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Dienstag, 17. Juni 2014

Wie war's am 15.06.2014 bei LADY IN THE DARK, Musical von Kurt Weill, im Staatstheater Mainz?





Kurt Weills Tarot der Psychoanalyse

Lasst euch analysieren und therapieren, so lautet die unterschwellige Botschaft eines Musicals, das im Staatstheater Mainz als Abschiedsproduktion vom scheidenden Intendant Matthias Fontheim nach dessen achtjähriger Tätigkeit am Staatstheater inszeniert wurde, und damit hat es bei vielen Menschen Recht. Beim Psychiater, selbst wenn es um 1940 spielt, sei es nicht steril, tot und dunkel, sondern absolut bunt, lebendig und freundlich, lässt uns das Stück fast ein bisschen zu werbend aufgesetzt wissen, und es gelinge ihm spielend, die Probleme in unserer Psyche aufzudecken und Lösungen anzubieten. 
Kurt Weills direkte Werbung für die Tiefenpsychologie und Psychoanalyse findet der Theaterbesucher in dem Musical "Lady in the Dark", mit dem der 1935 nach New York emigrierte jüdische Komponist 1941 seinen internationalen Durchbruch am Broadway mit einem Rekord von damals 467 Vorstellungen ohne Unterbrechung schaffte. Kurt Weill gehörte zu den überlebenden, weil rechtzeitig geflohenen Kreativen, die aus ihrer Verfolgung einen Welterfolg ihres Schaffens machen konnten. Bei den Nazis wäre diese Offenheit für psychoanalytische Deutungen niemals zugelassen worden, sonst hätten manche womöglich noch entdeckt, dass ihre Ergebenheit dem Führerkult gegenüber behandlungsbedürftig ist.

Nicht neu auf der Bühne, aber sehr realistisch und plausibel, sozusagen wissenschaftlich fundiert, legt Weill ausführlich und unterhaltsam in seinem Musical die psychische Lage einer jungen Frau in Traumbildern offen, die sich per Erziehung immer nur als hässliches Entlein entwickeln durfte und an diesem unbegründeten Minderwertigkeitskomplex litt, bis ihr bewusst wurde, dass dies alles nicht stimmte, aber ihr Eltern immer wollten, dass sie ihrer Mutter nicht ebenbürtig werden durfte oder sie gar übertrumpfte. 
Der Zirkustraum
Liza Elliots Geschichte steht im Rampenlicht des Stücks. In mehreren Sitzungen beim Psychoanalytiker wird ihr Trauma mittels Traumdeutung entrollt und durch sichtbares psychisches Geschehen in Szene gesetzt. Mit der vielseitig einsetzbaren und dominant mit einer Treppe gestalteten Drehbühne und Bühnenbild von Stefan Heyne gab es die richtige Kulisse für die vier wichtigen Träume der Liza „Glamour Dream“, „Wedding Dream“, „Circus Dream“ und „Childhood Dream“. Die Treppe als Zeichen für das Hinauf- ins Bewusste und Hinabsteigen ins Unbewusste beförderte so manches zu Tage, was Liza in den Wochen und Monaten vor dem Psychiaterbesuch wie Gespenster am Tage oder bei Nacht heimsuchte. In ihren Angst- und Panikattacken erlebt sie sich trotz beruflichen Erfolgs - sie ist seit 10 Jahren Herausgeberin der erfolgreichen Modezeitschrift "Allure", hat ein Verhältnis mit dem Verleger Kendall Nesbitt, könnte plötzlich seine Frau werden, weil seine jetzige der Scheidung zustimmte - als deplatziert, ungeliebt und nicht autorisiert, die Rolle einer jungen hübschen Frau anzunehmen. Eigentlich hat sie sehr viel für ihren Werbechef Charley Johnson übrig, aber dessen schnoddrige und daueranmachende Art ruft (wie sollte es anders sein?) Aggressionen bei ihr hervor. Am Tag vor dem ersten Psychiaterbesuch hate sie noch einen Briefbeschwerer nach ihm geworfen. Sie läuft (auffällig in der modebewussten Umgebung ihres Arbeitsplatzes) als bürgerlicher Büroschreck durch die Welt, statt ihre Modewelt zu nutzen, etwa neue Kreationen auszuprobieren und im Rampenlicht des Publikums und der Männerwelt zu stehen.  
Dieses Mauerblümchenempfinden ist kein Wunder bei ihrem Trauma, denn mit dem Bewusstein aufzuwachsen, nicht begehrt zu sein und nie das Mutterbild erreichen zu dürfen, führt schwerlich zu einer selbstbewussten und attraktiven Erscheinung. Nach anfänglichen Abwehrmechanismen lässt sie sich mehr und mehr auf die Couch ein. 


