Achtes Kapitel
Der verstörte Flüchtling ritt dem immer heller werdenden Tage über eine fruchtbare Ebne hin entgegen, als er sich zufällig rückwärts wandte, und einige bewaffnete Reiter im raschen Galopp nachkommen sah. Er ahnte die Gefahr, von ihnen ergriffen zu werden, und lenkte seitab in ein nahes Gebüsch, wohl ohne bemerkt zu seyn, denn sie verfolgten ihn nicht, doch hörte er aus seinem Versteck, wie sie Fußreisende sorgfältig ausfragten, ob sie nicht Einem begegnet seyen, an dessen Beschreibung er leichtlich sich selbst erkannte. Sie jagten vorüber, und er kam besorgt aus seinem Hinterhalt hervor. Mit Waffen und Geld war er durch Berthold reichlich versorgt; an die Nothwendigkeit einer Verkleidung aber hatte keiner von Beiden gedacht. Schwer lastete auf Alethes Herzen das Gefühl der Unwürdigkeit einer jeglichen Flucht, und trieb ihn zu den wildesten Thaten, ja zum Selbstmorde an; dann aber fiel es ihm wieder ein, man werde seinen Leichnam finden, ihm Schmach anthun, und sein Andenken noch dauernder brandmarken, indem man ihn für einen ärmlich verzweifelnden Verbrecher ausschreie.Aus einem nahen Hohlwege schlicht ein Benedictinermönch heran. Diese schwarze, weite Umhüllung, dachte Alethes, wäre gut für mein Unglück und meine Sünde.
Er hielt dem Mönche gegenüber, und sprach: leg' ab Dein Kleid, wenn Du leben willst!
Der Mönch begann ohne Widerrede, sich zu entgürten, worauf Alethes mit milderer Stimme sagte: ich bin kein Räuber, wohl aber ein Verfolgter. Nimm hier diese funfzig Dublonen für die Heiligen Deines Klosters, und versprich mir dagegen, den nicht zu verrathen, noch zu bezeichnen, der Dein Gewand von Dir begehrt.
Die Heiligen meines Klosters! lachte der Mönch dumpf in sich hinein. Die sind nicht so arm, daß sie nicht tausendfach süßre Gaben hätten, als Eure arme Dublonen kaufen können. Behaltet das Geld. Zu Eurer Hülfe bin ich ausgesandt.
Indem hatte er seine Umhüllung abgeworfen, nach der Alethes, vom Pferde springend, begierig griff, und sich verkleidete, ohne den dienstwilligen Mönch näher zu betrachten. Dieser aber nahm Alethes abgelegte reiche Kleider sammt dessen Degen und Hut, band Alles an schwere Steine fest, und senkte es in einen nahen Fluß. Dann kam er zurück, sprechend: Ihr braucht doch Euer Pferd nicht mehr, seit Ihr ein Mönch geworden seyd? – Und auf Alethes Nein! ritt der vermeinte Geistliche in einem artigen Reitanzug, den er unter den Mönchskleidern getragen, keck und gewandt mit einem hellen Gelächter davon, nachdem er noch dem Grafen zugerufen hatte: sucht hübsch in der linken Manteltasche Eures jetzigen Kleides, mein edler Vermummter!
Alethes glaubte Yolandens Pagen, Erwin, in der seltsamen Erscheinung erkannt zu haben. Nachsinnend ging er zu dem Fluß hinab, wo er sich unter einiges dichtes Weidengebüsch niederließ, und, in der bezeichneten Tasche suchend, verschiedne Papiere fand, davon ein versiegeltes von Yolandens Hand die Ueberschrift trug: für Alethes. Er erbrach es rasch, und las folgende Worte:
Fluchst Du mir, Alethes? Nennst Du mich den bösen Dämon Deines Lebens, und willst mich meiden fortan, weil ich Deine Bahn so feindlich durchkreuzte? Du denkst es so, Alethes, ach, und Du hast großes Unrecht. Frage Dich nur einmal: Wer kreuzte des Andern Bahn? Ein heitres, leuchtendes Leben führte ich auf meinem Schloß; der eben geordnete Friede hatte die bösen Geister der Politik mit allen ihren Gefahren von mir gebannt, daß ich als ein vergnügtes Kind lächeln konnte, spielend mit meinen Herrlichkeiten zu meiner und vieler andern Menschen Freude. Da kommt mir die Botschaft von Deinen trüben Entwürfen, die unter vornehmen Larven alles Ergötzen verderben wollen, und doch endlich nichts weiter sind, als frevelhafte Eingriffe in die stille, furchtbare Lenkung, die wir Alle nur ahnen, ohne sie zu kennen, wie klug sich auch manche Leute darüber anstellen mögen. Ward denn nicht den Hirten zugerufen von den verkündigenden Engeln: Friede auf Erden! Und Ihr wolltet um ungewissen Ausgangs willen erneuten Krieg. Dann kamst Du selber, edel, schön, geistesgewaltig, und gewannest mein Herz. Dich wollt' ich mir pflücken, zerreißen wollt' ich Deine häßlichen, verwirrenden Entwürfe. Aber sie wucherten in Paris, böses Kraut auf bösem Boden; – o Alethes, Du suchtest Hülfe für die Freiheit, und in Frankreich. Gehn Euch klugen Leuten denn die Augen niemals auf? – Genug davon. Du warst dem schlimmen Siege nahe. Mir blieb nur das letzte Mittel, Dich mit Gaston zu entzweien. Daß Du, tapfrer Deutscher, das arme Schattenbild der abgeschiednen französischen Ritterlichkeit zwingen würdest, darüber blieb mir kein Zweifel. Ich dachte: Gaston bekommt seine Wunde, und behält den Spott im Stillen für sich, wenn Alethes, von aller bösen Politik losgerissen, mit mir vor den Altar tritt. Es kam anders. Du fochtest allzu ernsthaft und Deutsch, und durchfuhrst ihm die nur halblebendige Brust zum Tode. Aber noch ist es an der Zeit zu unserm beiderseitigen Glücke. Du gehst in der Verkleidung, die Dir Erwin übertragen haben wird, mit Hülfe der Pässe bei diesem Blatte, aus Frankreich, und grade nach meinem Schloß. In wenigen Wochen folg' ich Dir, und die schöne Yolande, um derentwillen nicht nur manch ein Fürstenherz, sondern auch Alethes Heroenherz schneller schlug, wird Dein Weib. Aber hüte Dich vor den Spähern des Königs, mein sehr geliebter Freund. Der alberne Mensch mit der Krone ist sehr böse, daß Du ihm sein Spielwerk entzwei gemacht hast, denn weder mehr noch weniger war Gaston für ihn, und fingen sie Dich, es wäre die Frage, ob ich Dich retten könnte. Sey also klug auf alle Weise, das heißt: hilf Dir geschickt durch, und zürne nicht zu Dein und meinem Schaden.
Yolande.
Alethes seufzte in Erbitterung und Wehmuth auf: armer Gaston! Armer Alethes! – Dann sah er die beigelegten Papiere nach, die sichre Pässe enthielten, und Anweisungen an mächtige Beschützer in den wichtigsten Orten auf seinem Wege. Verschmähend riß er dies Alles sammt dem Briefe zu Stücken, und warf es in den Strom.