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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Dienstag, 28. Mai 2013

(13) Und wenn Sie nicht gestorben sind: Jakobissimo - Wer gut kochen will, der braucht den richtigen Riecher!




Heulend rannte die Kochazubiene aus der Küche. Dabei hatte sie es doch nur gut gemeint! Weil Jakob, alias Zwerg Nase, die Befürchtung hatte, dass die Desserts nicht reichen könnten, hatte sie ihm den Zaubertopf, den ihr damals die alte Frau geschenkt hatte, angeboten. Musste er sie deswegen so anbrüllen? „Geh mir bloß weg mit der süßen Pampe!! Ich biete doch den Gästen des Königs keinen Grießbrei an, du dumme Kuh! Sieh lieber zu, dass du die Früchte für den Obstsalat klein schneidest!! UND HÖR AUF ZU HEULEN!!“ 

Jakob verdrehte die Augen. Die jungen Leute heutzutage! Anstatt froh zu sein, dass man ihnen was beibrachte! Nein, da kam die mit so einem Fertigfraß an! Wenn sie so weitermachte, würde sie nie ihre Prüfung bestehen. Na ja, zur Not konnte sie dann immer noch im „Tischlein-deck-dich“ anfangen. Für Fast-Food würd es grad noch reichen! 

So, er musste sich beeilen. Die letzten Vorbereitungen für den großen Ballabend treffen. Heute wollte er sich selbst übertreffen, eine bessere Werbung für sein Restaurant und den Partyservice konnte es nicht geben. Ach ja, wenn er so zurückdachte – es war schon ein langer Weg gewesen, bis hierhin. Das hätte er sich auch nicht träumen lassen, dass er, der Sohn eines Flickschusters und einer Marktfrau, es mal zu einem eigenen Restaurant bringen würde. Leicht war es nicht gewesen! 

Er erinnerte sich noch gut an jenen Tag, als er seiner Mutter auf dem Markt geholfen hatte. 13 Jahre war er alt – gerade in der Pubertät. Eigentlich wollte er mit Freunden Fußballspielen gehen, aber nein! Mutter verdonnerte ihn dazu, Gemüse zu verkaufen. Dementsprechend schlecht war seine Laune. Ausgerechnet an dem Tag kam diese hässliche Alte, steckte ihre lange Nase in sämtliche Kräuter und fasste mit ihren ekligen Spinnenfingern alles an. Das brachte ihn noch zusätzlich in Rage. „Heh! Quasimoda! Nimm die Griffel da weg! Und schmier deine Popel nicht an den Weißkohl. Ist ja eklig!“, pöbelte er sie an. Seine Mutter stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. „Jakob! Sei nicht so frech!“ „Ist doch wahr! Wer soll denn noch was kaufen, wenn die sich ihren langen Zinken daran abwischt? Und wenn die weiter so mit dem Kopf wackelt, dann fällt der gleich ab!“ 

Hätte er doch nur die vorlaute Klappe gehalten! Gerade im Märchenland muss man sehr aufpassen, was man zu wem sagt. Die Alte kaufte den halben Stand leer und ließ sich das Zeugs von ihm nach Hause schleppen. Dort angekommen war sie auf einmal die Freundlichkeit in Person! Bot ihm sogar etwas zu essen an. Dämlich, wie man mit 13 halt noch ist, hatte er die Suppe natürlich gegessen. Mörderlecker, das Zeug. Und eine Mörderwirkung! Er war voll auf den Trip gegangen – und es dauerte 7 (in Worten: sieben!) Jahre, bis er da wieder runterkam. Er bildete sich ein, ein Eichhörnchen zu sein. Ein Eichhörnchen, das kochen lernte! Krass! 

Als er wieder zu sich kam – er dachte ja, er hätte höchstens ein paar Stunden verpennt – war er natürlich sofort nach Hause gedackelt. Er wunderte sich noch, dass er mit der Nase überall anstieß.. aber er schob es darauf, dass er vom Schlaf so benommen war. Auf dem Markt angekommen, ging er sofort zu Mutters Gemüsestand, um sich zurück zu melden. „Hey, Mom! Da bin ich wieder!“, rief er fröhlich – und bekam den Anschiss seines Lebens! „Unverschämtheit!“, keifte seine Mutter „Sag nicht Mom zu mir, du hässlicher Gnom! Als wenn es nicht schlimm genug wäre, dass mein Sohn vor sieben Jahren verschwunden ist – da kommt so ein Rüpel und macht sich auch noch lustig über mich!“ Soviel zum Thema Mutterinstinkt! 

Jakob war total verdattert. Okay, dachte er bei sich, statte ich mal dem Herrn Erzeuger einen Besuch ab. Mal sehen, ob der mich erkennt. War natürlich auch Fehlanzeige. Der Alte jammerte nur rum wegen des verlorenen Sohnes. Langsam dämmerte es Jakob, dass er wohl doch einige Zeit weg gewesen war. Er fragte nebenan beim Friseur, ob er mal einen Blick in den Spiegel werfen durfte. Au weia! Schöner war er nicht geworden, in all den Jahren. Und leider auch nicht größer. Bis auf die Nase! Das war ein Mörderteil! Trotzdem - liebende Eltern sollten ihr Kind schon erkennen, oder? 

Wat nu? Keine Knete, kein Dach über dem Kopf und keiner, der was mit ihm zu tun haben wollte. Er entschloss sich, ins Menschenreich auszuwandern. Dort fand er auch gleich eine Stelle bei einem König. Na gut, es war nur ein Burger – King, aber besser als nix. Lange hielt er es allerdings nicht da aus. Er schämte sich in Grund und Boden für den Fraß, den er dort zubereiten musste. Dann las er in der Zeitung, dass beim Fernsehen ein Koch gesucht wurde, der mit Stars aus dem Menschenreich kochen und ein bisschen plaudern sollte. Sofort bewarb er sich und wurde auch zum Casting eingeladen. Leider, leider wurde nichts daraus. Angeblich war er zu hässlich! Ein gewisser Biolek bekam die Stelle. Na, ob der besser aussah, das wagte Jakob zu bezweifeln. 

Nein, so richtig gefiel es ihm nicht bei den Menschen. Da ging er lieber wieder dahin zurück, woher er gekommen war. Außerdem hatte er erfahren, dass ein gewisser „Kleiner Muck“ Obst verkaufte, von dem lange Nasen schrumpften. Es dauerte eine ganze Zeit, bis er den Typen gefunden hatte – und der wollte ihm auch nicht garantieren, dass das Mittel in seinem Falle half. Aber einen Versuch war es wert! Kostete ihn seine letzten paar Kröten, doch zumindest wurde die Nase so klein, dass er damit leben konnte. „Krüger-Nase“ nannte Muck dieses Modell, warum auch immer. 

Nun ja, er sah immerhin annehmbar aus. Zwar war er nicht mehr gewachsen, aber da er mit 13 ja schon 1.68 m groß gewesen war, konnte er damit leben. Er fand dann auch eine Anstellung als Küchenchef bei König Drosselbart. Dort lernte er seine Adelheid kennen. Was für ein süßes Frauchen! Er war sofort verknallt in sie! Bei ihr dauerte es etwas länger – sie hatte wohl auch ein bisschen Angst, sich zu verlieben. Schlechte Erfahrungen! Der Drosselbart, dieser hinterlistige Giftzwerg, hatte ihr ja ziemlich übel mitgespielt. Aber was lange währt, wird endlich gut! Endlich funkte es auch bei ihr! Als der fiese Möpp das mitbekam, gab es eine Riesenszene, obwohl es ihm doch egal sein konnte, der stand doch eh auf Männer. Seine arme Heidi war hinterher fix und foxi. Keinen Tag länger wollte sie dort auf dem Schloss bleiben. 

Tja, so kamen sie dann auf die Idee, sich selbstständig zu machen. Gourmet-Restaurant und Partyservice „Jakobissimo“! Heidi hatte ja einiges bei ihm gelernt und half tatkräftig mit. So richtig fluppte das Restaurant ja noch nicht, aber der Auftrag von König Erdal konnte den Durchbruch bedeuten. Darum musste heute Abend alles vom Feinsten sein! Wenn der Ball auch nur dazu da war, um Rotkäppchen auf andere Gedanken zu bringen. Es wusste immer noch keiner, was sie gesehen hatte. Ihm konnte es schnuppe sein. Er hatte auch keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Zuviel zu tun! 

Wahrscheinlich war sie eh nur bekifft gewesen!

(c) Siglinde Goertz

Donnerstag, 11. April 2013

(13) Und wenn sie nicht gestorben sind .... Jakobissimo - Wer gut kochen will, der braucht den richtigen Riecher! von Siglinde Goertz

Heulend rannte die Kochazubiene aus der Küche. Dabei hatte sie es doch nur gut gemeint! Weil Jakob, alias Zwerg Nase, die Befürchtung hatte, dass die Desserts nicht reichen könnten, hatte sie ihm den Zaubertopf, den ihr damals die alte Frau geschenkt hatte, angeboten. Musste er sie deswegen so anbrüllen? „Geh mir bloß weg mit der süßen Pampe!! Ich biete doch den Gästen des Königs keinen Grießbrei an, du dumme Kuh! Sieh lieber zu, dass du die Früchte für den Obstsalat klein schneidest!! UND HÖR AUF ZU HEULEN!!“

Jakob verdrehte die Augen. Die jungen Leute heutzutage! Anstatt froh zu sein, dass man ihnen was beibrachte! Nein, da kam die mit so einem Fertigfraß an! Wenn sie so weitermachte, würde sie nie ihre Prüfung bestehen. Na ja, zur Not konnte sie dann immer noch im „Tischlein-deck-dich“ anfangen. Für Fast-Food würd es grad noch reichen!

So, er musste sich beeilen. Die letzten Vorbereitungen für den großen Ballabend treffen. Heute wollte er sich selbst übertreffen, eine bessere Werbung für sein Restaurant und den Partyservice konnte es nicht geben. Ach ja, wenn er so zurückdachte – es war schon ein langer Weg gewesen, bis hierhin. Das hätte er sich auch nicht träumen lassen, dass er, der Sohn eines Flickschusters und einer Marktfrau, es mal zu einem eigenen Restaurant bringen würde. Leicht war es nicht gewesen!

