SV Verlag

SV Verlag mit Handy oder Tablet entdecken!
Die neue Generation der platzsparenden Bücher - klein, stark, leicht und fast unsichtbar! E-Books bei viereggtext! Wollen Sie Anspruchsvolles veröffentlichen oder suchen Sie Lesegenuss für zu Hause oder unterwegs? Verfolgen Sie mein Programm im SV Verlag, Sie werden immer etwas Passendes entdecken ... Weitere Informationen

.

.
Dichterhain, Bände 1 bis 4

.

.
Dichterhain, Bände 5 bis 8

Übersetze/Translate/Traduis/Tradurre/Traducir/переводить/çevirmek

Posts mit dem Label Serie: (11) Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Serie: (11) Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 24. März 2014

Serie: (11) Die wunderbaren Begebenheiten des Grafen Alethes von Lindenstein. Von Friedrich Baron de la Motte Fouqué


Elftes Kapitel

Immer höher starrten die Felsen empor um den sich immer noch aufwärts schlingenden Pfad, das Leben begann sich sogar in seinen Spuren zu verlieren, denn selten konnte das Auge eines entblätterten Strauches Geripp wahrnehmen, noch seltner eine Fichte oder Schwarztanne, die in dem stets unfreundlicher heulenden Sturmwinde schwankte. Der Schnee sah blendend von den Bergen herunter, blendend aus den Thälern herauf, und erhob sich bisweilen vor der wilden Luft zu flüchtigem Gestöber, das hart in des Wandernden Antlitz fuhr. Alethes mußte befürchten der Mattigkeit und Kälte zu erliegen, und schaute sorglich nach irgend einem Obdach umher. Aber vergebens, bis die Sonne schon über ihren höchsten Standpunkt hinaus war, und er endlich, an einem schroffen Abhange in der Höhe über ihm, einer in den Felsen eingefugten hölzernen Thür ansichtig ward. Hoffend, einen frommen Siedler dorten anzutreffen, klomm er hinauf, und klinkte an dem rostigen Schloß. Keine Antwort drinnen; – durch einige eiserne Gitterstäbe, die ein enges Luftloch in der Thür verwahrten, blickte Alethes hinein, ohne einen Menschen entdecken zu können. Schneidend blies der Nordwind um des Felsens Ecke, und der halberstarrte Wandrer trat ohne Zögern in das Gewölbe. Es schien von der Hand der Natur bereitet, durch Menschenhände aber wohnsam gemacht, wie es einige Sitze, von Stein und Rasen zusammengedrückt, ein großer Haufen Moos, über einer Art von Lager aufgeschichtet, und sogar einige glimmende Kohlen auf einem niedrigen Heerde bezeugten. Dem Eingang gegenüber fand sich noch eine zweite Thür im Grunde des Gemaches, die Alethes fest und sehr sorgfältig verschlossen fand. Er kehrte daher nach dem Heerde zurück, seine erstarrten Glieder zu wärmen, immer jedoch den Blick auf die zweite Thür gerichtet, von wo, glaubte er, der Hölenbewohner eintreten werde. Einigemal regte es sich wohl, wie es ihm vorkam, in dem Gemache selbst, aber er strafte sein Gehör Lügen, und behielt nur die Thür in sorgsamer Acht. Ein vernehmbareres Athmen und Bewegen zog endlich seinen Blick dennoch seitwärts. Das aufgeschichtete Moos wankte, andeutend, daß darunter etwas Lebendes hausen müsse. An irgend ein ungeheures Thier, was sich mit seiner Häßlichkeit so wunderlich versteckt halte, dachte Alethes; kaltes Entsetzen schlich über seine Glieder, und er wollte eben hinaus flüchten in den eisigen Wintersturm, seinen Blick dennoch von dem Gegenstande seines Widerwillens abzuwenden unvermögend, als das Moos auseinanderbrökkelte, und ein langes, graues, bärtiges Antlitz sich daraus empor hob. Alethes stand wie gebannt; der Alte richtete sich aus dem Moose vollends in die Höhe, ging seinem Gaste feierlichen Trittes entgegen, und sagte, ihm die Hand reichend: guten Abend, ehrwürdiger Vater! Kommt Ihr aus Euerm Kloster, oder gradeweges vom Hofe Caroli Magni? – Indem aber ward er des Dolches ansichtig, den Alethes halb aus der Scheide gezogen hatte, und fuhr fort: ei, Herr, Ihr seyd kein Geistlicher, Ihr seyd ein verkleideter Rittersmann. Menschenkinder, Menschenkinder! Die Hölle ist tief, die Ewigkeit lang, und Ihr erfrecht Euch, Euer Spiel zu treiben mit der Liverey des großen Richters? – Daran ist gewiß wieder Ganalon Schuld, denn allzu schwach ist Carolus Magnus, daß er also auf ihn vertraut. Wie steht es denn sonst am Hofe des mächtigsten Kaisers der Christenheit, des Besiegers Desiderii und der Sachsen? Lang' schon vernahm ich keine Kunde davon; gieb mir sie Du, den wohl der gütige Himmel eben deshalb mir zum Trost in dieses unwirthbare Gebirge eingeführt hat. Du mußt wissen, ich bin Reinald von Montalban, und treibe nun hier mein Einsiedlerwesen schon seit vielen hundert Jahren. Hast Du nicht wenigstens in Liedern davon vernommen?
Noch war Alethes im Zweifel, ob er einen Wahnsinnigen oder ein Gespenst vor sich sehe, als der Greis ihn plötzlich bei den Schultern faßte, und unter einem Hohngelächter und tollem Gesinge, das von der Decke des Felsgewölbes wiederhallte, mit ihm gewaltsam umherzutanzen begann. Alethes Gegenstreben war umsonst, theils vor der wunderlichen Stärke, welche den Wahnsinnigen beiwohnt, theils auch vor der in der That kräftigen Mannhaftigkeit des hohen, fast riesenmäßigen Alten. Bald aber ließ dieser ab, und sagte, sich verschnaufend: Ihr müßt nun schon zu Gute halten. Ich bin zwar ein Eremit geworden, aber die alten Neckereien, die ich vormals von Montalban aus mit den Reisenden trieb, kommen mir noch bisweilen in den Sinn. Leides jedoch thue ich Niemandem. Auch weiß ich, zu vergelten. Siehe, nun mache ich Dir Dein Bette mit eigner Hand. – Darauf nahm er des aufgeschichteten Mooses einen Theil, es an der Hölenwand zu einem Lager, dem seinigen gegenüber, ordnend.
Alethes gedachte indessen, wie er der schauerlichen Beiwohnung entkommen möge; aber nicht allein, daß der Sturm immer wilder durch's Gebirg heulte, und die herannahende Nacht sich immer tiefer darüber hinsenkte, – auch ein wüstes Schneetreiben schlug mit unerhörter Gewalt gegen die Thür, daher es dem Wandernden mehr als zu gewiß ward, er müsse diese Nacht bei seinem wunderlichen Wirthe herbergen, wofern er nicht dem Erstarren auf öden Wegen oder dem Sturz von schroffer Klippe entgegen gehn wolle.
Der Alte kramte indessen immer an des Lagers Bereitung fort, und summte dazu in halb vernehmlichen Tönen ein Lied, dessen Melodie mit jedem Augenblicke gewaltiger durch Alethes Seele drang. Es mußte ohne Zweifel dasselbe seyn, welches Yolande ehmals am See gesungen hatte. Die undeutlichen Klänge gestalteten sich endlich zu Worten, und ließen sich folgendermaaßen vernehmen:

