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Mittwoch, 8. Januar 2014

Prosa: TEUFELSKINDER (16) - Vom Mahle der Lästerer (3) - von Jules Amedée Barbey d'Aurevilly

Vom Mahle der Lästerer


3

Akt um 1860
»Eigentlich war es gar keine Ironie«, fuhr Mesnilgrand fort, »daß wir die Rosalba Pudika nannten, denn dieser Name stand ihr auf der Stirn. Die Schöpfung hatte ihn mit Rosenschrift darauf geschrieben. Sie machte nicht nur in Anbetracht dessen, was die doch war, einen zum Verwundern keuschen Eindruck. Es schien, als hätte sich die Natur in ihr den Scherz gewagt, Wollust und Keuschheit zu mischen und mit dieser himmlischen oder teuflischen Mischung die höchste Sinnenfreude, die ein Weib einem Mann zu gewähren vermag, in die Welt zu setzen. Es war keine Heuchelei dabei. Die Rosalba war keusch wie sie wollüstig war, und das Allermerkwürdigste: sie war beides zugleich. Sie konnte die gewagtesten Dinge sagen oder tun, es war etwas entzückend Verschämtes in ihrem Wesen, etwas in hohem Grade Rätselhaftes. Das ist mir unvergeßbar. Sie ging aus dem tollsten Bacchanal hervor wie Eva vor dem ersten Sündenfall. Dieses nach grenzenloser Hingabe kaum mehr lebende, zu Tod erschöpfte Weib war dann wieder die unberührbare Jungfrau, voll von neuem Zauber holdester Verwirrung und rosiger Schamhaftigkeit. Dieser Wandel machte einen rasend vernarrt in sie. Die Sprache hat nicht die Mittel, dies in die rechten Worte zu fassen.«

Der Erzähler machte eine nachdenkliche Pause. Keiner der ganzen Tafelrunde brach das Schweigen.

»Ihr könnt euch denken«, fuhr Mesnilgrand fort, »daß diese Seltsamkeit erst nach und nach bekannt wurde. Zunächst sah man an ihr nichts als ein hübsches junges Mädchen. Hätte der Major, als er zum Regiment kam, sie uns als seine rechtmäßige Frau oder als seine Tochter vorgestellt, so hätten wir es ihm ruhig geglaubt. >Ein verteufelt schönes Weib!‹ flüsterten die Weiberkenner. ›Aber eine Zierpuppe !‹ Damals lagen wir an der Grenze zwischen Spanien und Portugal. Wir waren hinter den Engländern her und rasteten in Orten, die unserem König Joseph nicht ganz feindselig waren. Der Major und die Rosalba lebten wie in einer heimatlichen Garnison.

Gewiß erinnert ihr euch, mit welcher Erbitterung der Krieg in Spanien geführt wurde, dieser langwierige Krieg, dem kein anderer glich. Aber zwischen den heißen Kämpfen und blutigen Schlachten gab es doch Zeiten, wo wir uns mitten in dem halberoberten Lande damit belustigten, den nicht ganz ›Afrancesadas‹ unserer Standorte Feste zu geben. In jenen Tagen war es, wo die Rosalba, die längst die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, allgemein berühmt wurde. Sie leuchtete unter den dunkelhäutigen Schönheiten des Landes wie ein Diamant in einem Diadem von Similisteinen, wie eine echte Perle an einer Perlmutterkette. Und es dauerte nicht lange, so waren alle Offiziere in sie verschossen, vom jüngsten Leutnant bis zum Divisionsgeneral. Sie war mit einem Male zum Mittelpunkt eines Kreises zügelloser Männer geworden. Wie ein Sultan warf sie ihr Taschentuch dem zu, der ihr gefiel – und es gefielen ihr viele. Der Major tat, als sähe er nichts von alledem. War er zu selbstgefällig, um eifersüchtig zu sein, oder schmeichelte es ihm, seine Kameraden, die ihn, wie er wohl wußte, verachteten oder haßten, unter dem Bann dieses Weibes zu sehen, deren Herr und Gebieter er war? Manchmal sprühte dunkles Feuer in seinen smaragdgrünen Augen, wenn sie sich auf einen unter uns richteten, von dem man gerade munkelte, er sei der Auserkorene seiner Gefährtin. Und da man immer das Niederträchtigste annahm, so legte man seine Gleichgültigkeit oder Blindheit in der für ihn übelsten Weise aus. Man meinte, sie sei weniger das Aushängeschild seiner Eitelkeit als vielmehr ein Köder, den sein Ehrgeiz auswarf. Dies und ähnliches ward gesagt, wie derlei eben gesagt wird. Er wußte davon nichts. Mir, der ich Anlaß hatte, ihn zu beobachten, war die unerschütterliche Haltung dieses Mannes, der Tag für Tag von seiner Geliebten betrogen wurde, ein Rätsel.

