TEUFELSKINDER von Jules Amedée Barbey D'Aurevilly
Eines der Meisterwerke des Balletts am NTM ist ALPHA-OMEGA von Kevin O'Day mit seiner Premiere am 6. November 2015 geworden. Zum Ende der 14. Spielzeit der jetzigen Ensemblekonstellation und Aufgabe des alten Labels präsentierte der Ballettintendant und Choreograph zusammen mit seinem Kevin O'Day Ballett in Mannheim eine hervorragende Arbeit mit dem New Yorker Komponisten John King, dem Bühnen- und Kostümdesigner Thomas Mika, dem New Yorker Lichtdesigner Mark Stainley, Fotoarbeiten in Videoprojektion des Mannheimer Fotografen Peter Schlör und dem Kinderchor des Mannheimer Nationaltheaters.
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(c) Hans Jörg Michel |
John King, der für bedeutende Auftraggeber wie die Ballettensembles aus New York, Stuttgart und Monte Carlo komponiert und selbst Opern geschrieben hat, so Herzstück/Heartpiece nach einem Text von Heiner Müller, La belle captive nach Alain Robbe-Grillet und Dice Thrown nach Stéphane Mallarmé kam in 2015 noch mit Piano Vectors für 6 Flügel in New York zur Uraufführung. Er arbeitet seit 20 Jahren mit Kevin O'Day zusammen.
Thomas Mika, ein studierter Musiktheater-Regiesseur, hat mit 25 sein erstes Kostüm- und Bühnenbild für das Staatsballett Berlin geschaffen, arbeitet mit bedeutenden Ballettcompagnien zusammen und hat mit ALPHA-OMEGA seine vierte Kooperation mit Kevin O'Day. Er erhielt von O'Day die Gedichte FOUR QUARTETS von T.S. Eliot zusammen mit dem Auftrag und nutzte diese Inspirationsquelle, besonders die Gedichte SHIFTING STAR und SHAFTS OF SUNLIGHT, sowie die allgemeinen Impressionen von Landschaft. Seine Idee der Lichtschächte am linken Bühnenbildrand gibt der Bühne etwas Martialisches, sie spucken allerdings ganz friedlich nur Licht und Sterne aus ... Die Sterne aus den Schächten werden zum begehrten Objekt, Kommunikationsmittel und Spielzeug.
Mark Stanley ist Associate Professor für Lichtdesign an der Bostson University und hat allein für 190 Premieren des New York City Balletts das Licht gestaltet. In satter Ausleuchtung ohne Aufdringlichkeit bekommt alles eine hohe Brillianz. Die Fotomotive von Thomas Schlör in Videoprojektion geraten so dominant in den Fokus des Zuschauers und bilden Kulisse für das Tanzgeschehen.
Kevin O'Day lässt vor Beginn seiner träumerischen Bühnenmetapher zu Geburt, Leben und Tod von einzigartigen Wesen, die wohl durch die Sterne im Universum symbolisiert werden, die Besucher 10 Minuten vor Beginn im Foyer abholen. Als singende Boten (eventuell T.S.-Elliot-Verse) strömen die Kinder in die wartende Menge und sammeln langsam alle Besucher. Gemeinsam betreten sie das Schauspielhaus, die Boten voraus. Die Zuschauer erwartet eine riesige Bühne mit Tiefe, Helligkeit wie bei Vollmond und ein bühnenbreiter Brunnen. Die Sonnenlichtschächte zur Linken und überall Sterne auf dem Boden. Ein Baum von Schlör überdimensional und wie beim Großteilepuzzle nicht vollständig auf den Zwischenwänden. Der Chor nimmt Platz am Wasser wie kleine buddhistische Mönche im Schneidersitz, allerdings in Weiß (alte Herrenoberhemden bewusst als "Kutten", das Gebrauchte). Die Verteilung der Sterne beginnt, Paare fangen an zu tanzen, eines spielt am Wasser, anderen liegen zwischen den Sternen, 1 Tänzer trinkt in biblischer Theatralik. Die von der Art her serielle Musik wandelt sich vom klassischen Streich-Quartett-Charakter zu experimenteller, elektronisch verzerrter. Spalier für Solotanz, ineinandergreifende Ketten von Tänzern, wildes Treiben zu aufleuchtenden Sonnenlichtschächten, kreuz und quer rennende Tänzer zur Auflösung von statischen Bildern sind Bausteine der Choreografie. Immer wieder rastet ein Paar am Wasser.
Alles eilt einem Höhepunkt entgegen, der im Jazzgesang von Antonia Schuchardt erreicht ist. Das Ende der Dinge, "The last days of fire and sun", kommt an, regungslose Tänzer aufgereiht am Boden, am Bühnenrand unterhalb des projizierten Baums bewegen sich Tänzer in einer Reihe wie bei einem ekstatischen Ritt oder wie bei einer rituellen Handlung zur an sich monoton-seriellen, dennoch rhythmischen Musik. Während sich eine Reihe immerzu verbeugt, bilden sich lose Gruppierungen auf der Bühne, am Ende dann eine Zeugenreihe der Tänzer, das Quartett betrachtend, mit dem Rücken zu den Zuschauern. In ihrem Rücken tanzen verschiedene Solotänzer und final fast das ganze Ensemble im Brunnen, die anderen davor hockend und die Wasserspiele unterstützend. Der Traum ist vorbei ...