Frisch auf aus dunkelm Bade,
Du neues Menschenbild!
Des Lebens Lustgestade
Blühn reich für Dich und mild:
Erst Kinderlebens Spielen
Auf frühstem Blumenplan,
Dann –

Der Alte schwirrte seine Töne wieder unvernehmlich weiter, bald aber begann er von neuem Worte hören zu lassen, und zwar diese:

Du ziehst am Seil der Schwermuth
Den matten Nacken wund,
Dann speist mit bittrer Wermuth
Die Reue Deinen Mund.
Bist nicht zum Leben tüchtig,
Das doch nicht von Dir läßt;
Die Freuden Dein sind flüchtig,
Und Deine Leiden fest.

Liegst Du in solchen Ketten,
Horch auf des Liedes Lauf;
Es ruft, um Dich zu retten,
Aus Dir ein Mittel auf:
Laß Deine Augen schwellen,
Laß los der Thränen Band, –

Der Alte stockte bei diesen Worten; er gab ängstlich suchend einige Töne an, wie ein abgerichteter Vogel, der seine Weise verloren hat, und sie wieder finden will. Es lag eine unbeschreibliche Sehnsucht hierin, der zu begegnen Alethes sich nicht erwehren konnte, indem er das Lied, wie er es von Yolanden gehört zu haben glaubte, folgendermaaßen weiter sang:
Das sind die lieben Quellen
Aus heißer Wüste Sand.

