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Montag, 2. November 2015

Wie war's bei KUNST von Yasmina Reza in Frankfurt?

Sascha Nathan (Yvan), Wolfgang Michael (Marc),
Martin Rentzsch (Serge)

(c) Birgit Hupfeld
Ja, Männerfreundschaften sind schon etwas Eigenes. Es gibt natürlich solche und solche. Von der Zweckgemeinschaft beim Sport entstanden über Versöhnungen und Freundschaften nach heftigsten Auseinandersetzungen bis zum homosexuellen Liebespaar. Eins ist allen gemeinsam, Männer kippeln sich immer gern, sie pieksen, provozieren, locken, verletzen und lauern, sind burschikos, rau, aber es können halt auch die besten Freunde sein, Vertrauen, Zusammenhalt, Bereicherung, Hilfe. Gibt es einen elementaren Unterschied zu Frauenfreundschaften bis auf den weniger zärtlichen Umgang? Nein, es dreht sich immer alles um die Pole positiv, negativ, Yin und Yang, männlich, weiblich. Noch die gesellschaftlichen Gepflogenheiten dazu und unseren archetypischen Basisdiskurs, und schon haben wir Muster, nach denen es ganz oft abläuft, bis auf die rühmlichen Ausnahmen.

Die drei Freunde Serge, Marc und Yvan aus Frankreich kennen sich und ihre Spleens in Yasmina Rezas "Komödie" aus den 90er-Jahren schon 15 Jahre. Man trifft sich, geht ins Kino oder essen, trinkt ein paar Gläser und plaudert. Aber da bewegt sich ja schon mehr unter der Oberfläche, es sind ja Individuen, Persönlichkeiten mit prägenden eigenen Erlebnissen und der immergleichen Angst, gar nicht ernst genommen zu werden. Es entwickelt sich zwangsläufig ein Gerangel um anerkannt, weniger anerkannt, dominant und weniger dominant, wissend und unwissend, intelligent und weniger intelligent, stärker und weniger stark, aufwerten und abwerten, paktieren und isolieren usw. Nach so langer Zeit geht man sich häufig auch auf die Nerven ...

Yasmina Reza führt in ihrem witzigen Theaterstück über einen geschickten Kunstgriff in die Tiefen der Freundschaft und spiegelt alle Beteiligten in der Kunst, ohne in langwierige Kunstdiskurse überzugehen. Vielmehr schuf sie Dialoge, wie man sie in ihrer doch aus anderen Streitigkeiten bekannten Verbohrtheit, Absurdität und Sinnlosigkeit nur belachen kann. Jeder der Beteiligten hat zu Hause ein dominantes Bild hängen. Marc, der intelligente betagte Nörgler, ein Ingenieur der Aeronautik, Tendenz zum unerbittlichen Bildungsbürger, eine Landschaft gesehen von der Touristenattraktion und vom Weltkulturerbe Festung Carcasonne. Yvan, der Verkäufer, jetzt durch Heirat von Catherine in das Papierwarengeschäft des Onkels aufgenommen und vom Textilienverkauf zu Papier wechselnd, ein psychisch aktiver und interessierter Psychotherapeutenbesucher und problematisierender als die anderen, schmückt sein Wohnzimmer mit einem Blumenbild in Öl von seinem Vater. Und Serge, der Mediziner und Dermatologe, der die Kunst liebt, ja, der bringt den Stein des Anstoßes ins Geschehen: Er kauft ein Bild von Antreos, einem unbekannten Maler, aus dem Jahr 1970, ganz in Weiß, lediglich Pinselstrukturen machen Unterschiede. Es steht offensichtlich in der Tradition der scheinbaren Aussagelosigkeit des abstrakten Expressionismus, und vor allem wird es zum Ausgangspunkt einer Dekonstruktion und Rekonstruktion der Freundschaften, weil es sage und schreibe 100.000 gekostet hat. Der Galerist Hendington, ein geschickter Verkäufer, würde es für 120.000 zurücknehmen, sollte Serge es wieder loswerden wollen.

