(c) Stefan Vieregg |
Im kleinen Karlstorbahnhof in Heidelberg, perfekt an der S-Bahn gelegen und mit Busverbindung, durften sich ATOMIC aus Norwegen und Schweden in der "Dunkelkammer" mit ihren experimentellen Jazzklängen austoben. Vor etwa 70 bis 100 Besuchern und hartgesottenen Free-Jazz-Fans kam dann nach kurzer Begrüßung auch ein Medias-res-Einsatz, der bereits wieder schnell wach machte. Der Hammerschlag und erste Kostprobe des anstrengenden Gemischs aus hektischen, atonalen und chaotischen Melodien hieß "Lucidity". Fredrik Ljungkvist an Saxophon und Klarinette, Magnus Broo an der Trompete waren die Frontmen dieser fünfköpfigen Gruppe. Magnus voller Konzentration mit geschlosenen Augen auf seinen Einsatz wartend, der immer sehr kraftvoll war. Fredrik moderierte witzig durch den Abend und überzeugte mit voll ausgenutztem Sax und wilder Klarinette.
Im zweiten Lied, dessen Titel klang wie eine Obsthändler "Latelma Interfruit" kombinierten sich serielles Piano von Håvard Wiik mit eher ruhigem Sax und Trumpet, die sich dann mit einem gleitenden Aufwärtsschub ins Laute, Chaotische steigerte. Fusion und Confusion at it's finest. Herrliche Passagen mit trällerndem Sax, ein hervorragender Solo von Ingebrigt Håker Flaten am Bass, dann ein Duett zwischen Piano und Bass, mit beruhigendem Blech dazwischen. Das Piano klang wie ausgeklinkt und steigerte sich unterdessen zu wüsten Kaskaden.
In einem Stück ohne Titel, das von Fredrik stammt, wird ein schwedisches Weihnachtslied verarbeitet, das noch gelegentlich in einer rudimentären Melodie herausspitzelt. In diesem Stück wurde spätestens klar, dass der neue Drummer Hans Hulbækmo ordentlich was drauf hat, denn in seinem Solo und in seiner Begleitung bewegte er sich auf hohem experimentellen Niveau. Seine lange Gestalt hinter dem Schlagzeug bewegt sich sehr eigentümlich mit weit ausholenden und rudernden Bewegungen der ebenso langen Arme, ist aber mittendrin im Rhythmus und bietet eine solche Vielfalt von Klängen, Beats und Geräuschen, dass man vor Ehrfurcht erstarrt!
Dazu gab es gestrichenen Bass an Confusion, bis alles tatsächlich in einen melodischen Part einbog.
In "Meggae Guffins Tale" in Dur dominierte die Klarinette, und kämpfte ein resistenter Basspuls um die Aufmerksamkeit. Begleitet von Hans' Streichen am Beckenrand und Einsatz von feingliedrigen Ketten (präparierte Drums) und mehr zur Soundbereicherung fanden Sax und Trompete wieder auf lange Strecke zum Schluss zusammen.
Erwähnt sei hier noch "Stucked in Stockholm", ein sehr dynamisches Stück mit gelegentlichem Fusionjazz-, Brass-Sound, die urbane Weite heraufbeschwörend und ein kribbeliges Chaos, bevor der Bass zum Solo ansetzte.
(c) Stefan Vieregg |
Atomic hat hier komplett aufgeräumt mit den Klischees, dass Skandinavien nur Jan-Gabarek- und Terje-Rypdal-Sounds, um nur zwei Vertreter zu nennen, bietet, alles im rituellen, getragenen, verspielten und mystischen Fjordsound komponiert sei. Obwohl man ja genau die auch nicht missen möchte, sie waren prägend in den 70er, und 80ern und in den Jahren danach, echte Wegbereiter für qualitativ hochwertige hörbare experimentelle Jazzmusik. Aber Ice-Bucketting ist ja eh in, also einen Abend mal weg mit den Träumen ...:-)