Bei der Zügellosigkeit, die sie in die Arme so vieler in Liebesdingen nichts weniger als heiklen Offiziere trieb, war Rosalba sehr bald im ärgsten Ruf, aber vor der Welt vergab sie sich nichts. Man gestatte mir diesen spitzfindigen Unterschied.

Wenn sie einen Geliebten hatte, war dies für sie ein Geheimnis ihres Schlafzimmers. Ob ihres Benehmens vor der Welt hatte der Major nicht den geringsten Anhalt, der Rosalba Vorwürfe zu machen. Wenn sie gewollt hätte, wäre es ihr wohl möglich gewesen, ihr Geschick an einen andern zu ketten. Einmal war ein Marschall so vernarrt in sie, daß er ihr aus seinem Marschallstock einen Sonnenschirmstock machen ließ. Aber wie die Frauen nun einmal sind. Die Karpfen sehnen sich nach ihrem Schlamm zurück, sagt Frau von Maintenon. Die Rosalba brauchte sich gar nicht erst zurückzusehnen. Sie blieb gleich drin, und ich sprang auch hinein ...«

»Bis dahin aber?« warf Mautravers wißbegierig ein.

»Wahrlich, da gibt es nicht viel zu berichten. Ihr kennt alle das schöne Lied aus der Regentschaft:

Quand Boufflers parut à la cour,
On crut voir la reine d'amour.
Chancun s'empressait à lui plaire,
Et chacun lavait... à son tour.

Eines Tages kam auch ich an die Reihe. Ich hatte bis dahin schon Weiber gehabt die schwere Menge. Das kann ich wohl sagen. Aber daß es solche wie die Rosalba gab, hatte ich mir nicht träumen lassen. Der Schlamm war ein Paradies. Ich bin kein Romanschreiber. Also kann ich es euch nicht bis eins einzelne schildern. Ich war ein Mann der Tat, der die Weiber nahm wie der Graf Almaviva – brutal. Ich war auch bei der Rosalba kein Romantiker. In dem Glück, das sie mir gewährte, spielten Seele, Geist, Eitelkeit nicht die geringste Rolle. Und doch hatte auch diese Liebe ihre Tiefe. Den Abgrund der Sinnlichkeit. Wie soll ich das deutlicher machen? Ich finde kein einigermaßen passendes Bild.

Ihr könnt euch vorstellen, daß ein Weib, das schon bei dem flüchtigsten Blick erglüht, vor Wollust lodert, wenn man es nicht bloß mit den Augen reizt. Ihr Leib war im Genuß ein Erlebnis. Und mit diesem, Leibe bereitete sie mir eines Abends ein Fest. Sie hatte die Kühnheit, mich zu empfangen, angetan nichts als ein durchsichtiges Gewand aus indischem Musselin. Ihr Körper schimmerte durch diesen Schleier, der zart wie ein Hauch war, dem Beben, mit seinen reinen Linien, mit dem Rosenrot der Scham und der Wollust. Sie sah in ihrer wolkigen Hülle aus wie ein lebendiges Bildwerk aus mattem Korall. Seitdem habe ich keinen Gefallen mehr an der weißen Haut der andern Weiber. Sie reizen mich nicht...«

Er warf eine Orangenschale, mit der er gespielt hatte, mit der Gebärde der Geringschätzung von sich.

