Keith Jarretts 70. Geburtstag am 8. Mai, verbunden mit der Veröffentlichung zweier neuer Alben, hat ein starkes internationales Medienecho gefunden.Zwei weitere Jubilare waren im Mai mit Neuheiten im Programm von ECM vertreten:
Die Messlatte im Bereich des Piano Trios liegt bekanntlich hoch und dies liegt nicht zuletzt auch an Gary Peacock, der als Bassist in den Bands von Bill Evans, Paul Bley und Keith Jarrett stetig mithalf, die Messlatte in diesem Genre noch höher zu legen. Das Album Now This wurde im letzten Sommer mit Peacocks aktuellem Trio in Oslo aufgenommen. Neue Versionen einiger Peacock-Klassiker wie ‚Moor‘, ‚Vignette‘, ‚Requiem‘ und ‚Gaya‘ sind durchmischt mit Kompositionen von Marc Copland und Joey Baron, genauso wagte sich das Trio aber auch an Scott La Faro’s ‚Gloria’s Step‘ heran.
Now This erschien drei Tage nach Gary Peacocks 80. Geburtstag am 15. Mai.
Dino Saluzzi wurde am 20. Mai 80 Jahre alt und ist noch immer für Überraschungen gut. Wem war schon bekannt, dass der Meister des Bandoneon seit Jahrzehnten auch Eigenkompositionen für andere Instrumente hortet? Das Album Imágenes umfasst Klaviermusik mit Stücken, die zwischen 1960 und 2002 geschrieben wurden. Der junge argentinische Pianist Horacio Lavandera, der sowohl in klassischer als auch in zeitgenössischer Komposition spezialisiert ist (er arbeitete bereits mit Boulez und Stockhausen zusammen), stellt in zweifacher Hinsicht den idealen Interpreten für Saluzzis Musik dar: Zum einen ist er – wie Saluzzi - seinem Heimatland Argentinien eng verbunden, und zum anderen unterliegt er ebenfalls dem inneren Drang in die Ferne zu reisen. Imágenes wurde unter Mitwirkung des Komponisten im Oktober 2013 in Oslo aufgenommen, von Manfred Eicher produziert und erschien am 22. Mai.
Am gleichen Tag gab es noch zwei weitere Veröffentlichungen bei ECM: David Torn – umtriebiger Gitarrist, Produzent, Improvisator, Filmmusikkomponist und Klangkünstler – meldete sich mit only sky zurück. Dies ist Torns erste ECM-Veröffentlichung seit dem viel beachteten Projekt prezens aus dem Jahr 2007 mit Tim Berne u.a., das vom Magazin Jazzwise wie folgt beschrieben wurde: „a vibrating collage full of shimmering sonic shapes, a dark, urban electronic soundscape – a potent mix of jazz, free-form rock and technology that is both demanding and rewarding.” Viele dieser Attribute charakterisieren auch only sky. Das Album wurde im Experimental Media and Performing Arts Center im New Yorker Umland aufgenommen und anschließend in Torns eigenem „mad-scientist lair“ selektiert und gemischt.
Many More Days, das zweite Album von Third Reel hebt das Konzept der von Flexibilität geprägten und auf Offenheit basierenden Klangstrukturen des schweizerisch-italienischen Trios auf ein neues Level. Emanuele Maniscalco, Nicolas Masson und Roberto Pianca steuern hier allesamt Kompositionen bei, die einerseits unverkennbar die Handschrift ihrer Urheber tragen, andererseits gleichwohl „als Ausgangsmaterial für weitverzweigte, unvorhersehbare Entwicklungsprozesse“ in der Musik gedacht sind. Kompositorische Richtlinien fungieren hier als Zugänge zu noch zu erforschendem Terrain. Many More Days wurde genauso wie das eponyme Debütalbum Third Reel (2013) bei RSI in Lugano aufgenommen.
Drei Neuveröffentlichungen gab es bei ECM im Juni. So Amores Pasados, eine neue Aufnahme mit John Potter.