Er erinnerte sich noch gut an jenen Tag, als er seiner Mutter auf dem Markt geholfen hatte. 13 Jahre war er alt – gerade in der Pubertät. Eigentlich wollte er mit Freunden Fußballspielen gehen, aber nein! Mutter verdonnerte ihn dazu, Gemüse zu verkaufen. Dementsprechend schlecht war seine Laune. Ausgerechnet an dem Tag kam diese hässliche Alte, steckte ihre lange Nase in sämtliche Kräuter und fasste mit ihren ekligen Spinnenfingern alles an. Das brachte ihn noch zusätzlich in Rage. „Heh! Quasimoda! Nimm die Griffel da weg! Und schmier deine Popel nicht an den Weißkohl. Ist ja eklig!“ pöbelte er sie an. Seine Mutter stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. „Jakob! Sei nicht so frech!“ „Ist doch wahr! Wer soll denn noch was kaufen, wenn die sich ihren langen Zinken daran abwischt? Und wenn die weiter so mit dem Kopf wackelt, dann fällt der gleich ab!“

Hätte er doch nur die vorlaute Klappe gehalten! Gerade im Märchenland muss man sehr aufpassen, was man zu wem sagt. Die Alte kaufte den halben Stand leer und ließ sich das Zeugs von ihm nach Hause schleppen. Dort angekommen war sie auf einmal die Freundlichkeit in Person! Bot ihm sogar etwas zu essen an. Dämlich, wie man mit 13 halt noch ist, hatte er die Suppe natürlich gegessen. Mörderlecker, das Zeug. Und eine Mörderwirkung! Er war voll auf den Trip gegangen – und es dauerte 7 (in Worten: sieben!) Jahre, bis er da wieder runterkam. Er bildete sich ein, ein Eichhörnchen zu sein. Ein Eichhörnchen, das kochen lernte! Krass!

Als er wieder zu sich kam – er dachte ja, er hätte höchstens ein paar Stunden verpennt – war er natürlich sofort nach Hause gedackelt. Er wunderte sich noch, dass er mit der Nase überall anstieß.. aber er schob es darauf, dass er vom Schlaf so benommen war. Auf dem Markt angekommen, ging er sofort zu Mutters Gemüsestand, um sich zurück zu melden. „Hey, Mom! Da bin ich wieder!“ rief er fröhlich – und bekam den Anschiss seines Lebens! „Unverschämtheit!“ keifte seine Mutter „Sag nicht Mom zu mir, du hässlicher Gnom! Als wenn es nicht schlimm genug wäre, dass mein Sohn vor sieben Jahren verschwunden ist – da kommt so ein Rüpel und macht sich auch noch lustig über mich!“ Soviel zum Thema Mutterinstinkt!

Jakob war total verdattert. Okay, dachte er bei sich, statte ich mal dem Herrn Erzeuger einen Besuch ab. Mal sehen, ob der mich erkennt. War natürlich auch Fehlanzeige. Der Alte jammerte nur rum wegen des verlorenen Sohnes. Langsam dämmerte es Jakob, dass er wohl doch einige Zeit weg gewesen war. Er fragte nebenan beim Friseur, ob er mal einen Blick in den Spiegel werfen durfte. Au Weia! Schöner war er nicht geworden, in all den Jahren. Und leider auch nicht größer. Bis auf die Nase! Das war ein Mörderteil! Trotzdem - liebende Eltern sollten ihr Kind schon erkennen, oder?

Wat nu? Keine Knete, kein Dach über dem Kopf und keiner, der was mit ihm zu tun haben
wollte. Er entschloss sich, ins Menschenreich auszuwandern. Dort fand er auch gleich eine Stelle bei einem König. Na gut, es war nur ein Burger – King, aber besser als nix. Lange hielt er es allerdings nicht da aus. Er schämte sich in Grund und Boden für den Fraß, den er dort zubereiten musste. Dann las er in der Zeitung, dass beim Fernsehen ein Koch gesucht wurde, der mit Stars aus dem Menschenreich kochen und ein bisschen plaudern sollte. Sofort bewarb er sich und wurde auch zum Casting eingeladen. Leider, leider wurde nichts daraus. Angeblich war er zu hässlich! Ein gewisser Biolek bekam die Stelle. Na, ob der besser aussah, das wagte Jakob zu bezweifeln.

Nein, so richtig gefiel es ihm nicht bei den Menschen. Da ging er lieber wieder dahin zurück, woher er gekommen war. Außerdem hatte er erfahren, dass ein gewisser „Kleiner Muck“ Obst verkaufte, von dem lange Nasen schrumpften. Es dauerte eine ganze Zeit, bis er den Typen gefunden hatte – und der wollte ihm auch nicht garantieren, dass das Mittel in seinem Falle half. Aber einen Versuch war es wert! Kostete ihn seine letzten paar Kröten, doch zumindest wurde die Nase so klein, dass er damit leben konnte. „Krüger-Nase“ nannte Muck dieses Modell, warum auch immer.

Nun ja, er sah immerhin annehmbar aus. Zwar war er nicht mehr gewachsen, aber da er mit 13 ja schon 1.68 m groß gewesen war, konnte er damit leben. Er fand dann auch eine Anstellung als Küchenchef bei König Drosselbart. Dort lernte er seine Adelheid kennen. Was für ein süßes Frauchen! Er war sofort verknallt in sie! Bei ihr dauerte es etwas länger – sie hatte wohl auch ein bisschen Angst, sich zu verlieben. Schlechte Erfahrungen! Der Drosselbart, dieser hinterlistige Giftzwerg, hatte ihr ja ziemlich übel mitgespielt. Aber was lange währt, wird endlich gut! Endlich funkte es auch bei ihr! Als der fiese Möpp das mitbekam, gab es eine Riesenszene, obwohl es ihm doch egal sein konnte, der stand doch eh auf Männer. Seine arme Heidi war hinterher fix und foxi. Keinen Tag länger wollte sie dort auf dem Schloss bleiben.

Tja, so kamen sie dann auf die Idee, sich selbstständig zu machen. Gourmet-Restaurant und Partyservice „Jakobissimo“! Heidi hatte ja einiges bei ihm gelernt und half tatkräftig mit. So richtig fluppte das Restaurant ja noch nicht, aber der Auftrag von König Erdal konnte den Durchbruch bedeuten. Darum musste heute Abend alles vom Feinsten sein! Wenn der Ball auch nur dazu da war, um Rotkäppchen auf andere Gedanken zu bringen. Es wusste immer noch keiner, was sie gesehen hatte. Ihm konnte es schnuppe sein. Er hatte auch keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Zuviel zu tun!

Wahrscheinlich war sie eh nur bekifft gewesen!

© Siglinde Goertz

Freitag, 8. März 2013

(12) Und wenn sie nicht gestorben sind ... Alleinerziehend - sieben Kinder. Ein Fall für Streetworker Busch. Ein modernes Märchen von Siglinde Goertz

Alleinerziehend - sieben Kinder. Ein Fall für Streetworker Busch
Ein modernes Märchen von Siglinde Goertz

Seufzend klappte Willi Busch die Akte zu, über der er gerade gebrütet hatte. Er stand auf und ging ans Fenster um hinauszuschauen. Max und Moritz warfen gerade die prall gefüllten Müllsäcke in den Container. Waren echt fleißig gewesen, die zwei.

Willi öffnete das Fenster und rief. „Lasst gut sein, Jungs! Macht euch weg hier, sonst schafft ihr es nicht mehr zum Ball heute Abend!“ Die beiden strahlten ihn an, schmetterten ein kräftiges „Danke“ und trollten sich. Lächelnd schaute er ihnen nach. Wie die sich gemacht hatten, in den letzten Wochen. Was waren das für Rabauken gewesen, kaum zu glauben. Und als Kinderstreiche konnte man beim besten Willen nicht bezeichnen, was die sich geleistet hatten. Diebstahl, Sachbeschädigung und Körperverletzung. Sie standen schon mit einem Bein im Jugendknast. Rapunzel und Theo zuliebe hatte er dann alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das in letzter Minute noch abzuwenden.

Hatte ja auch geklappt! Nachdem er sich die Bürschchen mal ordentlich zur Brust genommen und ihnen den Marsch geblasen hatte, leisteten sie brav ihre Sozialstunden ab. Ja, sie baten sogar darum, nach dem Ende der Strafe weiter machen zu dürfen. Die Arbeit machte ihnen Spaß und sie waren gern draußen im Wald. Schön, auch mal ein Erfolgserlebnis zu haben!

In seinem Job als Sozialarbeiter hatte er ja schon viel gesehen. Erst Recht seit er die Jugendarbeit machte. In all den Jahren, die er als Streetworker im Märchenland arbeitete, war er manchmal am Rande der Verzweiflung gewesen. Er dachte an seinen schlimmsten Fall. Hänsel und Gretel. Ärmste Verhältnisse zu Hause. Der Vater arbeitete als Tagelöhner – und auch nur, wenn er Lust hatte. Die Mutter total überfordert. Sie hatte sich dann an ihn gewandt, aber seine Bemühen waren nicht von Erfolg gekrönt. Eines Tages waren die zwei von zu Hause abgehauen. Es gab zwar Gerüchte, die Eltern hätten sie im Wald ausgesetzt, aber da war nichts Wahres dran.

Dass sie dann zu Dieben (und das Mädel sogar zur Mörderin) geworden waren, machte ihm immer noch schwer zu schaffen. Er begriff auch nicht, dass sie nicht mal zu einer Jugendstrafe verurteilt wurden. Nein, sie lebten mittlerweile wieder bei den Eltern und mussten lediglich zur Therapie. Ausgerechnet bei Dr. Allwissend. Dem traute er auch nicht über den Weg. Bemerkenswert ungebildet war der Mann – für einen Doktor! Eine gewisse Bauernschläue konnte man ihm allerdings nicht absprechen!

