(c) Birgit Hupfeld |
Sie war in den Jahren davor zur wichtigsten Vertreterin des radikalen britischen Dramas geworden und präsentierte seit Januar 1995 mit ihrem ersten Stück "Zerbombt" (Blasted) und nachfolgend "Phaidras Liebe" (Phaedra's Love), 1997 "Gesäubert" (Cleansed) und 1998 "Gier" (Crave) unglaubliche Dinge auf der Bühne, die extrem provozierten und eine Auflösung von Schauspiel waren. Sie machte vor nichts halt und ging noch über die vergangenen Provokationen hinaus: Vergewaltigung, Folter, Verstümmelung, Kannibalismus, Sadismus, Blutbäder u. dgl. mehr.
Alle ihre Stücke hatten das Hauptthema Auseinandersetzung. Ihr Schaffensweg holte die Konflikte von außen - Krieg - nach innen - innerpsychische Extremstreits. Die Dramatiker und ihre Arbeit der 90er-Jahre werden in England "In-Yer-Face-Theater" genannt. Sie brachten schockierende, blutige und ordinäre Stoffe auf die Bühne, um ihr Publikum vor den Kopf zu stoßen. Obwohl schon dichte 40 Jahre seit den 60ies und punktuell verlängert Jahrhunderte blutige Theatergeschichte vorausgingen. Neben Sarah Kane wurden Mark Ravenhill und Anthony Neilson stark beachtet.
“There's not a drug on earth can make life meaningful” (Originaltext, im Schauspiel auf Deutsch)
Zurzeit im Schauspiel Frankfurt im Minitheater BOX zu sehen ist das letzte Drama Kanes "4.48 Psychose" in einer eindringlichen, betroffen machenden, aber auch aufgrund der absurden Welten und inneren Monologe, der exponierten Provokationen und dem dezidierten britischen schwarzen Humor, der sogar in der Psychose sich noch auf den Arm nimmt, verblüffend amüsierenden Aufführung unter der Regie von Daniel Foerster.
“Have you made any plans?
Take an overdose, slash my wrists then hang myself.
All those things together?
It couldn't possibly be misconstrued as a cry for help.”
Maike Jüttendonk, Björn Meyer und Viktor Tremmel geben ihr Bestes das psychotische Assoziationskonvolut quellengerecht darzustellen. Maike Jüttendonk mit einer großen Vielfalt an Stimmungen, die das innere Chaos sehr beeindruckend vermittelten. So auch die beiden Männer im Spiel, die eigentlich nur gespiegelte Stimmen des Ichs, Abspaltungen des Ichs, waren, noch dazu "verkompliziert" und erklärt mit einem Transvestiten, der in seiner Haut/Körperhülle gar nicht leben kann, weil er sie gar nicht will (Viktor Tremmel). Ohne Rollenverteilung oder anders gesagt mit wechselnder Rollenzuweisung unterhält sich eine Frau über ihre gescheiterte Liebe und Beziehung zu einer anderen Frau, was sie neben vielen anderen Dingen wahnsinnig macht, sie mehr und mehr den Entschluss fassen lässt, die Abkehr der Geliebten gegen sich selbst zu richten, sich an dem folgenden Tag um 4:48 Uhr, der Zeitpunkt, an dem sie täglich aufwacht in einem extrem starken Bann einer Klarheit, die aufkommt, weil die Psychopharmaka aufhören zu wirken.
Der Suizidtanz (c) Birgit Hupfeld |
Ihr Thema ist wichtig, dominant, es will diskutiert werden, bis hin zum Interview der Zuschauer. Die betroffene Frau ist in einem unglaublichen Zustand, in dem nichts mehr geht, nicht einmal der Sex, sie denkt gar nicht mehr daran, nicht einmal, wenn sie an ihre Geliebte denkt. Und was das Schlimmste ist, diese Geliebte existiert nicht einmal! Quasi eine lesbische Liebe des Alter Egos, eine narzistische Liebe seiner selbst, die jedoch niemals erwidert werden kann, was die Agierende in den Abgrund treibt. Die radikale Metapher für das Geworfensein des Ichs auf sich selbst, ohne sich verstehen zu können, und für die erschreckende Einsamkeit des Ichs trotz und aufgrund der Trugbilder im Kopf. Ein normales und erfülltes Leben ist nicht möglich, weil Eigenliebe nicht entwickelt werden kann. Hier sind auch frühe Kindheitserlebnisse maßgebend. Sämtliche Dialoge sind Stimmen dieses Individuums, das die Nase voll hat vom Leben und das noch die letzten Gründe sucht bleiben zu können. Es gibt keine! Konsequent selbst generierte Trug- und Vexierbilder, die keine Chance geben, weiterzumachen. Das Ich kann sich nicht selbst treffen, anfassen, "ficken", sich Sinn geben ... Logischer Schluss: Es existiert gar nicht, und was an Täuschungen da ist, muss weg.
“Fuck you. Fuck you. Fuck you for rejecting me by never being there, fuck you for making me feel like shit about myself, fuck you for bleeding the fucking love and life out of me, fuck my father for fucking up my life for good and fuck my mother for not leaving him, but most of all, fuck you God for making me love a person who does not exist.
FUCK YOU FUCK YOU FUCK YOU.”
“I dread the loss of her I've never touched
love keeps me a slave in a cage of tears
I gnaw my tongue with which to her I can never speak
I miss a woman who was never born
I kiss a woman across the years that say we shall never meet
Everything passes
Everything perishes
Everything palls
my thought walks away with a killing smile
leaving discordant anxiety
which roars in my soul
No hope No hope No hope No hope No hope No hope No hope”
Sarah Kane (3. Februar 1971 – 20. Februar 1999), englische Stückeschreiberin. Foto von Jane Bown |