»Unser Verhältnis dauerte einige Zeit«, fuhr Mesnilgrand fort, »ohne daß ich es satt bekam. Man kriegt solch ein Weib nicht satt. Sie verstand es, in das Erdenhafte etwas Überirdisches zu bringen. Trotzdem gab ich sie auf. Aus Selbstachtung. Aus Verachtung ihres Stolzes, der sogar in der tollsten Raserei jedwede Liebe und Achtung zu mir leugnete. Sie war eine Sphinx. Ein unerforschbares Rätsel. Aber eine glühende Sphinx. Ihre Doppelnatur reizte und verdroß mich. Überdies hatte ich die Gewißheit, daß sie sich gleichzeitig noch andere Seitensprünge erlaubte. Das alles gab mir die Kraft, mit einem Ruck die Zügel zu zerreißen, durch die mich diese Sirene an sich gefesselt hatte. Ich verließ sie, oder besser gesagt, ich ging nicht mehr zu ihr. Ich mied sie mit der Überzeugung, daß es kein zweites Weib wie sie gab. Das feite mich vor allen Weibern. Erst jetzt ward ich Soldat im eigentlichen Sinne. Ich lebte nur noch für den Krieg. Die Rosalba hatte mir das Wasser der Vergessenheit gereicht...«

»Und so bist du ein Achill geworden!« sagte der alte Mesnilgrand voll Stolz vor sich hin.

»Ein paar Monate, nachdem ich mit ihr gebrochen hatte«, erzählte der Rittmeister weiter, »setzte sich der Major Ydow im Kaffeehaus an meinen Tisch, und ich erfuhr von ihm beiläufig, daß seine Geliebte Gefährtin einem gewissen Ereignis entgegensah. Die Herren, die mit am Tisch saßen, blickten einander bedeutungsvoll an. Man lächelte. Aber der Major merkte es nicht oder wollte es nicht bemerken. Als er gegangen war, fragte mich einer meiner Regimentskameraden: ›Ist das dein Kind?‹ Heimlich hatte ich mir bereits die nämliche Frage vorgelegt. Ich getraute mir weder laut noch leise eine Antwort. Die Rosalba hatte mir nie eine Andeutung davon gemacht, auch nicht in der vertrautesten Stunde, und so konnte das Kind von mir, vom Major, von wer weiß wem sein ...«

»Das Kind des Regiments!« warf Mautravers dazwischen.

Mesnilgrand fuhr fort:

»Wie schon gesagt, die Rosalba war eine Sphinx, die ihre Geheimnisse wahrte. Sie in anderen Umständen zu wissen, machte einen merkwürdigen Eindruck auf mich. Ein paar Tage dachte ich an nichts anderes als daran: Ist dies Kind von mir? Schließlich aber legte sich diese kleine väterliche Beunruhigung. Es kamen Dinge, die mich stärker in Anspruch nahmen als der Zustand der Rosalba. Wir schlugen uns bei Talavera. Der Eskadronchef Titan fiel, und ich übernahm seine Schwadron.

Das wüste Gemetzel jener Tage steigerte die Feindseligkeit des Landes auf das äußerste. Wir kamen keinen Augenblick zur Ruhe. Die Rosalba folgte dem Regiment auf einem der Gepäckwagen, und dort kam auch ihr Kind zur Welt. Wenige Tage alt starb es. Der Major, der das kleine Geschöpf abgöttisch liebte – er glaubte offenbar, es sei unbedingt sein Kind –, war tiefbetrübt darüber und zeigte seinen übertriebenen Schmerz derartig aller Welt, daß man das Lächerliche daran übersah. Man vergaß, daß er unbeliebt war. Man bedauerte ihn. Die Rosalba hatte nichts an ihrer Schönheit eingebüßt. Sie trotzte jedwedem Angriff des Lebens. Bei dieser ihrer Natur hätte sie uralt werden können...«

»Sie ist also nicht uralt geworden, die Landstürzerin?« unterbrach ihn Ranconnet, den das Schicksal dieser Frau in Spannung versetzt hatte. Die Begegnung in der Kirche hatte er für den Augenblick vergessen. »Und du weißt etwas von ihrem Ende?«

»Etwas, ja!« erwiderte der Rittmeister mit eigentümlicher Betonung, wie um darauf zu deuten, daß er jetzt zum Kern seiner Geschichte gelange.

