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Dienstag, 16. November 2021

Amerikanische Schwangere oder Gebärende sterben häufiger an Tötungsdelikten als an typischen Komplikationen


(Nature) Die Auswertung von Sterbeurkunden aus einer nationalen Datenbank hat ein wirklich düsteres Bild für schwangere Frauen ergeben. Keine Zeit des Glücks und der Liebe, sondern eine Katastrophe. Viele (werdenden) Mütter werden häufig von ihrem Partner getötet. Dies zeigt eine Studie, die letzten Monat in Obstetrics & Gynecology1 veröffentlicht wurde. 

Die Forscher fanden heraus, dass US-Frauen, die schwanger sind oder in den letzten 42 Tagen geboren haben, mehr als doppelt so häufig durch Tötung sterben wie Frauen, die an Blutungen oder Plazenta-Störungen sterben - die Hauptursachen für das, was normalerweise als schwangerschaftsbedingte Todesfälle eingestuft wird. 

Auch eine Schwangerschaft erhöht das Risiko eines Todes durch Tötung: Im Alter zwischen 10 und 44 Jahren wird bei Frauen, die schwanger sind oder deren Schwangerschaft im letzten Jahr endete, eine um 16 % höhere Rate an Tötungen verzeichnet als bei nicht schwangeren Frauen. Zu einem großen Teil sind die tödlichen Übergriffe auf Gewalt durch den Intimpartner zurückzuführen.

Um zu einer nationalen Momentaufnahme zu gelangen, analysierten die Reproduktions-Epidemiologin Maeve Wallace von der Tulane University in New Orleans, Louisiana, und ihre Co-Autoren Daten zu Todesfällen in allen 50 US-Bundesstaaten aus den Jahren 2018 und 2019 anhand von Informationen aus der Datenbank des National Center for Health Statistics, die von den US-Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) betrieben wird.

Im Jahr 2003 begannen die Vereinigten Staaten damit, in Sterbeurkunden anzugeben, ob eine Person während der Schwangerschaft oder innerhalb von 42 Tagen oder einem Jahr nach dem Ende der Schwangerschaft gestorben ist. Bis 2010 nahmen 37 Bundesstaaten eine solche Option in ihre Totenscheine auf; bis 2018 verlangten alle 50 Bundesstaaten diese Information. In diesem Jahr analysierten Wallace und seine Mitarbeiter die entsprechenden Aufzeichnungen. Ihrer Zählung zufolge starben in den Jahren 2018 und 2019 insgesamt 273 Frauen entweder während der Schwangerschaft oder innerhalb eines Jahres nach dem Ende ihrer Schwangerschaft durch einen Mord.

Die CDC rechnet jedoch Tötungsdelikte, Unfälle oder Selbstmorde nicht den Ursachen von "Müttersterblichkeit" hinzu. Die Gesamtrate der Müttersterblichkeit in den Vereinigten Staaten ist im Steigen begriffen. Und sie ist für ein reiches Land besonders hoch. Zu den Faktoren, die dazu beitragen, gehören der unzureichende Zugang zur Gesundheitsversorgung, das für geburtshilfliche Notfälle schlecht ausgebildete Personal und die unzureichende Versorgung schwarzer Frauen aufgrund von Rassismus in der klinischen Praxis.

Auf der Grundlage jahrelanger Studien gehen Spezialisten für Gewalt in Paarbeziehungen davon aus, dass für Frauen, die bereits in einer missbräuchlichen Beziehung leben, ein erhöhtes Risiko für Tötungsdelikte besteht, wenn sie schwanger werden. Wallace und ihre Mitautoren stellen fest, dass etwa zwei Drittel der in ihren Daten erfassten Tötungsdelikte in der Wohnung der betreffenden Person stattfanden, was darauf schließen lässt, dass die Frau von ihrem Partner getötet wurde. Es ist kein perfekter Indikator, aber alles, was sie darüber wissen oder spekulieren.

