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Samstag, 14. Dezember 2013

Mammutgedichte von Jakob Michael Reinhold Lenz: DIE LANDPLAGEN - IV. Die Feuersnoth

Reutlingen brennt, 1726

Die Landplagen. IV. Die Feuersnoth
Gedicht von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792)


Viertes Buch. Die Feuersnoth

Schon verbreitet die Mitternacht das schwarze Gefieder
Ueber den stillen Erdkreiß. Nun herrscht, von dienstbaren Schaaren
Gaukelnder Träume umflattert, der Schlaf auf den reizenden Bogen
Die das Auge sanftschmachtend ruhender Schönen umwölben:
Oder er fesselt auf hartem Lager den schnarchenden Landmann,
Der im verwirreten Traume dem langsamen Pflugochsen fluchet.
Schwärzre Stille wohnet im Thal. Von rauchen Klippen
Kochen Wasserfälle hinab, beständig eintönig,
Und aus dem schaurvollen Wald ist der Vögel Stimme verschwunden.

Doch welch blutiger Glanz steigt plözlich am finsteren Himmel
Wechselnd empor, wird grösser, verliert sich, wächset von neuem:
Jezo wallet er hoch auf. Mit gräßlichen Fittigen fliegen
Rauchwolken bei ihm vorüber. Ein Sturmwind erhebet sich ostwärts
Und sprüht feindliche Funken auf die umliegenden Dächer.
Zitternd eilet mein Fuß dem wilden Schauspiele näher. -
Ach ein wütendes Feuer in der entschlafenen Stadt frißt,
Wie ein entfesseltes Unthier, was ihm begegnet. Die Häuser
Stehn und können nicht fliehn, und bükken ihr Haupt aus den Wolken
Nieder in Asche. Wie brauset der Nacht entweyhete Stille!
Ueber die Flamme bläht sich der Dampf: die bleicheren Sterne
Schwinden: den gläsernen Himmel wölkt ein irdisch Gewitter. -
Plözlich erschallt die dumpfe Stimme der rasselnden Trommeln
Durch die traurig erleuchteten Gassen; Sie scheuchet urplözlich
Den so sichern Traum vom Lager des Hausvaters. Aengstlich
Fährt er empor und wekket die zitternde Gattin: auch färbet
Blässe die Wange des zärtlichen Mädchens, des weinenden Knaben.
Von dem falben, fürchterlich wiederscheinenden Kirchthurm
Brüllet die Feuerglokke hinunter: und alles wird rege.
Menschen, in der Dämmrung unkenntlich, stehen von ferne,
Ringen die Hände und rufen laut: Da ist keine Hülfe!
Die entlegensten, schwärzesten Gassen durchmurmelt ein hohles
Und verwirretes Sprechen: man klaget die Elenden, deren
Häuser das flammende Monstrum verschlingt und fürchtet den Rachen.
In den näheren Gassen zerstreut, verwirret, zerbrochen
Liegt ausgeworfener Hausrath. Es wacht beim kleinen Vermögen
Die tiefseufzende Hausfrau und sieht mit sehnlichem Blikke
Ihrem Manne nach, der mitten ins Feuer sich waget
Seiner Nachbarn Haabe zu retten; die Kinder stehn um sie,
Zittern vom nächtlichen Frost und blikken kläglich zum Himmel.
Unterdeß schwizzet und arbeitet ängstlich ihr größerer Bruder
Auf dem zischenden Dach es fürs Entbrennen zu schüzzen.
Schnell steigt wildes Geschrey zum Himmel, da ein Gebäude
Krachend einstürzt. Es heult die kaum gerettete Gattin
Um den vermißten Gemahl, und fragt mit ausschweifendem Schmerze
Jeden, den sie erblikt: "Hast du ihn gesehen?"
Aller Trost verstummt. Mit aufgelöseten Haaren
Eilt sie die dunkle Gasse hinauf: - da sieht sie ihn stehen,
Bloß, im Kleide der Nacht, ihr Kind an der bebenden Rechte,
Ohne Empfindung steht er, an eine Mauer gesunken.
Schnell, mit lautem Schreyn, ganz außer sich fällt sie ihm um den
Hals: "Bist du es, Geliebter, o lebst du, o bist dus?"
Ohnmächtig sinken sie beyde im Finstern dahin, bis ihr Freund sie
In sein Haus nimmt und erquikt, daß sie weinend sich freuen.

Aus der brennenden Hütte wird auf dürftigem Lager
Ein Todkranker getragen. Er sieht mit dämmerndem Auge
Furchtsam nach dem blutrothen Himmel. Die einzelne Träne
Starrt, mit kaltem Schweisse vermischt, auf dem bleichen Gesichte.
Unvermögend zu sprechen, dankt er mit sehnlichen, starren
Blikken seinen Errettern und wimmernde Seufzer entfliehen
Dem schon röchelnden Busen für seine leidenden Brüder.
Ach wie zittern die magern, verwelkten, knöchernen Glieder
In der Kälte der Nacht, da sie kaum Lumpen bedekken.
Izt sezt man ihn draussen nieder. Dem brechenden Auge
Schimmert die Flamme noch: er erhebet noch einmal
Die gefaltene Hand und stirbt.