»Alle Welt hat geglaubt, und du auch, daß sie zusammen mit dem Major in den wilden Tagen von Talavera umgekommen sei. Es sind damals so viele verschollen. Aber das Schicksal der Rosalba war besonders seltsam. Ich will es erzählen.«

Mesnilgrand stützte die Ellbogen, auf den Tisch. Der Rittmeister Ranconnet umfaßte mit der Rechten den Stengel seines Weinglases wie den Griff seines Säbels.

Mesnilgrand begann von neuem:

»Der Krieg nahm kein Ende. Die wütenden Spanier, die fünfhundert Jahre darauf verwendet haben, die Mauren aus dem Lande zu vertreiben, hätten die gleiche Zeit auch uns gewidmet, wenn es hätte sein müssen. Wir drangen nur schrittweise vorwärts. Die eroberten Ortschaften mußten wir sofort befestigen und als Wall gegen den Feind verwenden. So kamen wir in den kleinen Ort Alcudia und blieben dort eine Zeitlang. Das große Kloster ward zur Kaserne verwandelt. Die Offiziere des Regiments lagen in den Häusern. Der Major beim Dorfschulzen. Da das Haus geräumig war, kamen die anderen Herren manchmal hin. Mit den Einwohnern verkehrten wir nicht. Der Franzosenhaß war zu toll geworden.

Die Rosalba war an diesen Empfangsabenden die Dame des Hauses und bewirtete uns mit einem Glas Punsch in ihrer unnahbaren Haltung, die mich immer ein Witz des Teufels dünkte. Draußen krachten die Schüsse der Vorposten.

Ich kümmerte mich nicht darum, wer meine Nachfolger in ihrer Gunst waren. Ich hatte mich völlig von ihr befreit und empfand weder Groll noch Eifersucht, noch die Bitternis der verletzten Eitelkeit. Ich war Zuschauer geworden. So scheute ich auch nicht das Haus des Majors. Die Rosalba unterhielt sich mit mir im Kreise der ändern, als hätten wir einander nie nahegestanden. Der Sinnenrausch von ehedem war verweht. Mitunter aber verspürte ich doch leise Sehnsucht nach dem Nocheinmal, ähnlich wie vor einem letzten Glas Sekt, das man schon beiseite geschoben hat, das man aber doch wieder ergreifen möchte, weil irgendein Lichtschimmer den Rest verlockend durchfunkelt.

Dies sagte ich ihr eines Abends, als ich einmal allein mit ihr war. Früher denn sonst hatte ich das Kaffeehaus verlassen, wo die Offiziere zusammensaßen beim Billard- und Kartenspiel. Es war ein heißer, beinahe afrikanischer Abend. Die glühende Sonne wollte sich nicht losreißen vom Himmel. Ich fand die Rosalba, kaum bekleidet, mit nackten Schultern, die schönen Arme bloß. Das Haar fiel ihr schwer in den Nacken, der in der Abendbeleuchtung erdbeerfarben schimmerte. Sie war verführerisch wie eine Teufelin.

So halbnackt saß sie am Tisch und neigte sich über einen Brief, den sie schrieb. Wenn sie etwas zu schreiben hatte, war es natürlich an einen Liebhaber zwecks erneuter Untreue. Als ich eintrat, war der Brief gerade fertig. Rosalba siegelte ihn zu und hielt eben die blaue silbergesprenkelte Siegellackstange in die Flamme einer vor ihr brennenden Kerze. Ich sehe alles das noch deutlich vor mir. Warum, das werdet ihr nun hören. ›Wo ist mein Mann?‹ fragte sie mich, in jener merkwürdigen Verwirrung, in die sie stets geriet, wenn sie in Gegenwart eines Mannes war.

›Beim Jeu. Er spielt wieder einmal wie wahnsinnig‹, berichtete ich ihr, die goldige Locke in ihrem Nacken betrachtend, die ich so oft geküßt hatte, und fügte scherzend hinzu: ›Irgendeine Tollheit ergreift an solch einem Abend jeden ...‹

Sie verstand mich, ohne davon überrascht zu sein. Sie war an die Lüsternheit der Männer genugsam gewöhnt. ›Torheit!‹ erwiderte sie langsam, während sich das heiße Rot ihrer Wangen zu Purpur wandelte. ›Ihre Tollheit ist vorüber.‹ Während sie dies sagte, drückte sie das Siegel auf das siedende Wachs, das alsbald erstarrte. ›Sehen Sie da‹, fuhr sie im Ton der Herausforderung fort. ›Ein Gleichnis Ihres Herzens! Im Augenblick noch siedend heiß und gleich darauf starr und kalt!‹

Damit drehte sie den Brief um und wollte die Aufschrift beginnen. Ich war wahrlich nicht eifersüchtig, aber doch begehrte ich zu wissen, an wen der Brief gerichtet sei. Ich beugte mich von rückwärts über sie. Indem ich sie dabei berührte, lehnte sie sich zurück und sah mich ver- wirrt-lüstern an, wie einen die Rosalba anzusehen pflegte, mit halbgeöffneten Lippen...

Da hörten wir den Major die Treppe heraufkommen.

Die Rosalba sprang auf.

›Er wird uns eine schreckliche Szene machen! Sicherlich hat er viel verloren, und dann ist er immer eifersüchtig und heftig. Schnell! Verstecken Sie sich in dem Schrank da!‹

Sie öffnete einen großen Kleiderschrank und drängte mich ohne weiteres hinein. Was sollte ich tun? Übrigens glaube ich, es gibt kaum Männer, die nie in ihrem Leben in einem Kleiderschrank oder in etwas Ähnlichem gesteckt haben, um dem Ehegatten oder dem rechtmäßigen Eigentümer eines weiblichen Wesens zu entgehen...« »Ich hab' einmal in einen Kohlenkasten kriechen müssen!« warf Selune lachend ein. »Ich war damals weißer Husar. Man stelle sich vor, wie ich ausgesehen habe, als ich wieder heraus durfte.« »Ja«, nahm der Rittmeister Mesnilgrand wieder das Wort. »Unter gewissen Umständen sind die verwegensten Kerle Feiglinge, einer zitternden Frau zuliebe. Wenn ich an den Schrank denke, wird mir noch heute übel, nach so vielen inhaltsreichen Jahren. Den Säbel an der Seite, in einem Kleiderschrank zu stecken, das ist der Gipfelpunkt der Lächerlichkeit! Noch dazu eines Frauenzimmers wegen, die gar keine Ehre zu verlieren hatte!

