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Mittwoch, 26. November 2014

Wie war's bei HOMO FABER von Max Frisch in Mannheim?

(c) Hans Jörg Michel

Um gleich mit einem großen Lob zu beginnen: Die Inszenierung des HOMO FABER von Max Frisch (1957) durch Georg Schmiedleitner am Nationaltheater Mannheim ist eine der interessantesten Inszenierungen im Rhein-Main-Neckar-Raum der letzten Zeit. Gesehen am 22.11.2014.

Den technischen Background des Stückes aufgreifend und eine bühnenwirksame, nicht realistische, aber metaphorische Realität schaffend, die einem wichtigen deutschsprachigen Roman des 20. Jahrhunderts entspringt, fesselt HOMO FABER in Mannheim die volle Spieldauer. Die fehlende Pause stört hier gar nicht mehr. Max Frischs auktorialer, monologisierender Bericht über ein Geschehen in der gerade zurückliegenden Jetztzeit, die Rückblenden in die Vergangenheit, das Einschieben von Handlungssituationen bzw. Erlebtem als scheinbar gegenwärtiges Geschehen -  eigentlich Zitate aus Fabers Leben - , der Blick in die nicht mehr stattfindende Zukunft, aber auch in die vorweg erzählte Zukunft des Erlebten. Das ständige Reflektieren und Rechtfertigen des Handelns in der Vergangenheit fordern den Rezipient nicht nur im Roman, auch in Volker Schlöndorffs Film und in Schmiedleitners Inszenierung. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmilzen immer wieder zu einem als einheitlich empfundenen Geschehen, Walter Faber, dem schaffenden Mensch, einem Ingenieur, durch sein Leben folgend. Hinzu kommt eine Vierfachbesetzung der Faber-Figur und der anderen Männerrollen Herbert Hencke, Joachim Hencke, Williams, Prof. O und Kellner, wobei sich Schmiedleitner hier von einigen Figuren im Roman trennt, Williams und den Kellner dagegen betont. Michael Fuchs, Boris Koneczny, Reinhard Mahlberg, Jacques Malan changieren die Rollen und die Perspektiven, ohne kostümmäßige Veränderungen an der Faber-Figur vorzunehmen. Dies gilt auch für Herberts ehemalige Geliebte Hanna (Almut Henkel) und weniger für seine Tochter Elisabeth (Michaela Klamminger), die ebenfalls verschiedene Frauenrollen spielen. Alle Schauspieler überzeugen sehr, holen sehr viel aus den Rollen heraus. So dreht sich das Karussell auf (sprichwörtlich von der technik verwirklichten) wackligem Boden um die Zeit, die Figuren, die Orte, die Inhalte, ja, den ungeheuren Inhalt des Inzests.

Max Frisch konstruierte quasi aus den Inhalten eines autopsychoanalytischen Gesprächs, einer Selbstoffenbarung und -beichte einen Roman und Schmiedleitner ein Bühnengeschehen rund um die Gedanken und Einsichten, Erinnerungen und Zweifel, Gewissensbisse und kriminologischer Erschließung des Tatbestands. Fabers Bericht über sein Leben reißt nach einer Magenoperation wegen Magenkrebs ab. Vom Tod des berichtenden Ichs ist auszugehen.


(c) Hans Jörg Michel
So wird der Inzest, obwohl er Vater und Tochter nicht bewusst war, symbolisch gerächt, denn auch Fabers Tochter Sabeth, mit der er ein Verhältnis beginnt (wobei es angeblich nur zu einer sexuellen Begegnung kam), stirbt durch einen Sturz auf den Kopf, der nur passieren konnte, weil Faber nackt (!) aus dem Meer ihr wegen eines Schlangenbisses (wir denken an die Genesis) entgegeneilend sie erschreckt und zum Zurückweichen und Stolpern veranlasste. Faber, ein Egoist, ein Frauenfeind, einer, der Probleme mit Frauen hat, ein Technikfreak, einer der Roboter mag, der seine Freundin Hanna, eine nach Zürch geflohene Jüdin, schwängerte, aber nur von "seinem" Kind sprach und sie damit in die Flucht schlug, die Schluss machte und ihn 1936 beruflich nach Bagdad gehen ließ. Er meinte, dieses Kind wäre gar nicht geboren und Elisabeth/Sabeth sei die Tochter von Joachim Henke, dem Bruder von Herbert, der im ominösen Flug in der Super-Constellation von New York im Schneesturm startend und in der Hitze Mexikos in der Wüste notlanden musste, neben ihm saß. Joachim war der Ehemann Hannas, und Elisabeth wiederum hielt ihn für ihren Vater. Erst als das Unglück mit Sabeth passierte, nach einer Art Flitterwochen in Frankreich, die Mutter an den Unglücksort in Akrokorinth (GR) reiste, und Faber alles erzählt, wird ihm klar was passiert ist. Er hat das in der menschlichen Geistesgeschichte noch größere Tabu als Königsmord, das Inzestverbot, gebrochen! Im Hintergrund der Bühne stimmungsvoll beleuchtete Flugzeugturbinen, stumme Zeugen der schicksalhaften Abstürze im Leben und in der Gesinnung. Eine Riesengangway verdeutlicht außerdem das Auf und Ab im Leben durch Schaukeln. Fabers Pläne, Hanna nach seiner Operation zu heiraten, werden sich nie mehr erfüllen ... Die Chance war nur einmal da.