Das Team fand heraus, dass schwarze Frauen in den Vereinigten Staaten, die schwanger sind oder vor kurzem schwanger waren, ein fast dreifach höheres Risiko haben, durch einen Mord zu sterben, als Frauen, die nicht schwanger sind - der höchste Anstieg, der für eine rassische oder ethnische Gruppe berichtet wurde.  Das Team berichtet nur über die Raten bei schwarzen, hispanischen und weißen Frauen, da die Stichprobengröße für andere Gruppen - wie asiatische Frauen oder Frauen der amerikanischen Ureinwohner - zu gering war, um sie zu veröffentlichen.

Schwarze Frauen haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko, an geburtshilflichen Ursachen zu sterben. Insgesamt sterben schwarze Frauen, die schwanger sind oder vor kurzem schwanger waren, nach Angaben der CDC 2,5-mal häufiger an schwangerschaftsbedingten Ursachen als nicht-hispanische weiße Frauen.

Auch das Alter spielt bei schwangerschaftsbedingten Tötungsdelikten eine Rolle, wie das Team herausfand: Junge Frauen im Alter zwischen 10 und 24 Jahren haben der Studie zufolge ein höheres Risiko, während der Schwangerschaft getötet zu werden, als ältere Frauen. "Es ist eine Geschichte von Alter und Rasse", sagt Wallace.

Oft ist das höhere Risiko für schwarze Frauen zum Teil darauf zurückzuführen, dass sie aufgrund von Rassismuserfahrungen den Strafverfolgungsbehörden gegenüber misstrauischer sind und seltener Beschwerden über häusliche Gewalt vorbringen.






Freitag, 12. April 2013

Büchners "Woyzeck" nach Robert Wilson und Tom Waits im Nationaltheater Mannheim (Besprechung)

Fotos: Hans Jörg Michel


Der Woyzeck, fast jedem Schüler aus dem gymnasialen Bereich ein Begriff, Georg Büchners unvollendetes Werk, begonnen im letzten Jahr vor seinem Tod (Büchner wurde ja nur 24 Jahre alt, er starb 1837), erschien und  wurde ebenso wie die Komödie "Leonce und Lena" erst Jahrzehnte später aufgeführt. Herausgekommen war zu Lebzeiten nur "Dantons Tod" (1835). Die erste Schriftensammlung Georg Büchners durch seinen Bruder Ludwig im Jahr 1850 nahm Woyzeck nicht auf, weil das Fragment stark verblasst war. Erst Karl Emil Franzos konnte nach chemischer Behandlung des Skripts das Stück 1879 publizieren, er stellte die Rasierszene von fünfter Stelle an den Anfang. Der Woyzeck beeinflusste die Dramen der Nachzeit in einem enormen Maß, gerade was die offene Struktur angeht.

Woyzeck hat ein uneheliches Kind mit Marie, arbeitet als Bursche eines Hauptmanns und trägt fast all sein Einkommen zur Freundin. Um noch mehr Geld zu bekommen hat er sich für medizinische Experimente bereiterklärt und wird darüber durch einseitige Erbsenkost verrückt. Ein Tambourmajor der Musikkapelle spannt Marie aus, worüber Woyzeck noch mehr verrückt und wütend wird. Er bringt seine Freundin um.


Das klassisch offene Drama wurde bei Robert Wilson und Tom Waits sowie in der Inszenierung von Georg Schmiedleitner komplett neu zu einem modernen Musical arrangiert. Die Szenenfolge, Gestaltung der Figuren gelichtet, auch verändert, was schon mit der Eingangsszene klar wird. Nicht die Laufburschenfunktion, sondern die Verwendung Woyzecks (sehr einfühlsam und überzeugend Sascha Tuxhorn) zum (Sex-)Sklaven lässt das Stück nach einem Vorspiel über die menschliche Kreatur, unter Vorführung der größten Kanaillen und niedrigsten Form der Kreatur, dem Affen, mit Büchnerscher Ironie starten. Die Ursprungsszene 3 wird zur ersten, die fünfte zur zweiten. Exemplarisch für die Erniedrigung der arbeitenden Bevölkerung zu Büchners Zeiten, auch deren Einsatz zur Befriedigung der ganz offen gelegten sadomasochistischen Gelüste des Hauptmannes (Reinhard Mahlberg mimt den verkommenen und reichlich brutalen Hauptmann hervorragend) ... "Peitsch' er langsam. Was soll ich mit den 10 Minuten anfangen, die er früher fertig ist?" Es folgt ein ausführliches Gepräch über Moral und Tugend, worin Woyzeck ironischerweise beschuldigt wird, dass er keine Moral habe.