An derlei zu denken, hatte ich natürlich keine Zeit. Der Major war inzwischen in die Stube getreten. Die Rosalba hatte richtig vorausgesehen. Ydow befand sich in rasender Stimmung. Seine Anfälle von Eifersucht waren um so maßloser, gerade weil er sie vor uns zu verbergen ängstlich bemüht war. Offenbar fiel sein erster Blick auf den Brief, der auf dem Tisch liegengeblieben war und dank unserer verliebten Anwandlung noch keine Aufschrift trug. ›Was ist das für ein Brief?‹ fragte er mit rauher Stimme. ›Ein Brief nach Italien!‹ gab die Rosalba gelassen zur Antwort. Mit diesem Bescheid gab er sich nicht zufrieden. ›Das ist nicht wahr!< rief er grob. Seine Gemeinheit trat zutage. An diesem kurzen Wortwechsel erkannte ich den Ton, der zwischen den beiden Eheleuten herrschte. Sie hatten tagtäglich derartige Auftritte. Ich in meinem Schrank sah nichts, hörte aber alles. Ich vernahm sozusagen aus ihren Worten ihre Gesten, aus dem Klang ihrer Stimmen den Ausdruck ihrer Wut. Der Major verharrte dabei, den Brief lesen zu wollen, aber Rosalba weigerte sich hartnäckig, ihn herzugeben. Nun wollte er ihn mit Gewalt entreißen. Die Tritte der Füße und das Rascheln der Kleider zeigten mir an, daß sie miteinander rangen. Natürlich war der Major stärker als sie. Er entwand ihr den Brief und las ihn. Er ersah daraus, daß sie einen Liebhaber zu einem Stelldichein einlud, daß der Betreffende bereits beglückt worden war und daß er abermals von neuem beglückt werden sollte. Nur war der Name des Geliebten nicht genannt. Maßlos neugierig wie alle Eifersüchtigen war der Major auf den Namen dessen erpicht, mit dem er betrogen wurde. Aber umsonst. Das war die Vergeltung für den rohen Raub des Briefes und die vielleicht blutige Mißhandlung der Hand, die ihn festhalten wollte. Rosalba hatte im Kampf geschrien: ›Lump, du reißt mir die Hand ab!‹ In Ungewißheit gelassen, vernarrt, verhöhnt durch diesen Brief, der ihm nichts verriet, als daß Rosalba einen Liebhaber hatte – einen mehr –, geriet der Major in rasende, würdelose Wut und überschüttete seine Geliebte mit gemeinen Schimpfworten, mit groben Landsknechtsflüchen. In den rohesten Worten warf er ihr vor, sie sei – nun, was sie ja war. Er fand kein Maß. Auf alles das antwortete sie als echtes Weib, das keine Rücksicht mehr nimmt, das den Mann, an den sie gekettet ist, bis in die Eingeweide kennt und das längst weiß, daß in der Tiefe solch tierischen Zusammenhalts der ewige Krieg lauert. Sie war nicht so gemein wie er in seiner Wut, dafür aber grausamer, höhnischer. Sie lachte mit dem wahnsinnigen Lachen des erbittertsten Hasses und warf ihrem Beschimpfer Worte entgegen, wie sie die Frauen zu finden wissen, wenn sie einen Mann um den Verstand bringen wollen, Worte, die in die Fülle seines Ingrimms einschlagen wie Handgranaten in ein Pulverhaus. Mit eiskalten Worten schrie sie ihm ins Gesicht, sie liebe ihn nicht, habe ihn nie geliebt: ›Nie! Nie! Nie!‹ rief sie ihm zu, wild und frohlockend, als tanze sie auf seinen Nerven. Der Gedanke, daß dies wahr sein könne, war ihm das Schrecklichste, das Grausamste, das ihn am tiefsten Verwundende, denn im Grunde war seine Leidenschaft nichts als Eitelkeit. ›Und unser Kind!‹ warf er ein, als müsse dies ein Beweis ihrer Liebe zu ihm sein. ›Ach, unser Kind!‹ rief sie aus und begann höhnisch aufzulachen. ›Das war nicht von dir!‹ Der Major fauchte wie eine wilde Katze. Ich konnte mir deutlich vorstellen, wie unheimlich seine grünen Augen dabei funkeln mußten. Er stieß einen tollen Fluch aus und fragte: ›Na, von wem denn? Ich will den Kerl wissen, du verdammte ...‹ In seiner Stimme klang nichts Menschliches mehr. Sie lachte von neuem auf wie eine Hyäne. ›Das wirst du nicht erfahren!< erklärte sie und wiederholte diese Worte immer wieder. Und als sie ihn genugsam damit verhöhnt und gepeitscht hatte, begann sie eine lange Reihe von Namen aufzuzählen, deren Träger allesamt ihre Liebhaber gewesen waren. Jedem fügte sie den vollen Titel bei. Es war das ganze Regiment. ›Alle diese Herren habe ich gehabt! Aber keinen habe ich geliebt. Nur einen einzigen. Und von dem war mein Kind, das du so töricht bist, für deins zu halten! Den einen habe ich geliebt! Vergöttert! Hast du es nicht geahnt? Weißt du nicht, wer es ist?‹ Sie log. Nie hatte sie einen geliebt. Aber sie wußte, daß dieses falsche Bekenntnis den eitlen Major wie ein Dolchstoß treffen mußte. Sie stieß ihm die grausame Waffe tiefer und tiefer in den Leib, und zuletzt drehte sie sie gleichsam in der Wunde noch um, indem sie ihm die Worte zuzischte: ›Du Esel, da du es nicht herauskriegst, will ich's dir gestehen. Es war der Mesnilgrand!<

