(c) Eyal Landesman |
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Die Europapremiere fand erst 30 Minuten später statt. Und war sehr sehenswert. Yonatan Levy, ein begehrter avantgardistischer israelischer Regisseur in Tel Aviv, hatte mit jüdischem Humor ein Stück gezeigt, dass so tiefgründig, entlarvend, erniedrigend und poetisch war, gleichzeitig eine Persiflage auf den Herrscher Saddam Hussein und seine leiblichen Söhne Usai und Qusai (im Irakkrieg gefallen) sowie ein Diener Gilad, dass man sich wunderte, mit welcher Direktheit und gleichzeitig auch wieder mit welch dezentem Respekt der egomanische Herrscher des Irak in den Fokus der Veräppelung rückte. Auf den Arm genommen und gewiegt in jüdischen Armen der bemitleidenswerte Saddam, ein Egozentriker, ein Feigling, ein Aufschneider, ein Daseinsgenießer (insofern auch ein Sufi), ein Verrückter. Hussein musste zwangsläufig seinen Größenphantasien erliegen, wie letztes Jahr Muammar al-Gaddafi. Saddam, der den Angriff 09/11 am Tag danach lautstark begrüßte und den USA weitere Angriffe wünschte, der Beschwörer des Untergangs der USA, der Ursurpator Kuwaits, Angreifer des Irans und Giftgasfeldherr gegen die Kurden, forderte die USA zum Krieg in den Ring und ging nach wenigen Minuten Beschimpfungen zu Boden.
Eine Messe für Saddam, den Herrscher, der das Maul zu voll nahm, mit Weihrauch und verrückter Poesie, teilweise fantastisch poetische Aussagen mit hohem dichterischem Anspruch... Das Mysterienspiel nebelte Saddam und seine Söhne/Doppelgänger im roten Sufi-Rock und roten Baret auf dem Kopf in Weihrauch und Zigarettenrauch ein. Nach orientalischer Manier wird geraucht bis zum Anschlag. Saddam und seine drei Doppelgänger zelebrieren seine Selbstbeweihräucherung. Er lässt sich huldigen und zeigt sich despotisch. Man weiß, wie er und seine Söhne sich im eigenen Staate aufführten.
Befragt, was Saddam für sie ist, sagen die Doppelgänger "ein Lampenschirm", "das Meer, die Mole, der Sturm über dem Hafen" und "das Nichts!" Der Doppelgänger verbessert sich, nicht ein Nichts, sondern die Gottheit, die alles regiert, in allem ist und in nichts. Er herrscht über Tod und Leben, erschießt, schießt an (daneben geschossen) und richtet sich selbst, wie es ihm passt, alle leben natürlich weiter. Die völlig affektierte Selbstüberschätzung wie auch bei Gaddafi, wird betont durch eine Szene, in der er ein rohes Herz verlangt: "Bringt mir ein Herz, ein Löw(inn!!)enfell, darein sich zu schlagen - dort sei der Diamant".
Die Reime haben - sofern Saddam spricht - fast immer den Anschein von Bullshit-Poesie, aber bei kommentierender oder gegnerischer Mitteilung auch sehr logische Reime, voll Könnerschaft geschmiedet. Auch George Bush Jr. tritt auf ... der Kampf ums Öl zwischen Saddam und Bush mystisch-poetisch-bizarr. Bush: "Es wichst zum letzten Mal ein Pavian im Bunker!"
(c) Eyal Landesman |
Das Ende dauert lang. Vielleicht eine Anspielung auf die Verhörzeit zwischen der Festnahme Saddams im Dezember 2003 und seiner umstrittenen Verurteilung und Hinrichtung durch ein irakisches 9-Richter-Gremium am 30.12.2006. Saddam steigt hinab in die Unterwelt zum heiligen Öl, hier nun aus dem Kot der Kormorane am Persischen Golf bestehend. "Süßer ist Öl als Dattelhonig", wird gefrozzelt. Und er wird verhöhnt, dass Bush eben den größeren Penis gehabt und Saddam schlichtweg diagonal "gefi***" hätte. Diese mal auf schwules Niveau gehobene Hassliebe der Herrscher hat ihre eigene Note. Wer f*** wen? Hussein wird Bestandteil des Öls, hält nach moslemischer Manier nur diese eine Schlacht für verloren und vertraut wie die - wir denken an die vor 1000 Jahren von den Kreuzzügen heimgesuchten - türkischen und arabischen Völker auf die Kraft der Geschichte. Damals, knapp 70 Jahre nach der Heimsuchung warfen die überrollten Völker des Orients die Christen aus Jerusalem. Ihr Glaube, dass sie dereinst erstarkt den Sieg davontragen würden, hatte gerade den Feldherren, die zu Beginn unterlagen, Jahrzehnte später geholfen, gewaltig aufzuräumen. Eine kleine Ehrenrettung für Saddam, ein tröstliches "Es ist noch nicht aller Tage Abend". Dennoch ist hier klar, dass die Verwandlung zu Öl das Schicksal aller weltweit ist. Und es dauert Millionen von Jahren bis sie so weit sind ... Auch Hitler wird in viel Jahren als unbedeutender Brennstoffbestandteil verheizt oder in einem Kunstfaserteil stecken.
Ein solches Stück, randvoll mit fast schon kriegspsychologischer Verhöhnung, sieht man nur alle paar Jahre auf der Bühne ... Die 250 Zuschauer in der Montagehalle, die bis auf den letzten Platz ausverkauft war, gaben langen und jubelnden Beifall für diese geistreiche, freche und doppeldeutige Auseinandersetzung mit dem Diktator, der sein ganzes Volk mit sich in den Abgrund reißen wollte wie Hitler. Großes Lob für Yonatan Levy, der dieses Stück so treffend realisiert und betextet hat. Ein Meisterwerk.