Eine Gebärerin liegt noch kaum von der Bürd' entlastet,
Die sie trug, betäubt und kraftlos. Alles verläßt sie
Und vergißt die hülflose Kranke der Gluth zu entreissen.
Ach sie hört das hohle Brausen des Feuers: schon dringt es
Durch die plazzenden Fenster ins einsame Zimmer. Dreymal
Hebt sie die sinkenden Arme empor: "Erbarmt euch! erbarmt euch!"
Aber die eilende Flamme naht. Gestärkt durch des Todes
Ihr nicht fremde Angst, raft sie die unwilligen Glieder
Auf und eilet bis zur Thüre des Zimmers: hier weichen die lezten
Kräfte, sie sinkt und ächzet und stirbt, eh Flammen sie tödten.

Ach nun hat sich das Feuer schreklich verbreitet. Die hohen
Palläste stehen entdekt, gefüllet mit Gluth; die dem Himmel
Nachäffen wollten, sind Höllen geworden. Durch prächtige Fenster
Schlagen wilde Flammen hinaus: die güldenen Leuchter
Und die langen Spiegel tröpfeln von brennenden Wänden,
Japans Schäzze zerspringen. Geweyhete Häuser und Tempel
Schonet das wütende Element nicht. Hoch in den Lüften
Steigt es die Spizzen der Thürme hinan: der erschrokkene Wandrer
Zittert von fern bei dem Anblik. An Pfeilern kriecht es hinunter
Und die Chöre fallen zu Boden. In gräßlichen Tänzen
Hüpfen auf trauerndem Altar Flammen umher, und vom Lehrstuhl
Predigt die Feuersäule in der sich der HERR offenbaret.

Auch vermehrt sich die Stimme der Angst, die Stimme des Weinens
Um den Sohn, um Vater und Mutter, die rauhere Stimme
Sich zurufender Retter. Arme vernunftlose Schaaren
Menschlicher Bestien rasen umher und jauchzen: sie hat das
Feuer dem Haus' entrissen, das die lebend'gen Ruinen
Unsers stolzen Geschlechts an warnenden Ketten bewahret.
Schon kehrt auf ätherischer Bahn die treue Sonne
Zur in Todesschatten verlassenen Erde zurükke
Und entdekt sich zuerst dem Gipfel des frohen Gebirges:
Da erblikt sie die schrekliche Morgenröthe; die Gegend
Dampft von Schwefeldünsten und gräßliche Rauchwolken wollen
Bey dem Einzug des Morgens der Finsterniß Herrschaft behaupten.
Und nun verbirgt sie ihr tröstliches Licht; der blaue Himmel
Trauret, weit umher trauret die Flur. Schwarzströmende Flüsse
Rauschen gewaltig, und bieten ihr zu entferntes Gewässer
Laut den rathlosen Rettern dar. Auch flüchten die Vögel
Ohne Morgenlied, schüchtern in die verborgensten Büsche.

Aber laß uns, o Muse! die unglükseligen Mauren
Die die Gluth verödet, noch nicht verlassen; denn bängre
Jammervollere Scenen müssen sich dort noch eröfnen.
Damon, ein zärtlicher Gatte fährt, vom Schauder ergriffen,
Plözlich im Arm seiner Lesbia auf, und lauschet und höret
Das Geprassel der Flammen. Er rennt entkleidet, halb träumend
Sprenget die Thür, und sieht sich schon mitten im Feuer.
Schnell stürzt er
Die verbrannten Stiegen der steilen Treppe hinunter.
Aber ein grauser Gedanke fliegt wie ein Bliz in die Seele.
"Lesbia!" - und nun will er zurük den Trost seines Lebens
Seine treuste Geliebte zu retten. Zu langsamer Retter!
Schon ist die Dekke des Zimmers in welchem sie ruht, eingesunken
Tödtendes Unglük! er steht erstarrt, versteinert, noch zweifelnd
Ob kein scheußlicher Traum ihn schrekke: ach! da ertönet
Ihm die sterbende Stimme seiner gemarterten Gattin
Und ihn dünkt seinen Namen zu hören: jezt rufet sie matter
Bis sie nicht rufen mehr kann. "O Lesbia!" brüllt er, die Hände
Und das verwilderte Auge gen Himmel, aus dem eine kalte
Langsame Träne herabirrt; "Lesbia! Lesbia!" Plözlich
Stürzt er ihr nach in die grausame Gluth.

Dort ergreift die erschrokkene Mutter, umklemmet von Flammen
Ihr geliebtes Kind und wirft es mit zitternden Händen
Von dem hohen Stokwerk hinab. O Gott! daß ihr Auge
Es hinstürzen sehen muß, ihr schwimmendes Auge,
Daß es sehn muß das zarte Haupt zerschmettert am Ekstein
Und das rinnende Blut in seinen goldgelben Lokken!
Stumm, verzweiflungsvoll, sinnlos und stumm, mit verbreiteten Armen
Bleibt sie stehen und läßt sich gern von den Bränden begraben.

