Kurt Weills Tarot der Psychoanalyse
Lasst euch analysieren und therapieren, so lautet die unterschwellige Botschaft eines Musicals, das im Staatstheater Mainz als Abschiedsproduktion vom scheidenden Intendant Matthias Fontheim nach dessen achtjähriger Tätigkeit am Staatstheater inszeniert wurde, und damit hat es bei vielen Menschen Recht. Beim Psychiater, selbst wenn es um 1940 spielt, sei es nicht steril, tot und dunkel, sondern absolut bunt, lebendig und freundlich, lässt uns das Stück fast ein bisschen zu werbend aufgesetzt wissen, und es gelinge ihm spielend, die Probleme in unserer Psyche aufzudecken und Lösungen anzubieten.
Kurt Weills direkte Werbung für die Tiefenpsychologie und Psychoanalyse findet der Theaterbesucher in dem Musical "Lady in the Dark", mit dem der 1935 nach New York emigrierte jüdische Komponist 1941 seinen internationalen Durchbruch am Broadway mit einem Rekord von damals 467 Vorstellungen ohne Unterbrechung schaffte. Kurt Weill gehörte zu den überlebenden, weil rechtzeitig geflohenen Kreativen, die aus ihrer Verfolgung einen Welterfolg ihres Schaffens machen konnten. Bei den Nazis wäre diese Offenheit für psychoanalytische Deutungen niemals zugelassen worden, sonst hätten manche womöglich noch entdeckt, dass ihre Ergebenheit dem Führerkult gegenüber behandlungsbedürftig ist.
Nicht neu auf der Bühne, aber sehr realistisch und plausibel, sozusagen wissenschaftlich fundiert, legt Weill ausführlich und unterhaltsam in seinem Musical die psychische Lage einer jungen Frau in Traumbildern offen, die sich per Erziehung immer nur als hässliches Entlein entwickeln durfte und an diesem unbegründeten Minderwertigkeitskomplex litt, bis ihr bewusst wurde, dass dies alles nicht stimmte, aber ihr Eltern immer wollten, dass sie ihrer Mutter nicht ebenbürtig werden durfte oder sie gar übertrumpfte.
Der Zirkustraum |
Dieses Mauerblümchenempfinden ist kein Wunder bei ihrem Trauma, denn mit dem Bewusstein aufzuwachsen, nicht begehrt zu sein und nie das Mutterbild erreichen zu dürfen, führt schwerlich zu einer selbstbewussten und attraktiven Erscheinung. Nach anfänglichen Abwehrmechanismen lässt sie sich mehr und mehr auf die Couch ein.
Der Zirkustraum |
Nachdem ihr Geliebter Kendall mitteilt, dass er endlich die Scheidung bekommt und Eliza heiraten könnte, fällt sie wieder in Panik - hier wird aber auch klar, dass sie sich den Verleger nur als Karrieresteigleiter und Sicherheit hält. In dieses Dilemma spielt Randy Curtis hinein, die Number 1 der Schauspieler, heißbegehrt von den Frauen. Er will mit ihr Essen gehen. Eine Wiederholung eines Erlebnisses an der Highschool, das im vierten Traum erwähnt wird. Der schönste Boy küsste sie in einer Phase des Beziehungstreits mit dem schönsten Girl der Schule - sie! Liza, die nur die beste Schülerin war -, verließ sie aber wieder im Zuge der Versöhnung mit seiner Freundin. Dieses Mal wird es anders werden. Am Ende hält die Number 1 um ihre Hand an und sie sagt ja! Genauso verarbeitet der Traum 2 - der Hochzeitstraum - die aktuellen Erlebnisse, ihr Ängste und Wünsche und zeigt einen Ausweg an: High-School-Freunde geben die Heirat mit dem viel älteren Kendall bekannt, im Klatsch wird seine finanzielle Ermöglichung von "Allure" hervorgehoben. Randy Curtis prahlt, dass er im Auto mit ihr nach dem Dinner redete. "Was peinigt dich, Liza Elliot? Was hast du für Ängste? Morgen ist dein Hochzeitstag!", singen die ehemaligen Mitschüler. Der Eheringverkäufer ist ihr eigentlich geliebter Werbechef, der ihr einen Dolch aushändigt, das Rivalentum wird hervorgehoben. Eine Szene aus ferner Vergangenheit, Eliza wurde in einem Kindertheaterspiel als Prinzessin dem König versprochen, eine Minnesänger machte das Rennen (hier wohl Charley als omninöse Vorschau. Und dann die Abholung zur Trauung, das Zwingen vor den Altar, das Gewissen unterstellt ihr zu lügen, Verrat an Gottes Plan, jeder weiß, das sie den Mann nicht liebt. Sie beteuert ihre Unschuld, ihren Willen! Dramatisches Innenleben ...
Dr. Brook macht ihr klar, dass sie aus Verlustangst um ihren Geliebten nicht mit anderen Frauen konkurrieren will. Deshalb würde sie sich unscheinbar kleiden, während sie andere dafür mit Mode schöner macht. Sie wird sauer über diese Wahrheit, streitet mit Kendall und Charley, sagt Kendall die Wahrheit und bekommt einen Weinkrampf, als Charley kündigt und ihr sagt, dass sie eh nur prüde sei, weswegen es weder Sex noch Kinder bei ihr gäbe. Sie zieht sich das Modellkleid über, das in ihrem Büro steht und geht mit Randy aus: "Mr. Curtis, ich bin bereit!", sagt sie doppeldeutig.
Am nächsten Tag muss sie sich entscheiden, welches Cover für die Osterausgabe in Frage kommt. Etwa das Zirkusmotiv von Charley? Sie stürzt wieder in Panik und entwickelt einen Tagtraum daraus: Der Zirkustraum. Ihr Fotograf Russell Paxton wird Richter in "der größten Show der Welt" - ihre mangelnde Entscheidungskraft soll vor Gericht verhandelt werden. Urteil: Sie MUSS sich entscheiden. In einem bunten Treiben beklagt sich Kendall als Löwenbändiger, dass sie nicht auf ihn eingeht. Liza verteidigt sich mit "Die Saga von Jenny" (eine Meise hat, wer fest entschlossen ist) und weist darauf hin, dass Fehlentscheidungen schlimme Folgen haben können. Aber niemand ist zufriedengestellt, vielmehr kennt das Gericht die Melodie ihrer Kindheitstage, die sie immer summte. Die Melodie und der Text dieses Liedes spielen von Anfang an eine große Bedeutung in ihrer Ich-Findung.
Charley und Liza am Ende |
So schließt sich der Kreis der Psychoanalyse, sie erfährt ihre wahren Antriebe und Sperren, kann frei Randy zu einer festen Beziehung zusagen, wobei gleich eine Enttäuschung dabei ist, er geht weg aus New York. Sie kann nicht wie geplant den ganzen Bettel hinwerfen. Mit Charley versöhnt sie sich, sie singen zusammen das Kinderlied ihrer Kindheit, das er auch kennt. Und so darf sie straffrei zwei Männer lieben und sich von ihnen lieben lassen: Randy und Charley, mit dem sie weiter zusammenarbeiten wird.
Noch einmal am