Psychogramm eines Herrschers – Wladimir Putin
Warum mögen so manche spezielle Charaktere Putin besonders? Weil er das hat, was sie auch haben, und damit viel geworden ist, obwohl er dieselben psychischen Auffälligkeiten hat.
Wladimir Putin, geboren 1952 in einer
Stadt, die wenige Jahre zuvor zu Tode belagert worden war, trägt in
sich ein Erbe der Kälte. Leningrad war verwundet, seine Eltern
Überlebende – der Vater verstümmelt vom Krieg, die Mutter halb
verhungert, einmal schon unter die Toten gelegt. In dieser Welt kam
ein Kind zur Welt, das früh lernen musste, dass Schwäche tödlich
sein kann. Die Wände der Kommunalka waren dünn, die Räume
überfüllt, und draußen im Hof lauerten Prügeleien und
Erniedrigungen.
In seinem autobiografischen Buch Aus erster Hand erinnert Putin an eine prägende Kindheitserfahrung: „Dort habe ich eine schnelle und nachhaltige Lektion über die Bedeutung des Wortes ‚in die Enge getrieben‘ gelernt.“ Es war die Episode mit der Ratte, die er in die Ecke drängte und die sich schließlich mit Zähnen und Sprung wehrte. Aus dieser Lektion machte er eine Lebensphilosophie.
Psychologen deuten diese Herkunft als Boden für eine „strategische Kälte“. Der amerikanische Neurowissenschaftler James Fallon kommt nach jahrelanger Beschäftigung zu einem klaren Urteil: „Die Punkte im Lehrbuch, die einen Psychopathen ausmachen, treffen auf Putin zu.“ Fallon beschreibt ihn als „kalt, emotionslos, aber extrem intelligent“, überzeugt, dass jede Tat, „selbst Mord, das Richtige“ sei, wenn sie im Dienst seiner Mission stehe.
Die deutsche Psychotherapeutin Stefanie Stahl wird noch deutlicher: „Da liegt eine manifeste Persönlichkeitsstörung vor.“ Sie verweist auf narzisstische und antisoziale Züge, die sich in Putins kompromissloser Machtpolitik zeigen. Der irische Neurowissenschaftler Ian Robertson beschreibt in Psychology Today eine tiefgreifende psychologische Verschmelzung von Selbstbild und Nation: „Er glaubt ernsthaft, dass Russland ohne ihn dem Untergang geweiht ist.“
Es gibt jedoch auch abweichende Stimmen. Der deutsche Psychiater Manfred Lütz hält Putin für „schrecklich normal“. Und der Politikwissenschaftler Sam Greene vom King’s College London warnt: „Wir dürfen nicht vorschnell westliche Kategorien auf Putin anwenden. Was uns irrational erscheint, kann in russischem Machtverständnis logisch wirken.“
Seine Kriegsführung in der Ukraine wird von westlichen Instituten nicht als Laune, sondern als langfristig methodische Strategie gelesen. Das Institute for the Study of War (ISW) betont: „Putins Vorgehen ist nicht impulsiv, sondern methodisch und territorial ausgerichtet.“ Genannt werden die geduldige Umzingelung ukrainischer Städte, hybride Kriegsführung mittels Cyberattacken und Desinformation sowie das Ziel, westliche Allianzen zu destabilisieren.
Der estnische Historiker Andrei Hvostov weist darauf hin, dass Putin nicht isoliert zu betrachten sei: „Die Gesellschaft ist auf Krieg eingestellt – ein neuer Fahrer würde denselben Kurs fahren.“ Der russische Militarismus sei längst eine kollektive Realität, die über die Person Putins hinausreiche.
Auch geopolitische Einschätzungen unterstreichen dieses Muster. Laut einer WELT-Analyse „will Putin einen Keil zwischen die USA und Europa treiben – für die Rückkehr Russlands zur Weltmacht.“ Der UN-Experte Alexander Dill hingegen mahnt, dass eine rein militärische Eskalation gefährlich sei: „Ein wirtschaftlich starkes Europa kann Russland davon überzeugen, dass sich ein Angriff nicht lohnt.“
So ergibt sich ein doppeltes Psychogramm: das des Mannes und das einer Nation. Der Mann, geprägt von Armut und Angst, trägt die Härte seiner Herkunft wie eine Rüstung, unfähig, Schwäche als etwas anderes als Gefahr zu erkennen. Die Nation, geformt von imperialer Sehnsucht und dem Erbe des Krieges, lässt ihn gewähren und stärkt seinen Kurs.
Putin ist deshalb kein Rätsel, sondern eine gefährliche Folgerichtigkeit: ein Herrscher, der sich selbst als Verkörperung Russlands versteht, ein Stratege der Geduld, ein Spieler der Macht, dessen Moral sich nicht in Kategorien von Gut und Böse bewegt, sondern allein in Kategorien des Überlebens und der Dominanz.
Quellen
• Wladimir Putin: *Aus erster Hand* (2000), Autobiografie.
• James Fallon, Neurowissenschaftler (University of California, Irvine): Interviews, Vorträge, Fachanalysen zu Psychopathie.
• Stefanie Stahl, Psychotherapeutin und Autorin, Interviews in deutschen Medien.
• Ian Robertson, Neurowissenschaftler, Artikel in *Psychology Today* (2022).
• Manfred Lütz, Psychiater, u. a. ZDF-Interview (2022).
• Sam Greene, Politikwissenschaftler (King’s College London), Analysen zu russischer Machtpolitik.
• Institute for the Study of War (ISW, USA): Lageberichte 2022–2023.
• Andrei Hvostov, estnischer Historiker, Kommentare zur russischen Gesellschaft.
• Alexander Dill, UN-Experte, Basel Institute of Commons and Economics.
• WELT-Analyse: Experteneinschätzung zur strategischen Zielsetzung Putins (2022).
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