Die Sprache der Personen zeigt mehr hessischen Akzent und Ausdruck der einfachen Weise als manche Vorlage. Wahrscheinlich auch als  Brückenfunktion zum "Hessischen Landboten", Büchners politischer Kampfschrift gegen die sozialen Missstände, derentwegen er steckbrieflich in Darmstadt gesucht wurde und weswegen er 1835 nach Straßburg floh. Der Dialekt ist die Sprache des Volkes, der Arbeiter gewesen. Sein Helfer Minnigerode wurde verhaftet, später noch der beteiligte Pfarrer Weidig. 


Das gesamte Geschehen läuft im Mannheimer Woyzeck wie auf einer Drehscheibe ab, deren Segmente in der Folge die offenen Szenen darstellen, dennoch fast zum Illusionstheater zurückkehren. Die Figuren Andres, ein Kumpel, ebenfalls Knecht, wird ein beinamputierter flippiger farbiger Freund aus der Szene (Peter Pearce), Karl, der Idiot (Thorsten Danner), scheint unverändert, und Margret, die Nachbarin (sehr aufreizend Ragna Pitoll als Lustsklavin), erscheint als Laszive aus dem Milieu. Der Tambourmajor (enthusiastisch gespielt von Michael Fuchs) eine Spur Elvis Presley, in einem expressiven Tanz verewigt. Marie (hervorragend gespielt von Dascha Trautwein) die brave Mutter, die später zur Prostituierten mutiert und den Major nicht abweisen will.

Die Songs von Waits und seiner Frau Kathleen Brennan stellt Robert Wilson kontrastierend oder erläuternd den klassischen Szenen zur Seite. So bei der Freimaurerszene, in der Woyzeck die Welt als hohl erlebt, sich betrogen fühlt. Andres, versucht ihn abzulenken, als er merkt, dass Woyzeck bereits verrückt ist. "Always keep a Diamond in your Mind" ... Maries Wiegenlied - das deutlich ihre latente Abneigung des Kindes zeigt, bis hin zu Aggressionen, kontrastiert mit "Lullaby": Sun is red; moon is cracked / Daddy's never coming back / Nothing's ever yours to keep / Close your eyes, go to sleep / If I die before you wake / Don't you cry, don't you weep. Ebenso die Szene mit dem Doktor, der skrupellose Menschenexperimentator  - "God's away on Business". Das Lied des Tambourmajors an Marie: "(...) She's my princess, my everything (...)" mündet in die erste Affärenszene der beiden, der Vorhang als Bettdecke und Samtkleid, sie einem Abenteuer nicht mehr abgeneigt. Im folgenden rhythmischen Kopulationstanz - "(... ) when a man wants everything he comes to hell (...)" sind wie im ganzen Stück der Narr und die Hure Zeuge. Marie danach entehrt, das Rot des Milieus als Farbe bevorzugend, ihre Tugend über Bord. Woyzeck unterdessen bedroht und vereinnahmt durch den Hauptmann, der ihm die Pistole an die Schläfe hält,  und den Doktor (reichlich perfide und skrupellos durch Ralf Dittrich bestens dargestellt), nur noch reines Objekt der Erniedrigung und des Versuchs, erfährt, dass Marie eine Affäre begonnen hat. Sein Leid im Schreigesang seiner Erinnerungen an die Liebe. Marie denkt über Ehebruch nach und sucht eine Legitimation - sie zitiert Bibelstellen, ob sie wohl passen könnten. Woyzecks Plan erreicht sein Ziel, er ersticht sie. Die Bluttat stark in Szene gesetzt durch Perspektivenänderung. Über allem der Song über ein Mädchen, das in den Himmel kam. Es traf auf goldene Fliegen, kehrte zurück zur Erde und stellte fest, dass die Erde nur ein Pisspott ist.


