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Samstag, 14. April 2012

Colin Vallon (Jazz) gestern Abend in Neunkirchen/Saar



Der Konzertflügel als experimentelle Musikmaschine und multifunktionales Instrument


Durch Zufall - ich wollte diesem Freitag, dem 13., doch noch eine Herausforderung abgewinnen - machte ich mich auf den Weg zu Colin Vallon in die Stummsche Reithalle in Neunkirchen/Saar. Das Trio hatte sich glatt vor dem Konzert aufgelöst, der Bandleader allein auf der Bühne mit einem Konzertflügel. Wird das ein guter Abend?, dachte ich mir. Aber andererseits, Abende in der Stummschen Reithalle gehen nicht schief, da kann man sich verlassen, die Auswahl stimmt, der Anspruch, die Qualität der Darbietungen. Und es wurde eine mehr als positive Überraschung.

Colin Vallon setzte sich an sein Piano und hatte bereits mit seinem ersten Lied bzw. nach den ersten Klängen über den isländischen Vulkan Eyjafjallajökull, der im April 2010 ausbrach und dessen riesige Rauchfahne den Flugverkehr lahmlegte, die Zuhörer gefesselt, die andächtig seinen Klangexperimenten vom ersten Ton ab lauschten. Mit einer arbeitenden, brodelnden und dauernd in Bewegung befindlichen Eindringlichkeit breitet sich Rauch, Lava und Bedrohlichkeit des vulkanischen Geschehens aus. Colin Vallon ist nach den Schweizer Musikern Nik Bärtsch (N. Bärtsch's Ronin, LLYRIA bei ECM) und Stefan Rusconi der dritte Jazzer, der für außergewöhnliche Musik sorgt.
Wir haben es nicht mit bloßem immergleich klingendem Pianospiel zu tun, sondern mit einer fantastischen Ausbeute der Klangvielfalt eines Konzertflügels. Seine Technik verwendet sogenannte Klavierpräparationen. Colin greift in die Saiten, manipuliert mit auf die Saiten gelegten Gegenständen aus Holz, Metall, Kunststoff oder mit den Fingern den Klang der Töne, breitet einen experimentellen Teppich unter eine manchmal verlorene, manc
hmal dominante Melodie und verfremdet die Töne, sodass wir glauben, ein Keyboard, andere Originalinstrumente mit dabei zu haben. Typisch ist das insistierende brodelnde Intensiv-Eindringliche im Untergrund. Das Vallon-Klavierspiel ist interessanter und vielseitiger als so manch gefeiertes klimperndes Spiel von Pianogrößen wie Keith Jarrett und anderen. 
Der nächste Song hieß "Merhal", benannt nach seiner türkischen Großmutter, und erinnerte immer wieder, wie auch andere Stücke an diesem Abend an serielle Musik von John Cage. Insistierender Rhythmus im Bass als Percussionersatz, epische Melodien mit sanfter Steigerung und sequentiellen Auflösungen. Auch der dritte Titel aus dem alten Repertoire seiner Musikproduktionen, wobei dieser Titel "Rruga" (albanisch für "der Weg") noch kein hohes Alter hat, er entstammt einem ECM-Album mit gleichem Titel, das vor einigen Monaten erschien. Ein konzertantes, fast klassisches Stück mit tragischem Grundton. 
 
Es folgten zwei neue Kostproben seiner musikalischen Welt. "R2D2", hektische Steigerung mit abrupten Unterbrechungen, technischer Background im Klang mit einem Schlüsselbund oder ähnlichen zusammenhängenden Metallansammlung auf den Saiten, Wiederholungen, jazziges Ausufern. "Ballade" mit leichterem Spiel, Verfremdung durch Kugelketten auf den Saiten. "Le Tombeau" jazzig, lyrisch, auffällig ein fast maschineller Rhythmus im Klang, und ein mittelalterlich-folkloristisches Instrument nachempfunden, gemischt mit minimalistischen Elementen ...Die "Music for a while" von Henry Purcell aus dem 17. Jahrhundert als Trauermarsch stark modernisiert. Als ganz aktuelle Gabe kredenzte uns Colin Vallon sein "Rouge", vor einer Woche in Wien geschrieben, mit festem Anschlag und Percussion auf den Saiten. Das Stück "モンスター" (Kai Chu, jap. "Monster") mit einer kleinen Karimba (afrikanisches Daumenklavier) auf die Saiten gelegt und bespielt sowie Anklänge an Melodien aus Asien und den Anden. Monoton-seriell die Grund-, frei entfaltet die zweite Melodie. Ebenfalls ganz neu: "Immobile". Noch nie aufgeführt, weil einen Tag zuvor, am 12.04. erst geschrieben, mit steigernden Kaskaden, lyrischen Elementen und einem ebensolchen Ausklang, dennoch ein wenig schwächer als die anderen. Vielleicht noch etwas überarbeiten? Mit Titel Nr. 11 einem rhythmischen Galopp und einem verträumten letzten Lied Nr. 12 voller Harmonien, das an einen Marsch von Chopin erinnerte, verabschiedete sich der geniale Schweizer Experimentator von uns, dem wir noch viel Aufmerksamkeit schenken sollten.

Colin Vallon wurde am 17. November 1980 in Lausanne, Schweiz, geboren. Wohnhaft in Yverdon, besuchte er ab dem 11. Lebensjahr klassischen Musikunterricht. Mit 13 hörte er damit auf und entdeckte die Improvisation. Als Autodidakt fing er an, Blues zu spielen. Dann mit 14 Jahren Musikstunden beim Jazzpianisten Marc Ueter. Der Eintritt in die Swiss Jazz School erfolgte mit 18 Jahren. Mit 20 war er schon in der Schweiz und in anderen Ländern bekannt. Seine Lehrer sind Silvano Bazan, William Evans, Manuel Bärtsch und Bert Joris.
1999 gründete er das Colin Vallon Trio, das dieses Jahr (vorübergehend?) aufgelöst wurde mit Lorenz Beyeler und Raphaël Pedroli. 2004 erscheint die CD “Les Ombres“ auf dem CH-Label Unit Records. Seit dieser Zeit benützt er Klavierpräparationen und fängt an neue Techniken zu suchen, um seine Klangpalette zu erweitern. 2007 erscheint die CD “Ailleurs” auf dem Label HatHut Records. 2011 bei ECM "Rruga". Er gewann mehrere Auszeichnungen, so den 3. Preis der Montreux Jazz Piano Solo Competition 2002. Seit 2009 unterrichtet er an der Hochschule der Künste Bern. Auftritte weltweit. Er ist noch mit anderen Bandprojekten zu hören wie Elina Duni Quartett, Lisette Spinnler Siawaloma, Nicolas Masson Parallels, Contreband.

Künstlerwebsite:
http://www.colinvallon.com

Hörproben: