Im Rahmen der X. Festspiele in Ludwigshafen am Rhein unter dem Motto AFRIKA und als Beiprogramm der AFRICTIONS wurden unter dem Titel The Pioneers, am Freitag und Samstag, den 07. und 08.11.2014 sechs Stücke aus unterschiedlichen Ländern Afrikas im Pfalzbau gezeigt. Parallel laufen die meisten Stücke der Reihe in Bremen und Bielefeld. Ich habe mir den Samstagabend angeschaut mit drei sehr unterschiedlichen (Tanz-)Theatern.
WENA MAMELA mit Mamela Nyamza (Südafrika) ist ein One-woman-Stück, das gegen alle Erwartungen gerichtet ist. Klischees werden auf den Arm genommen, Erwartungen nicht erfüllt! Sie trotzt dem Publikum, will sich nicht prostituieren, macht ganz andere Sachen, lässt nur einen Bruchteil Illusion aufkommen. Die Balletttänzerin tanzt nicht, sondern reflektiert ihre eigene Geschichte als schwarze südafrikanische Frau und Tanzkünstlerin. In cremeweißem Bikini zeigt sie eine durchtrainierte Figur, zieht sich legere Flip-Flops an, baut einen Minidschungel oder Balkonienparadies auf, indem sie minutenlang Pflanzen hereinträgt. Sie arbeitet ein wenig darin mit der Spitzhacke, legt sich in dieses Paradies und aufersteht als janusköpfige mythische Frauenfigur, die in zwei verschiedenen Rollen agiert, nachdem sie zuvor für Fotos posierte. Als Mamela ist die Figur von maschinenhaften Geräuschen und Bewegungen geprägt, als Puppenmaske, die die Tänzerin auf dem Rücken und Hinterkopf trägt, ist sie mehr Mensch. Mit Wortspielen zeigt sie verschiedene Perspektiven: „Hoe“, das englische Wort für „Hacke“ steht auch degradierend für „Hure“, aber auch: „Wenn du viel Zeit im Schatten eines Baumes, dem heiligen Ort der Ahnen, verbringst, kannst du eines Tages seine Krone erreichen. Damit ein Baum wächst, braucht er Wasser, Licht, „Hoe“ und Pflug.“
"Hoe, hoe, hoe, you, you, you ... Wie ist Ihr Name? Was verdienen Sie? Wo wohnen Sie? Gefällt es Ihnen, eine schwarze Frau im Theater tanzen zu sehen? Sie ist allein. Stellen Sie sich etwas vor mit ihr? ... Was möchten Sie als nächstes Stück anschauen? Warum dieses Kostüm ohne Musik? ... Ich bin kein Wochenend-Special, aber ich weiß, dass ich für Sie bereit stehen muss, wenn Sie anrufen und kommen wollen ..."
Am Ende gießt sie in ihren hochhackigen Pumps die Pflanzen und spricht zu ihnen wie eine Mama. Sie geht in den Zuschauerraum und flüstert einem Herrn etwas zu, dass sich nur wenige Meter nach hinten fortpflanzt und bei den meisten Zuschauern nie ankommt. Hoe?
In ABBANAY ABBANAY (Tschad) thematisieren Taigue Ahmed und sein Duettpartner Djamal Noudjingar das Thema Traditionen bei Jugendlichen, den Krieg, der allgegenwärtig Kindersoldaten fordert und deren Leben vernichtet. Viele Assoziationen tun sich auf im Spannungsfeld der Generationen zwischen dem Zitharspieler, alten Mann, Vaterfigur und Griot, dem singenden Lehrer und Geschichtenerzähler Afrikas, und den Jungen. Ein Koffer wird hereingetragen, aus ihm kommen Dutzende von Stoffpuppen ans Tageslicht ... Die Kinder der Nation, achtlos auf dem Boden liegend, später achtlos von Jugendlichen niedergetrampelt. Der Kampf gegeneinander zuvor symbolisiert im Kopf-an-Kopf- statt Armdrücken, vielleicht im Krieg getötet, einer nimmt einen Stoffbär, der sich klar von den anderen unterscheidet, zwischen die Zähne und als Beute mit sich ... Fehlt der Griot und Vater, werden die Jugendlichen zu Jacksons, die mit Perücken nach Discomusik tanzen, alle Werte im Krieg verlieren und eben zu Kindermord neigen, so suggeriert es das Stück. Vorbei mit ruhigem Posieren für Fotos, traditioneller Musik und Tanz, der Hiphop hält Einkehr. Mit ihm Tod und Verderben im Krieg.
