Bürgerbeteiligung 3.0
Zwischen Volksbegehren und Occupy-Bewegung
Wie die Politik mit ökonomischen und
sozialen Krisen umgeht, bringt nicht nur in den USA, Spanien und Israel
die Bürgerinnen und Bürger in Rage und auf die Straße. Auch in
Deutschland wollen immer mehr Menschen ihr Wohl und Wehe nicht länger
allein Politikern und Lobbyisten überlassen. Was früher nur von Alternativbewegungen wie der FRIEDENSBEWEGUNG oder ATOMKRAFT? NEIN DANKE angegangen wurde ist heute weit verbreitet in allen Gesellschaftsschichten. Es werden mehr Bürger wach, wollen mitbestimmen, allein es gibt keine Wege! Dennoch ist auch das Desinteresse und Verstecken der eigenen Meinung noch groß, die Vergangenheit und das Denkverbot sind noch bei vielen virulent.
Die Diskussion um mehr Mitbestimmung ist voll entbrannt. Kreative Protestformen lassen sich diejenigen einfallen, die nicht länger auf eine wirksame Klimaschutzpolitik oder auf faire Erörterungen vermeintlich alternativloser Infrastrukturprojekte warten wollen. Geteilt sind die Meinungen bei der Frage, ob stärkere Bürgerbeteiligung auch mehr Umweltschutz bringt oder eher eine Gefahr für Planungssicherheit und Demokratie darstellen. Fest steht: Die spannende Zukunft der Bürgerbeteiligung beginnt gerade erst.
Die Diskussion um mehr Mitbestimmung ist voll entbrannt. Kreative Protestformen lassen sich diejenigen einfallen, die nicht länger auf eine wirksame Klimaschutzpolitik oder auf faire Erörterungen vermeintlich alternativloser Infrastrukturprojekte warten wollen. Geteilt sind die Meinungen bei der Frage, ob stärkere Bürgerbeteiligung auch mehr Umweltschutz bringt oder eher eine Gefahr für Planungssicherheit und Demokratie darstellen. Fest steht: Die spannende Zukunft der Bürgerbeteiligung beginnt gerade erst.
Rezension von Alfred Auer, partizipation.at
Immer mehr BürgerInnen und Bürger wollen immer öfter mehr tun, als nur alle paar Jahre bei Wahlen ihr Kreuzchen zu machen. Sie wollen nicht länger erst dann gehört werden, wenn eigentlich schon alles gelaufen und entschieden ist. Wirklich verwunderlich ist der Unmut der Menschen nicht. Neu hingegen ist die neue Kreativität und Entschiedenheit der Proteste. Die jüngste Ausgabe der Zeitschrift „politische ökologie“ (12/2010_29. Jg.) des oekom-Verlages macht sich vor dem Hintergrund der aktuellen Protestbewegungen (von Stuttgart 21 bis zur Occupy-Bewegung) mit der Frage, ob eine neue Balance zwischen staatlicher Handlungsfähigkeit und demokratischer Mitbestimmung überhaupt möglich ist (vgl. S. 7). Dabei nehmen die AutorInnen u. a. in den Blick, welche zivilgesellschaftlichen Akteure den Wandel vorantreiben, was Proteste erfolgreich macht, wie Bürgerbeteiligung in Planungsverfahren bei Großvorhaben gestärkt werden kann oder welche Kommunikationswege politische Partizipation heute braucht.
