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Mittwoch, 27. Mai 2015

Wie war's bei LA CENERENTOLA von Gioacchino Rossini in der Oper Frankfurt a.M.

Angelina (Nina Tarandek)         (c) Barbara Aumüller
Seit Juni 2004 auf der Bühne in Frankfurt am Main ist das herrliche Märchen von Aschenputtel in der Fassung einer Karnevalsoper oder eines Dramma giocoso, in der Tradition des bürgerlichen Rührstücks: LA CENERENTOLA ossia La bontà in trionfo ((Aschenbrödel oder Der Triumph der Tugend) als Oper von Gioacchino Rossini. Diese Oper erfreut sich weltweit einer großen Fangemeinde und einer hundertfachen Aufführung. 2015 waren bislang zwei Wiederaufnahmen in der Frankfurter neuen Oper (1960-1963) zu sehen. Rossinis Oper wird irrtümlich oft als Opera buffa bezeichnet, ist dagegen eine Mischung aus Semi-Seria, Opera lyrica, seria und buffa. Sentimentale Komödie und Geschwindigkeit der Buffa mischen sich augenscheinlich. Rossini komponierte auch in rasanter Geschwindigkeit.

Zugrunde liegt nicht das Märchen der Gebrüder Grimm von 1812, wo das Sortieren der Linsen die Eintrittskarte zum großen Fest des Brautschau haltendenen Prinzen ist, sondern das Märchen des Charles Perrault von 1697, das wiederum auf ein Werk des Giambattista Basile zurückgeht, das zwischen 1608 und 1618 entstand. Basiles am Ende IL PENTAMERONE (Das Pentameron, also Fünf-Tage-Werk) genanntes Buch sammelte 50 Märchen an 5 Tagen erzählt, so wie Boccaccios DECAMERONE 100 Geschichten in 10 Tagen erzählt als Rahmenhandlung anbot. Die Erlebnisse der CENERENTOLA wurden in der 6. Geschichte bei Basile festgehalten. Ein Rolle spielte auch die Opera comique CENERENTOLA von Pavesi aus dem Jahr 1814, deren Märchenhaftigkeit Rossinis Librettist Jacopo Ferretti herausnahm.

Wie andere Opern von Rossini wurde die Oper in kürzester Zeit komponiert und betextet. Von Weihnachten 1816 bis zum 25.01.1817 stampfte Rossini mit seiner Patchworktechnik eine neue Oper aus seinem vorhandenen Material zusammen und ließ einen Teil von Luca Agolini (Chor 2. Teil, Alidoros Arie) schreiben. Nach dem Erfolg des BARBIERE DI SIVIGLIA war die Premiere im Teatro della Valle, Rom, ein Flop, kaum einer/keiner klatschte oder verstand das Treiben auf der Bühne. Die Zuschauer verließen wortlos das Theater. Erst später merkte man, was man sich da entgehen ließ.


Angelina                 (c) Barbara Aumüller

In Frankfurt werden unter der Regie von Keith Warner in etwa 160 Spielminuten die wundersamen Geschehnisse um Cenerentola Angelina (tapfer und schön Nina Tarandek) und Don Ramiro, dem Prinicipe (verschwindend klein, aber gerecht auf einem riesigen Fürstenstuhl das Objekt der Frauenbegierde und Aschenputtelretter Martin Mitterrutzner) lustig, beeindruckend und fern von höfischer Steifheit gezeigt.

Angelina singt ihr bei den Stiefschwestern verhasstes Lied und lebt den Traum:
"Es war einmal ein König, der verschmähte Schönheit und Reichtum, er entschied sich für Tugend und Größe."

Ihr Vater hat auch einen Traum, aber der macht ihn ganz offen lächerlich, zeigt seinen Spleen, der ihn ruiniert. Er träumt sich als fliegender Esel, die beiden anderen Töchter als sein Gefieder, träumt von Fruchtbarkeit der Töchter und deren Herrinnendasein. Angelina dagegen schlägt er mit dem Stock, tritt nach ihr und behandelt sie furchtbar garstig.

Don Ramiro muss handeln, gibt es doch eine väterliche Verfügung, dass wenn der Sohn sich nicht verheirate, er aufs Erbe verzichten müsse. Sein Hofstaat warnt ihn: "Beeile dich, sonst bist du der Letzte deines Geschlechts!"

Die Familie des Don Magnifico (ganz hervorragend und lebhaft-trunken durch das Stück torkelnd Simon Bailey) - insbesondere seine beiden eitlen, hochnäsigen und berechnenden Baronstöchter Clorinda (komödiantisch gefallend Sofia Fomina) und Tisbe (arrogant und grob Judita Nagyová) - ist wild auf Don Ramiro, wären sie doch endlich Herrinnen und hätten ausgesorgt. Die Lage ist schlecht, hat der Stiefvater doch den Erbteil von Angelina bereits veräußert, um seinen leiblichen Töchtern reiche Kleider, Schmuck usw. zu kaufen, damit sie bei der Brautschau des Prinzen den ersten Preis ziehen. Selbstverständlich wetteifern sie gegeneinander, denn nur eine kann den Zuschlag erhalten. Sie brüsten sich mit ihrer Schönheit und ihren natürlichen Gaben, die ihnen den Principe zuwehen werden. Einig sind sie sich nur in der erniedrigenden Behandlung ihrer Stiefschwetser und im Buhlen um die väterliche Gunst.

Dandini (dynamisch, werbend und erforschend voller Tatendrang Iurii Samoilov) hilft seinem Herrn die Lage zu erkunden, entdeckt Angelina auch als ganz besondere Frau und verliebt sich selbst in sie ... Er spekuliert damit, dass das Aschenputtel ihm zufalle, weil ja die Töchter des Baron standesgemäßer seien. Um die Töchter zu prüfen vereinbaren Herr und Diener einen Rollentausch und schlagen den "edlen Damen", abgeschminkt eher nur Prollofrauen im Trainingsanzug, auf dem alles entscheidenden Brautschaufest vor, dass, wenn das Los gefallen sei, die andere den Diener Dandini (hier nun Ramiro) bekäme. Da zeigen sie ihr wahres Gesicht, spucken, treten und erniedrigen den vermeintlichen Diener. Der erkennt die wahre Gesinnung. Während er zu Beginn der Handlung schon als Dandini bei Angelina war und sich unsterblich verliebte:

"Wie herrlich ist ihr Lächeln. Es dringt in die Seele und lässt hoffen!"

Angelina ist ebenfalls verzückt: "Wer seid ihr?" - "Ich weiß es nicht!"


Clorinda, Don Magnifico, Tispe                   (c) Barbara Aumüller

Wichtig für das Geschehen, ist last not least der Zauber. Bei Grimms die Fee ist es bei Perrault/Rossini der Magier Alidoro (beeindruckend kostümiert und in der Wirkung der Südafrikaner Vuyani Mlinde), der als Bettler verkleidet ebenfalls Angelina als wahre Frauengröße erkennt und ihr Hilfe verspricht. Angelina wird von ihrem Stiefvater einfach für tot erklärt, weil er seine leiblichen Töchter promoten möchte. Alidoro verspricht Angelina daraufhin, dass er sie nicht nur als Tochter wiedereinsetzen wolle, wie es auch im Familienbuch stünde, sondern sie auch am Fest teilnehmen dürfe. Er schenkt Angelina zwei Armreife, die sie beim Fest tragen soll, ein wunderschönes Kleid ziert sie außerdem. Als sie später beim Fest als unbekannte Schönheit auftritt, Don Magnifico doch schwer grübeln lässt, ob es sich nicht um seine dritte Tochter handelt, vom Hofstaat Ramiros bewundert und beklatscht, gesteht sie dem angeblichen Ramiro, dass sie seinen Diener liebe, der das hört und ihr sofort die Hand bieten möchte. Aber Alidoro verkompliziert das Ganze. Der Don soll sie erst suchen. Er erhält einen der beiden Armreife und soll seine Geliebte später am anderen Armreif erkennen, als ein plötzliches Alidoro-Gewitter die Beteiligten ins Haus des Don Magnifico treibt. So sticht Angelina die beiden hohlen Schwestern aus und wird Herrin. Alidoro klärt die Schwestern auf, dass nun alles versteigert werden müsse, da der Vater Cenerentola ja um ihren Erbteil gebracht hätte. Angelina teilt ihnen ihre Rache mit, die großmütig aus Vergebung besteht.