Willi schüttelte den Kopf und machte sich wieder an seine Akte. Wieder so ein Fall, der ihm schwer im Magen lag. Eine alleinerziehende Mutter mit sieben unehelichen Kindern im Alter von 5 bis 13 Jahren. Alle von verschiedenen Vätern. Die Mutter war dauernd mit wechselnden Männerbekanntschaften unterwegs und überließ die Kinder sich selbst. In der Hütte sah es aus, wie Kraut und Rüben und es stank wie im Puma-Käfig! Auf seine Vorhaltungen, dass das so nicht ginge, reagierte sie nur mit einem meckernden Lachen. Und lebte munter so weiter wie bisher.

Letzte Woche wollte dann der Vermieter, Herr Wolf, mal nach dem Rechten sehen. Natürlich waren die Kinder wieder allein zu Haus. Die Mutter hatte ihnen zwar mit Prügel gedroht, wenn sie jemand Fremdes in die Wohnung ließen (weniger aus Sorge um die Kinder, sondern weil sie befürchtete, es könne jemand vom Jugendamt sein), aber Herrn Wolf war es mit einem Trick gelungen, sich Einlass zu verschaffen. Er verstellte seine Stimme, so dass sie fast wie die der alten Ziege klang. Die Kinder dachten, es wäre die Mutter, die den Schlüssel vergessen hätte, und öffneten. Als sie den Vermieter sahen, brach natürlich das Chaos aus! Sie sprangen wild durcheinander, über Tische und Bänke. Eins kroch sogar in den Kasten der Standuhr. Als der Mann versuchte, die Blagen zu bändigen, ging der Älteste mit einer Schere auf ihn los und verletzte ihn schwer.

Als dann die alte Geiß nach Hause kam, fasste sie einen abenteuerlichen Plan, um die Tat ihres Filius zu vertuschen. Die Kinder sollten behaupten, Wolf habe sie gefressen und die Mutter habe sie aus seinem Bauch herausgeschnitten, um ihnen das Leben zu retten. Danach hätte sie ihm Steine in den Bauch getan, damit er nicht merken sollte, dass er immer noch hungrig war – und ihn wieder zugenäht. Im Menschenreich wären bei so einer Geschichte gleich die Männer mit dem Ich-hab-mich-lieb-Jäckchen angerückt. Aber im Märchenland konnte man ja die dollsten Dinger erzählen – irgend jemand glaubte sie immer!

Herr Wolf hatte diese Attacke leider nicht überlebt und wurde im Nachhinein auch noch als Bösewicht dargestellt. Die alte Geiß und ihre sieben „Geißlein“ kamen ungeschoren davon – was für eine Welt!

Willi Busch schüttelte den Kopf. Darüber wollte er heute nicht mehr nachdenken. Er war schließlich auch zu dem Ball eingeladen und würde auch hingehen. Einfach mal ein bisschen Spaß haben. Lecker essen, ein paar Bierchen trinken und vielleicht sogar mal das Tanzbein schwingen.

Von Problemen wollte er an diesem Abend jedenfalls nichts mehr hören.

Auch nicht von Rotkäppchens!



© Siglinde Goertz, Uedem

Dienstag, 22. Januar 2013

Die beliebtesten Gedichte in Woche 2 / 2013

  • Der Zuspruch hat gegenüber der Vorweihnachtszeit generell etwas zugenommen. Bei den Gedichten landete (unter 100 Direktaufrufe plus ca. 2500 Besucher, die die Veröffentlichung bislang im Blog sahen) mit geringen Unterschieden auf Platz 1: Viktoria Vonseelen.


1    Dichterhain: AUFBRUCH von Viktoria Vonseelen

2    Dichterhain: WENN DER WIND von Ljiljana Graffé
        Dichterhain: LEBENSKUNST von Karin Michaeli

3    Dichterhain: ZURÜCK ZU MIR von CG Ohsa 


  • Auffällig stark mit über 100 Direktaufrufen über externe Links plus weitere Blogbesucher im Prosabereich, in jedem Fall jedoch vor den Gedichten liegend, sind

1    (11) Und wenn sie nicht gestorben sind ... EINE TIERISCH GUTE BAND - ein modernes Märchen
      von Siglinde Goertz 

2    Fantasien zur Nacht: WIE IM MÄRCHEN von Kat Marcuse
 





Donnerstag, 10. Januar 2013

(11) Und wenn sie nicht gestorben sind ... EINE TIERISCH GUTE BAND - ein modernes Märchen von Siglinde Goertz

JA KLAR - Hartz-IV-Band, Nähe Wilhelmshaven
"Ich leb von Hartz IV / und trinke zuhause mein Bier
Grundsicherung bei Erwerbsminderung
Das Leben ist n Laster / Ich hab zu wenig Zaster
Ich leb von Hartz IV“

Slide Group, Köln
Eine tierisch gute Band - Drum singe, wem Gesang gegeben – doch auch wer’s nicht kann, kann gut davon leben!
­
„Was ist denn das für eine Scheiß-Akustik hier?“, brüllte Gerd Grautier (sprich: Grohtjeee) durch den Ballsaal. Die anderen drei Bandmitglieder saßen ziemlich lustlos in einer Ecke und schlürften Kaffee. Eigentlich eine Zumutung, dass sie, als aufstrebende Band, heute Abend Tanzmusik machen sollten. Aber die Nichte des Königs hatte es sich gewünscht – was will man da machen? Und Hauptsache, die Knete stimmt.

„Voll krasse Location hier!“, krähte Coco Vin, der Sänger der Band. Gerd schüttelte den Kopf. Diese Sprache passte zu dem alten Gockel wie ein Pornofilm in die Frühmesse! Eigentlich waren sie eh alle zu alt, um als „Teenie – Bopper Band“ durch die Gegend zu tingeln. Aber was soll’s? Im Menschenreich waren anscheinend auch alte Männer angesagt. Da gab es doch diese Rockband, die Stones, oder wie die hießen. Die wurden ja mittlerweile von ihren Zivis auf die Bühne gekarrt.

Wenn er so darüber nachdachte, war es schon ein richtiger Glücksfall gewesen. Im Grunde waren sie ja nur ein zufällig zusammengewürfelter Haufen. Kennen gelernt hatten sie sich bei der „Grundsicherungsstelle für Arbeitssuchende“, wo sie alle vier ALG II beantragen wollten – nee, mussten. Von wollen war da keine Rede. Während der Wartezeit waren sie miteinander ins Gespräch gekommen und hatten festgestellt, dass sie alle gerne Musik machten. Zwar nicht besonders gut – und die Jüngsten waren sie, wie gesagt, auch nicht mehr – aber das spielte ja heutzutage beides nicht mehr so eine große Rolle. Und etwas besseres als Hartz VI fand man überall!

So waren sie auf die Idee gekommen, eine Band zu gründen. Einen Versuch war es wert. Wäre doch klasse, wenn sie den Durchbruch schafften und zukünftig auf Sozialleistungen verzichten könnten. Allerdings galt es noch einige Anfangsschwierigkeiten zu überwinden. Ein Bandname war zwar schnell gefunden. Da sie alle aus dem Norden kamen, nannten sie sich einfach „Die Bremer Stadtmusikanten“. Okay, im Menschenreich konnte man mit diesem Namen keinen Teenager mehr hinter der Playstation weglocken, aber fürs Märchenland reichte es. Die Kollegen meinten dann noch, sie müssten sich jetzt Künstlernamen zulegen. Na ja, ob Coco Vin (er sprach es übrigens Kock-ooh Wähng aus) besser klingt, als Fritz Hahn – das mag man jetzt mal dahingestellt sein lassen. Er selbst hatte sich jedenfalls strikt geweigert, sich fortan Earl Grey zu nennen.

Kitty, die Keyboarderin und Backgroundsängerin, bestand darauf neuerdings „Feles“ zu heißen. Sie fände den Namen cool, meinte sie. Außerdem lebte sie in dem Glauben, das würde von ihrer Bildung zeugen. Als ob einer der Banausen hier im Land wüsste, dass das lateinisch war und „Katze“ hieß. Aber den Vogel hatte mal wieder Hasso Dobermann, der Gitarrist, abgeschossen. Snoop Doggy Dog wollte er sich jetzt nennen. Hatte Gerd doch irgendwo schon mal gehört. Er war sicher, dass das Probleme geben würde. Na, ihm konnte es egal sein.

Das Witzigste war allerdings die Story, wie sie an ihren Proberaum gekommen waren. Irgend jemand hatte ihnen eine Adresse genannt und gesagt, dort würden jeden Abend ein paar Schallplattenproduzenten rumhängen. Sie sollten doch mal dahin gehen und einfach vorspielen. Gesagt – getan! Sie waren zu diesem Haus gefahren, hatten sich heimlich in die große Diele geschlichen, ihr Equipment aufgebaut und losgelegt! Leider hatten sie sich in der Hausnummer geirrt. Von wegen Produzenten! Einbrecher waren es, die dort ihr Warenlager hatten. Als nun Kitty zu einem Solo ansetzte, dachten die, das wäre eine Polizeisirene und verließen fluchtartig das Lokal. Ihre Beute ließen sie bei dem panischen Aufbruch natürlich zurück. Was für ein Glück!

Die Vier ließen sich sofort häuslich nieder, verscherbelten die Sore und richteten sich von der Knete ein geiles Tonstudio ein. Geld zum Leben hatten sie nun auch genug und es reichte sogar noch, um einen Manager einzustellen. Auch wenn es nur so ein abgetakelter Musikfuzzi aus dem Menschenreich, namens Pieter Dohlen, war. Der machte seine Sache gar nicht mal so schlecht. Zwei goldene Schallplatten und eine erfolgreiche Tournee, das konnte sich doch sehen lassen. Ihre Songs hörten sich zwar alle gleich an, aber wenn es die Fans nicht störte...! Und es sah nicht so aus, als täte es das. Sie konnten sich jedenfalls vor Groupies kaum retten.

Gerd grinste. Die Groupies - das war überhaupt das Beste an dem ganzen Bandgedöns! In allen Altersklassen hatte man die freie Auswahl. Auf ihn fuhren mehr die „reiferen“ Damen (so von 25 an aufwärts) ab, musste wohl an seinen grauen Haaren liegen, während die jungen Hühner tierisch auf Cocos roten Irokesen standen. Tja, und Hasso becircte die Ladies mit seinem treuen Hundeblick. Aber auch Kitty, pardon, Feles, kam auf ihre Kosten. Sie trieb es am dollsten von ihnen allen. Jeden Tag einen anderen Kerl in der Kiste. Ständig war sie rollig! Sie krallte sich jeden, der ihr gefiel und nicht bei drei auf dem Baum war. Das Miauen, dass dann nachts aus ihrem Schlafzimmer drang, weckte Tote auf! Na, sollte sie doch. Er gönnte ihr den Spaß!