Für das Unterfangen der Sänger John Potter und Anna Maria Friman (bekannt aus dem Trio Mediaeval), mit diesem Album die Gräben zwischen Kunstlied und Popsongs zu überwinden, wurden Led-Zeppelin-Bassist John Paul Jones, Sting und Genesis-Keyboarder Tony Banks gebeten, neue Songs für die Laute zu schreiben. So komponierte Tony Banks Musik zu Gedichten aus dem 17. Jahrhundert – von Thomas Campion, dessen eigene Liedschöpfungen hier ebenfalls zu hören sind. John Paul Jones wiederum vertonte Lyrik aus allen drei Goldenen Zeitaltern der spanischen Literatur. Stings ‘Bury me deep in the Greenwood’ war ursprünglich für den Soundtrack des Films Robin Hood gedacht und enthält einen Text aus eigener Feder. Die Arrangements der Songs entwickelten sich während der Aufnahmesession mit den Lautisten Ariel Abramovich und Jacob Heringman im November 2014 im Rainbow Studio in Oslo. Abgerundet wird das unkonventionelle Stelldichein des Alten und des Neuen auf diesem Album durch Songs zweier Komponisten des 20. Jahrhunderts, E J Moeran und Peter Warlock, sowie das einzig überlieferte Stück des Renaissance-Musikers Picforth.
Außerdem neue Aufnahmen von Nils Økland und Stephan Micus:
Dicht gefolgt auf Nils Øklands viel gelobte Zusammenarbeit mit Rockmusikern auf Lumen Drones erschien Kjølvatn, das nächste Album des norwegischen Geigers. Øklands neue Band offeriert ruhigere, aber ungemein kreative Musik. Die Musiker auf Kjølvatn sind allesamt bekannt. Das elegante Bassspiel Mats Eilertsens war schon auf ECM-Aufnahmen von Tord Gustavsen, Trygve Seim, Wolfert Brederode und Jacob Young zu hören.Håkon Stene zählt zu den gefragtesten klassischen Schlagwerkern Norwegens. Der Harmonist Sigbjørn Apeland arbeitete bereits bei Lysøen –Hommage à Ole Bull mit Økland zusammen und der Neue Musik-Saxophonist Rolf-Erik Nylstrøm spielte im ‚Trio Poing‘ mit Frode Haltli. Die Kompositionen auf Kjølvatn stammen weitgehend aus der Feder Øklands, wobei jedes Bandmitglied seine individuelle Sicht auf die Arrangements beiträgt. Aufgenommen wurde Kjølvatn in der Steinkirche von Østre Toten im norwegischen Oppland.
Auf seinen Reisen in aller Welt geht es Stephan Micus darum, traditionelle Instrumente zu studieren und zu verstehen, die Klänge, die sie produzieren und die Kulturen, die sie hervorgebracht haben. Nomad Songs ist sein 21. Album für ECM, Micus spielt darauf insgesamt neun Instrumente, eine besondere Rolle bekommen dabei zwei, die er nie zuvor eingesetzt hat: Die marokkanische Genbri, eine von den Gnawa gespielte, mit Kamelhaut überzogene Laute, und das Ndingo, ein Lamellophon ähnlich der bei uns bekannteren Kalimba, das von den San-Völkern in Botswana benutzt wird. Diese Ureinwohner des südlichen Afrika wurden von ihren angestammten Territorien vertrieben und von den neuen Nationalstaaten marginalisiert. Den Albumtitel sieht Micus als „eine Hommage an diese Völker.
Als einzige Neuheit im Juli kam ein Album, bei dem das gesprochene Wort eine besondere Rolle spielt:
Auf Eine Olive des Nichts verbindet der Radioautor und Regisseur Burkhard Reinartz Gedichte und Texte der Lyriker Tomas Tranströmer, Adam Zagajewski und Philippe Jaccottet mit Geräuschen, Soundscapes und Musik von Eivind Aarset, Jon Balke; Nik Bärtsch, Meredith Monk, Tomasz Stanko, Arvo Pärt, Morton Feldman und anderen zu einer spannungsvollen Einheit von Wort und Musik. Innerhalb des Musikstroms umkreisen die Dichter in minimalistischen Aussagen, was ihnen Poesie bedeutet.
Im August folgen Neuheiten vom Enrico Rava Quartet, dem Socratis Sinopoulos Quartet, dem Stefano Battaglia Trio und Dominique Pifarely.