Paula Murrihy (Dejanira; in der Bildmitte stehend, mit gestreifter Bluse) und Chor der Oper Frankfurt Bildnachweis: Monika Rittershaus |
Elena Villalón (Iole) und Michael Porter (Hyllus) Bildnachweis: Monika Rittershaus |
Kurz zur „Biografie“ des antiken Hercules/Herakles: Herakles hat eine gar schwere Bürde zu tragen. Weil Zeus die Gestalt des Amphitryon annahm, als er dessen Gattin Alkmene beglückte, während der Gehörnte mit Kreon und anderen gegen die Taphier kämpfte, ist Herakles ein Abkömmling von Zeus. Sein göttlicher Ursprung verlieh ihm diese viel gerühmten und außerordentlichen Kräfte, die er früh beweisen musste, denn Amphitryon wollte wissen, welcher der beiden Söhne von Zeus stamme – nur er kann fremde Gestalt annehmen und auserwählte Frauen wie Alkmene zur Begattung besuchen. Es waren Zwillinge, Herakles und Iphikles, verblüffend, dass einer anders sein sollte, aber Amphityron war wohl der Meinung, dass einer der Jungen von ihm sei. Zwei Schlangen von Amphitryon in die Wiege der beiden Söhne gelegt sollten den Beweis erbringen. Iphikles suchte das Weite, und Herakles bezwang mit übermenschlicher Kraft mit gerade 8 Monaten (?) beide Schlangen und würgte sie zu Tode. Herakles hat aber auch eine weitere Bürde zu tragen: die Eifersucht von Hera, der Gattin des Zeus. Weil sie wegen des Fehltritts ihres Göttergattens schwer verstimmt war, gönnte sie dem Kind Zeus’ kein glückliches Familienleben mit Megara, die ihm mehrere Kinder geboren hatte. Sie stürzte Herakles in Wahnsinn, und er tötete (wahrscheinlich) seine Frau und sicher seine Kinder. Zur Strafe musste er zwölf Hauptaufgaben und zahlreiche Nebenaufgaben erfüllen. Am Ende seiner Prüfungen besiegte er als König von Thrakien den König von Troja, heiratete dessen Tochter Dejanira, sie hatten zusammen einen Sohn Hyllus. Dieser begleitete seinen Vater im Krieg gegen die Oechalier und bewies, dass er auch ein großer Kämpfer war. Und hier setzt Händels Musikdrama in drei Akten ein.
Paula Murrihy (Dejanira) und Anthony Robin Schneider (Hercules) Bildnachweis: Monika Rittershaus |
werden minimalistischer in der Ausstattung und im Bühnenbild, die Musik ist bereits vorausschauend ausgesprochen modern mit atonalen Anklängen, ungleichmäßig, disharmonisch, Aufblitzen von Dissonanzen in dramatischen Episoden voller Schmerz, Furcht oder auch Entsetzen bzw. Wahnsinn. Die Chorgesänge dazu verkürzt, fast abgehackt und schnell wiederholt. In der Frankfurter Premiere modernes, aber stark reduziertes Bühnenbild mit Graben, Gazevorhang im Hintergrund, der dem Chor zu geisterartigen beschwörenden Auftritten verhilft, und einer Herculesstatue, einem Denkmal von Abwesenheit. Mit HERCULES war Händel in seiner Misserfolgsphase am tiefsten Punkt, weil er dem Zeitgeist und Geschmack vorauseilte.
Hercules (wuchtig und ausgezeichnet Bass Anthony Robin Schneider) kehrt also zurück, wieder eine Tochter eines getöteten Königs entführend, sein Sohn Hyllus (sehr jugendlich wirkend Tenor Michael Porter) erfolgreich im Kampf – und extrem verliebt in Iole, die Entführte (Sopranistin Elena Villalón). Sein im Original der Mythologie Diener und Herold, hier die Schwester Hercules gewordene Lichas (weiblich besetzt mit der locker modern gekleideten Mezzosopranin Kelsey Lauritano) eilt voraus, die frohe Botschaft zu überbringen. Dejanira (sehr starke Rollenbesetzung mit der Mezzosopranistin Paula Murrihy) ist entsetzt, dass er eine Frau mitbringt. Hercules Frau hat eigentlich die Hauptrolle in dem gesamten Geschehen inne, ihrem Gatten gilt die Ehre und die Lorbeeren seiner Bestimmung. Sie befördert die Tragödie, erscheint direkt auch als psychoanalytisches Studienobjekt der Eifersucht. Dejanira klagt über seine lange Abwesenheit und hofft, dass er noch der Ehemann ist, der von ihr ging, sie beschwört die Zeit der gemeinsamen Liebe. Sie scheint nicht enttäuscht zu werden. Sie feiern seine Rückkehr im Intimen. Er lehnt sie nicht ab, sie ist glücklich, aber geplagt von Bedenken.