O erbarme dich, Himmel! Weinet mitleidige Wolken,
Weint in die wüthende Gluth, die wie das Feuer zu Sodom,
Schon viel Tage durch raset. Schaut der Menschen Bemühung
Ist ermattet und der Löschenden Arme gesunken. -
Ja dort eilt er vorüber, der Bothe des Friedens, das schwangre
Schwarze Gewölk, der Retter, den Gott vom Himmel uns sendet.
Jauchzt! er schüttet die Urne voll von kräftigen Wassern
In die thürmenden Flammen. Vergeblich flattern sie scheußlich
Oft noch empor. Auch ergießt sich der irdische Regen von neuem
Und unterdrükket den feurigen Strom. Bald liegt er gedämpfet
Wie ein übermanneter Bär. Die lodernden Brände
Sprühen die lezten Funken. Ein dampfender Feuerheerd scheinet
Izt die verwüstete Stadt. Die nakkenden Schornsteine drohen
Und Elisäische Palläste sind zerrüttete Mauren.
So liegen fleischleere Beine des schönsten Körpers, unkenntlich
Bei durchlöcherten Schedeln, in denen vormals die braunen
Siegenden Augen brannten, izt hohl und ein Abbild des Todes.
Wie der Hölle entrunnen irren die Dürftiggewordnen
Nur mit Lumpen bedekket um das Grab ihrer Häuser,
Suchen zerschmolzenes Silber, erzehlen mitleidigen Fremden,
Oder flehen sie an. Dort, schröklich Geschäfte! dort suchet
Die Gebeine des Weibes ein trostloser Mann: sie hatte
In die verschonende Flamme sich wieder verwegen gewaget:
Grausamer Hang zu untreuen Gütern, der Leben und Freude
Für ein Linsengericht hinopfert, du machst deinen Sclaven
Selbst den Hunger nicht schwer und selbst die Flamme nicht schröklich.
Dir flucht auch des Ehemanns Seufzer. Er kann ihn nicht seufzen.
Kann nicht mehr weinen: dem Auge schimmern die Gegenstände.
"Theurer Märtrer, so denkt die Wehmuth in ihm, was hilft mir
Dein gerettetes Gold, da du der beste der Schäzze
Nicht mehr bist, da ich dein blasses holdseliges Antliz
Und dein gebrochenes Auge sogar nicht sehn darf, der Freude
Auch der bitteren Freude mich nicht erfreuen kann, deine
Kalten verschlossenen Lippen an die meinen zu drükken!"
Oft am schlechten Kittel zupft ein neugieriger Reicher
Ihn und forscht was ihm fehle. Er suchet fort, dann blikt er
Gleichgültig auf, und sieht ihm lang ins Gesicht: mit erzwungner
Schluchsender Stimme bricht er dann aus: "Sie starb! Ach sie such ich,
Ach ich suche mein Weib." Nun fährt er fort in der Asche
Und im Schutte zu graben und findt, (o traurige Freude!)
Findt die schwarzen Gebeine, und indem Ströme von Tränen
Aus seinen Augen stürzen, liebkoset und drükt er sie an das
Blutende Herz: "O Gott!" da verstummt er, bis sein Vertrauter
Mitleidig zu ihm eilt, mit ihm den Ueberrest sammelt
Und ihn mit tröstenden Freundschaftszären dem Sarge vertrauet.

Lange herrschet die Armuth, auf dem dürftigen Throne
Von Ruinen erbauet über die schüchternen Bürger.
Steter Fleiß erhöht sie kaum zum vorigen Glükke
Und wenn seltene Edle ihnen die Güter nicht liehen
Die ihnen Gott erhalten, so würden sie nimmer dem Staube
Sich entschwingen. Wie beben sie izt den flammenden Richter,
Der Elemente Vater zum strengen Eifer zu reizen;
Aber bald vergißt ihre Schwachheit der strafenden Allmacht
Und mit emporgesträubtem Haupt, (o Greuel der Menschheit!)
Spottet der krümmende Wurm der Ferse die ihn zerquetschte.

Sonntag, 10. November 2013

Mammutgedichte von Jakob Michael Reinhold Lenz: DIE LANDPLAGEN - III. Die Pest


Die Landplagen. III. Die Pest
Gedicht von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792)

Drittes Buch. Die Pest


Stärke dich, schüchterne Muse! gebükt schau tiefer hinunter
In die dunkle Tiefe der Zeiten, wenn Rache des Schöpfers
Durch die ganze Schöpfung allmächtiges Grausen verbreitet.
Kommt ihr Diener des Todes, furchtbarer als euer Beherrscher,
Fräßige Seuchen und Schmerzen und tükkische Krankheiten zeiget,
Alle zeigt mir die knirschenden Zähne, die würgenden Klauen,
Den blutschäumenden Schlund: umhüpft in scheußlichen Tänzen
Das erschrokkene Auge der Phantasie, die sich sträubet,
Weiter auf den Gefilden erfüllt mit Jammern und Abscheu,
Fortzugehn und zu sehn die Natur verunstaltet durch Plagen.
Dennoch will ich mit heiterer Stirn und gesezten Bliken
Eure Verheerungen singen; denn wer die Ruhe im Busen
Hegt, verhöhnet die Unruh auf Sturmbedekten Gebürgen,
Horcht auf die brüllenden Wolken und lächelt der eiligen Blizze.