Nach diesem angeblichen – oder wirklichen? – Geständnis trat Totenstille ein.

›Hat er sie als stumme Antwort einfach erdrosselt?‹ fragte ich mich.

Da vernahm ich das Klirren von Glas, das in tausend Scherben bricht, mit aller Macht zu Boden geschleudert.

Wie schon erzählt, hielt der Major das Kind der Rosalba für das seine. Er hatte es maßlos geliebt und war über seinen Tod tief betrübt. Da es ihm im Bewegungskrieg, wo man jeden Tag an einem anderen Ort lebt, unmöglich war, dem Kind ein Grabmal zu errichten, um aber doch eine Art Totenkult zu treiben, hatte er das Herz des kleinen Toten einbalsamieren lassen und führte es in einer kleinen Glasurne überall herum. Es pflegte in einer Ecke des Schlafzimmers seinen Platz zu haben.

Diese Urne war in Scherben gegangen.

›Es war also nicht mein Kind!‹ schrie er. ›Du verruchte Metze!‹

Ich hörte, wie er mit seinen schweren Reiterstiefeln über die knirschenden Scherben trat. Er zertrat das Herz, das sein Abgott gewesen. Wahrscheinlich wollte Rosalba es der Vernichtung entreißen und es retten. Ich vernahm, daß die beiden abermals wild gegeneinander rangen. Ich hörte Schläge fallen.

Dann erscholl wieder die rauhe Stimme des Majors: ›So, wenn du ihn haben willst, hier hast da deinen Wechselbalg, alte Kokotte!«

Damit warf er ihr das Herz, das einst zärtlich geliebte, an den Kopf. Rosalba tat offenbar das nämliche. Eine Schandtat erzeugt die andere. Etwas Unerhörtes! Ein Vater und eine Mutter, die sich einander das Herz ihres toten Kindes in das Gesicht warfen!

Der ruchlose Kampf dauerte einige Minuten. Er war so erschütternd, daß ich zu keinem Entschluß kam. Ich hätte mich gegen die Schranktür stemmen, sie aufsprengen und in den Auftritt eingreifen können. Da erscholl ein Schrei, wie ich nie einen vernommen, und Sie, meine Herren, gewiß auch nicht – und wir haben doch genug Entsetzliches auf den Schlachtfeldern gehört! Jetzt hatte ich die Kraft, aus dem Schrank hervorzubrechen, und ich sah ... Unglaubliches! Die Rosalba war bezwungen über den Tisch gefallen, an dem sie ihren Brief geschrieben hatte. Der Major hielt ihren aller Hülle beraubten nackten Körper mit der einen Hand nieder. Sie wand sich unter dem ehernen Griff hin und her. Und was tat er mit der ändern Hand? Der Schreibtisch, die brennende Kerze und die Siegellackstange daneben hatten ihn auf den satanischen Einfall gebracht, sich mit diesen Dingen zu rächen: die Untreue zu besiegeln, wie sie den Brief gesiegelt hatte! In tollem Eifer vollzog er die entsetzliche Rache!