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Iole beklagt sich
bitterlich über den Tod ihres Vaters und den Verlust ihrer Heimat,
sie darf sich jedoch frei bewegen. Nur angedeutet ist, dass Hercules
sich nicht nur seiner lang wartenden Gemahlin zuwendet, sondern auch
Iole mag. Die Rückkehr wird von Beginn an überschattet von einer
Prophezeiung des Orakels, dass Hercules sterben werde. Hyllus
überbringt diese Botschaft. Er spricht von des Vaters Tod, ist
gleichzeitig Konkurrent seines Vaters bei Iole, wird aber von ihr
komplett zurückgewiesen. Das Omen wird gehisst über allem, eine
urtragische Konstellation beginnt zu brodeln. Der Sohn will den Vater
bei Iole unbewusst verdrängen, Ödipus wirkt ein. Iole lehnt alle
ab, die ihre Heimat zerstörten – Vater und Sohn.
Dejanira steigert sich trotz Beschwichtigung durch Lichas in ihre Eifersucht hinein, wunderbare Szene, in der der Chor singt, sie beschwört, dass sie krank sei, krank vor Eifersucht. Sie steigert sich in einen Wahn hinein und wünscht ihm den Untergang, ein klares Zeichen für den unbewussten Tötungswunsch. Sie erinnert sich an die Begegnung mit dem Kentauren Nessos, der nachdem er sie entführte, von einem vergifteten Pfeil Hercules’ getroffen wurde und sterben musste. Vor seinem Tod empfahl Nessos ihr, ihren Mann, sollte er jemals sie nicht mehr begehren wollen, mit einem in seinem Blut getränkten Hemd zu bekleiden. Das würde aus ihm einen neuen Liebhaber machen. Sie erinnerte sich an dieses Hemd und schickte Lichas zu der gerade stattfindenden Siegesfeier zu Ehren Jupiters. Hercules zog es an und begann augenblicklich durch das Gift qualvoll zu sterben. Es stammte ursprünglich von einer getöteten Hydra.
Anthony Robin Schneider (Hercules; vorne liegend) und Chor der Oper Frankfurt Bildnachweis: Monika Rittershaus |
Dajanira verfällt voller Entsetzen dem Wahnsinn (!) und weiß, dass sie die Mörderin ihres Mannes ist. Sie glaubt sich von Furien verfolgt und bestraft in ihrer Zukunft. Derselbe göttervermittelte Wahnsinn, der Herkules zum Mörder machte, tötet ihn hier - eine Art gerechter Ausgleich. Am Ende wird berichtet, dass bei seiner Verbrennung auf dem Berg ein Adler zugesehen und schließlich Hercules mitgenommen habe in den Olymp. (In der Mythologie verbrannte sich der noch lebende Herakles auf einem Berg selbst.)
Eine sehr beeindruckende Oper mit neuen Händel-Tönen, gewaltig und stark repetitiv in den Arien. Volles Opernerlebnis mit tragischem Ende und einem Ausblick auf Fortsetzung der Geschehnisse, da Sohn Hyllus nun (fast berechnend) von Iole akzeptiert wird und mit ihm das Königreich übernimmt. Meisterhaftes Frankfurter Opern- und Museumsorchester wie immer, grandioser Chor mit Kommentar- und Erzählfunktion, musikalische Leitung Laurence Cummings, Regie von Barrie Kosky. Dramaturgie Zsolt Horpácsy (er hält auch eine Einführung, auf Video bei YouTube zu sehen). Wir freuen uns auf noch mehr Händel …