Aus einer Mitternachtwolke ließ auf die schlummernden Hügel
Jüngst ein Todesengel sich nieder. Da floß durch die Schatten
Der blauflammende Strahl seines Schwerdts. Gleich nächtlichen Blizzen
Füllt' er das brennende Thal, durchdrang widerstehende Wälder,
Machte Palläste und Strohhütten fürchterlich hell. Auf einmal
Breitete sich eine fremde Luft ums Antliz der Erde;
Menschen die schnarchend in ihr den Lebensbalsam geathmet
Athmen izt Gift ein: Tod ist ihr Element.
Mancher dehnet sich noch im mördrischen Schlaf und stösset
Dumpfes Röcheln hervor, oder winselt von grausen Phantomen
Warnend umgeben; erwacht dann, blikt starr umher, kann nicht sprechen,
Sinket abermal hin, und schläft sich ums ringende Leben.
So leicht mähet der Tod die nichts befahrenden Halme.
Blüht und prahlet ihr Blumen, ihr seid beim Morgenlicht Asche;
Oder du stärkere Staude! und hättest du eiserne Wurzeln,
Dennoch seufzest du bald, ein zweigloses Holz in den Flammen.
Hirnlose Narren! die ruhig und ohne Sterbegedanken
Täglich sich in den Vorhof des Todes ins Schlafgemach wagen.
Diese stumme Stille, voll schwarzen heiligen Grauens,
Dieser horchende Himmel aufs Flehn einsamer Gerechten,
Dieser gegenwärtige Gott, mit dem sie allein sind,
Wekket sie nicht. Wie Besessene auf dem Abhange des Felsen,
Der über wartende Wogen sich bükt, ganz sicher entschlafen;
Eine Bewegung stürzt sie herab: so entschlafen sie täglich.
Glaubt ihr, ewiger Stoff umschließ' eure felsene Knochen,
Oder euch werde aus Furcht, aus Güte der Mörder nicht morden?
Lebt dann, Würmer eines Tages! und unter dem Hügel
Der euch der Welt auf ewig entzieht, umwimmelt von Maden,
Lernt den zu späten Gedanken an Tod und Ewigkeit denken.

Izt steigt Phöbus hinter Gebürgen empor. Mit Entsezzen
Sieht er durch schwerfällige Nebel, die nächtlichen Lager
Mit unzähligen Leichen bedekt. Es schlüpfet sein scheuer
Strahl durch des Lustschlosses Fenster: und sieh! der Herrscher des Landes
Liegt, ein blosser Körper, auf seidnen Küssen: noch hält ihn
Mit dem erdrosselnden Arm der Tod hohnlachend umschlungen.
Um ihn liegen die Wächter, izt Aeser. Furchtlispelnde Stille
Schwebt weit über dem öden Pallaste.

Dort liegt eine volkreiche Stadt; ein dumpfes Gemurmel
Schallet von aussen, hinter den sie verstekkenden Wällen,
Wo die Spizzen der Thürme hinübergukken. Die Märkte
Und die Thore und Gassen wimmeln wie Ameisenhaufen.
Ehe man sieht, hört man schon Geräusch: das Schallen der Hämmer
In den Schmieden, das Wiehern der Rosse, das Krachen der Kutschen
Und die wilden Stimmen des hungrigen Pöbels am Fischmarkt.
In der dämmernden Kammer sizt früh der Bürger, von Sorgen
Dunkler wie von der weichenden Nacht umhüllet und sinnet
Auf unermeßlichen Vorrath, als hätt' er ewig zu leben.
Aber schon sperrt seine Gruft im nahen Kirchhof den Mund auf,
Und in den Schatten des Winkels steht mit erhabener Hippe,
Ihn zu mähen, der Tod bereit. Schnell warnet vom Kirch Thurm
Ihn die klagende Sterbeglokke. Er höret sie, seufzet,
Frägt nach dem Todten, und kehrt zurük zum Wucher. Doch plözlich
Ruft die warnende Freundin zum andernmal das Entsezzen
In seinen Busen hinab. Zwar noch scheint dies Sterben ein Zufall:
Aber bald schallet ununterbrochen das ängstliche Rufen
Dieser ehernen Predigerin. Nun fühlen sich sterblich,
Die sich Unsterbliche dünkten. Die Gassen werden entvölkert.
In den verschlossenen Häusern herrscht zunehmende Stille -
Todesstille herrscht nunmehr. Die einsamen Glokken
Heulen allein durch die giftigen Lüfte. Mit Schaufeln bewaffnet
Wandeln die Todtengräber stumm einher, wie Gespenster,
Machen das Pflaster zum Kirchhof, verscharren bey Haufen, und sinken
Oft statt der Dekke des Grabes auf ihre Begrabnen hinunter.

