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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Freitag, 7. Dezember 2012

Dichterhain: DIE SCHNECKENPOST von Karin Michaeli



Die Schneckenpost

Sie stieg in einer dunklen Nacht
aus den Türen
der gelben Schneckenpost.
Die hielt an den Ufern des Rheines -
und ein alter Mann
hat dies alles gesehn.


Er sah, wie die Dame geschmücket
nur mit einem grünen Olivenzweig
sich einmal kurz auf der Kö
umblicket
und dort ein Schloss baute
aus gesalzenem Teig.

Sie baute um das Schloss Jägerhof
einen blühenden Garten
mit roten Bäumen
und füllte die Gräben
mit Tränen an.
 

Am Abend sang sie.
Und bei jeder Stroph'
sang sie mit
schauriger Stimme so laut,
das die glitzernd-bunten
Schadow-Arkaden
sich aufbäumten
und dann zusammenstürzten -
so als seien sie
auf Meeressand gebaut.

Sie hatte hellgrüne Nixenaugen
und Schlangen
im riesigen Mund.
Sie trug keinen Ring
und auch keine Kleider
und ihr blaues lockiges weiches Haar
legte sich am Abend über die Lichter
und vergrub die Zeit
in der Erde Grund.

Dann sattelte sie einen
bengalischen Tiger
und ritt aus auf dem
grossen Prachtboulevard.
Sie ging in jeden Winkel der Stadt
S i e  fand die Männer in den Rattenmänteln
S i e  fand die Frauen die von den Resten
der Altstadt-Abfalleimer
niemals wurden satt.

Sie lachte in jedem Etablissemang
laut mit den Herren Freiern
und trank mit ihnen roten Wein.
Dann warf sie kurz nach Mitternacht
einen jeden von ihnen
zur Abkühlung
in den eiskalten Rhein.

Die Frau mit den blauen Haaren
die damals kam
mit der Schneckenpost;
die Frau mit dem riesigen roten Mund -
die nahm alle genauso
wie sie waren.

Niemand wusste wer sie war und -
manchmal liebte sie einen in der Nacht.
Dann schienen die Sterne
so hell und so klar
und spiegelten sich im Rheinesgrund.
So wie sie einst kam
so ging sie einst fort
in die weite unergründliche Ferne.
 

Ein alter Mann saß vor dem
Salzteigschloss
auf dem Boulevard
und schaute nach dort.

Und die Frauen in den hellen Sälen
schmückten sich mit bunten Blumen
und zündeten ein warmes Feuer an
und schauten noch lange
verträumt und ganz still
in die glitzernden Sterne.


(c) karin michaeli