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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Sonntag, 4. Mai 2014

Wie war's bei RAYAHZONE der Gebrüder THABET in Ludwigshafen?






Rayahzone, das ist tunesisches Tanztheater mit Sufi-Reimen und -Gesängen, mit typisch nordafrikanischer Gefängnisstimmung, voller Isolation, auswegslos, abgeschnitten von der Welt.

Die Brüder Ali und Hédi Thabet, beide heute in Belgien lebend, haben dieses Stück entworfen und treten zusammen mit dem dritten Tänzer Lionel About und fünf, teils wohlgenährten Sufisängern, darunter Ayachi, Brahim, Yahyaoui und Soltan, ins Rampenlicht. Gezeigt wurde die französisch-belgisch-türkische Produktion im Ludwigshafener Pfalzbau am 29.04.2014. 

Die besondere Machart des Stückes, das Exotische und wohl auch die Ausscheidungskämpfe im Fußball waren die Gründe, warum sich nur etwa 200 Zuschauer einfanden, um dieses Special-Interest-Stück zu sehen. In 75 Minuten mit dichter orientalischer Atmosphäre und  atemberaubenden Tanzszenen der Brüder Thabet mit About entwickelte sich diese eingangs beschriebene Ausweglosgkeit als eine Bühnenmetapher für die besondere Situation der Maghrebbewohner. 

Eine ganz spezielle Note bekam das Stück durch den erstmaligen gemeinsamen Auftritt der Brüder Thabet. Hédi (37) bekam mit 18 Jahren Knochenkrebs und verlor sein linkes Bein. Erst 10 Jahre später betrat er wieder die Bühne mit Krücken, um Akrobatik und Tanzeinlagen zu üben. Und diese Darbietungen zeugen heute von extremer Körperbeherrschung, großer Kraft und Beweglichkeit, mit der er sehr viele Defizite durch beste Wendigkeit und Flexibilität wettgemacht hat. 




Zwei Worte sind nach Aussage von Ali Thabet (39) maßgebend, das sind REISE und LIEBE. Das erste ist sehr schwer möglich, wir wissen, wie kompliziert es für die Maghrebbewohner sein kann, eine Ausreisegenehmigung zu bekommen. Dementsprechend richtet sich alles Sinnen und Hoffen auf das Außen, drüben in Europa, fern des heimatlichen "Lagers". Dennoch besteht die große Gefahr zu sterben, denn wer illegal geht, der kann an der Grenze erwischt und getötet werden, im Gefängnis landen oder kommt auf ein überfülltes Rettungsboot nach Spanien, Malta, Lambedusa, Sizilien, Griechenland, Türkei, von denen nicht wenige untergehen oder sogar von der Küstenwache abgewiesen oder beschossen werden. Zuletzt kam es zu einem großen Flüchtlingsdrama vor Lampedusa Anfang Oktober 2013. Eine beeindruckende Liste über 30 Jahre Flüchtlingsstrom nach Lampedusa ist im Blog von Gabriele Del Grande (Fortress Europe) zu sehen. Nicht umsonst schreibt einer der Tänzer auf Französisch einen leider kaum lesbaren Text auf eine Wand über die Wünsche, die Hoffnungen der Ausreisewilligen, die vor Lampedusa für wieder einmal 20 Flüchtlinge im Tod endeten. Es folgt am Ende ein zweiter Text, der wohl auch die Lebenseinstellung der Maghrebbewohner widerspiegelt: Beim Kennenlernen des Lebens war es schön wie eine Verlobte, arm zwar, aber unverstellt und offen. Als die Beziehung länger dauerte, wurde der Zauber zerstört wie bei und von einer rachsüchtigen Ehefrau, nur weil sie nicht so war wie die Verlobte. Eine weitere Textbotschaft lautet Fréderic Mandelbaum ... Gemeint ist wohl der jüdische Autor Fritz Mandelbaum, der Österreich verließ, um in New York als Fréderic Mandelbaum, später F. Morton, neu zu leben. Seine Biographie der Rothschilds ist weltbekannt. Das Schicksal des jüdischen Volkes wird hier auf eine Ebene gestellt mit dem Leben der Maghrebbewohner. Auch die Bedeutung des Kapitalismus für die Betroffenen, im Orient der extreme, menschenverachtende, muss hier beachtet werden.  




Dazu die eindringlichen religiösen Gesänge der Sufis, die Worte rituell wiederholen oder kurze Sätze, um ihnen mehr Ausdruck zu verleihen. Handtrommeln dienen als Rhythmusgeber. Sofyann Ben Youssef (Türkei) hat die Stücke arrangiert. Die Sufibewegung war verboten, weil die Gottessucher etwas wollen, was der Islam verbietet: Gott, und damit die Liebe, in diesem Leben zu treffen, zu erfahren. Damit stehen sie in völligem Gegensatz zu der moslemischen Anschauung, dieses Leben ist schlecht wie die Frauen, und nur durch Opferung seines Lebens kommt man in den Genuss des Paradieses, des Gotteskontaktes und der 500 Jungfrauen für die Männer dazu. Der Sufi-Chor zieht immer wieder über die Bühne, nimmt an der Seite Platz, bestreitet eine nächtliche Szene voller Erleuchtung, und gibt auch dem Ein- und Ausatmen als spiritueller Grundübung laut vernehmbar eine Stimme. 

Zum Ablauf: Mit einer Publikumsanimation aus dem Zirkus wird ein Begrüßungsklatschen durch About evoziert, der sich in wildes Klatschen und Tanzen steigert.  Die Sufis treten mit einem Schlag auf, eine Wand wird umgeworfen, Überraschung, Respekt und Autorität werden vereint. Mythologisch verankert beginnt das Geschehen mit Hédi als einbeinigem Tierschädelträger (Esels- oder Kamelschädel) auf Krücken, der seinem Bruder Ali im Rundparcours folgt, ihn ab und zu in den Rücken tritt, damit er aus dem Weg ist. Dann tragen sie sich gegenseitig, üben den clownesken Gleichschritt in der Dreibeinigkeit. Am Ende demaskiert der dritte Tänzer (About) den Einbeinigen, der daraufhin einen derwischähnlichen Tanz zum Gesang mit Trommeln der Sufis beginnt. Später kommen die anderen Tänzer hinzu, einer veräppelt den Einbeinigen und spielt den beinamputierten Bettler, der beim Einbeinigen bettelt. Auch muss der Einbeinige die gesamte Last tragen, zwei Personen kleben an ihm, wollen von ihm bewegt werden. Nach Auftritt des Chores folgen wieder eine Zweierchoreographie, danach ein Befreiungstanz, in dem der Einbeinige Fesseln abstreift, und eine Schlägerei, in deren Folge der Einbeinige stirbt und von seinem Bruder an die Wand mit dem Text über das Leben gelehnt wird.

Das Stück ist wie eingangs dargestellt eine exotische Besonderheit. Wie live aus dem Armenteil der Souks übertragen, kam es sehr gut an, die Zuschauer gaben lang anhaltenden Beifall und riefen die Akteure mehr als fünfmal zurück. Ganz besonders ist die kraftvolle Akrobatik des Hédi Thabet hervorzuheben.