Vor ihm sieht ein vergnügter Vater die spielenden Kinder
Ohne Leben hinfallen. Vergeblich schreyt er nach Hülfe,
Nach dem gewohnten Arzt: er hört ihn nicht mehr. Da erblikt er
Unvermuthet die eigene Beule, das Zeichen des Todes,
Fühlet die Angst sein Herz umklemmen, wird ohnmächtig, sinket
Auf die Leichen der Kinder. Zwar um ihn blizzet das Silber,
Das er ängstlich gesammelt, die langen Spiegel, die seidnen
Mahlerischen Tapeten, die marmornen Säulen stehn um ihn,
Aber sie helfen ihm nichts: sie sind unthätig. Er schmachtet
In dem Reichthum begraben umsonst nach dem Kruge des Landmanns
Mit der reinen Quelle gefüllt, seine Hizze zu lindern.
Lange schallt seine sterbende Stimme durchs einsame Zimmer
Und giebt in dem gewölbten Saal ein schrekliches Echo;
Bis der grausambarmherzige Tod, allein zu errufen,
Zwischen ihm und der leeren Welt den Vorhang schnell zuzieht.

Ein verreiseter Sohn kehrt um zu den wartenden Eltern,
Schmekt den süßen Kuß des frohen Vaters zum voraus
Und der weinenden Mutter. Indem er der Wohnung sich nahet,
Schwebt die Ahndung ihm nach: sie wendet die giftige Urne
Ueber sein Haupt um, beströmt ihn mit Angst und leitet vom Antliz
Das wie Rosen geglühet, das Blut hinunter zum Herzen.
Schnell behüpft er die Treppe, öfnet die Thüre mit Zittern,
Gukt ins Vorzimmer, schlüpft in den Saal: sind't alles öde.
Kindliche Tränen stehen bereit im blizzenden Auge:
"Wie ist alles hier öd'!" Er steht, sieht um sich und rufet
Mit erbebender Stimme: "Mein Vater! Wo bist du, mein Vater?
Mutter! Geschwister, wo seid ihr?" Indem siehet vom Hofe
Eine magre Gestalt von aussen durchs Fenster. Er flieget,
Stürzet hinzu und erkennt in kläglicher Stellung den Vater.
Schnell will er hin, seine dürren Füsse gerührt zu umschlingen:
Aber der winkt mit der Hand und rufet hohl und gebrochen:
"Flieh, Geliebtester! flieh! Mein Hauch wird dich tödten: entweiche!
Sieh, dort liegt deine Mutter! Dort wo ich den Sand aufgethürmet,

Liegen in einer Grube all deine Geschwister und izzo
Werd auch ich hinsinken zu meinen Begrabnen. O wohl mir,
Daß mein brechendes Auge noch dich gesehen! Verlaß mich!
Flieh! O wohl mir, o wohl mir!" Hier sinkt er stolpernd aufs Antliz.
Ohne Besinnung stehet der Sohn da. Bald wird er die Leiche
Mit seinen Tränen salben und mit wiederfoderndem Aechzen,
Daß es die Einöde hört, und ihm die Wälder nachwinseln,
Mit zerrissenem Herzen und kraftlosen Händen begraben.

O der furchtbaren Plage! der ganze Mensch empört sich
Bey ihrer Vorstellung. Muse! auch du fühlst Schaudern: so schaudert
Ein mitleidiger Herold wenn er dem bangen Gefangnen,
Der mit Tränenschwellendem Auge sein Urtheil erwartet,
Seltne Martern verkündigt. Doch laß die Hand noch nicht sinken,
Noch an der Harfe hinunter nicht sinken, bis alles vollführt ist,
Wozu du Feuer und Muth in meinen Busen gesenket.



Wenn das starre Auge, das im Begrif ist zu brechen,
Freunde unkenntlich bemerkt, die um mich bekümmert herumstehn,
Die mir die kalte lezte Träne, den Todesschweiß sanfte
Von meinen Wangen wischen, und mein halbtaubes
Ohr hört weit in dem Zimmer zärtliches Lispeln und Schluchsen:
Ach dann fühlt das stehende Herz im Tode noch Labsal,
Und mein dunkler Blik ist dankbar auf die geheftet
Die mir ihr Mitleiden gönnen. Doch wenn ich, ach! wenn ich auf hartem
Lager nun liege, und meine Zunge vertroknet, mein banges
Auge irret nach Helfern umher, die kalte verdorrte
Hand strekt flehend sich aus: und alles um mich ist öde;
Keiner steht um mein Lager, versteht mein Aechzen und mildert
Durch des Arztes bittere Stärkung die Wuth meiner Schmerzen:
Tod wie fürchterlich wirst du dann! dann würd' es selbst Weisen
Schwer zu sterben.