„Bei uns sind die meisten vaterlosen Jugendlichen obdachlos, ausgebeutet, aggressiv, alkohol- und drogenabhängig. Viele treten in die Armee ein. Ich bin dankbar, zeitgenössischen Tanz erlernt zu haben.“ Ahmed
Das dritte Stück am Abend war LÀ OÙ J'EN SUIS (Check two) - Dort, wo ich bin ... aus dem Kongo. Das Stück verbreitet und ermittelt eine Absurdität im Dasein, eine Sinnlosigkeit zwischen Krieg, Heimat und Flucht. Schon allein die Textskizze von Brazzaville spricht Bände. "Alles spielt sich draußen ab, das Leben, die Leute. Auf dem Marktplatz rempelt ein Ich Personen an, beobachtet ein Mädchen, das 100 Francs fürs Taxi zahlt, isst eine Mango für 40 Francs und wird vom Taxifahrer überfahren, der sich nicht mal drum kümmert." Aufbauend auf einer Testreihe impulsiver Performances auf den Plätzen von Brazzaville nehmen Choreograf und Stück die Überraschungen dieser Streifzüge mit in den Bühnenraum. Philosophisch-absurde Texte zeigen eine eigentümliche Atmosphäre des Gefangenseins, tänzerisch dargestellt von vier Tänzern mit Plastikstühlen, die wie Korsette wirken. Das Unstete auf der Bühne betont durch einen Text, dass Menschen hin- und herziehen zwischen zwei Städten, auf der Flucht. Verrückterweise kommen in diese afrikanische Ausprägung japanische Einflüsse durch eine japanische Tänzerin, die mit ihnen Butoh-Elemente verwirklicht. Kampf und Tanz, Akrobatik und hangelnde Fortbewegung an waagerecht hängenden Gerüststangen oder auf Stühlen, aus Angst vor Bodenberührung! Ein wilder Drehtanz zu einem weiteren Text, der die desolate Gesundheitssituation gleich mit anzeigt: "Vorsicht ...! Die Straßen haben sehr viele Löcher. Die Leute passen auf, dass sie nicht in die Löcher stürzen. Weil Krankenhäuser das Essenzielle zerstören, den Kopf und die Beine der Leute!"
Zu bedrohlicher Musik, E-Gitarre und akustische gemeinsam, entsteht eine geheimnisvolle weiße Figur durch Einwirkung und Übergießen mit bunten Farben. Sie wächst gen Himmel, wird sehr groß und bewegt sich nach hinten, um niederzusinken, zu verschwinden. Aus dem urzeitlichen Bodengesteinmeer ersteht danach eine neue Figur, ein grün bemalter Afrikaner mit rotem Lendenschurz, ein neuer Mensch, einer, der gut auf dem Boden steht, einer, der aus den Löchern kommt, ohne verletzt zu sein. Ein neuer afrikanischer Mensch?
Ein Abend voller Merkwürdigkeiten, Ungewohntheiten, Überraschungen und vielleicht auch etwas Unverständnis, Skepsis. Dennoch, ein Zauber und eine Anziehung waren am Wirken, weil ungewohnt, Tanztheater aus Afrika, nicht aus westlichen Ländern, aber westlich modern, künstlerisch am Puls der Zeit. Ein sehr interessantes Wagnis und Raumschaffung für Neues.
(c) Sarah Fischer |
WENA MAMELA mit Mamela Nyamza (Südafrika) ist ein One-woman-Stück, das gegen alle Erwartungen gerichtet ist. Klischees werden auf den Arm genommen, Erwartungen nicht erfüllt! Sie trotzt dem Publikum, will sich nicht prostituieren, macht ganz andere Sachen, lässt nur einen Bruchteil Illusion aufkommen. Die Balletttänzerin tanzt nicht, sondern reflektiert ihre eigene Geschichte als schwarze südafrikanische Frau und Tanzkünstlerin. In cremeweißem Bikini zeigt sie eine durchtrainierte Figur, zieht sich legere Flip-Flops an, baut einen Minidschungel oder Balkonienparadies auf, indem sie minutenlang Pflanzen hereinträgt. Sie arbeitet ein wenig darin mit der Spitzhacke, legt sich in dieses Paradies und aufersteht als janusköpfige mythische Frauenfigur, die in zwei verschiedenen Rollen agiert, nachdem sie zuvor für Fotos posierte. Als Mamela ist die Figur von maschinenhaften Geräuschen und Bewegungen geprägt, als Puppenmaske, die die Tänzerin auf dem Rücken und Hinterkopf trägt, ist sie mehr Mensch. Mit Wortspielen zeigt sie verschiedene Perspektiven: „Hoe“, das englische Wort für „Hacke“ steht auch degradierend für „Hure“, aber auch: „Wenn du viel Zeit im Schatten eines Baumes, dem heiligen Ort der Ahnen, verbringst, kannst du eines Tages seine Krone erreichen. Damit ein Baum wächst, braucht er Wasser, Licht, „Hoe“ und Pflug.“
"Hoe, hoe, hoe, you, you, you ... Wie ist Ihr Name? Was verdienen Sie? Wo wohnen Sie? Gefällt es Ihnen, eine schwarze Frau im Theater tanzen zu sehen? Sie ist allein. Stellen Sie sich etwas vor mit ihr? ... Was möchten Sie als nächstes Stück anschauen? Warum dieses Kostüm ohne Musik? ... Ich bin kein Wochenend-Special, aber ich weiß, dass ich für Sie bereit stehen muss, wenn Sie anrufen und kommen wollen ..."