Marc, der wohl am meisten entsetzt darüber ist, dass er nicht gefragt wurde, denn er sieht sich, wie es rauskommt, als Mentor und Lebensberater von Serge, im Grunde auch von Yvan, und Kontrolleur der Aktivitäten der anderen: "Man muss seine Freunde überwachen, sonst entgleisen sie einem", er sei derjenige, der die anderen forme müsse, beginnt das Werk zu zerpflücken, es als "Scheiße" zu bezeichnen, was eine Streitdynamik in Gang setzt, die sich erst am Ende überraschend wieder legt, weil Serge klein beigibt. Für Serge ist dieses Urteil, der Verriss des Gemäldes, von dem Marc sich in seiner Ruhe gestört sieht, ein Affront. Marc wird ihm zum pseudoliebenswürdigen "absterbenden" und "hämischen" Menschen, dessen Meinung ihm scheißegal ist. Er entwickelt einen Zorn auf Marc, der seinerseits sich in seinen Verriss steigert, und weiß, dass schon damals, als Serge das Wort "Dekonstruktion" in den Raum stellte, die Wahrheit klar war.

Yvan sieht das toleranter, nur der Preis bringt ihn zu Lachsalven. Er besucht Serge und möchte, 
Martin Rentzsch, Wolfgang Michael, Sascha Nathan
(c) Birgit Hupfeld
dass er selbst über seine Dummheit lacht, was auch die bessere Strategie ist, aber Serge liebt das Bild. Er gibt zwar zu, dass es verrückt sei, das Geld auszugeben, aber es sei so sinnfällig, magnetisch, horizontöffnend, beherberge eine spürbare Vibration. Marc demontiert weiter, der Künstler nichts wert, aber Serge tue, als ob der Künstler "eine Entität" sei. Die hätten doch gar nichts zu sagen.

Für Serge, der viel mehr hineininterpretieren kann als die anderen, ist es objektiv kein Weiß, vielleicht eine Blässe, es seien definitiv andere Farben zu sehen, ein deutliches Rot. Rot sind allerdings nur Marcs Socken, der trotzdem nichts sieht außer Weiß. Yvan gesteht seinem Freund den Spleen zu und möchte sich nicht in den Verriss einmischen. Nachdem er von der bevorstehenden Hochzeit, bei der die Freunde Trauzeugen sein sollen, und den Problemen mit seiner Mutter und seiner Schwiegermutter erzählt, die nicht gemeinsam auf der Einladung stehen wollen, wird seine Hütte auch angesteckt.

"Was du immer mit deinen Weibern hast!", stichelt Marc und beschimpft Yvan wegen seiner Zustimmung zum Bild als "servilen Speichellecker". Der entflieht dem Gespräch wutentbrannt, kehrt aber als geschulter Psychotherapiepatient zurück, um Marc zu helfen, statt ihn zu schlagen. Der hinterfragt auch diese Beziehung. Yvan empfiehlt allen seinen Psychiater Finkelson und weiter geht's.

Nun sind die Ehefrauen dran. Serge beleidigt Marcs Paula "jenseits des Runzligen" als negative Frau mit herablassendem Naturell. Beide zusammen ein "Fossilienpaar". Serge deklariert das Ende der Freundschaft, es kommt zu einer Schlägerei. Natürlich beleidigt Marc auch Yvans Catherine als "Rabenaas von Frau". Mit Serge will er das Absagen der Hochzeit. Durch einen Heulkrampf entspannt Yvan die Situation, bezichtigt sich als armen Menschen, der nicht mal die seelischen Verletzungen der anderen habe, er, ein Luftikus und Irrwisch aus dem Sumpf.