„Verdammt noch mal, Gerd! Jetzt komm mal endlich in die Hufe! Wir müssen noch die Tonprobe machen und der komische Koch, Zwerg Langnäse, oder wie der heißt, will hier gleich das Buffet aufbauen! Mach ma hinne!“ Gerd zuckte zusammen und stand widerwillig auf. Na gut. Dann wollte er sich mal nicht so eselig anstellen. Sprang ja auch ordentlich was bei raus, bei diesem Auftritt. Man war ja nicht umsonst bei Königs! Und spielen würde man erst recht nicht umsonst – im Gegenteil! Musste der olle Frosch ordentlich was für abdrücken.

Und außerdem sagte ihm sein Instinkt: „Gerdi“, sagte der, „Gerdi! Heut Abend passiert wat!“ Etwas, was sozusagen den krönenden Abschluss einer scheinbar unendlichen Geschichte bilden würde!

Aber man kann sich ja auch irren! Oder???

© Siglinde Goertz, Uedem

Montag, 17. Dezember 2012

(10) Und wenn sie nicht gestorben sind ... WEM DER SCHUH PASST ... DER KANN BALD AUF GROSSEM FUSS LEBEN von Siglinde Goertz

Wer sich einen Prinzen angeln will, der muss sich was einfallen lassen!

Aschenputtel drehte sich vor dem Spiegel hin und her und betrachtete sich wohlgefällig. Sah geil aus, das Kleid. Damit würde sie heute Abend auf dem Ball zu Ehren von König Erdals Rückkehr alle anderen ausstechen.

Was für ein Glück, dass sie diesen Baum hatte. Der schüttelte wenigstens phantasievolle Roben aus seinen Ästen. Alle ihre Freundinnen kauften die Kreationen von Karlchen Legerfald, diesem Mickerling. Grauenhaft, diese Klamotten! Aber er glaubte, er wäre der größte Modedesigner aller Zeiten. Führte sich auf wie eine Diva! Dabei sah er höchstens lächerlich aus, mit seinem Zopf und diesem albernen Fächer. Seine Frau ärgerte sich auch schon seit Jahren, dass sie dieses Männlein am Hals hatte.


Na, das sollte nicht ihr Problem sein. Sie hatte sich ja damals den gut gebauten Prinzen geangelt. War ein hartes Stück Arbeit gewesen! Aber es hatte sich gelohnt. Das einzige, was sie noch störte, war dieser dämliche Name. ASCHENPUTTEL! Er erinnerte sie immer an die Zeit, in der sie diesen hässlichen grauen Kittel und die Holzschuhe tragen musste. Wenn sich ihre Freundinnen doch endlich daran gewöhnen können, sie Cinderella zu nennen. Das klang doch viel hübscher. Aber nein! Vermutlich machten sie es mit Absicht, um sie zu ärgern. Ganz besonders regte es sie auf, wenn Eulalia sie „Aschi“ nannte. Wie klang das denn? Und Schneewittchen sagte sogar „Putti“! Ätzend! „Das nächste Mal sag ich ‚Spritti’ zu ihr!“, schwor sich Aschenputtel.

Sie sah auf die Uhr. Noch Zeit genug, sie brauchte sich nicht zu beeilen. Ach, war das schön! Endlich mal wieder ein Ball! Sie musste daran denken, wie sie sich ihren Gemahl an Land gezogen hatte. War gar nicht so einfach gewesen! Ihre Stiefmutter und die Stiefschwestern hatten ihr das Leben ganz schön sauer gemacht. Papa hatte sich natürlich aus allem rausgehalten und ihr nicht beigestanden. Warum waren die Väter hier im Märchenland nur alle solche Waschlappen? Na, das konnte ihr jetzt egal sein. Von ihrer Familie hatte sie sich bei ihrer Hochzeit losgesagt. Mit denen wollte sie nichts mehr zu tun haben!

Wie hatte sie damals gebettelt, um mit auf den Ball gehen zu dürfen. Aber nein! Immer neue Schikanen hatte die Alte sich ausgedacht. Putzen, waschen, Erbsen lesen.. so doof, wie die sonst war – da gingen ihr die Ideen nicht aus. Aschenputtel hatte geschuftet wie eine Blöde, bis das Haus blitzte und blinkte. Tja, und dann hieß es: Du hast ja nichts anzuziehen! Diese Zimtziege! Gut, dass sie nix von dem Baum wusste! Na ja – langer Rede kurzer Sinn: Sie hatte sich in Schale geschmissen und war heimlich zu dem Ball gegangen. Wow! Dieser Prinz! Hin und weg war sie von ihm. Den musste sie haben! Koste es, was es wolle.

Aber sie war ja keine kleine Dumme! Wie man Kerle um den Verstand bringt, das wusste sie. Ordentlich anheizen.. und dann erst mal vom Acker machen! Das funktioniert immer! Anfangs hatte sie sich ja wenig Hoffnung gemacht. Bei ihren Erkundigungen über ihn fand sie nämlich heraus, dass er Schuh- und Fußfetischist war. Leider stand er auf kleine Füße. So ein Pech aber auch, dass sie Schuhgröße 40 hatte, genau wie ihre Stiefschwestern! Doch dann kam ihr die genialste Idee aller Zeiten. Sie musste zwar dem Kammerdiener des Prinzen ein bisschen Schmiergeld zahlen, doch das war es ihr wert.

Wenn die alle wüssten, wie sie es angestellt hatte! Aschenputtel lachte. Sie war schon ganz schön raffiniert, das musste man ihr lassen! Schon bei den ersten beiden Bällen hatte sie den Prinzen so heiß gemacht, dass er am liebsten gleich mit ihr in die Kiste gestiegen wäre. Aber kurz vor Mitternacht hatte sie ihn beide Male stehen lassen (mit allem, was sonst noch so stand) und war verschwunden. Beim dritten Ball das gleiche Spielchen. Nur mit dem Unterschied, dass sie, gaaaaaanz zufällig natürlich, einen ihrer winzigen (!) Schuhe verlor! Sie wusste genau, dass der Prinz jetzt diejenige suchen würde, der dieser Schuh (in Größe 35!!!) passte! Tja, und so geschah es ja auch. Durch das ganze Land zog er mit dem Schuh, bis er endlich bei ihr zu Hause aufkreuzte.

Die Stiefmutter witterte eine Chance, wenigstens eine ihrer krötigen Töchter unter die Haube zu kriegen und sperrte Aschenputtel in der Besenkammer ein, damit der Prinz sie nicht sah. Klar, dass beiden der Schuh nicht passte! Aschenputtel grinste schadenfroh, bei dem Gedanken daran, dass sich die beiden hohlen Fritten die Füße verstümmelt hatten. Für nichts und wieder nichts! Der Prinz brachte sie jedes Mal postwendend zurück, samt ihrer blutenden Quadratlatschen. Als er dann fragte, ob es nicht doch noch eine dritte Tochter gäbe, nieste sie ganz laut in ihrer Besenkammer. Da blieb der Alten nix anderes übrig, als sie da rauszulassen.

Was hatte die dämlich aus der Wäsche geschaut, als Aschenputtel der Schuh passte! Wusste sie doch, dass die drei Mädels alle die gleiche Schuhgröße hatten. Was sie allerdings nicht wusste: Aschenputtel hatte zwei identische Paar Schuhe gekauft, in zwei verschiedenen Größen. Und der Kammerdiener des Prinzen hatte in dem ganzen Durcheinander schnell den 35er gegen den 40er ausgetauscht. Tja – man muss sich nur zu helfen wissen. Die dummen Gesichter der drei Schnepfen, als sie in den Schuh schlüpfte und der wie angegossen saß – herrlich! Sie kriegte heute noch Lachkrämpfe, wenn sie daran dachte. Erst befürchtete sie ja, der Prinz könne etwas merken... aber der war so damit beschäftigt, ihr in den Ausschnitt zu starren, der hätte nicht mal bemerkt, wenn sie Schwimmflossen getragen hätte!

„Schaahaaaaatz! Bist du fertig?“ Die Stimme ihres Mannes riss sie aus ihren Gedanken. Ups – so spät schon. Jetzt wurde es aber Zeit. Schließlich wollten sie nicht das Buffet verpassen. Adelheids Gatte hatte sich bestimmt wieder selbst übertroffen! Hoffentlich war nicht wieder Rotkäppchen das Thema des Abends. So langsam nervte das! Ach was! Sie würde köstlich speisen, ein wenig flirten und viel tanzen. Es würde ein schöner Abend werden.

Alles wird gut!




© Siglinde Goertz

Mittwoch, 5. Dezember 2012

NACHTS WENN ALLES SCHLÄFT - ALLES? WIRKLICH ALLES?


Irgend etwas stimmt nicht!

Dieser Gedanke schießt ihr durch den Kopf, als sie nach der letzten Runde mit dem Hund die Wohnungstür aufschließt. Sie bleibt kurz stehen, versucht sich zu konzentrieren – aber sie kommt nicht darauf, was es sein könnte.

Dem Hund fällt scheinbar auch nichts auf. Er trollt sich in sein Körbchen, rollt sich zusammen und schläft ein. Na gut – wird sie eben auch schlafen gehen. Aber mit dem Einschlafen will es nicht so recht klappen. Immer noch grübelt sie. Ihr ist, als hätte sie etwas Wichtiges versäumt oder als wäre etwas anders in der Wohnung. Doch irgendwann schläft sie ein....

..... um auf einmal erschrocken hochzuschrecken! Noch ganz verschlafen versucht sie, sich zu orientieren. 3:40.. mitten in der Nacht. Der Hund neben ihr sitzt kerzengerade in seinem Körbchen und winselt leise. Aber da ist noch etwas. Angestrengt lauscht sie....