Eine sehr überzeugende Darbietung, bei der gelegentlich die Stimmen etwas zurückbleiben. Ansonsten das Stück "Woyzeck" ganz herrlich anders, expressiv, deutlich und lasziv, mit Brecht-Elementen, schwebender Musikkapelle und aufwändigem Technikeinsatz und last not least der Aura von Tom Waits Songs.

Sonntag, 16. September 2012

Nachlese: LITTLE BEE von Chris Cleave, besprochen von Christiane Bienemann; Kleve

dtv, Frühjahr 2011


Little Bee von Chris Cleave oder ein Mittelfinger für ein Menschenleben

Vorab gesagt - der Inhalt dieses Buchs ist heftig. Und trotzdem sehr humorvoll geschrieben. Nach den ersten Kapiteln mag man es gar nicht mehr aus der Hand legen, so sehr ist man daran interessiert endlich herauszufinden, was das sechzehnjährige nigerianische Flüchtlingsmädchen Little Bee mit dem wohlhabenden Londoner Journalisten-Ehepaar Sarah und Andrew verbindet. Schritt für Schritt wird man durch Rückschauen in eine Welt mitgenommen, die man sich in den doch recht behüteten Industrienationen nicht wirklich vorstellen kann.

Das einzige, was bei diesem Roman meiner Meinung nach etwas zu kurz kommt, sind Hintergrundinformationen über den sogenannten Ölkrieg in Nigeria. Andererseits vielleicht auch gar nicht verkehrt, denn so muss der Leser selbst aktiv werden, möchte er mehr über dieses Thema wissen. In der Region des Nigerdeltas werden laut Wikipedia „aus 5.000 Bohrquellen und 7.000 Kilometern Rohrleitungen pro Tag mehr als zwei Millionen Fass Öl gefördert“. Nur kommt der Gewinn dieser unglaublich anmutenden Mengen fast ausschließlich den großen Ölkonzernen zugute.
Und die Bewohner dieses Landstrichs zählen zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen der Welt. Dazu kommt, dass Land und das Wasser ölverseucht sind, Tiere verenden und dass das bei der Ölförderung freigesetzte Gas einfach abgefackelt wird. Was zusätzlich eine permanente Licht- und Lärmbelästigung der Menschen darstellt. Die Regierung steht auf der Seite der Ölfirmen und greift hart gegen Rebellen durch, die sich für die Menschenrechte dort einsetzen.

Nach wie vor aktuell nach den Unruhen im Ferienland Ägypten vor gut einem Jahr ist auch das Thema Urlaub in Krisenregionen. Egal wie sehr man sich auf seinen Urlaub freut, sollte man doch das Schicksal nicht unnötig herausfordern, meine ich. Urlaube können storniert oder umgebucht werden, davon geht die Welt nicht unter. Sarah bekommt durch ihre Position als Chefredakteurin eines bekannten Magazins kostenlose Flugtickets und eine Hotelreservierung für den Ibeno-Strand in Nigeria. Der zwischen Atlantik, Flussdelta und Dschungel gelegen ist. Gegen die ausdrückliche Warnung eines Wachmannes verlassen sie die Hotelanlage um am Strand spazieren zu gehen. Was ihr Leben nachhaltig verändern wird. Denn dort stoßen sie auf die beiden Flüchtlingsmädchen Little Bee und ihre Schwester Nkiruka. Die beiden flehen sie an, sie vor den Männern von der Ölfirma zu retten, die ihr Dorf vernichtet und alle Einwohner getötet haben. Zuerst können Sarah und Andrew kaum glauben, was sie hören - bis die Männer den Strand erreichen. Erschreckend schnell wird die Willkür deutlich, mit der diese Leute vorgehen: Die Mädchen sollen überleben, wenn Andrew dazu bereit ist, sich seinen Mittelfinger mit einer Machete abzutrennen.