Den Wutbürger zivilisieren
Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der gegenwärtig stattfindenden Transformation nimmt der Politikwissenschaftler Claus Leggewie zum Anlass, darüber nachzudenken, wie eine Ermächtigung zur Bürgermitbestimmung konkret aussehen könnte. Er gibt zu bedenken, dass wir uns bei aller Euphorie um Beteiligung und Mitbestimmung zunächst ein realistisches Bild vom tatsächlichen Niveau der Partizipation in der liberalen Demokratie machen müssen und nicht bei „der Feier des empörten Wutbürgers stehen bleiben“ dürfen(S. 21). Es geht nämlich darum, eine Brücke vom Engagement zur Beteiligung zu bauen, d. h. die WutbürgerInnen zu MutbürgerInnen zu „zivilisieren“, wozu die politischen Parteien bisher jedenfalls nicht in der Lage sind: „Für „Citizen Empowerment“, die Stärkung der Bürgergesellschaft, hat die Berufspolitik wenig Sinn und Gespür“ (S. 23), so Leggewie. Sein Vorschlag lautet deshalb, dass die BürgerInnen massenhaft den Parteien beitreten sollen, um eine Reform von innen heraus zu ermöglichen. Hans J. Lietzmann betrachtet Bürgerbeteiligung im Wandel der Zeit und differenziert zunächst den Wutbürger als Reaktion auf eskalierende politische Ereignisse und andererseits die stillen aber ganz alltäglich gewordene Realität von Bürgerbeteiligungsprozessen in nahezu allen Städten und Regionen Deutschlands. (vgl. S. 29) Gleichzeitig konstatiert der Sozialforscher, dass sich einerseits die Handlungsmöglichkeiten der traditionellen Institutionen wie Parlamente, Verwaltungsspitzen, Parteien und Verbände verringern und andererseits die Beteiligung derer, die diesen Prozess aufmerksam verfolgen und besorgt registrieren, auf dem Stand des 19. Jahrhunderts stehen geblieben sei (S. 30f.). Gleichzeitig aber nimmt, so der Befund des Autors, die Alltagskompetenz der Bürgerschaft in der heutigen Wissensgesellschaft und die Politikbereitschaft (im Gegensatz zur Parteienverdrossenheit) ständig zu. „Da wirkt es absurd, dass wir über die Ausgestaltung unserer Umwelt und unserer Städte nicht von Anfang an kritisch nachdenken und gestaltend mitentscheiden dürfen.“ (S. 31) Schließlich wünscht sich Lietzmann eine „Richtungsentscheidung für eine neue Gewaltenteilung in Form einer sowohl sehr frühzeitigen als auch ergebnisoffenen Beteiligung der Bürgerschaft an den schwierigen und riskanten Entscheidungen, die die Politik der Gegenwart allenthalben einfordert“ (S. 35).
Immer mehr BürgerInnen und Bürger wollen immer öfter mehr tun, als nur alle paar Jahre bei Wahlen ihr Kreuzchen zu machen. Sie wollen nicht länger erst dann gehört werden, wenn eigentlich schon alles gelaufen und entschieden ist. Wirklich verwunderlich ist der Unmut der Menschen nicht. Neu hingegen ist die neue Kreativität und Entschiedenheit der Proteste. Die jüngste Ausgabe der Zeitschrift „politische ökologie“ (12/2010_29. Jg.) des oekom-Verlages macht sich vor dem Hintergrund der aktuellen Protestbewegungen (von Stuttgart 21 bis zur Occupy-Bewegung) mit der Frage, ob eine neue Balance zwischen staatlicher Handlungsfähigkeit und demokratischer Mitbestimmung überhaupt möglich ist (vgl. S. 7). Dabei nehmen die AutorInnen u. a. in den Blick, welche zivilgesellschaftlichen Akteure den Wandel vorantreiben, was Proteste erfolgreich macht, wie Bürgerbeteiligung in Planungsverfahren bei Großvorhaben gestärkt werden kann oder welche Kommunikationswege politische Partizipation heute braucht.
Den Wutbürger zivilisieren
Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der gegenwärtig stattfindenden Transformation nimmt der Politikwissenschaftler Claus Leggewie zum Anlass, darüber nachzudenken, wie eine Ermächtigung zur Bürgermitbestimmung konkret aussehen könnte. Er gibt zu bedenken, dass wir uns bei aller Euphorie um Beteiligung und Mitbestimmung zunächst ein realistisches Bild vom tatsächlichen Niveau der Partizipation in der liberalen Demokratie machen müssen und nicht bei „der Feier des empörten Wutbürgers stehen bleiben“ dürfen(S. 21). Es geht nämlich darum, eine Brücke vom Engagement zur Beteiligung zu bauen, d. h. die WutbürgerInnen zu MutbürgerInnen zu „zivilisieren“, wozu die politischen Parteien bisher jedenfalls nicht in der Lage sind: „Für „Citizen Empowerment“, die Stärkung