Der Alte fiel ein, und er und Alethes sangen nun, indem Jener bitterlich weinte, das Lied fort:

Komm, Wandrer, fromm und traurig,
Komm, Wandrer, treu und weich,
Sie duften wohl was schaurig,
Doch bester Ahnung reich.
Was Du aus ihnen trinkest,
Trinkt man im Himmel auch;
Wenn Du in sie versinkest,
Thust Du nach Himmels Brauch.

Tief, tief nach innen grabe,
Weil Dir ihr Licht entquillt,
Befrei'nd aus ird'schem Grabe
Dein eignes Engelsbild.
Dein Herz aus hartem Steine,
Sie schmelzen's lieb und lind,
In ihrem Dämmerscheine
Wirst für die Welt Du blind.

Nicht blind dem –

Alethes und der Alte hielten zugleich inne, und sahen einander an. Jener hatte das Lied von Yolanden nicht weiter gehört, und nur auf seines Gesanges Schwingen, schien es, sey der Greis mit fortgetragen worden, der nun tief seufzte, sprechend: ein wenig besser wußtest Du's als ich, aber mit der Hauptstelle will's gegenwärtig bei Keinem mehr fort. Bei Keinem, ach, bei Keinem! wiederholte er, halb singend, wie in der Melodie des Liedes, und schüttelte dann mit spöttischem Lächeln und gänzlich verstummend das Haupt, wobei aber seine Thränen, zwei Springquellen vergleichbar, in ungestörter Lindigkeit weiter flossen.
Das Lager für Alethes war bereitet, ein Mahl von trocknen Früchten und Wein verzehrt, und draußen über den Schneebergen lag die tiefe Nacht, vom immer noch zunehmenden feindseeligen Wetter durchtobt. Da streckte sich der Alte auf sein Lager, und schlief weinend ein. Auch Alethes Augen drückte die Ermüdung des Tages und der vorigen Nacht in bleierner Betäubung zu.
Nach einigen Stunden etwa fühlte er sich von einem seltsamen Geräusch erweckt. Wie ein ferner Donner aus tiefer Bergeskluft drang es an sein Ohr. Anfänglich, noch halb schlummernd, wollte er sich überreden, es sey das Unwetter im Gebirge, aber stets vernehmlicher drang der Ton von der andern Seite, wo er bei Tage die verschloßne Thür bemerkt hatte, herauf.
Das nächtliche Erwachen an fremdem Ort, immer von wunderlichen Schauern begleitet, ergriff Alethes Gemüth unter diesen Umgebungen mit zwiefacher Gewalt. Der wahnsinnige Alte schnarchte, und sprach einzelne wehklagende Worte im Traume, ein unruhiges Geflatter, wohl von Fledermäusen, streifte hoch an dem Felsengewölbe hin, und bedrohend stieg das Brausen und Zischen und Brüllen aus der Tiefe herauf. Alethes, von Dunkelheit und Grauen bezwungen, rief nach dem Alten. Der fragte ächzend, was es gebe. Hörst Du nicht, rief Alethes, das zornige Getöne von dorten, wie aus unermeßlichen Abgründen her? – Ho, ho! sagte der Alte hohnlachend, ist es nur das? Ich will Dir's vernehmlicher zu hören geben. – Damit war er schon an der Thür, die in den Felsen hineinging, riegelte sie auf, und zugleich mit einem schneidend kalten Zugwind drang das furchtbare Tosen fast betäubend empor. – Was ist es denn? Was will es denn? Böser Zaubrer, sag's an! so rief Alethes, ganz irr in diesem Tumult. Der Alte, dicht neben ihm stehend, denn die Thür war nah bei des Gastes Lager, sprach mit vernehmlicher Stimme durch das Gebrause: dieses Felsloch führt tief in den Berg, unbekannte Schlünde hinab, in ein Eisgewölbe, da drinn es einen grundlosen See giebt. Er ist meistens still, aber wenn der Sturm so wild aus den Wolken fährt wie Heute, dringt er auch wohl durch unbekannte Zugänge bis auf das heimliche Gewässer, und dann zischt es und heult, wie Du es eben vernimmst. Man kann auf dem glatten Eise ein wenig in das Gewölbe hinein gleiten, aber in Acht muß man sich nehmen, denn drei Schritte zu weit, und Grundlos hat Dich in seinem Gewahrsam bis zum jüngsten Gericht. Ich habe mir deswegen den Zugang