Und hier wird eine Reproduktion der klassischen Familienkonstellation klar, die drei haben sich auf Rollen geeinigt, Marc der Vater, Serge der Sohn und Yvan quasi die Mutter, das Weibliche, die durch ihre Schwäche den Ärger entmachtet. Yvan ist depressiv, weint auch über die Aussage, dass ihre Freundschaft eine "Versuchsperiode" gewesen sein soll. Wie Marc sagt, kann er nicht mit dem rationalen Diskurs, aber "nichts, was wichtig ist, ist aus einem rationalen Diskurs entstanden".


Serge entspannt mit einem Ruck die Lage, indem er Marc auffordert das Bild mit Sinn zu füllen, damit es bei den anderen ankäme. Und zwar in einer großzügigen Unterwerfung und Missachtung des Kaufpreises des Bildes: Mittels Filzschreiber soll er was reinzeichnen. Und Marc macht das mit Ernst. Ein Skifahrer bei der Abfahrt ... Das reicht für eine Versöhnung und ein Bier zusammen.

Und so endet das Stück wie es angefangen hat, nur mit neuem zweiten Teil der Aussage. Marc tritt als Kommentator, wie die anderen auch im Laufe des Stücks, nach vorne und spricht: 

"Mein Freund Serge hat sich ein Bild gekauft, 1,60 x 1,20 m, mit einem Mann, der auf Skiern einen Raum durchquert und dann verschwindet." Damit ist der Eklat vom Tisch, das Bild hat eine Aussage und wenn sie noch so nichtig ist.

Wolfgang Michael als kauzig-nörgelnder, machtbesessen-cholerischer Marc ist ein völliges Unikum, er trägt ganz viel von diesem Stück, Martin Rentzsch (Serge) überzeugt als etwas verrückter, in die Kunst verliebter Yuppie-Doktor und Sascha Nathan (Yvan), der auch den Biberkopf zurzeit spielt, hat starke Clownsqualitäten - zwischen Clownerie und Dick & Doof ist er die zweite wichtige Stütze in diesem sehenswerten Stück.

Video

Freitag, 30. Oktober 2015

Morgen Abend im Schauspielhaus Frankfurt a.M.: »KUNST« von YASMINA REZA


(c) Birgit Hupfeld

»KUNST«
YASMINA REZA

DU HAST DOCH KEINE SECHS JAHRE BEIM PSYCHOANALYTIKER AUF DER COUCH GELEGEN, UM DANN DEINEN BESTEN FREUND UMZULEGEN.




Schauspielhaus Frankfurt a.M.

Premiere
24.05.2014
ca. 1 Std. 50 Min., keine Pause
Termine
Sa 31.10.2015 19.30 Uhr – 21.20 Uhr

Serge hat sich für eine beachtliche Summe ein Gemälde gekauft: weiße Streifen auf weißem Untergrund. An diesem Bild entzündet sich der Streit zwischen drei Freunden, in dessen Verlauf sich ihr Leben und ihre Beziehungen grundlegend ändern. 

Serge begeistert sich für das Gemälde, Marc bekämpft es auf das Heftigste und Yvan bezieht, da er es sich mit keinem der anderen verderben will, keine Stellung. 

Das Kunstwerk dient als Katalysator, mit dessen Hilfe Yasmina Reza auf psychologisch fein gezeichnete Weise die drei Männer, ihre Gefühle, ihre Befindlichkeit, ihre Freundschaft, ja ihr gesamtes bisheriges Dasein auf den Prüfstand stellt – eine wortgewandte Komödie über die Halbwertszeit von Freundschaften für ein furioses Schauspieler-Trio.


Regie: Oliver Reese
Bühne: Hansjörg Hartung
Kostüme: Elina Schnizler
Musik: Jörg Gollasch
Dramaturgie: Sibylle Baschung
Besetzung: Wolfgang Michael (Marc)
Martin Rentzsch (Serge)
Sascha Nathan (Yvan)