... und da ist es wieder! Ein leises, knisterndes Geräusch. Ein Raunen und Wispern, wie von fremden, nie gehörten Stimmen. Kein menschlicher Klang! Das Herz schlägt ihr bis zum Hals. Wer oder was ist da in ihrer Wohnung?

Das Wispern kommt näher, um sich gleich darauf wieder zu entfernen. Es hört sich an, als ob etwas über den Fußboden schabt. Was soll sie nur tun? Die Polizei rufen? Gute Idee! Zum Glück ist der Telefonanschluss im Schlafzimmer.

Sie steht auf, tastet sich durch das dunkle Zimmer bis zur Tür, streckt die Hand nach dem Telefon aus..... und greift ins Nichts! Mist! Ausgerechnet heute hat sie das Mobilteil im Wohnzimmer liegen lassen. Neben dem Handy!

Was jetzt? Die Tür abschließen und hoffen, dass keiner sie findet? Ach Quatsch – sie bildet sich das nur ein! Da ist bestimmt keiner in der Wohnung. Aber warum verhält sich der Hund dann so komisch? Ein warnendes Knurren kommt aus seiner Kehle, dann ein ängstliches Winseln. Er springt aus seinem Körbchen und verkriecht sich schutzsuchend in der Ecke neben dem Kleiderschrank.

„Na, du bist mir ein Beschützer!“, schimpft sie flüsternd mit ihm. Dann nimmt sie all ihren Mut zusammen und öffnet leise die Schlafzimmertür. Ganz vorsichtig, um ja kein Geräusch zu machen, schleicht sie sich in den Flur – und erstarrt! Ein fluoreszierendes Licht wabert über den Boden, erfüllt den Korridor mit einem geheimnisvollen, unheimlichen Leuchten.









Ihr ist kalt, das Atmen fällt ihr schwer. Was ist das??? Will sie es wirklich wissen? Eigentlich möchte sie nur wieder in ihr Bett, sich die Decke über die Ohren ziehen und einfach so tun, als wäre sie gar nicht da. Aber irgend etwas hält sie davon ab, auf dem Absatz kehrt zu machen.

Da sind auch wieder die Geräusche. Aus der Küche kommen sie. Auf  Zehenspitzen geht sie in diese Richtung. Sie will es gar nicht, aber dieses Etwas zieht sie wie magisch an. Sie fühlt, wie sich die Härchen an ihren Armen aufrichten, Gänsehaut am ganzen Körper, der Angstschweiß läuft ihr den Rücken hinunter.

Leise geht sie auf die Küchentür zu. Vorsichtig stößt sie die Tür auf – und dann sieht sie es. Sie möchte schreien, aber sie bringt keinen Ton heraus. So etwas hat sie noch nie gesehen. Solche Lebensformen existieren auf der Erde nicht! Dieses Wesen muss ein Außerirdischer sein. Noch dreht es ihr den Rücken zu! Aber auch von hinten bietet es einen grauenvollen Anblick!

Blau-silberne Härchen bedecken teilweise den Rücken. Dazwischen Hautfetzen, die aussehen, wie welkes Gemüse. Ein merkwürdig fauliger Geruch liegt in der Luft, verursacht ihr Übelkeit. Das Wesen gibt leise, zischelnde Geräusche von sich. Noch hat es sie nicht bemerkt. Aber jetzt! Es dreht sich zu ihr um – und der Schrei bleibt ihr in der Kehle stecken! Noch nie in ihrem Leben hat sie so ein schreckliches Gesicht gesehen! Es ist, als hätte diese Fratze ein eigenes Leben. Als würden Millionen kleiner Tierchen darüber laufen und ihm ständig ein neues Aussehen verleihen.

Sie kann sich nicht rühren, ist völlig gelähmt vor Entsetzen! Was, um Himmels Willen, ist das? Doch schlagartig wird es ihr klar. Nun weiß sie, was sie den ganzen Abend so beunruhigt hat! Es scheint ihre Gedanken lesen zu können, denn es kichert furchterregend und dann flüstert es: „Du hast mich erschaffen – und du weißt auch wie!“

Jetzt lächelt das Wesen, aber dieses Lächeln lässt es nur noch bedrohlicher erscheinen. Spitze, gelb und braun verfärbte Zähne scheinen sie gleich in Stücke reißen zu wollen. Es duckt sich, setzt zum Sprung an.... sie öffnet den Mund, versucht zu schreien......

..... und erwacht. Am ganzen Körper zitternd! Gott sei Dank, es war nur ein Traum. Noch! Doch sie weiß, er könnte wahr werden. Aber nun ist sie gewarnt! Langsam beruhigt sie sich wieder, legt sich hin, um weiter zu schlafen. Denn sie weiß, was sie zu tun hat:







Morgen früh wird sie gleich als erstes den Müll runterbringen!



© Siglinde Goertz, Uedem

Sonntag, 9. September 2012

(8) Und wenn sie nicht ... Dr. Allwissend – Dipl. Psychologe - Sprechstunde nach Vereinbarung, ein modernes Fortsetzungsmärchen von Siglinde Goertz


Stolz betrachtete er das nagelneue Schild, das seit gestern an der Hauswand hing. Ein Geschenk seiner Frau zur Praxiseröffnung in den neuen Räumen! Kaum zu glauben, was er in der kurzen Zeit für eine Karriere gemacht hatte. Manchmal beschlich ihn allerdings ein ungutes Gefühl. Was würde passieren, wenn herauskam, dass er weder Psychologe noch ein Doktor war? Im Menschenreich war vor gar nicht langer Zeit so ein falscher Doktor entlarvt worden und seine Karriere war dann erst mal im A....! Ach was - er schüttelte den Kopf. Wer von den vertrottelten Märchenlandbewohnern sollte das schon merken?

Außerdem schadete er ihnen ja nicht. Alles was er tat, war einfach zuzuhören, wenn sie ihm die Ohren mit ihren Problemen volljammerten. Und von denen gab es reichlich hier, so viel stand mal fest! Damit ließ sich mehr verdienen, als in seinem eigentlichen Beruf als Bauer. Er konnte sich noch gut erinnern, wie neidisch er gewesen war, als er damals diesem anderen Doktor das Holz lieferte. So hätte er auch gern gelebt, als wohlhabender Mann, in einem großen Haus und von allen geachtet. Der Doktor hatte ihm dann verraten, was er tun musste, um auch so erfolgreich zu werden:


1. Ein Abc-Buch kaufen und zwar eins, mit einem Gockelhahn auf dem Umschlag. Fand er zwar total bescheuert, diesen Tipp – das mit dem Buch konnte er ja noch nachvollziehen, aber warum, um Himmels Willen, musste da ein Hahn drauf sein?


2. Wagen mitsamt den Ochsen verscherbeln und für die Knete neue Klamotten kaufen. Das sah er auch ein. Kleider machen schließlich Leute. Und mit seinem ollen Overall konnte er niemanden beeindrucken.

3. Er sollte sich ein Schild malen lassen mit den Worten: „Ich bin der Doktor Allwissend“ und es über die Haustür hängen. Auch okay. Er hatte es allerdings selbst gemalt, wozu unnütz Geld ausgeben.


Wenn er ehrlich sein sollte, dann fand er diesen Doktor ziemlich gaga, aber er befolgte dessen Rat trotzdem – und wie man sah: Es funktionierte! Von der alten Hütte mit der selbstgebastelten Pappe – zur neuen, modernen Praxis mit Goldtafel!


Mal sehen, wer denn heute alles einen Termin bei ihm hatte. Ach, der Jupp! Wie schön! Da war der italienische Marmor für das neue Bad ja schon so gut wie bezahlt. Seit Jahren litt der Ärmste schon unter dieser Angstneurose – und er würde sich hüten, ihm da raus zu helfen! Wäre er ja schön bekloppt, wenn er seine beste Einnahmequelle versiegen ließe. Dabei war der Jupp früher so ein furchtloser junger Mann gewesen. Gar nichts konnte ihn erschrecken, weder riesige Katzen noch Totenköpfe, geschweige denn irgendwelche Geister. Bis ihm seine Gattin Eulalia dann das Fürchten beibrachte. Der Doc kicherte. Er sagte ja immer, die Ehe könne selbst dem Mutigsten den Angstschweiß auf die Stirne treiben. Nun ja, er persönlich hatte da mehr Glück. Seine Grete war noch ein Frauchen vom guten alten Schlag. So ein richtiges Hausmütterchen.


Wer kam denn noch alles? Hmm ... der nächste Termin war ihm nicht so ganz angenehm. Diese beiden Teenager waren ihm irgendwie unheimlich. Sahen aus, als könnten sie kein Wässerchen trüben, aber hatten es faustdick hinter den Ohren. Na, wenigstens hatte er sie inzwischen so weit, dass sie sich einzeln von ihm behandeln ließen. Als erstes würde er sich mit dem Mädel befassen. Gretel hieß sie, wie seine Gattin. Glücklicherweise war das aber alles, was sie gemeinsam hatten. Er war sich ja nicht so ganz sicher, ob die Kleine nicht in die „Geschlossene“ gehörte. Immerhin hatte sie eine alte Frau umgebracht, noch dazu auf besonders grausame Art. Hänsel, ihr Bruder, spielte dabei wohl nur eine untergeordnete Rolle. Er hatte zwar mitgeholfen, den Schmuck der Alten zu stehlen, aber am Mord selbst war er nachweislich nicht beteiligt. Man konnte beweisen, dass er zu Tatzeit in einen Käfig gesperrt war.


Wahrscheinlich wären sie trotzdem beide in den Knast gekommen, wenn sie nicht Rumpelstilzchen als Anwalt gehabt hätten. Der hatte es so hingedreht, als hätte die alte Hexe den beiden Fürchterliches antun wollen (man munkelte was von Kannibalismus), so dass das Gericht auf Notwehr erkannte. Freispruch – mit der Auflage, eine Therapie zu machen. Nun, ihm konnte es recht sein, das brachte Geld in die Kasse. Der nächste Urlaub im Schlaraffenland war schon mal gesichert. Drei Wochen – all inclusive! Herrlich! Da verdrängte er gern das komische Gefühl in der Magengrube, wenn diese Gretel ihn so tückisch ansah!