Am Ende gießt sie in ihren hochhackigen Pumps die Pflanzen und spricht zu ihnen wie eine Mama. Sie geht in den Zuschauerraum und flüstert einem Herrn etwas zu, dass sich nur wenige Meter nach hinten fortpflanzt und bei den meisten Zuschauern nie ankommt. Hoe?
(c) Sarah Fischer |
„Bei uns sind die meisten vaterlosen Jugendlichen obdachlos, ausgebeutet, aggressiv, alkohol- und drogenabhängig. Viele treten in die Armee ein. Ich bin dankbar, zeitgenössischen Tanz erlernt zu haben.“ Ahmed
Das dritte Stück am Abend war LÀ OÙ J'EN SUIS (Check two) - Dort, wo ich bin ... aus dem Kongo. Das Stück verbreitet und ermittelt eine Absurdität im Dasein, eine Sinnlosigkeit zwischen Krieg, Heimat und Flucht. Schon allein die Textskizze von Brazzaville spricht Bände. "Alles spielt sich draußen ab, das Leben, die Leute. Auf dem Marktplatz rempelt ein Ich Personen an, beobachtet ein Mädchen, das 100 Francs fürs Taxi zahlt, isst eine Mango für 40 Francs und wird vom Taxifahrer überfahren, der sich nicht mal drum kümmert." Aufbauend auf einer Testreihe impulsiver Performances auf den Plätzen von Brazzaville nehmen Choreograf und Stück die Überraschungen dieser Streifzüge mit in den Bühnenraum. Philosophisch-absurde Texte zeigen eine eigentümliche Atmosphäre des Gefangenseins, tänzerisch dargestellt von vier Tänzern mit Plastikstühlen, die wie Korsette wirken. Das Unstete auf der Bühne betont durch einen Text, dass Menschen hin- und herziehen zwischen zwei Städten, auf der Flucht. Verrückterweise kommen in diese afrikanische Ausprägung japanische Einflüsse durch eine japanische Tänzerin, die mit ihnen Butoh-Elemente verwirklicht. Kampf und Tanz, Akrobatik und hangelnde Fortbewegung an waagerecht hängenden Gerüststangen oder auf Stühlen, aus Angst vor Bodenberührung! Ein wilder Drehtanz zu einem weiteren Text, der die desolate Gesundheitssituation gleich mit anzeigt: "Vorsicht ...! Die Straßen haben sehr viele Löcher. Die Leute passen auf, dass sie nicht in die Löcher stürzen. Weil Krankenhäuser das Essenzielle zerstören, den Kopf und die Beine der Leute!"
Zu bedrohlicher Musik, E-Gitarre und akustische gemeinsam, entsteht eine geheimnisvolle weiße Figur durch Einwirkung und Übergießen mit bunten Farben. Sie wächst gen Himmel, wird sehr groß und bewegt sich nach hinten, um niederzusinken, zu verschwinden. Aus dem urzeitlichen Bodengesteinmeer ersteht danach eine neue Figur, ein grün bemalter Afrikaner mit rotem Lendenschurz, ein neuer Mensch, einer, der gut auf dem Boden steht, einer, der aus den Löchern kommt, ohne verletzt zu sein. Ein neuer afrikanischer Mensch?
Ein Abend voller Merkwürdigkeiten, Ungewohntheiten, Überraschungen und vielleicht auch etwas Unverständnis, Skepsis. Dennoch, ein Zauber und eine Anziehung waren am Wirken, weil ungewohnt, Tanztheater aus Afrika, nicht aus westlichen Ländern, aber westlich modern, künstlerisch am Puls der Zeit. Ein sehr interessantes Wagnis und Raumschaffung für Neues.