Die Handlung des Buchs wird von den zwei Ich-Erzählern Sarah und Little Bee geschildert. Little Bee nimmt uns mit in ihre Welt und erzählt von der Zeit in einem britischen Abschiebegefängnis. Sarahs Probleme mögen dem Leser näher stehen - die allmähliche Routine in ihrer Ehe, die Affäre mit Interviewpartner Lawrence. Ihr kleiner Sohn Charlie, der stets im Batman-Kostüm herumläuft. Besteht die Chance einer Freundschaft zwischen den beiden Frauen aus gänzlich unterschiedlichen Kulturen? Warum erhängt sich Andrew kurze Zeit später? Und bekommt Little Bee eine Aufenthaltsgenehmigung?

Neugierig geworden? Dann müssen Sie unbedingt dieses Buch lesen. Ich wage mal die Prognose, Sie werden es nicht bereuen. Eine Verfilmung mit Nicole Kidman in der Hauptrolle ist geplant.



(c) Christiane Bienemann, Kleve. Buchbesprechung vom 17.03.2011 (überarbeitet)

Freitag, 20. Juli 2012

Fantasien zur Nacht: DAS LÄCHELN DER MARGARETE ANDOUX von Klabund

[...]   Adalbert Klinger trug kreuz und quer lange und kurze Schmisse von seiner Burschenschaftszeit her auf der linken Wange und auf der Stirn, die unnatürlich tiefrot, wie mit roter Tinte gezeichnete Striche, auf der blaßgelben Haut lagen. Der Alkohol trieb sie auf. Adalbert Klinger soff. Aber seine ruhigen, braunen, halbzugekniffenen Augen und der sinnliche, etwas schiefe Mund übten eine verwirrende Wirkung auf die Frauen, Alle Frauen der kleinen Stadt liebten ihn, den die Männer wegen seiner schlaffen Unfähigkeit zur Arbeit verachteten. Des Hasses hielten sie ihn nicht einmal wert. Am meisten aber liebte ihn Isabelle Kersten.
Dieser Adalbert Klinger allein von allen Männern grüßte Margarete Andoux nicht. Er sah nicht einmal hin, wenn er ihr auf der Straße begegnete, den Mantelkragen aufgeklappt, den Oberkörper nach vorn gebeugt, die Zigarette im Mundwinkel.
Margarete Andoux wunderte sich. Sie nahm sonst Huldigungen lächernd, selbstverständlich entgegen. Warum grüßte sie dieser... dieser Mensch nicht? Kannte er sie nicht? Er kannte doch alle Frauen der Stadt und grüßte sie. Und die Mädchen waren insgesamt in ihn verliebt - wie konnte er sich erfrechen, sie zu übersehen?
Sie sprach mit Isabelle Kersten, die im geheimen Triumph und Schadenfreude empfand.
"Er kennt dich wahrscheinlich nicht", sagte Isabelle Kersten. "Ist er dir schon vorgestellt? Nein? Na also."
Zum Promenadenkonzert, das die Stadtkapelle sonntags auf dem Marktplatze veranstaltete, spazierten Margarete Andoux und Isabelle Kersten weißviolett Arm in Arm.
Adalbert Klinger trottete des Weges.
"Paß auf", sagte Isabelle Kersten. "Er kennt mich, er -"
Isabelle Kersten erbleichte. Adalbert Klinger war vorbei und hatte nicht gegrüßt. Sie warf die Schuld auf ihre Freundin.
"Er leidet dich nicht", meinte sie spöttisch.
Margarete Andoux zuckte die Achseln und schwieg nachdenklich. Was hatte er gegen sie? Und wie sie sich mühte und kämpfte, ihre Gedanken kamen nicht von ihm los. Sie litt, aber sie wußte sich nicht zu helfen. Sie fühlte einen Zwang in sich, Adalbert KHnger innen und außen zu betrachten. "Ich werde ihn zu Ende denken", dachte sie.
Und sie lag die Nacht wach und grübelte.
Schatten flogen über sie hin, und in den Dingen war ein dunkles Summen und Singen. Wo habe ich diese eintönige Melodie schon gehört? Es ist nur ein Ton und doch eine Melodie. Und niemand kennt den Ton. Alle haben ihn in sich, und keiner kann ihn sagen oder singen.