Hier ist ein liebliches Feld mit grünem Teppich bezogen,
Daß der Säemann sich der reichen Erndte schon freute:
Aber nun ist sie gemein; ihn hat das Grab eingeerndtet.
Hier will ich wandeln und lauschen, ob ich Lebendige finde. -
Ach schon wandert mein Fuß den Morgen, den Mittag, den Abend,
Wandert in Wüsten. Die Thäler die sonst so frölich erschollen
Von dem wilden Jauchzen der Hirtenflöthen, den Stimmen
Weidender Heerden, dem Plaudern des geselligen Landmanns
Hinter dem furchenden Pfluge, stehn verlassen. Aus jenem
Dichten Gebüsche heulet der Wasserfall nur und das Wehen
Furchtbarer Zephire, gleich dem Wehn herzueilender Flügel
Eines Todesengels. Die Rosen unter dem Schatten,
Hängen, von keinem bewundert, verwelkt von giftigen Lüften
Die sich entwikkelnden Knospen verblichen zu Boden. Auch schweigen
Die Bewohner der Zweige: sie flohn in dunkelen Schaaren
Bessern Gegenden zu. Auf silberwallenden Teichen
Dampft undurchsehbarer Nebel: die Bürger der Fluthen versenken,
Aus ihrem Elemente verjagt, sich tief in dem Schlamme.
Alles trauret. Wohin soll ich fliehn? Ein Grausen befällt mich,
Da ich allein und verlassen die öden Fluren durchstreiche.
Dort der treue Bekannte, der inniggeliebte Verwandte
Ist nicht mehr. Schwarzer Gedanke! - doch welch ein plözliches Murmeln
Schallet von jener Hütte, die hinter dem buschvollen Hügel
Scheu ihr mooßiges Haupt erhebet. Heil mir! ich höre
Menschliche Stimmen. O eilet, zitternden Füsse, ihr werd't dort
Menschen finden. O hindert mich nicht, ihr Steine des Akkers
Und du wallendes Korn! Allein was seh ich? nicht Menschen:
Nein es sind wilde Thiere in menschliche Glieder gehüllet.
Ach sie schleppen schändliche Beute aus traurenden Thoren;
Selbst der heiligen Leichen hat ihre Faust nicht geschonet.
Tod wird dir folgen, abscheulicher Geiz! der noch dem Gewinne
Fröhnt, wenn alles um ihn schon Busse predigt, der noch an
Tand und gestohlnem Puppenspiel klebt, wenn die ernste Stimme
Des Allmächtigen schon die Todesengel herabsendt,
Um die Erde zu säubern und Sünder zum Richtstuhl zu rufen.
Und wozu scharrest du, Unsinn! und häufest dir Lasten, die tiefer
Nur ins Grab, in die Hölle dich niederdrükken? Sind Vögel,
Denen das Messer die Kehle berührt, auf Würmer noch gierig?



Aber laß uns, o Muse, die stille Hütte besuchen!
Schon eröfnet sich uns die furchtsam knarrende Thüre.
Welch ein Anblik! Gestrekt, mit halbgebrochenen Augen
Liegt ein Ehrwürdiger. Die einzelnen eißgrauen Haare
Stehn in wilder Verwirrung emporgesträubt, und die Mienen
Seines blassen Gesichts verrathen Kummer und Hoheit.
Neben ihm mit zerstörter Schönheit ein unschuldig Mädchen!
Blaue geöffnete Lippen zeigen die marmornen Zähne:
Izt ein schreklich schöner Anblik! ein Schleier dunkeler Lokken
Dekt die in Todesblässe noch reizenden Wangen: die zarten
Hände ruhn auf dem Busen, gefaltet, als wären sie, noch zum
Lezten Gebet erhaben, schlaff herunter gesunken.
So durch den plumpen Nord vom zersplitterten Stocke gerissen
Liegt eine aufgeblühete Rose: so reizt ihre Schönheit
Selbst wenn die hochrothen Blätter unter den spottenden Disteln
Einsam zerstreut glimmen und zusehends verblassen.
Also sind sie nun hin, die Bewohner des ländlichen Hauses
Und die Freunde der Tugend, der sanften unschuldigen Freuden.
Siehe die Wohnung selbst scheint den Verlust zu betrauren
Und die Linden umher, sie stürzen ihr Laub von den Wipfeln
Und stehn nakkend, vermissend die wartende Hand ihres Pflegers.

Ach wo bin ich? Wie klopfet mein Herz! Ich fühle die Wange
Naß von strömenden Tränen; ich fühle die Lippen erzittern.
Flieht, flieht schrekliche Bilder! von meinem verirreten Auge:
Flieh, entsezlicher Traum! aus der geängsteten Seele.
Vater der schwachen Sterblichen, der du aus Thon sie gebildet
Und sie dir ähnlich gemacht, der du zum Thon sie zurückhauchst,
Noch, noch wank' ich nicht einsam um die giftdampfenden Gräber
Hingesunkener Brüder, noch segn' ich das liebliche Murmeln
In denen Straßen, das frohe Gedränge der Märkte. O wohl mir!
In den schallenden Hayn will ich gehn und die traurige Harfe
An einen Buchbaum hängen, ich will die sanftere Flöthe
Von dem freundlichen Schäfer leihen und mit den Bergen
Und mit dem Wiederhall scherzen, und Doris Namen ihn lehren:
Denn noch wank ich nicht einsam um die Giftdampfenden Gräber
Meiner Brüder, der Menschen, die, mir zum Trost, eine Erde
Mit mir bewohnen, die mit mir der Sturm trift, der donnernd daherbraußt,
Mit mir der Veilchen schmeichlender Duft im Sonnenschein labet.

Jakob Michael Reinhold Lenz

Freitag, 1. November 2013

Mammutgedichte von Jakob Michael Reinhold Lenz: DIE LANDPLAGEN - II. Die Hungersnoth


Die Landplagen. II. Die Hungersnoth
Gedicht von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792)

Zweites Buch. Die Hungersnoth


Dich will ich singen, du bleicher Hunger, mit allen den Schrekken
Die dich begleiten, dich will ich den satten Sterblichen singen
Die die brütende Sonne und träufelnden Segen aus Wolken
Und der Erde Bereitwilligkeit und den göttlichen Geber
Schmähen durch Wollust und Ekel und Murren, wie die Wüsten.

