafka, den er 1917 verfasste und in dem er das Abenteuer mit den Sirenen aus seiner Sicht interpretiert:

Das Schweigen der Sirenen

Beweis dessen, daß auch unzulängliche, ja kindische Mittel zur Rettung dienen können:
Herbert James Draper (1863-1920):
Odysseus und die Sirenen, 1909
Um sich vor den Sirenen zu bewahren, stopfte sich Odysseus Wachs in die Ohren und ließ sich am Mast festschmieden. Ähnliches hätten natürlich seit jeher alle Reisenden tun können, außer denen, welche die Sirenen schon aus der Ferne verlockten, aber es war in der ganzen Welt bekannt, daß dies unmöglich helfen konnte. Der Sang der Sirenen durchdrang alles, und die Leidenschaft der Verführten hätte mehr als Ketten und Mast gesprengt. Daran aber dachte Odysseus nicht, obwohl er davon vielleicht gehört hatte. Er vertraute vollständig der Handvoll Wachs und dem Gebinde Ketten und in unschuldiger Freude über seine Mittelchen fuhr er den Sirenen entgegen. 
Nun haben aber die Sirenen eine noch schrecklichere Waffe als den Gesang, nämlich ihr Schweigen. Es ist zwar nicht geschehen, aber vielleicht denkbar, daß sich jemand vor ihrem Gesang gerettet hätte, vor ihrem Schweigen gewiß nicht. Dem Gefühl, aus eigener Kraft sie besiegt zu haben, der daraus folgenden alles fortreißenden Überhebung kann nichts Irdisches widerstehen.
Und tatsächlich sangen, als Odysseus kam, die gewaltigen Sängerinnen nicht, sei es, daß sie glaubten, diesem Gegner könne nur noch das Schweigen beikommen, sei es, daß der Anblick der Glückseligkeit im Gesicht des Odysseus, der an nichts anderes als an Wachs und Ketten dachte, sie allen Gesang vergessen ließ.
Odysseus aber, um es so auszudrücken, hörte ihr Schweigen nicht, er glaubte, sie sängen, und nur er sei behütet, es zu hören. Flüchtig sah er zuerst die Wendungen ihrer Hälse, das tiefe Atmen, die tränenvollen Augen, den halb geöffneten Mund, glaubte aber, dies gehöre zu den Arien, die ungehört um ihn verklangen. Bald aber glitt alles an seinen in die Ferne gerichteten Blicken ab, die Sirenen verschwanden förmlich vor seiner Entschlossenheit, und gerade als er ihnen am nächsten war, wußte er nichts mehr von ihnen.
Sie aber - schöner als jemals - streckten und drehten sich, ließen das schaurige Haar offen im Winde wehen und spannten die Krallen frei auf den Felsen. Sie wollten nicht mehr verführen, nur noch den Abglanz vom großen Augenpaar des Odysseus wollten sie so lange als möglich erhaschen.
Odysseus und Circe
Hätten die Sirenen Bewußtsein, sie wären damals vernichtet worden. So aber blieben sie, nur Odysseus ist ihnen entgangen.
Es wird übrigens noch ein Anhang hierzu überliefert. Odysseus, sagt man, war so listenreich, war ein solcher Fuchs, daß selbst die Schicksalsgöttin nicht in sein Innerstes dringen konnte. Vielleicht hat er, obwohl das mit Menschenverstand nicht mehr zu begreifen ist, wirklich gemerkt, daß die Sirenen schwiegen, und hat ihnen und den Göttern den obigen Scheinvorgang nur gewissermaßen als Schild entgegengehalten.
Franz Kafka (1883-1924), verfasst 1917, veröffentlicht 1931 von Max Brod (1884-1968)