Margarete Andoux wurde unruhig. Diesem Manne gegenüber, der sie nicht kannte und dem ihr Lächeln gleichgültig war, verlor sie ihre Sicherheit. Sie empfand schreckhaft, wie sie sich mit ihm beschäftigte und in ihn hineinsank.
Sie suchte nun, ihn auf der Straße zu treffen, lief im Regen an seiner Parterrewohnung ohne Schirm vorbei, daß er hinauskommen möge und ihr seine Begleitung anbiete. Sie erfuhr, wann er zum Dämmerschoppen ging, und lauerte ihm förmlich auf. Wenn er sich näherte, lächelte sie. Das Lächeln bat um Mitleid. Ohne sie anzusehen oder den Kopf zu wenden, schlenkerte er an ihr vorbei. Sie fieberte: was wollte er von ihr? Was schlug er sie, was trat er sie mit Füßen? - Und sie erniedrigte sich so weit, sich nach ihm umzublicken und auf der Gasse stehenzubleiben, bis seine grau schwankende Silhouette in einem Hause verschwand.
Eines Tages saß sie auf dem Balkon. Er bog unten um die Ecke. Sie ließ schnell einen Handschuh vor ihm auf das Pflaster fallen. Er hob ihn nicht auf. Sie biß in ihr Taschentuch vor wütender Enttäuschung und krampfte sich in Tränen. Was nutzte ihr schönes, reizendes Lächeln, wenn es alle Männer verführte, nur diesen einen nicht, den es so schmerzlich ersehnte. Um Gottes willen, ich liebe ihn doch nicht, unterbrach sie ihre Gedanken, Nein, nein, sie lachte, ich ärgere mich nur rasend, daß er mich nicht sehen will. Denn das eine weiß ich jetzt ganz genau: er will mich nicht sehen.
Und sie sann, wie sie ihn zwingen möchte, daß er sie ansähe. O wie sie ihn haßte!
Vor der Stadt, auf dem Oderdamme, begegneten sich Adalbert Klinger und Margarete Andoux. Es war Winter und Glatteis. Margarete Andoux stolperte und fiel. Adalbert Klinger schob seinen Kopf tiefer in den Mantel, pfiff leise durch die Zähne und stierte nach dem Strom, der Grundeis führte. Margarete Andoux mußte sich selbst auf die Beine helfen.
Wie ich mich behandeln lasse, wie ich mich behandeln lassen muß, knirschte sie und weinte.
Eines Abends nach neun schellte es an der Wohnung des Studenten. Adalbert Klinger warf die «Contes drolatiques», die er eben gelesen, aufs Bett, nahm einen hastigen Schluck aus seinem Humpen und öffnete.
"Bitte, treten Sie nur näher, Fräulein", sagte er höflich, "Sie wünschen?"
Margarete Andoux stand vor ihm. Ihre Lippen zitterten, und ihre Hände griffen nach einem Halt in der dröhnenden Leere. "Darf ich Ihnen beim Ablegen behilflich sein?" Er zog ihr das Jackett aus. Dann führte er sie zum Sofa und holte aus dem Glasschrank eine Flasche Sekt und zwei Gläser.
Margarete Andoux lächelte.
Drei Tage später betrank sich der Student der Jura im zwölften Semester Adalbert Klinger an seinem Stammtisch bis zur Besinnungslosigkeit. Er hatte seine Wette glänzend gewonnen. Die Flasche Sekt an jenem Abend hatte er schon auf sein Gewinnkonto vorweggenommen.
Auf dem Heimweg schlug er mit dem Schädel aufs Pflaster und blieb Hegen. Er starb am nächsten Tage an Gehirnerschütterung.
Margarete Andoux ging in die Leichenhalle, wo er in einem weißen, reinlichen Hemd aufgebahrt lag. Seine Schmisse glänzten blaßviolett auf der wächsernen Haut.
Am oberen Hals, fast unsichtbar, zeichnete sich eine kleine, anscheinend frische, zackige Narbe ab, als hätte eine Ratte oder Katze sie hineingebissen.
Und Margarete Andoux lächelte...