Ramiro, Alidoro und Angelina                   (c) Barbara Aumüller
Die hoheitliche, übergeordnete Instanz, der Alidoro dient, die er selbst auch ist, die - durch das Auge symbolisiert - über alles wacht und mit der über allem schwebenden Hand alle Fäden zieht, steht symbolisch für eine Art göttliche Magie, wobei der Religion keine Zitate entnommen sind. Diese Instanz kooperiert mit dem Guten, dem Reinen, den Unterdrückten. Die Hand wacht über die Liebenden, Ramiro und Angelina. Unschwer zu erraten, dass es der Schöpfer Rossini selbst war, der sich hier in einem Faschingsscherz verwirklichte. Vielleicht fanden die Zeitgenossen es anmaßend gegenüber Gott, König und dem Fürstentum? Oder sie waren durch den Rollenwechsel so verstört, dass sie zu wenig verstanden?

In der Regie den Creator herrlich eingesetzt, gesteigert durch Puppen, die einmal in einem Theater im Theater spielen, den Verlauf ankündigen, jedoch nicht von Angelina manipulierbar sind, so gut auch der Draht zum Zauber ist. Angelina fällt hier auch einmal aus der fiktiven Rolle, wird vom Schöpfer auf seine Ebene aufmerksam gemacht, versucht sie doch, die Figuren in ihrer Position zu bestimmen. Das kleine Theater mit Illusionsbühne auf der eigentlichen Bühne wie im Kopf mit dem Auge der hoheitlichen Instanz des Schöpfers. Die tatsächliche Bühnengestaltung hat mit Illusionsbühne dagegen nicht mehr viel gemeinsam. Ein Traum, der Wirklichkeit wird, offene Handlungsplätze, angedeutet. Ein weiteres Mal kommen die Puppen im Bett von Angelina (Traum) oder allgemein im Geschehen vor. Die Puppen sind die Prophezeiung und am Ende in den Armen der Beteiligten der Beweis, dass die Karten woanders gemischt werden. Alidoro selbst singt kommentierend im ersten Akt:

"Einem Theater gleicht die Welt, wir alle sind Komödianten!" 

Wie auch die Blitze beeindruckend gesetzt werden, der Hofstaat Ramiros als Warner vor dem Verlust der Zukunft zur Heirat antreibt, mit dem Spaten auf den Tod des Geschlechtes hinweist. Das Spiel der Untergebenen mit den Schnüren nichts als ein Spiel mit dem Publikum: Hier wird alles anders, als die Beteiligten denken. Die Fäden werden woanders gezogen. Aber gleichzeitig auch winselnde und exaltiert mit den Armen fuchtelnde devote Untergebene, die sich auf Knien fortbewegen und zumindest die anwesenden Frauenattrappen  wie Zwerge mit ihren Ärmchen aufgeregt herumflattern lässt. Die Verliebtheit des Ramiro im zweiten Akt wird in der Szene mit den fünf Spiegeln mit einem kopfstehenden Spiegelbild gezeigt, der Gute hat die Weltsicht geändert. Ferner sind auch die reitenden Gefolgsleute des Ramiro wie die Kutschenfahrt des Ramiro, Ulk- und Klamaukszenen, wie sie schon Jahrhunderte gepflegt werden, man denkt auch an Jahrmarkt. Ein Verfremdungseffekt lässt Dandini (Ramiro) als Kommentator aus der Rolle fallen. Einerseits im ersten Akt: "Die Szene ist originell."  Er weist andererseits im zweiten darauf hin, dass nun die Tragödie in der Komödie beginne. So wissen die Zuschauer immer mehr und können sich mit dem Geschehen amüsieren.

Eine Oper von Rossini, die Spaß macht, den so klassischen Stoff des Aschenputtels durch Keith Warner herrlich dynamisch und mit Märchen-Comedy-Charakter darbietet.