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Sonntag, 14. Juni 2015

70 Jahre nach Kriegsende: Internisten analysieren die Bürde der Nazizeit


In einer Untersuchung der Internistenvereinigung DGIM tauchen wieder all die Verbrechen auf, die heute keiner mehr erwähnt oder nie gewusst hat. Etliche Schüler und Studenten zum Großteil gar nicht mehr lernen und sich auch oft selbst nicht darum kümmern. Es gab bändeweise Material und Belastungen, Details und Schilderungen. Hier werden nur einige Beispiele genannt. 

Ingesamt hat die Medizin in etlichen Disziplinen unter Hitler viele Verbrechen begangen. Die Aktion T4 gegen psychisch Kranke, wie auch Behinderte aller Ausprägung,  ging in die Geschichte ein. Offiziell über 200 000 Patienten in Krankenhaus- und Heilanstalten wurden getötet. Rechnet man Mengele in Auschwitz dazu und andere KZ-Ärzte und ihre Versuche erhöht sich diese Zahl um ein Vielfaches. 

Vom 9. Dezember 1946 bis 19. Juli 1947 mussten sich 20 Militärärzte und drei hohe Beamte wegen schwerer Verstöße gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantworten. Dazu gehörten die „Euthanasie“ sowie Menschenversuche zu Unterdruck, Unterkühlung, Impfstoffen (Fleckfieber) und Knochentransplantationen. Das Verfahren war der erste der zwölf großen Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher bis 1949 vor dem Militärgerichtshof der USA in Nürnberg. 
Sieben der Angeklagten wurden am 20. August 1947 zum Tode verurteilt, so auch Karl Brandt, vormals Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen und Begleitarzt Hitlers. Neun weitere erhielten Haftstrafen, sieben wurden freigesprochen
Für das internationale Recht bedeutsam wurde der von den Richtern entwickelte „Nürnberger Kodex“, eine medizinethische Richtlinie, die vor allem als Antwort auf die NS-Humanexperimente zu verstehen ist.


Karl Brandt vor dem Nürnberger Tribunal
Urteilsverkündung in Nürnberg, Saal 600, Justizpalast, 20. August 1947: 
Karl Brandt (1904-1948; Mitte, stehend) war ranghöchster Angeklagter im 
Nürnberger Ärzteprozess. Er wurde zum Tod durch den Strang verurteilt.  
Bild: US Government, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Zurück zu den Internisten: Einer der Verbrecher war Professor Hans Eppinger. Er erhielt 1946 eine Vorladung zum Nürnberger Ärzteprozess. Er sollte sich mitverantworten für perfide Meerwasserversuche mit Häftlingen, die sein Assistent Wilhelm Beiglböck im Konzentrationslager Dachau gemacht hatte. Eppinger fuhr nicht nach Nürnberg. Er nahm sich im September 1946 das Leben. 
Wie Christoph Fuhr in seinem Artikel in der ÄrzteZeitung darstellt, war Eppinger, Mitglied der NSDAP ab 1937, als "schwieriger Charakter" bekannt - "er öffnete die Arteria radialis eines Patienten ohne medizinischen Grund", "er stahl die Katze einer Oberschwester für einen Tierversuch".

Ein anderer war Kurt Plötner, DGIM-Mitglied und SS-Sturmbannführer. Er infizierte als Assistenzarzt im KZ Dachau Gefangene mit Malaria. Die Ärzte steigerten das Fieber der Häftlinge künstlich, weil sie erkennen wollten, ob eine heilende Wirkung aufträte. Mehrere Versuchsopfer starben.


Siegfried Handloser, Chef des Sanitätswesens der Wehrmacht, DGIM-Ausschussmitglied, wurde wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt. Handloser war der Verantwortliche für Medizinverbrechen im Bereich von Wehrmacht und Waffen-SS schlechthin, weil er umfassend über Humanexperimente an KZ-Insassen informiert war, ohne je zu intervenieren.

Daneben war der Reichsärzteführer Gerhard Wagner einflussreichster Internist des NS-Apparats, der zugleich auch einem Gremium der DGIM angehörte.


Kritische Selbstbetrachtung erhöht das ethische Bewusstsein

Der heutige DGIM-Generalsekretär Professor Ulrich R. Fölsch aus Kiel bezeichnete die in Mannheim vorgelegte Untersuchung als einen wichtigen und notwendigen Schritt für die Fachgesellschaft.

Die Arbeit zeigt, dass nach dem Krieg manche Ärzte aus den Reihen der DGIM wieder weitgehend unbehelligt praktizieren konnten, obwohl sie sich in der NS-Zeit schuldig gemacht hatten.

Die DGIM entschloss sich auch, die von 1996 bis 2010 verliehene Gustav-von-Bergmann-Medaille 2013 durch die Leopold-Lichtwitz-Medaille zu ersetzen, weil Bergmann trotz seiner Qualität 1933 an der Berliner Charité diskussionslos durchsetzte, dass 1933 alle Juden entlassen wurden.

Leopold Lichtwitz dagegen, Leiter der Inneren Abteilung des Virchow-Krankenhauses in Berlin, wurde von der DGIM nach der Machtergreifung wegen seiner jüdischen Herkunft weggedrängt. Er verließ Deutschland, bekam später in den USA eine leitende Position in einem New Yorker Krankenhaus und wurde Professor an der Columbia University.