Freitag, 6. April 2012

Ostermeditation mit Harma-Regina Rieth: Kreuzigung


(c) Harma-Regina Rieth
Ein Seufzer nur...
Wie ist denn die Ewigkeit 
Wie kann sie nur sein ...
Ein Seufzer am Tag 
Für dich allein
Wie ist denn die Ewigkeit 
Wie wird sie nur sein ...
Ein Seufzer in der Nacht 
Für dich allein


Wie ist denn die Ewigkeit 
Wie soll sie nur sein ...
Ein Seufzer nur in der Unendlichkeit 
Für dich allein
Lass mich in der Nacht in den Glanz der Sterne fliegen 
Lass mich am Tag in den goldenen Sonnen wiegen 
Lass mich jeder Zeit im Himmel meine Ängste besiegen
Fühl dich wohl in der Ewigkeit
Und nicht nur du allein
Ein Seufzer nur
Und es ist vergessen alles Leid ...


(Für Inge)          (c) Harma-Regina Rieth

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Der alte Kampf gegen die Mafia - neu im Kino: Colombiana



















Cataleya (Zoe Saldana) ist erst neun Jahre alt, als sie die Ermordung ihrer Eltern durch den brutalen kolumbianischen Mafiaboss Don Luis (Beto Benites) und dessen rechte Hand Marco (Jordi Mollà) mit ansehen muss. Sie selbst entgeht dem Anschlag nur knapp und es gelingt ihr, zu ihrem Onkel Emilio (Cliff Curtis) nach Chicago zu fliehen. Getrieben von dem Wunsch nach Rache und fest entschlossen, den Mörder ihrer Eltern aufzuspüren, lässt sie sich von Emilio zur Profi-Killerin ausbilden. Doch Don Luis genießt inzwischen den Schutz der CIA. Bei dem Versuch, ihren Erzfeind aus der Reserve zu locken, gerät nicht nur Cataleya immer mehr ins Fadenkreuz des FBI sondern auch Danny (Michael Vartan), der von den dunklen Machenschaften seiner Freundin nichts ahnt…Ihre Familie wird weiter angegriffen, am Ende wird Cataleya zum Tier ...



Hollywood-Durchstarterin Zoe Saldana („Avatar – Aufbruch nach Pandora“, „Star Trek“) glänzt als eiskalte Rächerin in der Hauptrolle dieses furiosen Action-Thrillers, für den Genre-Spezialist Luc Besson die Produktion übernommen hat. Nach dem internationalen Erfolg von „96 Hours“ zeichnet Besson darüber hinaus erneut gemeinsam mit Robert Mark Kamen („Das fünfte Element“, „Lethal Weapon 3“) für das Drehbuch verantwortlich. Regie führte Olivier Megaton, der bereits mit „Transporter 3“ für einen Kinohit und Action vom Feinsten sorgte. COLOMBIANA ist pures Adrenalin-Action-Fight-Kino und ein furioser und atemberaubender Rachefeldzug mit einer großen Portion Coolness und Sexappeal! Karthatisches Austoben und Aufatmen am Ende. Nichts für lyrische Gemüter...

Samstag, 8. Januar 2011

Neue DVD-Box: Das Duo - 800 Min. Mordfälle

 An hochkarätigen Krimiproduktionen gab es hierzulande ja noch nie Mangel. Deutsche Krimiautoren und kultige Kommissare sorgten schon für Hochspannung, als „CSI" noch eine unbrauchbare Buchstabenkombination bei Scrabble war. 
Vor einigen Wochen erschien nun ein 5er-DVD-Box-Set mit 9 Folgen eines ganz besonderen Ermittlerpaares: Kommissarin Marion Ahrens und Kommissarin Clara Hertz - besser bekannt als DAS  DUO. Der beste Beweis, dass sich die Spannung und Qualität von Krimis "Made  in Germany" hinter Serien aus dem Ausland nicht verstecken muss. 
Doppelte Frauenpower gemischt mit einer Chemie wie bei Harry und Stefan aus dem "Tatort" und einer Findigkeit wie Sherlock Holmes und Watson präsentieren uns die beiden Lübecker Kommissarinnen Ahrens (Charlotte Schwab) und Hertz (Lisa Martinek).
Charlotte Schwab ist seit der Erstausstrahlung am 16. März 2002 (Im falschen Leben) im ZDF im Einsatz. Lisa Martinek stieß am 14. Oktober 2006 (Unter Strom) dazu. Vier Jahre gemeinsames Ermitteln. Neun gemeinsame Folgen als schlagkräftige Einheit (insgesamt seit Start der Serie: 19 Folgen).