›Du Hure verdienst keine andere Strafe«, rief er aus, ›als an deiner gottverdammten.. .‹

Der Major bemerkte mein Erscheinen nicht. Über sein verstummtes Opfer gebeugt, drückte er eben den Säbelknauf als Siegel auf die Stelle mit dem siedenden Wachs. Ich ging auf ihn los und stieß ihm meinen Säbel von hinten in den Rücken, tief hinein, bis zum Korb, ohne ihn vorher anzurufen.«

»Das hast du recht gemacht!« rief Sélune. »So ein Kerl verdient es nicht anders!«

»Die umgekehrte Geschichte von Abälard und Heloise!« spottete der Ex-Pfaffe.

»Ein ebenso merkwürdiger wie seltener Fall!« bemerkte der Doktor Bleny. Ohne darauf, einzugehen, fuhr Mesnilgrand in seiner Erzählung fort: »Der Major sank tot auf die Ohnmächtige. Ich riß ihn weg und warf ihn zu Boden. Inzwischen war die Dienerin herbeigekommen, ebenfalls auf den grellen Schrei hin.

›Holen Sie sofort den Feldscher!‹ rief ich ihr zu.

Ich hatte aber nicht die Zeit, sein Erscheinen abzuwarten. Das Alarmsignal erklang. Ich mußte zu meiner Schwadron. Der Feind hatte den Ort überfallen. Die Posten waren meuchlings niedergestochen.

Ehe ich zu meinen Pferden ging, warf ich einen letzten Blick auf den schönen starren mißhandelten Weibeskörper und hob das Herz auf, das im Staub lag. War es doch das Herz meines Kindes! Ich steckte es in die Feldbinde.«

Mesnilgrand hielt inne. Es klang etwas wie leise Rührung aus seiner weltmännischen Stimme.

»Und die Rosalba?« fragte Ranconnet.

»Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört«, erwiderte der Rittmeister.

»Ist sie daran gestorben? Ist sie am Leben geblieben? Hat der Feldscher noch kommen können? Ich weiß es nicht. Nach dem Gefecht – es war der Überfall von Alcudia, der uns so verhängnisvoll ward! – suchte ich ihn, vermochte ihn aber nicht zu finden. Er wurde vermißt wie damals so viele andre. Unser Regiment hatte schlimme Verluste.«

»Die Geschichte ist famos!« erklärte Mautravers. »Schade, daß sie zu Ende ist! Aber gestatte eine Frage! Sie wäre eigentlich Sache Ranconnets; aber ich sehe, er sitzt traumverloren hinter seinem Humpen. Sage einmal, in welchem Zusammenhang steht deine Geschichte nun zu deinem Beichtgäng am vergangenen Sonntag? Das möchten wir doch alle gern wissen.«

»Gewiß! Das soll nicht vergessen werden!« antwortete Mesnilgrand. »Also hört! Jahrelang habe ich das Herz bei mir herumgeschleppt wie eine Reliquie. Ich war abergläubisch. Seit ich aber nach Waterloo nicht mehr Soldat bin, wollte ich immer und immer das schon arg geschändete Herz nicht länger schänden. Doch es verging Zeit um Zeit. Schließlich hab' ich mich hier an einen Priester gewandt und hab' es ihm am vergangenen Sonntag in seinen Beichtstuhl gereicht. Er wird es in geweihter Erde zur Ruhe bestattet haben.«

Der Rittmeister Ranconnet blieb still und stumm. Auch die andern hatten nichts zu fragen. Dachten sie insgeheim nach, wie gut und schön es wäre, wenn die Kirchen keinen andern Zweck hätten, als dann und wann ein totes oder auch ein lebendiges Herz in ihrem Dämmerdunkel aufzunehmen, das sonst nirgends in der Welt eine Zufluchtsstätte fände?

»Der Kaffee soll aufgetragen werden!« befahl der alte Herr von Mesnilgrand mit dürrer Stimme. »Wenn er wie deine Geschichte so stark ist, wird er gut sein!«