rechts Lucette und Fernand Foto: Thomas Aurin |
Ein wirklich schillerndes, krasses und sehr unterhaltsames Theaterstück mit schauspielerischen Mehr- und Spezialleistungen ist KLOTZ AM BEIN (UA 1894 "Un Fil à la patte") von Georges Feydeau. Besser als jede Comedy oder bürgerliche Komödie, weil hochwertiger, hat Feydeau hier die bürgerlichen Beziehungen und Vorstellungen beleuchtet, und der Regisseur Roger Vontobel eine perfekte Satire inszeniert. Feydeau ist der Großmeister des Vaudeville, fern aller Alltäglichkeit hat er gesellschaftliche Abläufe so in Groteskes verpackt, dass die Vorgänge stark karikiert werden, richtig zur FARCE werden.
Grotesk und absurd bunt ausstaffiert natürlich auch die Figuren, Kleidung. Die Kulisse von Olaf Altmann mit den Hunderten von Stretchseilen als flexible Wände mit Trampolincharakter erlaubt eine abstrakte Szenerie und Räumlichkeit. Das Geschehen, theatralisch überhöht und stark ins Comichafte getaucht, wirkt extrem bizarr, jede Figur speziell getuned und aus dem Repertoire des venezianischen Karnevals entsprungen. Die Charaktere ebenfalls ausgebrochen aus den Rastern, reichlich exaltiert und überzeichnet. Schräge Typen, mit einer gewissen Besessenheit. Große Herausforderung für Schauspieler, die endlich hier mal richtig loslegen können.
Alles dreht sich um die Chansonière Lucette Gautier (phallisch fixiert Claude de Demo), die eine Beziehung mit stark sexuellem Charakter zu Fernand de Bois d'Enghien pflegt (große Herausforderung in Nacktpassagen für Max Mayer). Klassische Doppelmoral des bürgerlichen Zeitalters: die Angepasstheit nach außen, die Verstöße gegen gesellschaftliche Regeln im Innern.
Und so verlustieren sich die beiden durch den Alltag, Fernand, verarmter Adliger, bräuchte eine finanzielle Wiederbelebung, keinen sexuellen Leistungssport. Lucette hätte gerne beides. Deswegen schielt sie ein bisschen nach dem General Irrigua (auch eine Wucht Heiko Raulin), um ihn eventuell erleichtern zu können, er ist allerdings nicht so ganz ihr Typ. Aber egal! Umgekehrt viel mehr. Extrem wirkungsvoll dessen Auftritt als einmarschierender Soldat, radebrechender Spanier, mordlustiger Freier und ehrbarer Verteidiger Lucettes.
Fernand mit Baronin Duverger und Viviane Foto: Thomas Aurin |
Fernand bekommt Wind von dem Reichtum der Familie Duverger, wohin ihn die Mutter von Viviane einlädt, Baronin Duverger (hoheitlich und wie aus einem Alptraum Katharina Linder), weil sie ihre Tochter standesgemäß verheiraten will. Lucette hat schon eine Ehe hinter sich und will eigentlich alles andere. Sie schuldet ihrem Exmann (Monsieur de Cheneviette, Sebastian Reiß) Unterhalt für ein gemeinsames Kind, das sie gar nicht interessiert. Fernand ist ihre Erfüllung, er kann das "Aaah" am Besten. Fernand experimentiert und spielt ein bisschen mit dem Feuer, denkt an Doppelbeziehung, versucht es vor Lucette zu verheimlichen. Viviane (Friederike Ott mit Pippi-Langstrumpf-Zahnlücke) ist zunächst gar nicht interessiert, erst als es zur Konfrontation mit Lucette kommt - klassische Szene, in der Fernand Lucette als "Klotz am Bein" bezeichnet - bricht die "Liebe" bei Viviane aus. Denn Liebe ist für sie, "wenn man sagen kann: Diesen Mann hätten alle gern gehabt. Ich hab ihn aber gekriegt und ihr nicht.“
Lucette ist entsetzt, der General wütete schon die ganze Zeit und verfolgte alle potenziellen Liebhaber von ihr, um sie ins Jenseits zu befördern. Fernand ist in die Ehefalle getappt, der Vertrag liegt bereit. Viviane in ihrer schelmischen Rolle soll sein neues Lustobjekt werden, umgekehrt ist es schon vor dem Vertrag eingetreten. Die beiden Libertinären von gestern laufen je in eine unglückliche Richtung, nicht abwendbar, und aus ist es mit dem Bohemiantum. Kein Happy End, dafür beginnt das klassisch bürgerliche Schicksal.
Nicht nur zur Faschingszeit, sondern passend in allen Lebenslagen und Jahreszeiten, ein herrlich intelligentes Spiel mit den Regularien, Grimassen, Fratzen, gespielter Dummheit von Frauen, Gefangenheit in der Gesellschaft und Unselbstständigkeit der einzelnen - wegen der Ziele, die sie nicht erreichen können.