Das Betriebsjubiläum der ZDF-Krimireihe in 2010 wurde im ZDF mit der Folge Nummer 9 (Mordbier) und mit der 5er-DVD-Box begangen. Das Besondere: Auch die Folge „Mordbier" ist bereits auf der DVD-Kollektion der Duo-Fälle mit Charlotte Schwab und Lisa Martinek enthalten - schon einen Tag vor der TV-Premiere! Mit den Folgen 12 bis 19 ergibt das insgesamt über 13 Stunden Mord, Totschlag, Lügen und Intrigen, Betrug und was das deutsche Strafgesetzbuch und die Fantasie der Drehbuchautoren noch so hergibt. Ob die gefesselte Frauenleiche im Schlafzimmer oder der Mord, der mit einer Radio-Dating-Show im Zusammenhang steht, Sex, Drugs and Murder, Fremdgehen, Rache, Eigennutz, egal ob die Ermordung eines Hotelbesitzers oder der rätselhafte Tod eines Studienrats - immer geht es in allen Spielarten quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und logischerweise darum, den Mörder zu identifizieren und zu fassen. Spannung ist dabei ebenso garantiert wie der Ermittlungserfolg.
Da hätten es die Übeltäter doch lieber beim „Tatort" versuchen sollen, dort hätten sie es nämlich jeweils höchstens mit der Hartnäckigkeit einer Kommissarin zu tun... Zwei weibliche Spürnasen gibt es dagegen nur bei „Das Duo". In Lübeck hat die Damenwelt den Vorsprung, Frauenquote sozusagen übererfüllt - und immer den richtigen Riecher.

 Die einzelnen DVDs:
 1. Man lebt nur zweimal (88'43)    4. Verkauft und Verraten (87'33)   7. Wölfe und Lämmer (88'27)
 2. Der Sumpf (88'30)               5. Echte Kerle (87'32)             8. Bestien (88'00)
 3. Liebestod (87'10)               6. Sterben statt erben (87'26)     9. Mordbier (87'48)
 Gesamt: 791*09 Minuten, Sony           Best Price z.Zt.: 32,99 €

Über Charlotte Schwab  (Kommissarin Marion Ahrens)
Charlotte Schwab stammt aus der Schweiz. Zur Schauspielerin ausgebildet wurde sie am Staatlichen Konservatorium für Musik und Schauspiel in Bern. 24 Jahre lang spielte Charlotte Schwab Theater, unter anderem am Schauspielhaus Bochum, am Thalia Theater Hamburg  sowie an der Schaubühne Berlin, außerdem gastierte sie bei den Salzburger Festspielen. Sie arbeitete mit namhaften Regisseuren wie Claus Peymann, Jürgen Flimm, Peter Stein und Sven Eric Bechtolf. Seit 1996 ist Charlotte Schwab auch in zahlreichen Fernsehrollen zu sehen, seit 2002 in der ZDF-Krimireihe „Das Duo".


Über Lisa Martinek  (Kommissarin Clara Hertz)
Die 1972 in Stuttgart geborene Schauspielerin Lisa Martinek studierte an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Sie bekam nach ihrem Debüt am Hamburger Thalia Theater ein festes Engagement am Schauspiel Leipzig (1997 bis 2001) und gastierte danach am Schauspielhaus in Frankfurt am Main. In Janek Riekes Film „Härtetest" (1998) spielte Lisa Martinek die Rolle der couragierten Fahrradkurierin Lena, die ihr eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis bescherte. Außerdem war sie 2003 für ihre Rolle in Uwe Jansons Film „Jagd auf den Flammenmann" für den Deutschen Fernsehpreis nominiert und brillierte in dem 2005 mit dem Fernsehpreis ausgezeichneten Film „Das Zimmermädchen und der Millionär".

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