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(c) Hans Jörg Michel |
Ein wirklich großartiges letztes Stück des Kevin O'Day Balletts, überzeugend, ästhetisch, spannend, mit fesselnder Musik in einem ungewöhnlichen Bühnenbild. Absolute Begeisterung bei den Premierengästen.
Letzten Freitag, den 03. Mai 2013, wurde Othello (der Mohr von Venedig) im Nationaltheater Mannheim gespielt, nicht als der traditionelle Dramen-Fünfakter, wie er von Shakespeare stammt, sondern auf zwei Akte und 22 Szenen Handlungsballett verändert.
Ballettdirektor und Chefchoreograf Kevin O'Day hat alle wesentlichen Botschaften rausgearbeitet und das Drama ohne gesprochenen Text in Szene gesetzt. Bisweilen verwendet die Musik Zitate aus der Dramatik der Stummfilme, gerade in Szenen der Handlungszuspitzung. Dem tänzerischen und musikalischen Ausdruck fließt sehr viel mehr Bedeutung zu, innerpersönliche Konflikte werden in Bewegungen umgesetzt, die Waffenübungen Othellos, Cassios und Jagos als Spannungsmomente, die Liebesdramatik herausgestellt ebenso wie die Beziehungen der Protagonisten allgemein.
O'Day setzt mit seinem musikalischen Leiter Joseph Trafton Musik der Minimal Music und des Postminimalismus ein, aufwühlende und aufregende Musik von John Adams, Jefferson Friedman, Philip Glass, Aaron Jay Kernis, David Lang. Tatyana van Walsum baute aus der Drehbühne des Nationaltheaters große, eliptisch abgeteilte Handlungsfelder, so dass alles im Fluss und nichts statisch wirkt. Es entstehen immer Nischen und versteckte bzw. verdeckte Räume in der Zirkulation, die genug Zauber aufbauen, um eine große Handlungsfläche auf die Bühne zu imaginieren. Das Lichtkonzept von Mark Stanley setzt auf beeindruckende Kontrastspiele und Romantizismen, aber auch auf klare helle Handlungsfelder.
Großes Lob auch für das Ensemble, das große Erfahrung und ausgereifte Techniken zeigt. Ein überzeugender Othello, Jago und Cassio, eine reizende Desdemona, Emilia, Bianca und Lodovica.
Die Handlung
Der Mohr Othello ist Feldherr in der Armee der Republik Venedig. Er hat die junge, schöne und wortgewandte Desdemona heimlich und ohne das Wissen ihres Vaters Brabantio geheiratet. Der gehässige Fähnrich Jago, der gehofft hatte, von Othello zum Leutnant befördert zu werden, sieht nun den unerfahrenen Cassio diese Stelle einnehmen. Othello vertraut ihm vollkommen, Jago sinnt hingegen auf Rache. Der junge Rodrigo, der unglücklich in Desdemona verliebt ist, hilft Jago bei seiner Intrige, wird jedoch von diesem ausgenutzt und schließlich ermordet.
Als Brabantio durch Jago von der Liebschaft erfährt, will er Othello vor Gericht zerren, weil er vermutet, dass Zauberei im Spiel gewesen sei – niemals könne seine Tochter freiwillig einen Mohren lieben. Othello und Desdemona versichern ihm und dem Dogen, der als Vermittler eintritt, dass die Liebe ganz ohne Magie zustande gekommen sei, so dass Brabantio ihnen widerwillig seinen Segen geben muss. Dann wird Othello jedoch nach Zypern abkommandiert, wo ein Angriff der osmanischen Flotte erwartet wird. Desdemona, Cassio, Jago und dessen Ehefrau Emilia begleiten ihn.
Jago spinnt nun eine Intrige: Mit Rodrigos Hilfe gelingt es ihm, Cassio in einen Streit zu verwickeln, der ihn Othellos Zorn aussetzt. Dem verzweifelten Cassio rät er freundschaftlich, bei Desdemona Vermittlung zu suchen, um die Gunst Othellos wieder zu erlangen. Als Othello Augenzeuge des Treffens von Desdemona und Cassio wird, fällt es Jago leicht, Othellos Eifersucht zu wecken und ihm einzureden, dass Desdemona ihn mit Cassio betrüge. Ein Taschentuch, das Desdemona verliert, wird ihm zum entscheidenden Indiz: Emilia liest es auf, Jago entreißt es ihr und schiebt es dem unwissenden Cassio unter. Desdemonas Unwissen über den Verbleib des Taschentuchs deutet Othello als Lüge. Als er schließlich das Tuch in Cassios Händen sieht, ist er endgültig von Desdemonas Untreue überzeugt. Blind und rasend vor Eifersucht glaubt er ihren Beteuerungen nicht und erdrosselt sie in ihrem Ehebett. Jagos Frau Emilia kann Othello zwar noch über den wahren Sachverhalt aufklären, wird dann aber von ihrem Ehemann ermordet. Jago wird verhaftet und die Intrige kommt ans Licht. Als Othello seinen Irrtum begreift, ersticht er sich. Das Urteil über Jago liegt zum Schluss bei Cassio, der mit Othellos Tod das Amt des Gouverneurs erbt. (wikipedia)
Handlungsballett erfordert eine große Abstraktionsfähigkeit und auch Vorkenntnisse des Stückes. Ohne die Kenntnisse der Handlung und handelnden Personen gerät alles leicht zur Verwirrung. Eine Beschäftigung mit der Materie vorab ist ratsam.