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Dienstag, 9. Februar 2010

Lyrik: Eva Strittmatter – Leib und Leben, eine Biographie von Irmtraud Gutschke



Irmtraud Gutschke
Eva Strittmatter – Leib und Leben
Das Neue Berlin 2008

Eva Strittmatter, 1930 in Neuruppin geboren, lebt seit 1954 als freie Schriftstellerin in Schulzenhof. Bekannt wurde sie durch folgende Lyrikbände: „Ich mach ein Lied aus Stille“ (1973), „Mondschnee liegt auf den Wiesen“ (1975), „Die eine Rose überwältigt alles“ (1977), „Zwiegespräch“ (1980), „Heliotrop“ (1983), „Atem“ (1988), „Der Schöne (Obsession)“ (1997), „Liebe und Haß. Die geheimen Gedichte“ (2000), „Der Winter nach der schlimmen Liebe“ (2005), „Für meine Schulzenhof-Freunde“ (2008), „Seele Seltsames Gewächs“ (2009), „Wildbirnenbaum“ (2009)
Zu den Prosawerken zählen: „Briefe aus Schulzenhof“ (I 1977, II 1990, III 1995), „Poesie und andere Nebendinge“ (1983), „Mai in Piestany“ (1986).


Irmtraud Gutschke wurde 1950 in Chemnitz geboren und ist bei der Zeitung „Neues Deutschland“ für Literatur verantwortlich. Seit 1971 veröffentlicht sie Texte über Autoren und ihre Werke. 1976 promovierte sie über „Mensch und Natur im Schaffen Aitmatows“ Daraus entstand 1986 der Essayband „Menschheitsfragen, Märchen, Mythen. 2007 erschien in dieser Buchreihe bereits ihr Gesprächsband „Hermann Kant. Die Sache und die Sachen.“


(Leipzig/UA) Eva Strittmatters Lyrik wurde millionenfach aufgelegt. Einen Grund für das Leserinteresse formulierte sie in einem ihrer Gedichte: „Ich schreibe von der einfachen Sache: Geburt und Tod und der Zwischenzeit“. Es wurde ihr oft vorgeworfen, ihre Lyrik sei volksliedhaft, doch in ihrer Poesie finden die Menschen Halt, erleben das, was ihnen widerfahren kann.
Wiederholt hat Irmtraud Gutschke in Schulzenhof gewohnt und die Lyrikerin mit großer Sensibilität interviewt. Sie fand eine scheinbar erschöpfte Frau im Bett und Rollstuhl, die jedoch eine wunderbare Kraft ausströmte.
Es entstand ein Buch, in dem Eva Strittmatter von ihren persönlichen Erschütterungen und ihren Erfahrungen erzählt. Immer kommt auch wieder das Gespräch auf ihre Ehe mit Erwin Strittmatter. Im Dialog wird eine packende Lebensgeschichte erzählt, in der die Leser ihre Autorin wiederfinden können. Zweimal traf Irmtraud Gutschke auch Sohn Ilja an, dessen Äußerungen ebenfalls Platz im Buch finden.
Die beiden Frauen kannten sich von den Puschkin-Tagen in der Sowjetunion, an denen Schriftsteller aus vielen Ländern teilnahmen.
Das Buch lebt einerseits durch die Kraft der Fragen und Anmerkungen von Irmtraud Gutschke und andererseits durch die genaue, offene Schilderung von Eva Strittmatter.
Irmtraud Gutschke berichtete während einer Lesung in Leipzig von der bildhaften Sprache ihrer Gesprächspartnerin und von Nebensächlichkeiten wie dem Kleid, das Christa Wolf trug, als sie bei Strittmatters nach dem 11. Plenum zu Besuch war oder den Löchern in den Strümpfen der rebellischen Tanten der kleinen Eva, die für das Verständnis der Lebensgeschichte der Autorin jedoch von großer Bedeutung sind.
Eva Strittmatter berichtet über die Jahre auf dem ländlichen Schulzenhof, Erwin Strittmatters Jasnaja Poljana, das er sich bewusst schuf. Sie erzählt über ihre Kindheit und Jugend, über ihre vier Söhne, über Hermann Kant, Christa Wolf, Alfred Wellm, Peter Schreier und andere Freunde und Vertraute. Sie berichtet über Geburt und Tod, über Alltägliches und Außergewöhnliches, vom Tod ihres Ehemannes und ihres Sohnes Matthes innerhalb kürzester Zeit. Auch über ihr Alter wie z.B. in einem Gedicht aus dem „Winter nach der schlimmen Liebe“

ALLE VERANTWORTUNG LOSZUWERDEN
Und ohne allzu viele Beschwerden
Die Tage des Alters hinzubringen.
Umgeben von gealterten Dingen,
die jung unser jüngeres Leben umgaben,
Nicht die Vergangenheit umzugraben
Und nichts zu hoffen, das wäre weise.
Einfach nur leben, verborgen und leise,
Mit der Gewissheit, es wird nichts geschehen,
Ich werde auf Erden nichts Neues mehr sehen.
Glaube und Hoffnung sind hingeschwunden,
Und ist die Liebe noch überwunden,
werde ich ganz in mir genesen...
Sie aber ist das Größte gewesen.


Auch über die Arbeit an ihren Gedichten reflektiert sie, zitiert, erwähnt die Entstehungsgeschichte des einen oder anderen Werkes. In der Zusammenarbeit mit ihrem Mann entstand Großes auf beiden Seiten. Die studierte Germanistin redigierte seine Texte und profitierte auch von ihm. „Natürlich. Vor allem seine präzise Art, Natur zu sehen und zu beschreiben, hat mir viel vermittelt. Poesie ist doch das Gegenteil von dem, was man gewöhnlich dafür hält. Es geht nicht um poetische gehobene Sprache, Genauigkeit ist das Entscheidende. Die Genauigkeit der Anschauung. Ich habe durch die Zusammenarbeit mit ihm verstanden, dass es für alles einen sinnfälligen Ausdruck gibt. Der darf niemals angestrengt wirken.“
Als die beiden Frauen am Gesprächsbuch arbeiteten, erschien gerade Werner Lierschs Artikel „Erwin Strittmatters unbekannter Krieg“, der in den Medien für große Aufruhr sorgte und Eva Strittmatter tief erschütterte und entsetzte. Die Biografie des großen Schriftstellers ist eine Jahrhundertbiografie, die manchmal einfacher schien als sie war. Auch dieses Thema fand seinen Platz im Buch. Eva Strittmatter wollte es erst im Anhang wissen, doch die Gesprächspartnerinnen einigten sich doch, es in den Text aufzunehmen.
Manchen Leser erschüttert vielleicht die nüchterne Sicht auf das Jahr 1989 und Gorbatschow. Betrachtet man jedoch das Leben der Autorin insgesamt, erscheint auch das nachvollziehbar. Es ist und bleibt Eva Strittmatters Geschichte. Es erzählt eine Frau im Zwiespalt liebevoller Aufopferungsbereitschaft und dem eigenen Entfaltungswillen. Sie hat die Differenz genutzt, die daraus entstand, wie sie sich ihr Leben einst vorstellte und was schließlich Realität wurde. Sie hat daraus Kunst geschaffen, doch das soll nicht das Fazit sein.
Am Ende äußert die heute 80-Jährige die Hoffnung, dass es ihr noch gelänge "...zwei oder drei oder vier kleine Poesien zu machen."

Ute Apel


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