Der Zirkustraum
Wichtig für den Verlauf ihrer Heilung sind verschiedene Einsichten und Erkenntnisse. Da ist der Glamourtraum, in dem sie sich als begehrte Diva wie ihre Mutter sieht. "Oh Himmlische in deinem Elfenbeinturm", jubeln die Anhänger. "Was Julia war für Romeo, bist du für mich". Die ganze Prominenz liebt sie, Schostakowitsch schreibt Kantaten für sie, Gandhi will Eunuch für sie werden, Aldous Huxley schreibt sein neues Buch für sie und viele(s) mehr. "Höchste" Ehren werden ihr zuteil, frozzelt Ira Gershwin, der Bruder von George Gershwin, in seinen Musical-Texten (Moss Hart hat das Buch geschrieben), sie soll auf der 3-Cent-Briefmarke der USA prangen. Der Offizier, der die Botschaft vom Präsidenten bringt, malt sie gleich: So wie sie im Leben steht. Sie darf keine andere sein! Schrecken und Entsetzen bei allen ihren Bekannten (aus dem Berufsleben), die sie zuvor verehrten, Liza lächerlich gemacht. Alle wollen noch ein Stück der geliebten Liza ergattern, zerfetzen die Kleider und Stola ... ein fürchterliches Traumende. Freuds Traumdeutung, die Bausteine der Traumarbeit, Verdichtung verschiedener Inhalte und Personen zu neuen Bildern, Verschiebung des Problems auf ein unbedeutenderes als Maßnahme zur innerpsychischen Zensurpassierung werden szenisch umgesetzt. Mit Lacan gesprochen findet eine Metaphorisierung und Metonymisierung des psychischen Kernproblems statt - und diese können wir in allen Traumbildern verfolgen.
Nachdem ihr Geliebter Kendall mitteilt, dass er endlich die Scheidung bekommt und Eliza heiraten könnte, fällt sie wieder in Panik - hier wird aber auch klar, dass sie sich den Verleger nur als Karrieresteigleiter und Sicherheit hält. In dieses Dilemma spielt Randy Curtis hinein, die Number 1 der Schauspieler, heißbegehrt von den Frauen. Er will mit ihr Essen gehen. Eine Wiederholung eines Erlebnisses an der Highschool, das im vierten Traum erwähnt wird. Der schönste Boy küsste sie in einer Phase des Beziehungstreits mit dem schönsten Girl der Schule - sie! Liza, die nur die beste Schülerin war -, verließ sie aber wieder im Zuge der Versöhnung mit seiner Freundin. Dieses Mal wird es anders werden. Am Ende hält die Number 1 um ihre Hand an und sie sagt ja! Genauso verarbeitet der Traum 2 - der Hochzeitstraum - die aktuellen Erlebnisse, ihr Ängste und Wünsche und zeigt einen Ausweg an: High-School-Freunde geben die Heirat mit dem viel älteren Kendall bekannt, im Klatsch wird seine finanzielle Ermöglichung von "Allure" hervorgehoben. Randy Curtis prahlt, dass er im Auto mit ihr nach dem Dinner redete. "Was peinigt dich, Liza Elliot? Was hast du für Ängste? Morgen ist dein Hochzeitstag!", singen die ehemaligen Mitschüler.  Der Eheringverkäufer ist ihr eigentlich geliebter Werbechef, der ihr einen Dolch aushändigt, das Rivalentum wird hervorgehoben. Eine Szene aus ferner Vergangenheit, Eliza wurde in einem Kindertheaterspiel als Prinzessin dem König versprochen, eine Minnesänger machte das Rennen (hier wohl Charley als omninöse Vorschau. Und dann die Abholung zur Trauung, das Zwingen vor den Altar, das Gewissen unterstellt ihr zu lügen, Verrat an Gottes Plan, jeder weiß, das sie den Mann nicht liebt. Sie beteuert ihre Unschuld, ihren Willen! Dramatisches Innenleben ...
Dr. Brook macht ihr klar, dass sie aus Verlustangst um ihren Geliebten nicht mit anderen Frauen konkurrieren will. Deshalb würde sie sich unscheinbar kleiden, während sie andere dafür mit Mode schöner macht. Sie wird sauer über diese Wahrheit, streitet mit Kendall und Charley, sagt Kendall die Wahrheit und bekommt einen Weinkrampf, als Charley kündigt und ihr sagt, dass sie eh nur prüde sei, weswegen es weder Sex noch Kinder bei ihr gäbe. Sie zieht sich das Modellkleid über, das in ihrem Büro steht und geht mit Randy aus: "Mr. Curtis, ich bin bereit!", sagt sie doppeldeutig.    

Am nächsten Tag muss sie sich entscheiden, welches Cover für die Osterausgabe in Frage kommt.  Etwa das Zirkusmotiv von Charley? Sie stürzt wieder in Panik und entwickelt einen Tagtraum daraus: Der Zirkustraum. Ihr Fotograf Russell Paxton wird Richter in "der größten Show der Welt" - ihre mangelnde Entscheidungskraft soll vor Gericht verhandelt werden. Urteil: Sie MUSS sich entscheiden. In einem bunten Treiben beklagt sich Kendall als Löwenbändiger, dass sie nicht auf ihn eingeht. Liza verteidigt sich mit "Die Saga von Jenny" (eine Meise hat, wer fest entschlossen ist) und weist darauf hin, dass Fehlentscheidungen schlimme Folgen haben können. Aber niemand ist zufriedengestellt, vielmehr kennt das Gericht die Melodie ihrer Kindheitstage, die sie immer summte. Die Melodie und der Text dieses Liedes spielen von Anfang an eine große Bedeutung in ihrer Ich-Findung.


Charley und Liza am Ende
Nach der Konsultation von Dr. Brooks erläutert ein letzter Traum - Der Kindheitstraum -, was bei ihren Eltern geschah, der Vater, der froh war, das sie hässlich war, schließlich hätte er ja eine schöne Frau im Haus, beim Kindertheater wollte der Prinz damals sich nicht mit ihr auf der Bühne zeigen, und schließlich der attraktive Ben.

So schließt sich der Kreis der Psychoanalyse, sie erfährt ihre wahren Antriebe und Sperren, kann frei Randy zu einer festen Beziehung zusagen, wobei gleich eine Enttäuschung dabei ist, er geht weg aus New York. Sie kann nicht wie geplant den ganzen Bettel hinwerfen. Mit Charley versöhnt sie sich, sie singen zusammen das Kinderlied ihrer Kindheit, das er auch kennt. Und so darf sie straffrei zwei Männer lieben und sich von ihnen lieben lassen: Randy und Charley, mit dem sie weiter zusammenarbeiten wird. 

Noch einmal am