Gut, dass er sich im Märchenland niedergelassen hatte! Verrückte gab es hier reichlich! Das musste wohl daran liegen, dass die Meisten hier mit bösen Stiefmüttern aufgewachsen waren. Schade nur, dass Drosselbart sich inzwischen „geoutet“ hatte. Als er noch krampfhaft versuchte, seine Homosexualität zu verleugnen, hatte er gut an ihm verdient. Eine nagelneue Kutsche der S-Klasse und ein Wochenendhaus hinter den sieben Bergen waren dabei herausgesprungen! Ach, was soll’s. Er tat einfach so, als hätte er Drosselbart dazu gebracht, endlich mit der Wahrheit rauszurücken. Das war gut für sein Image und, was noch wichtiger war, die Mundpropaganda sorgte für ordentlichen Zulauf in seiner Praxis.


Schien auch heute wieder ein langer Tag zu werden. Allein für Hänsel und Gretel hatte er fast
den ganzen Vormittag eingeplant. Danach noch Hans im Glück, der sich gegen seine Spielsucht behandeln lassen wollte. Von wegen Spielsucht! Der wollte nur nicht zugeben, dass er sein ganzes Vermögen gegen irgendwelchen Plunder eingetauscht hatte. So lange, bis nix mehr übrig war. Aber „spielsüchtig“ klingt ja entschieden besser als „doof“! Na, wenn er meint! Solange er die Therapiestunden bezahlte! Allwissend fragte sich zwar, wovon – aber im Grunde war ihm das vollkommen schnurz! Hauptsache, die Knete kam.

Ein bisschen Kopfzerbrechen bereitete ihm allerdings der gestrige Anruf von Eulalia. Sie wollte unbedingt sofort einen Termin haben. Dabei ging es um Rotkäppchen. Das Mädel hatte seit Tagen kein Wort mehr gesagt und kein Mensch wusste warum. Jetzt wollte Eulalia, dass er sich der Kleinen annahm. Keine sehr gute Idee! Wenn da etwas schief ginge, nicht auszudenken! Ihr Bruder, König Erdal, hielt nämlich nicht viel von seinen medizinischen und psychologischen Fähigkeiten. Er war zwar zur Zeit nicht im Lande, aber wenn die Gerüchte stimmten und er zurückkehrte, das konnte mächtig Ärger geben!


Andererseits – wenn er wirklich herauskriegen würde, was das Kind bei der Großmutter gesehen hatte, dann wäre er ein gemachter Mann!


Er hatte Eulalia erst mal auf nächste Woche vertröstet. Bis dahin würde er es sich überlegen! Wahrscheinlich würde er es aber riskieren. Getreu seinem Motto: "Et kütt, wie et kütt! Und et hätt noch immer juht jejange!"


© Siglinde Goertz, 2011

Samstag, 30. Juni 2012

(7) Und wenn sie nicht ...: Arme Jungfer zart! - Hochmut kommt vor dem Fall!!



Seufzend stieg Adelheid von der Waage. Schon wieder zugenommen! Ihr Mann Jakob, von allen nur Zwerg Nase genannt, kochte einfach zu gut. Und zu kalorienreich! Wenn das so weiterginge, dann passte sie bald nicht mehr in ihre Klamotten. Und sie konnte sich ja leider keine neuen Kleider vom Baum pflücken!

Im Gegensatz zu Aschenputtel, dieser arroganten Ziege! Was die sich einbildete, seit sie geheiratet hatte. Adelheid sah sie immer noch vor sich, wie sie damals ausgesehen hatte. Ewig den gleichen, verdreckten Kittel an. Wie die letzte Heckenpennerin! Und jetzt trug sie die Nase so hoch, dass es ihr beinahe hineinregnete. Nicht mal mehr ihr Name war ihr noch gut genug. Cinderella wollte sie ab sofort genannt werden. Cinderella!!!! Warum nicht gleich "Schantalle"?

Nein – sie musste sich jetzt einfach ein bisschen bremsen beim Essen. Neue Kleider konnte sie sich im Moment nicht leisten. Jetzt, wo Jakob gerade das neue Gourmet-Restaurant eröffnet hatte. Alle ihre Ersparnisse steckten darin. Ob das wohl so eine gute Idee gewesen war? Sicher, Jakob war der beste Koch weit und breit. Aber wenn man sich mal so umschaute im Land – lauter verarmter Adel. Die gingen eher selten auswärts essen. Und wenn, dann meistens in diesen Schnellimbiss, das Tischlein-deck-dich. Angeblich, weil die Kinder es dort so schön fanden. Wer’s glaubt!

Adelheid seufzte noch einmal. Leicht hatten sie es nicht im Märchenland. Ihr Mann war ein „Zugereister“, der musste sich anstrengen, um hier anerkannt zu werden. Ja, und ihr machte immer noch die unrühmliche Geschichte mit Drosselbart zu schaffen. Gut, sie sah ja ein, dass sie zum Teil auch selbst schuld daran war. Wäre sie nicht so hochmütig gewesen, dann wäre vielleicht einiges anders gekommen. Aber das war noch lange kein Grund, ihr so übel mitzuspielen. Er hatte sie doch eh nur heiraten wollen, um zu vertuschen, dass er stockschwul war. Dabei war das doch offensichtlich! Schon seine tuntige Art sich zu kleiden! Und das will was heißen, in einem Land, wo alle Männer Strumpfhosen trugen!

Schuld an allem war ja eigentlich ihr Vater. Auf einmal hatte er es so eilig, sie unter die Haube zu bringen, dass er alle heiratsfähigen Junggesellen aus dem Märchenland antanzen ließ, um sie zu verschachern. Und als sie sich, aus lauter Trotz, über jeden einzelnen lustig machte (auch über Drosselbart), wurde Paps so wütend, dass er versprach, sie mit dem ersten besten Bettler zu verheiraten, der vor seine Tür käme. 

 

Tja, und da hatte diese gehässige Schwulette natürliche DIE Chance gesehen, sich zu rächen. In total abgerissenen Klamotten erschien er vor dem Schloss – und schwups – war sie seine Frau! Nicht mal zu Hause wohnen bleiben konnte sie. „ Für die Frau eines Bettlers geziemt es sich nicht, auf einem Schloss zu leben!“ Liebevolle Worte eines liebevollen Vaters! Wie auch immer, sie musste mit diesem Penner von dannen ziehen. Hätte sie gewusst, was ihr bevorstand – sie hätte wahrscheinlich freiwillig den vergifteten Apfel von Schneewittchen verspeist.

Erst schleifte er sie wochenlang durch Feld, Wald und Wiese – um bei allem, was sie sahen, laut zu tönen: „Das gehört dem König Drosselbart, hättest du ihn genommen, wär es dein!“ Dabei wusste jeder, dass alles König Erdals Besitz war! Irgendwann hatte sie es so satt, dass sie entgegnete: „ Ich arme Jungfer zart, ach hätt ich genommen den Drosselbart!“ Dieser Satz hing ihr bis heute nach. Hatte wohl keiner die Ironie erkannt!

Endlich waren sie dann an einer verfallenen Hütte angekommen. Und da ging das Elend erst richtig los! Körbe sollte sie flechten! Dabei hasste sie Handarbeit! Natürlich wurde nix draus. Dann verlangte er von ihr, sie solle spinnen! Der spinnt wohl! Als das auch nicht klappte, sollte sie kitschige Keramikpötte auf dem Markt verkaufen. Kaum war der Stand aufgebaut, kam so ein besoffener Husar, dem der Gaul durchgegangen war und zerdepperte alles.

Später hatte sie dann herausgekriegt, dass es Drosselbart selber gewesen war. Dieses boshafte Frettchen!! Da hatte Adelheid dann endgültig die Faxen dicke und suchte sich selbst einen Job. Sie fand auch recht schnell was, als Küchenhilfe im Königsschloss. Zwar kein Traumjob, aber was will man machen, wenn man nix gelernt hat? Zumindest hatte sie jeden Tag was Gutes zu essen und sie verdiente nicht schlecht.

Bei der Arbeit hatte sie dann Jakob kennen gelernt, der dort als Koch beschäftigt war. Bereits nach ein paar Tagen hatte sie ein Verhältnis mit ihm angefangen. Er war zwar nicht besonders attraktiv, aber ein sehr netter, charmanter Mann. Ja, und an dem Spruch „ Wie die Nase des Mannes... „ war wohl doch was dran. Außerdem hatte Adelheid Nachholbedarf. Ihr sogenannter Ehemann rührte sie ja nicht an. Ja klar, heute wunderte sie sich nicht mehr darüber, aber damals wusste sie ja noch nicht, wer er in Wirklichkeit war. Obwohl... wenn er auch nur den Versuch gemacht hätte, sie hätte ihm wohl einen solchen Tritt in sein Gemächt verpasst, dass er nicht mehr gewusst hätte, ob er Männchen oder Weibchen ist. Sie kicherte.. na, das wusste er eh nicht so genau!


Irgendwann hatte dieser Dummdödel gemerkt, dass da was im Busch war. Meistens übernachtete sie ja bei Jakob. Er hatte zwar auch nur ein kleines Zimmer im Schloss, aber immer noch besser, als die verwanzte Bruchbude, in der sie hausen musste. Und was sollte sie da allein, wo der Penner sich nächtelang herumtrieb? Jemand hatte ihm dann wohl die Wahrheit gesteckt, von selbst wäre der nie und nimmer darauf gekommen. Was hatte er für einen Aufstand gemacht! Und gelogen hatte er, dass sich die Balken bogen. Von wegen, sie hätte ihn doch noch heiraten wollen! Sie war ja froh, dass diese Ehe nie vollzogen wurde, so dass sie sich die Scheidung sparen konnte.


Wäre sie doch nur nicht ins Schloss gegangen, um beim Ball zuzuschauen, dann wäre ihr diese Szene erspart geblieben. War das peinlich! Sie bekam immer noch einen roten Kopf, wenn sie daran dachte. Auf die Tanzfläche hatte er sie gezerrt und ganz laut gebrüllt: „Dich heiraten? Vergiss es! Ich bin schwul – und wenn ich dich so anschaue, dann ist das auch gut so!“ Die ganze Gesellschaft grölte vor Lachen. Später hieß es dann, sie habe Jakob nur geheiratet, weil sie keinen anderen mehr mitkriegte. So ein Quatsch! Sie liebte diesen Mann – und er liebte sie! Die anderen waren ja nur neidisch. Kein Wunder, wenn man sich die „glücklichen“ Ehen ansah!