der Bürgergesellschaft, hat die Berufspolitik wenig Sinn und Gespür“ (S. 23), so Leggewie. Sein Vorschlag lautet deshalb, dass die BürgerInnen massenhaft den Parteien beitreten sollen, um eine Reform von innen heraus zu ermöglichen. Hans J. Lietzmann betrachtet Bürgerbeteiligung im Wandel der Zeit und differenziert zunächst den Wutbürger als Reaktion auf eskalierende politische Ereignisse und andererseits die stillen aber ganz alltäglich gewordene Realität von Bürgerbeteiligungsprozessen in nahezu allen Städten und Regionen Deutschlands. (vgl. S. 29) Gleichzeitig konstatiert der Sozialforscher, dass sich einerseits die Handlungsmöglichkeiten der traditionellen Institutionen wie Parlamente, Verwaltungsspitzen, Parteien und Verbände verringern und andererseits die Beteiligung derer, die diesen Prozess aufmerksam verfolgen und besorgt registrieren, auf dem Stand des 19. Jahrhunderts stehen geblieben sei (S. 30f.). Gleichzeitig aber nimmt, so der Befund des Autors, die Alltagskompetenz der Bürgerschaft in der heutigen Wissensgesellschaft und die Politikbereitschaft (im Gegensatz zur Parteienverdrossenheit) ständig zu. „Da wirkt es absurd, dass wir über die Ausgestaltung unserer Umwelt und unserer Städte nicht von Anfang an kritisch nachdenken und gestaltend mitentscheiden dürfen.“ (S. 31) Schließlich wünscht sich Lietzmann eine „Richtungsentscheidung für eine neue Gewaltenteilung in Form einer sowohl sehr frühzeitigen als auch ergebnisoffenen Beteiligung der Bürgerschaft an den schwierigen und riskanten Entscheidungen, die die Politik der Gegenwart allenthalben einfordert“ (S. 35).
Zukunft der Demokratie
Der Autor des vielbeachteten Buches „Die erregte Republik“, Thymian Bussemer, betont in seinem Statement, dass die momentane Vertrauenskrise keine Krise der Demokratie an sich sei, sondern eine Krise der Repräsentation. Er äußert sich skeptisch darüber, dass eine Revitalisierung der Demokratie durch mehr Plebiszite, einer Direktwahl des Bundespräsidenten und mehr Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene die Abnutzungsprobleme der Demokratie beheben würden. Chancen sieht er vielmehr darin, „die Legitimationskrise der parlamentarischen Demokratie zu überwinden und den Wert der repräsentativen Systems wieder ins Bewusstsein zu rufen“, denn es sei seiner Ansicht nach ein Irrtum zu glauben, „die direktere Demokratie wäre die bessere Demokratie“ (S. 105f.).
Schließlich geht es in einem Gespräch mit dem Politologen und Beteiligungsforscher Roland Roth (mit Helena Obermayr) über die Bedeutung der Occupy-Bewegung, notwendige Reformen bei der Mitbestimmung und über mögliche Folgen eines weiteren Demokratieabbaus, um die „Zukunft unserer Demokratie“ schlechthin. Kritisch äußert er sich über die Chancen der Beteiligung bei den großen Problemfeldern Ungleichheitseffekte, Ökologie- und Weltfinanzkrise. Der Wissenschaftler fordert zu Recht, Demokratie zu einer Bildungsfrage zu machen, denn nur so könne es gelingen, breitere Beteiligung zu sichern und die Gefahr einer schichtspezifischen Beteiligung zu überwinden. (vgl. 112) Deshalb sei es unbedingt notwendig, Demokratie von unten instand zu setzen.
Weitere Themen sind u. a. die verschiedenen Formen informeller Beteiligung von Agendakonferenz bis Zukunftswerkstätten, Atomkraft und Protest sowie Aspekte des globalen Jugendwiderstands oder das Verhältnis von politischer politischer Kultur und Großprojekten. Alles in allem eine überaus gelungene Zusammenfassung verschiedener Beteiligungsformen. Inwieweit die Bürgerbeteiligung in Zukunft mehr Einfluss auf die Politik nehmen kann, bleibt offen und hängt von vielen auch in diesem Reader besprochenen Faktoren zusammen.
„Richtig praktizierte repräsentative Demokratie dagegen bedeutet kluge, auf Vertrauen begründete Delegation von Macht auf Zeit in der begründeten Annahme, dass die komplizierten Aushandlungswege der Politik am Ende Ergebnisse erbringen, die für die Mehrheit der Menschen positive Effekte haben und so den Zusammenhalt dauerhaft sichern.“ (Bussemer, S. 106)
„Offensichtlich leben wir mittlerweile in einer Räterepublik, in der die Aufsichtsräte von Großunternehmen und Banken viel entscheidender sind als das, was in den Parlamenten passiert.“ (R. Roth, S. 109)