Ebenfalls auf der Flucht waren Walter Griesbach, Internist in Hamburg. Ihm wurde 1934 die Lehrerlaubnis entzogen. Nach Entzug der Approbation 1938 arbeitete er als „jüdischer Krankenbehandler“. Er wurde zur Emigration gedrängt, floh mit Familie nach Neuseeland, erhielt dort keine Zulassung als Arzt, widmete sich ausschließlich Forschung und Lehre.

Erwin Jacobsthal, Oberarzt mit jüdischen Wurzeln am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg, entzog man die Lehrbefugnis am 31. Juli 1933. Die damalige NS-Zeitung „Hamburger Tagblatt“ nannte seinen Namen im Artikel und setzte dazu: „Es wird gesäubert!“ 1933 wanderte Jacobsthal nach Guatemala aus und wird dort Leiter eines Kliniklabors.


Euthanasie im Dritten Reich - einige Beispiele

(Quelle: Zeitgeschichte Online, Abwehren, Verschweigen, Aufklären. Der Umgang mit den NS-Medizinverbrechen seit 1945 von Ralf Forsbach)

Abtransport von Behinderten aus der Pflegeanstalt
Schloss Bruckberg bei Neuendettelsau (Franken) in
den berüchtigten grauen Bussen der „Aktion T ",
Frühjahr 1941              
© Diakonie Neuendettelsau | Wikimedia Commons


 Der langjährige Ärztefunktionär Hans Joachim Sewering (1916-2010) war ab 1942 in der Heilanstalt Schönbrunn tätig und für die Überweisung von einigen Behinderten verantwortlich, die dann getötet wurden. Er war Mitglied in Nazivereinigungen und NSDAP sowie antisemitisch eingestellt. Es wurde nie gegen ihn ermittelt.  Aufnahme eines SS-Fotografen, Februar 1934.
(c) 
Bundesarchiv, Bild 152-04-28/Friedrich Franz Bauer, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0



Paul Martini (1889–1964) wurde 1932 ordentlicher Professor und Direktor der Medizinischen Klinik Bonn, die er bis zu seiner Emeritierung 1957 leitete. Sein Fakultätskollege Friedrich Panse (1899-1973) gehörte zu denjenigen, die warten mussten, bevor sie wieder hohe Positionen einnehmen konnten. Panse, während der NS-Zeit Professor für Neurologie, Psychiatrie und Rassenhygiene in Bonn, war einer der Gutachter der „Aktion T4“ und schickte nach richterlicher Auffassung 15 Menschen in den Tod. Trotzdem stieg er nach 1945 bis zum Direktor der Universitätsnervenklinik Düsseldorf auf und wurde vom Bundesarbeitsministerium als Sachverständiger hinzugezogen.

Zwei Professoren und ein Lehrstuhl: der NS-ferne Hans Gruhle (1880-1958) und der „Euthanasie“-Gutachter Kurt Pohlisch (1893-1955). 1934 wurde im Berufungsverfahren Pohlisch der Vorzug gegeben, nach Ende des NS-Regimes wurde Gruhle diese Position zugesprochen, bis 1952 der Lehrstuhl aufgrund eines Gerichtsbeschlusses wieder an Pohlisch ging. Nach dessen Tod 1955 übernahm Gruhle dessen Position kommissarisch erneut.

Der Leipziger Professor für Kinderheilkunde Werner Catel (1894-1981) engagierte sich als Gutachter für das „Kindereuthanasie“-Programm, konnte aber bereits 1947 wieder als Chefarzt einer Landeskinderheilstätte praktizieren. 

Ab 1951 lehrte er Kinderheilkunde an der Universität Kiel, wo er 1960 auf öffentlichen Druck hin von seiner Position zurücktrat. 
Zwei Jahre später erschien seine Schrift „Grenzsituationen des Lebens“, in der er in positiver Weise auf „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ (1920) von Karl Binding und Alfred Hoche Bezug nahm.



Josef Mengele,
KZ-Arzt in Auschwitz
Der Psychiater Werner Heyde (1902-1964) floh 1947 aus dem Gewahrsam des US-Militärs und lebte zwölf Jahre unter falscher Identität, unter anderem als Sportarzt in Flensburg. Er entzog sich einer Verurteilung 1964 durch Selbstmord. Während des Nationalsozialismus war der Würzburger Ordinarius Heyde, der auch Mitglied in der SS war, Obergutachter der „Aktion T4“. Oben der ehemalige Lagerarzt in Auschwitz Josef Mengele (1911-1979) auf einem Foto, das für seine argentinischen Ausweispapiere 1956 entstand. Er war ab 1945 untergetaucht und bis zu seinem Tod 1979, der erst 1985 bekannt wurde, nicht greifbar.  (c) Wikimedia Commons



Jussuf Ibrahim, NS-Euthanasiekinderarzt,
beliebt in der DDR und verteidigt. 
(c) Deutsche Fotothek, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Jussuf Ibrahim (1877-1953) war als Leiter der Jenaer Universitäts-Kinderklinik in der ersten Hälfte der vierziger Jahre für Überweisungen von Kindern in das Landeskrankenhaus in Stadtroda (Thüringen) verantwortlich, wo diese teils auf seinen Vorschlag hin ermordet wurden. 
1952 erhielt der angesehene Mediziner, dessen NSDAP-Mitgliedschaft an seiner halbägyptischen Herkunft scheiterte, den Nationalpreis der DDR Erster Klasse. Sein Grab in Jena trägt die Einschrift „Der Vater der Kinder und Helfer der Mütter“ und „Sein Leben war Liebe, Güte, Helfen“.