mit Riegeln verwahrt; man weiß nicht, es kommen den Menschen bisweilen tolle Dinge an. Ein wenig schildern will ich doch eben jetzt. – Er sagte diese Worte mit einem heisern Lachen schon außerhalb der Thür, und Alethes hörte, wie er gleitend auf dem Eise umher fuhr. Ihn selbst, den auf dem Lager Liegenden, kam darüber ein Schwindel an, und es war, als raschle ein böser Geist in dem Moose, und flüstre ihm zu: sperre den Alten aus, Freundchen, sperr' ihn hübsch aus, so bist Du seiner häßlichen Nähe quitt. – So entfernt auch Alethes war, dem bösen Gedanken zu folgen, so besorgt war er dennoch, der Alte könne von selbst die Eishalle hinunter gleiten, und in seinem eignen Gemüthe müsse es sich dann wie ein Wahnsinn festsetzen, er habe seinen tollen Wirth hinuntergestoßen; er könne ja nie im Leben darüber zur Gewißheit gelangen, und müsse vor dem ängstigenden Zweifel vergehn, da es nachher Niemanden gebe, der ihm ein tröstliches Zeugniß darüber abzulegen vermöge. Der Alte kam endlich zurück, verriegelte sorgsam die Thür, legte sich auf sein Lager und schlief ein. Alethes aber konnte keine Ruhe mehr gewinnen; schloß er ja auf kurze Zeit die Augenlieder, so kam es ihm vor, bald, als liege er selbst, von dem Alten hineingeschleudert, in dem grundlosen See unter dem Eisgewölbe, auf ewig weitab von allem Leben, bald wieder, als heule der Greis aus der Tiefe durch das wilde Getöse heraus, und klage ihn als seinen Mörder an.
Der Morgen warf endlich durch das umgitterte Luftloch an der vordern Thür seine ersten Lichter in die Höle. Alethes eilte hinaus, ohne sich nach dem schlafenden Alten umzusehn; ein klarer Himmel, eine stille Luft, und der feste, knarrende Schnee unter seinen Füßen, versprachen ihm glückliche Fahrt, so daß er auch im Vorwärtsschreiten das Grausen dieser Nacht immer freudiger abzuschütteln im Stande war. Plötzlich aber stand er an einem Abhange, der, mit hohem Schnee überdeckt, keine Spur für den Fortschreitenden mehr darbot. Man konnte eben so gut unter der blendenden Hülle in senkrechte Tiefe hinabtreten, als irgend einen schützenden Stein erfassen. Es wäre Raserei gewesen, hier auch nur einen Versuch zum Hinabklimmen zu wagen, daher Alethes den Berg nach der andern Seite hin zu erspähen begann. Aber von kaltem Entsetzen fühlte er sich ergriffen, und von immer wachsender Angst, als er an allen Gegenden der Höhe dasselbe Hinderniß antraf, und sich endlich überzeugen mußte, er habe den Umkreis, in welchen er gebannt sey, vielleicht schon zwei- bis dreimal vergeblich durchlaufen. Schon blitzte die Sonne hell auf den Schnee, als er endlich erschöpft und in gänzlicher Hoffnungslosigkeit den Rückweg nach der Höle antrat. Der Alte sonnte sich vor der Thür, und lachte ihm entgegen. Du wolltest davon laufen, sagte er, aber wir sind hier eingeschneit für den Winter. Ich merkte es gleich in der Nacht, als der Schnee so wüthig gegen den Berg trieb. Find' Dich drein, Du sollst es nicht übel haben. Mein Verwandter bist Du ja ohnehin, bist Organtin, mein Neffe, sonsten der Teufel geheißen, dieweil Du einen Teufel im Panner führst. Siehst Du, wie gut ich Alles weiß? Du hast Dich auch selbst mit dem Liede verrathen, das Niemand wissen kann, als meine nächsten Anverwandten. Gräme Dich nicht; mit Anbruch des Sommers kannst Du weiter ziehn, oder wenn es gut Wetter giebt, schon mit Anfang des Frühlings. Bis dahin bist Du Reinalds von Montalban Gast. Thu nur, als ob Du zu Hause wärst, und fürchte Dich nicht vor mir. Meine Gäste, mußt Du wissen, Neffe, hab' ich immerdar gut verpflegt, und mich aller Neckerei gegen sie enthalten. Tritt in die Höle, Organtin!