Letzten
Sonntag, den 29.04.12, fand die Gründungsfeier des Vereins „Lesen
& Kultur für alle e.V., Münster in Hessen“ im HalbNeun-Theater Darmstadt, Sandstraße 32 statt.
Ziel
des Vereins ist die Stärkung der Lesekompetenz sowohl leseschwacher
als auch lesestarker Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen. Es wurde
ein buntes Programm mit Theatervorführungen, Lesungen und Musik
geboten.
Beginn
der Feier war nach 17:00 Uhr. Nach der Begrüßung und Ansprache
durch die 1. Vorsitzende des Vereins, Felicitas Göbel, hatten die
Besucher Gelegenheit, Lesungen der vier erstplatzierten Jungautoren
zu hören. Die Jugendlichen hatten tolle Stories auf Lager und
verfügen alle bereits über einen beachtlichen Wortschatz und
Erzählgabe.
Lydia Steiner (11 Jahre) überzeugte mit “Das
Geheimnis des Nebelsees”, eine fantastische Geschichte zu einer
Wasserfee bzw -nixe, die im See lebt und sich nur selten zeigt.
Hannah Kaeser (12 Jahre) und ihre “Black Out”-Geschichte, die
Geschichte eines Missbrauchs, fanden leider nicht statt. In der Geschichte ging es um Folgendes: Luis will Sex mit seiner Freundin, die - viel zu jung - ablehnt. Mit K.O.-Tropfen holt er sich, was er so nicht
bekommt, und wird verurteilt. K.O.-Tropfen werden immer häufiger bei
Jugendlichen eingesetzt, um sie gefügig zu machen. Statt dessen las Fiona
Noltemeier (12 Jahre). "Tomatenalarm"
von Fiona war eine lustige Ausflugsgeschichte von Obst- und
Gemüsesorten, lebendig geworden und unterwegs am Ausflugsort. Die
Tomate, Karotte, Banane und Gurke erleben lustige Abenteuer und
schaffen am Ende gerade noch ihren Flieger per exzellentem Lassowurf
...
Irini
Michali (14 Jahre) raubte den Zuhörern mit einer unglaublichen
Selbstmordgeschichte aus Liebeskummer und der Beschreibung der
Todeserfahrung im Moment des Absturzes und Aufpralls im Wasser aus
schwindelnder Höhe den Atem: “And I drowned in Peace”.
Anne
Herd (16 Jahre) konfrontierte uns mit ihrer “Bibliothek der
Erinnerung”, die Verarbeitung eines Trennungserlebnisses von der
Mutter. "Nur ein kleiner Schnitt" ...
Um
18:30 Uhr wurde eine Theaterproduktion, inszeniert von Georgios
Slimistinos (35) aufgeführt: “Der Sommernachtstraum”,
Shakespeare in 18 Minuten. Das Stück wurde stark modernsiert und in
Zeitraffer mit einer eigenwilligen Kürzmethode gezeigt: Nur jeder
18. Satz kam zur Geltung. Aus der chaotischen Lage in einer
geschlossenen psychiatrischen Abteilung wird nach Medikamentation der
Insassen zur Nacht ein kollektiver Traum, fern jeglichen Wahnsinns
erlebt, der lyrische Phasen, Liebesmomente, Nähe und Trennung
zulässt. Am Ende der Nacht versinkt alles wieder im Wahnsinn. Mit
Schattenspieleffekten und anderen Verfremdungseffekten ein
spannendes, wenn auch unverständlich bleibendes Stück, das nur der
versteht, der Shakespeare sehr gut gelesen hat.
Gegen
19 Uhr dann ein Interview mit Dr. Michael Hüttenberger, dem Mitinitiator des Projektes "Lesen für alle", und Felicitas Göbel, der ersten Vorsitzenden bzw. Gründerin des Vereins "Lesen & Kultur für alle",
geführt von Martina Noltemeier, Journalistin. Dr. Hüttenberger war
viele Jahre lang Schulleiter einer Integrierten Gesamtschule, hat
Unterrichtserfahrung und befindet sich im Moment in einer Auszeit, um
Abstand und neue Kraft zu gewinnen. Felicitas Göbel ist Architektin
und Veranstalterin etlicher Leseförderungsprojekte. Sie arbeitet mit
einem Rückkopplungsverfahren, dem sog. Warnke-Verfahren, das dem Leser seine Stimme erfahrbar
und veränderbar macht. Der Verein bietet nun die Ausbildung
interessierter Leute zum Lese- und Kulturtrainer an, die dann in
kurzen Einheiten an Schulen den Schülern das Lesen auf eine andere
Art und Weise beibringen sollen. Neue Mitglieder zum Jahresbeitrag
von 30 € sind willkommen, auch Leute, die mit Kindern kulturelle
Veranstaltungen organisieren wollen. Als neues Projekt darf das "Pegasus-Musical", mit Musik vom Komponisten Ulrich Pietsch erwartet werden.
Anschließend
las Michael Hüttenberger aus seinem Buch “Ostfriesische
Perspektiven”. Sein Stil ist lakonisch, wortkarg, süffisant und
humorvoll. Der "Spiegel" hat ihn bereits sehr gelobt. Im
Alltäglichen wird das erzählende Ich mit einer klitzekleinen
Abweichung konfrontiert, was ihm bereits sehr fremd vorkommt. Der
Trott nimmt weiter seinen Gang, wenn der Erlebende anschließend ins
Alltägliche zurückkehrt. Da die Geschichten sehr ähnlich gestrickt
sind, ermüdet der Wiederholungseffekt etwas.
Um
21 Uhr die Szenische Lesung “URUK”, aus dem Epos “Gilgamesch
und Enkidu” von Rüdiger Heins, mit den Darstellern Viktoria
Vonseelen, Felicitas Göbel und Rüdiger Heins selbst. Ich habe schon
darüber berichtet, weswegen ich nur dahin verweise. Wieder eine
gelungene Darbietung der beiden Darstellerinnen, die perfekt in ihren
Rollen aufgehen. Eine Viktoria Vonseelen, die sich im Ballettschritt
über die Bühne bewegt und klar und konzentriert vorträgt und eine
das Tier in Enkidu transportierende schleichende, fast fauchend und
begehrlich sprechende, sich wiegende Felicitas Göbel in der
Enkidu-Rolle. Rüdiger Heins sehr überzeugend als Hauptleser. Auch
seine Choreographie bzw. Inszenierung nimmt der Lesung das Trockene,
ist sehr spannend und für ein größeres Publikum geeignet.