Senkrecht strömet die Sonne Feuer auf Fluren und Hayden,
Daß auf Sümpfen Staub liegt, Ströme zu Sümpfen vertroknen
Laub und Zweig ermatten: ein tödtlich Blaß überzieht sie;
Eingeschrumpft und verdorret stürzen beym Wehen des kleinsten
Zephirs, des sie sonst spotteten, sie nun rauschend zu Boden.
Himmel, wo sind deine Wolken, und Nacht deine fließenden Thaue?
Schikt nicht das Meer seinen Dampf empor und die Flur ihre Dünste?
O vergilt ihre willige Gab', unerbittlicher Himmel,
Laß dich zu ihr in Tropfen hernieder, erfreue die Aeren
Die ihre schwarzen erstorbenen Häupter zu dir erheben,
Da sie sonst frölich beschwert dem Landmann entgegen sich bükten.

Ach die Natur ist vergiftet. Die farbenspielenden Wiesen
Liegen izt falb ausgebreitet, und Pharaonische magre
Kühe suchen dort Nahrung, und füllen die Mäuler mit Staub an.
Auch scheint die Erde nicht mehr dem Landmann gehorchen zu wollen
Der verzweiflungsvoll hinter den Pflug tritt. Was säest du, Sämann?
Eh ihn der Akker empfängt ist schon dein Saamen erstikket.
In hartnäkkiger Ohnmacht liegt die Natur: ein Bild des
Todes der Welt, des lezten Verderbens, wenn in das Chaos
Dieser Ball, von unsinnigen Würmern bewohnet, hinabstürzt.

Dort ist ein einsames Haus, ganz einsam, mit müßigem Schorstein:
Die umliegenden Ställe sind alle stumm von den Heerden
Die sonst muthig dort brüllten: nicht Enten wakkeln und schnattern
Mehr durch die Pfüzzen, kein Huhn lokt goldgefiederte Jungen
Unter die warmen Flügel, noch springen dummblökkende Schaafe
Im anlachenden Klee. Ein Schwarm von gierigen Raben
(Einzige Freunde der Theurung) fällt auf die in dem Hofe
Häufigen Aeser und krächzt die Todesgesänge der Schöpfung.
Jezo schlüpft ein dürrer Mann am leitenden Stekken
Aus der knarrenden Thür; eine Schaar von unmündigen Kindern
Eilt mit Geschrei ihm nach und kann nicht den Vater erreichen
Der die Hand vors Gesicht hält und fliehet: "Kann ich der Kinder
Winseln nach Brod noch länger hören, noch länger sie ansehn
Wie sie täglich verwelken, sehn die einsinkenden Wangen?"
So spricht er und wanket und hinket zum nakkenden Walde
Und am nächsten Baume hängt er sein lebend Geripp auf,
Daß der Versucher Hohnlachet und die Raben drob jauchzen.