„Blödes Gesocks!“, brummte Adelheid vor sich hin. Aber sie musste nun mal gute Miene zum bösen Spiel machen. Na ja, ein bisschen heucheln fiel ihr nicht schwer. War gut fürs Geschäft! Darum würde sie sich jetzt chic machen und zu Eulalia fahren, um Rotkäppchen ein kleines Geschenk zu bringen. Pralinen – von Jakob eigenhändig zubereitet! Werbung ist alles!!

Auch wenn es sie nicht die Bohne interessierte, was dieser verzogenen Göre bei ihrer debilen Großmutter passiert war!!

© Siglinde Goertz

Sonntag, 22. April 2012

(4) Und wenn sie nicht ... Hundert Jahre Schönheitsschlaf - und seine Folgen


Dornröschen reckte sich und gähnte ausgiebig. Dieser verdammte Fluch wirkte immer noch! Hundert Jahre Schlaf... und trotzdem ständig müde. Mürrisch schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf. Wo steckte nur Kunibert? Bestimmt wieder bei Drosselbart, diesem Mistkerl. 


Was für eine Ehe! Dornröschen fragte sich, warum ausgerechnet Kuni sie hatte wecken müssen. Sie schüttelte sich immer noch bei dem Gedanken an diesen feuchten Schlabberkuss. Und der Mundgeruch! Grauenhaft! Dass sie nicht gleich wieder ins Koma gefallen war, war das reinste Wunder. 


Sie kratzte sich am Kopf und schlurfte ins Bad. Erst mal duschen und dann einen starken Kaffee. Vielleicht half das ja. Den Blick in den Spiegel mied sie tunlichst. Von wegen Schönheitsschlaf! Hundert Jahre – und sie sah aus, wie die Zwillingsschwester von Quasimodo. Es war zum Heulen! 


Nachher würde sie mal Daisy anrufen. Jahrelang hatte man sie als das häßliche Entlein verspottet. Seit einigen Monaten war sie allerdings vollkommen verändert. Bildschön sah sie aus. Angeblich war die Veränderung ganz von selbst eingetreten, sozusagen mit dem Erwachsenwerden. Hah! Wer’s glaubt wird selig! Da hatte mit Sicherheit jemand nachgeholfen. Und sie würde schon rauskriegen, wer das war. 


Dornröschen seufzte. Ach, selbst wenn sie es wüsste.. was nützte ihr das? Sie hatte eh kein Geld, um einen Schönheitschirurgen zu bezahlen. Kunibert hatte nix mit in die Ehe gebracht, außer den Klamotten, die er auf dem Leib trug. Nicht mal das Schwert konnte man noch verscherbeln, es war vom Rosenschneiden total ruiniert. Tja, das hätte der Gute sich auch nicht träumen lassen, dass er eine verarmte Prinzessin wachgeküsst hat. Daran konnte man erkennen, dass er nicht unbedingt eine Intelligenzbestie war. Jeder Grundschüler mit rudimentären Rechenkenntnissen hätte sich ausrechnen können, dass bei ihr nix zu holen war. 


War doch wohl offensichtlich, oder? Hallooo?!? Ein König, der nur 12 goldene Teller besaß? Sie war immer noch stinksauer auf Papa. Da macht er einen auf dicke Hose und hat nix auf Sack. Und wer musste darunter leiden? Richtig! Da startet der Mann die Riesenwelle, lädt "Jan und alle Mann" zu ihrer Taufe ein ... und einen Tag vorher fällt es ihm wie Schuppen aus den Haaren, dass nicht genug Geschirr da ist. Anstatt sich bei den Nachbarn was zu borgen, lädt dieser Trottel ausgerechnet Tante Agathe wieder aus. Dabei weiß doch jeder, wie nachtragend die ist. 


Natürlich rauschte sie dann zur Taufe doch an. Mit Blitz und Donner war sie über die Gesellschaft hereingebrochen und hatte hysterisch gekeift: “Die Königstochter soll sich in ihrem 15. Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen!“ Tante Maria war dann so lieb, es in einen hundertjährigen Schlaf umzuwandeln.. aber das hätte sie besser bleiben lassen. 


Was hatte ihr das letzten Endes eingebracht? Ein Gesicht wie ein ungemachtes Bett und einen bisexuellen Ehemann. Welcher sich allerdings in letzter Zeit ausschließlich auf Menschen seines eigenen Geschlechtes konzentrierte. Zum Glück! Dornröschen hatte eh keinen Bock auf Sex mehr. Tja, so ist das, wenn man hundert Jahre schläft. Da vergeht die Zeit zwar langsamer, aber sie bleibt leider nicht stehen. In der Pubertät einzuschlafen und im Klimakterium aufzuwachen – das ist nicht besonders witzig! 


Ach – egal! Sie würde sich jetzt ein bisschen zurecht machen und dann Eulalia besuchen. Mal sehen, ob die etwas von Erdal gehört hatte. Eulalia hatte ihm nämlich eine Eil-Brieftaube geschickt. Seit Erdal weg war ging hier alles drunter und drüber. Drosselbart war seinem Amt überhaupt nicht gewachsen. Das Beste wäre, er würde sich die ganze Zeit mit Kunibert im Himmelbett vergnügen. Dann käme er wenigstens nicht mehr auf so bescheuerte Ideen! Diese bekloppte Kampagne zum Beispiel: „Du bist Märchenland!“ Total krank! Wer denkt sich so was aus? Könnte glatt aus dem Menschenreich kommen, idiotisch wie das ist! 


Hoffentlich konnte Eulalia ihren Bruder dazu überreden, zurückzukommen. Die Ärmste war auch mit den Nerven am Ende. Die Behandlung ihres Gatten bei Dr. Allwissend verschlang ein Vermögen, brachte aber keine Besserung. Und dann noch die Sorge um Rotkäppchen. Die Kleine war vom letzten Besuch bei der Großmutter total verstört heimgekommen. Seitdem war kein Wort aus ihr herauszukriegen. Fest stand, dass sie etwas Unglaubliches gesehen haben musste! Aber was?? Dornröschen schüttelte den Kopf. Nur Kummer, Sorgen und Ärger, wohin man auch schaute. 


Und da sagen die Menschen, wenn sie etwas Schönes beschreiben wollten, das sei „märchenhaft“. Wenn die wüssten! 




© Siglinde Goertz, Uedem

Sonntag, 15. April 2012

(4) Hundert Jahre Schönheitsschlaf - und seine Folgen. Ein Comedy-Märchen von Siglinde Goertz

Dornröschen reckte sich und gähnte ausgiebig. Dieser verdammte Fluch wirkte immer noch! Hundert Jahre Schlaf... und trotzdem ständig müde. Mürrisch schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf. Wo steckte nur Kunibert? Bestimmt wieder bei Drosselbart, diesem Mistkerl.

Was für eine Ehe! Dornröschen fragte sich, warum ausgerechnet Kuni sie hatte wecken müssen. Sie schüttelte sich immer noch bei dem Gedanken an diesen feuchten Schlabberkuss. Und der Mundgeruch! Grauenhaft! Dass sie nicht gleich wieder ins Koma gefallen war, war das reinste Wunder.

Sie kratzte sich am Kopf und schlurfte ins Bad. Erst mal duschen und dann einen starken Kaffee. Vielleicht half das ja. Den Blick in den Spiegel mied sie tunlichst. Von wegen Schönheitsschlaf! Hundert Jahre – und sie sah aus, wie die Zwillingsschwester von Quasimodo. Es war zum Heulen!

Nachher würde sie mal Daisy anrufen. Jahrelang hatte man sie als das häßliche Entlein verspottet. Seit einigen Monaten war sie allerdings vollkommen verändert. Bildschön sah sie aus. Angeblich war die Veränderung ganz von selbst eingetreten, sozusagen mit dem Erwachsenwerden. Hah! Wer’s glaubt wird selig! Da hatte mit Sicherheit jemand nachgeholfen. Und sie würde schon rauskriegen, wer das war.

Dornröschen seufzte. Ach, selbst wenn sie es wüsste.. was nützte ihr das? Sie hatte eh kein Geld, um einen Schönheitschirurgen zu bezahlen. Kunibert hatte nix mit in die Ehe gebracht, außer den Klamotten, die er auf dem Leib trug. Nicht mal das Schwert konnte man noch verscherbeln, es war vom Rosen schneiden total ruiniert. Tja, das hätte der Gute sich auch nicht träumen lassen, dass er eine verarmte Prinzessin wachgeküsst hat. Daran konnte man erkennen, dass er nicht unbedingt eine Intelligenzbestie war. Jeder Grundschüler mit rudimentären Rechenkenntnissen hätte sich ausrechnen können, dass bei ihr nix zu holen war.

War doch wohl offensichtlich, oder? Hallooo?!? Ein König, der nur 12 goldene Teller besaß? Sie war immer noch stinksauer auf Papa. Da macht er einen auf dicke Hose und hat nix auf Sack. Und wer musste darunter leiden? Richtig! Da startet der Mann die Riesenwelle, lädt "Jan und alle Mann" zu ihrer Taufe ein.. und einen Tag vorher fällt es ihm wie Schuppen aus den Haaren, dass nicht genug Geschirr da ist. Anstatt sich bei den Nachbarn was zu borgen, lädt dieser Trottel ausgerechnet Tante Agathe wieder aus. Dabei weiß doch jeder, wie nachtragend die ist.

Natürlich rauschte sie dann zur Taufe doch an. Mit Blitz und Donner war sie über die Gesellschaft hereingebrochen und hatte hysterisch gekeift: “Die Königstochter soll sich in ihrem 15. Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen!“ Tante Maria war dann so lieb, es in einen hundertjährigen Schlaf umzuwandeln.. aber das hätte sie besser bleiben lassen.

Was hatte ihr das letzten Endes eingebracht? Ein Gesicht wie ein ungemachtes Bett und einen bisexuellen Ehemann. Welcher sich allerdings in letzter Zeit ausschließlich auf Menschen seines eigenen Geschlechtes konzentrierte. Zum Glück! Dornröschen hatte eh keinen Bock auf Sex mehr. Tja, so ist das, wenn man hundert Jahre schläft. Da vergeht die Zeit zwar langsamer, aber sie bleibt leider nicht stehen. In der Pubertät einzuschlafen und im Klimakterium aufzuwachen – das ist nicht besonders witzig!

Ach – egal! Sie würde sich jetzt ein bisschen zurecht machen und dann Eulalia besuchen. Mal sehen, ob die etwas von Erdal gehört hatte. Eulalia hatte ihm nämlich eine Eil-Brieftaube geschickt. Seit Erdal weg war ging hier alles drunter und drüber. Drosselbart war seinem Amt überhaupt nicht gewachsen. Das Beste wäre, er würde sich die ganze Zeit mit Kunibert im Himmelbett vergnügen. Dann käme er wenigstens nicht mehr auf so bescheuerte Ideen! Diese bekloppte Kampagne zum Beispiel: „Du bist Märchenland!“ Total krank! Wer denkt sich so was aus? Könnte glatt aus dem Menschenreich kommen, idiotisch wie das ist!

Hoffentlich konnte Eulalia ihren Bruder dazu überreden, zurück zu kommen. Die Ärmste war auch mit den Nerven am Ende. Die Behandlung ihres Gatten bei Dr. Allwissend verschlang ein Vermögen, brachte aber keine Besserung. Und dann noch die Sorge um Rotkäppchen. Die Kleine war vom letzten Besuch bei der Großmutter total verstört heimgekommen. Seitdem war kein Wort aus ihr heraus zu kriegen. Fest stand, dass sie etwas Unglaubliches gesehen haben musste! Aber was?? Dornröschen schüttelte den Kopf. Nur Kummer, Sorgen und Ärger, wohin man auch schaute.

Und da sagen die Menschen, wenn sie etwas Schönes beschreiben wollten, das sei „märchenhaft“. Wenn die wüssten!

Dienstag, 10. April 2012

(3) Und wenn sie nicht... Mehr Wahrheiten aus Erdals Reich! Ein Comedy-Märchen von Siglinde Goertz

Missmutig stapfte Rotkäppchen durch den Wald. Der blöde Korb war so schwer, dass sie sich nachher wahrscheinlich die Schuhe zubinden konnte, ohne sich zu bücken! Mann, war das ein Scheißtag heute. Mama schickte sie mal wieder zur Oma, der ollen Schnapsnase, um ihr Kuchen und Wein zu bringen. Früher hatte ja der Eiserne Heinrich sie gefahren, aber seit Onkel Erdal mit Tante und Cousinen den Sittich gemacht hatte, durfte sie den ganzen Weg latschen. Ätzend!

Überhaupt war hier nix mehr los, seit der schwule Drosselbart regierte. Alles wanderte ab. Sogar der Teufel mit den drei goldenen Haaren hatte sich vom Acker gemacht. Ohne seine drei goldenen Haare. Die hatte seine Großmutter ihm rausgerupft. Jetzt lebte er als Glatzkopf im Menschenreich und machte Werbung für ein Putzmittel.

Ansonsten gab es ziemlich Ärger, weil so eine seltsame Frau im Internet Insiderinformationen über das Märchenreich veröffentlichte. Fragt sich nur, wo die Dame das alles aufgeschnappt hatte. Oh Mann, die hatten hier ganz schön Staub aufgewirbelt. König Drosselbart überlegte tatsächlich, ob er rechtliche Schritte einleiten sollte.

Rotkäppchen kicherte. Die sollten sich mal alle nicht so anstellen. Als wenn das nicht vorher schon jeder gewusst hätte! Dass Schneewittchen säuft war allgemein bekannt. Man musste sie ja nur mal anschauen. Wenn sie heute fragte: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ dann lautete die Antwort: "Geh mal zur Seite, du olle Schreckschraube - ich seh ja nix!"

Und dass die Eifersucht ihres Mannes nicht unbegründet war, war auch eine Tatsache. Schließlich hatte Rotkäppchen oft genug beobachtet, wie sich die Zwerge heimlich in Schneewittchens Kemenate schlichen. Der Brüller war ja, dass die olle Schabracke sich jetzt von Rapunzel Haare anschweißen ließ, damit die Zwerge daran hochklettern konnten. Ihre eigenen Flusen würden das wahrscheinlich nicht aushalten.

Puh, war das heiß heute. Rotkäppchen klebte die Zunge am Gaumen. Ob sie mal einen Schluck von dem Wein.... nee, lieber nicht. Mutter kaufte immer die billigste Plörre für Oma. Musste sie halt aushalten, bis sie beim Wasser des Lebens angekommen war. Angeblich sollte man davon unsterblich werden. Also bitte!!!!!! Wer wollte hier schon ewig leben? Sie nicht, auf gar keinen Fall! Vor ein paar Tagen hatte sie mit diesen sechs komischen Typen gesprochen, die schon durch die ganze Welt gekommen waren. Sobald die wieder losziehen würden, wäre Rotkäppchen mit dabei, das hatte sie sich fest vorgenommen.

Endlich tauchte die windschiefe Hütte der Großmutter auf. Wie kann man hier nur leben, fragte Rotkäppchen sich immer wieder. Obwohl.. verglichen mit dem ollen Pott, in dem Oma früher gehaust hatte, war das hier ein Palast. In dem Pott wohnte heute der Opa allein, nachdem er sich hatte scheiden lassen. Rotkäppchen konnte es ihm nicht verdenken. Wenn Oma früher auch schon so unzufrieden gewesen war und dauernd rumgekeift hatte.. wer würde da nicht die Flucht ergreifen?

Dabei war Opa ein ganz Lieber! Bevor er in Rente gegangen war, hatte er als Fischer gearbeitet. Sogar selbständig! Zwar nur ein kleiner Betrieb – mehr so eine Art Ich-AG, aber besser als nix! Eines Tages hatte er den Fang seines Lebens gemacht: einen Butt! An sich ja nichts Besonderes, aber dieser konnte sprechen. Opa hatte nicht schlecht gestaunt, als das Viech ihn anquatschte. Der völlig verstörte Meeresbewohner hatte Opa Gott und die Welt versprochen, wenn er ihn wieder ins Wasser zurückschmeißen würde. Und Opa war nun mal ein gutmütiger Mensch. Erst Recht, wenn es sich für ihn lohnte!

Wäre ja auch alles gut gegangen. Aber Oma konnte den Hals natürlich nicht voll kriegen. Okay, dass sie erst ein Haus, dann ein Schloss und zum Schluss den Palazzo Protzo wollte, das konnte Rotkäppchen ja noch nachvollziehen. Aber danach drehte die Alte ganz ab. Papst wollte sie werden.

Die hatte doch einen an der Klatsche! Was ist daran erstrebenswert, Papst zu sein? Fremde Flughäfen zu knutschen und keinen Sex haben dürfen. Na, Klasse!!! Aber den Vogel hatte sie abgeschossen, als sie dann auch noch Gott werden wollte. Das hat ER sich natürlich nicht gefallen lassen – und schwupp, saßen sie wieder in ihrem alten Pott. Da hatte Opa endgültig die Faxen dicke und warf sie achtkantig raus. Onkel Erdal hatte ihr dann diese Hütte gemietet. Im Schloss wollte er sie auch nicht haben, verständlicherweise.

Rotkäppchen stieg die wackeligen Stufen zur Haustür hinauf, klopfte einmal kräftig an und stieß die Tür auf. „Tach, Omma“ rief sie fröhlich und betrat schwungvoll das Haus. Nanu? Keiner da? Das Wohnzimmer war leer. Sie ging in die Küche und stellte erst mal den Korb ab. „OOOOOMMAAAAAAAAA!“ Keine Antwort. Auf einmal hörte sie merkwürdige Geräusche aus dem Schlafzimmer. Ein seltsames Kratzen und Schaben und zwischendrin etwas, was sich anhörte wie ein Kichern. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Schlafzimmertür und legte das Ohr daran..

Plötzlich gab die Tür nach.. von dem Schwung mitgerissen stolperte Rotkäppchen ins Zimmer und sah........



© Siglinde Goertz, Uedem

Sonntag, 8. April 2012

Dichterhain: Einmal noch von Siglinde Goertz



Einmal noch – wie früher mit dir lachen! 
Einmal noch – dich trösten, wenn dein Glück zerbricht!
Einmal noch – mir Sorgen um dich machen! 
Einmal noch – ein Blick in dein Gesicht! 

Einmal noch – möcht ich mich mit dir streiten! 
Einmal noch – in deine Augen sehn! 
Einmal noch – zur Schule dich begleiten! 
Einmal noch – mit dir spazieren gehn! 

Einmal noch – auf dich warten bis zum Morgen! 
Einmal noch – vor Angst beinah vergehn! 
Einmal noch – dir Geld für Kippen borgen! 
Einmal noch – es niemals wiedersehn! 

Einmal noch – dein erstes Lächeln sehen! 
Einmal noch – deinen allerersten Schritt! 
Einmal noch – dir zur Seite stehen! 
Einmal noch – hören: „Mama, gehst du mit?“ 

Einmal noch – ein Bierchen mit dir trinken! 
Einmal noch – mit dir ins Kabarett! 
Eimnal noch – dir zum Abschied winken! 
Einmal noch – sagen: „Marsch, ins Bett“! 

Einmal noch – über's Haar dir streichen! 
Einmal noch – verpflastern deine Knie! 
Einmal noch – telefonisch dich erreichen! 
Einmal noch – lästern: „Schau mal die“! 

Einmal noch – dir ein Schlaflied singen! 
Einmal noch – stinkwütend auf dich sein! 
Einmal noch – Kaffee ans Bett dir bringen! 
Einmal noch – mich an deiner Schönheit freu’n! 

Einmal noch – in meinem Arm dich spüren! 
Einmal noch – will ich dich wiedersehn! 
Einmal noch – deine warme Haut berühren! 
Nur einmal noch! - Und dann lass ich dich gehn!


© Siglinde Goertz, Uedem