Auf den Landwegen seufzet kein schwerer Wagen voll Korn mehr
Und in den lärmenden Wäldern erhebt sich ein Brüllen und Kreischen
Streitender Bestien, die, da Ställe und Weiden entblößt stehn,
Untereinander sich würgen. Es schießt der Jägerhund keichend
Ueber Fluren und durch den Forst: dann steht er und winselt,
Daß er kein lauschendes Wild mehr aufspührt. Lange schon waren
Die Harmonien des Waldes verstummt. Mit schlaffem Gefieder
Liegt über ihre Jungen erstarrt Philomele gebreitet.
Mit weitausgespreiteten Flügeln, die selten nur in der
Luft sich bewegen, das Gleichgewicht haltend, (wie Ruder, wenn mit dem
Strom ein Boot schwimmt) gleitet der tükkische Habicht; einzeln
Abgebrochen ertönt sein Feldgeschrei: aber vergebens
Strömt sein räubrischer Blik in Höhlen der Bäume, vergebens
Sucht er unter dem Hausdach in stillen Nestern den Raub auf:
Ihm ist der Hunger zuvorgekommen, und wird ihn bald selber
Fressen. Käfer und Mükken schwirren nicht mehr in den Lüften
Und an erstorbenen Waldrosen hängt die vertroknete Biene:
Schönes Grab! So stirbt am Busen der Liebsten ein Jüngling.
In den versiegten Teichen wühlen mit forschendem Schnabel
Hungrige Störche vergebens und ziehn statt Fröschen und Fischen
Schlamm und Mooß aus der Tiefe hervor. Nur im Bauche des Hirsches,
Den izt leichte Beine und Waffen des Haupts vor dem Tode
Retten nicht konnten, wimmeln gesättigt die frohen Gewürme.
Wie, wenn ein Sohn des Goldes von Schmeichlern und Schuldnern gestürzt wird,
Dann die neidischen Nachbarn in seinen Ruinen sich theilen.
Dort liegt Zadig ein Greiß am Weidenbaum, der mit entlaubten
Zweigen vergeblich strebt ihm gewohnten Schatten zu reichen.
Auf seinem müden Knie sizt der ihn anlallende Enkel,
Sieht oft nach ihm hinauf und weint nach Nahrung und Labsal.
Ach wie zerschneidet diß Weinen das Herz des zärtlichen Greises!
Hundert mal hebt er sich auf, zu fliehn, und hundert mal sinkt er.
Ueber ihm schwebet in Wolken höllischer schwarzer Verzweiflung
Satan, und strömet ihm Sünde ins offene Herz, und versucht ihn
Wie den in der Wüste, der nie von Sünde was wußte.
"Ich, so schwärmen Gedanken in seiner Seele, muß langsam
Sterben! den langsamen Tod des Knaben sehen! Er winselt:
Und ich kann ihm nicht helfen! Ich, der ich sonst ihm mit offnen
Armen väterlich zärtlich zueilte, der ich entzükket
An meine alte Brust ihn drükte, ich kann ihm nicht helfen -
Und muß sterben: Greisen selbst schrekliches Wort! - - Wie oft hat
Seine unschuldige Hand mit meinen silbernen Lokken
Schmeichelnd gespielt? - Wie soll ich ihm helfen, wie soll ich die lange
Pein von ihm wenden, die ihn wie fressend Feuer verzehret?
Tod, komm schnell über ihn: dann segn' ich dich. Stürzet ihr Hügel!
Und begrabt ihn, daß ich sein leztes Girren nicht höre. -
Aber ich selbst muß mich seiner erbarmen; der Himmel ist eisern,
Und die Erde ist eisern: ich selbst muß mich seiner erbarmen! -
Ich will ihn schlachten, eh Hunger ihn tödtet. Wie Abraham seinen
Isaak schlachtete, will ich ihn schlachten. Vielleicht daß in jenen
Hekken sich dann mir ein Bok entdekket, wie jenem: dann wollt ich
Froh ihn nehmen, den Bok, ihn würgen und meinem Enkel
Niedliche Bissen bereiten und mit seinem Blute ihn tränken;
Denn der Fluß ist vertroknet und Seen und Teiche sind Sümpfe."
Und nun sizt er und sinnet. - Nun hebt er den dürren, entnervten
Arm und durchboret das Herz des Enkels - doch schleunig von innrer
Heftiger Reu ergriffen, zieht er mit bebenden Händen
Bleich, den Dolch aus der Brust des Kindes und wirft ihn weit von sich.
"O verfluchtes Eisen!" ruft er und rauft sich die weissen
Haare aus dem Haupt, und heulet mit furchtbarer Stimme.
Aber der Knabe sinkt hin, fällt von seinem Schooß auf die Erd
Zappelt im Blut und schreyt nicht, nein erstikket im Schreyen.
Grausamer Stoß du bist geschehn. Umsonst stürzt der Alte
Auf das durchstochene Herz des Ermordten und hält mit blassen
Lippen das gewaltsam aussprudelnde Blut auf. Noch einmal
Schreyet das Kind, noch einmal zukt es den Mund und wirft die
Schon erstarrende Hand mit Angst der röchelnden Brust zu;
Da entflieht seine Seele, und bald wird Hunger und Ohnmacht,
Reu und Wuth und Verzweiflung auch seinen Mörder entseelen.

Nahe dich Muse! der Stadt, dem Sammelplaz schändlicher Thaten,
Dieser Geburten der harten und menschenfeindlichen Herzen,
Wenn die Noth sie beklemmt. Von unabsehbaren Heeren
Schreklich umzingelt liegt sie: in ihren Maureu verbreitet
Hunger und um sie von aussen der Feind, ein anhaltendes Sterben.
Göttin Aurora, so sahst du, so oft du dein Zelt an dem Himmel
Aufschlugst Jerusalem ehmals von aussen mit Spiessen umpflanzet,
Und inwendig voll schwarzer entstelleter Leichen. -
Schaut: wie hier Nebukadnezare, gierig entbrannt sind die Blikke,
Auf den Aesern liegen und selbst halb Aas sie verzehren.
Ueber sie flattern neidische Krähen und scheltende Raben
Stehlen sich oft hinzu, und theilen mit ihnen die Beute.
Jünglinge nagen die Zähne stumpf an Sätteln, und Greise
Füllen mit stinkendem Mist den ekelloßschmachtenden Schlund an.
Aus jenem dumpfen Gewölb erwacht eine klägliche Stimme,
Und ich gukke durchs äussere Gitter. - Entsezliches Schauspiel!
Würdig die Hölle zu zieren! Vom schröklichsten Dunkel beschattet,
Schlachtet ein wüthendes Weib ihr Kind. Umsonst fällt es nieder,
Dreimal nieder aufs Antliz und flehet mit heissen Tränen
Mit erblaßtem Gesicht und lautem Zittern und Schluchsen
Um sein jugendlich Leben; vergeblich schlingt es die Aermchen
Um die stampfenden Füsse der Mutter. Oft zwar empöret
Sich das Muttergefühl, es schwillt der abscheuliche Busen
Der das unschuldige Opfer genährt, von erschütterndem Schmerze,
Und der ausgestrekkete Arm weicht kraftloß zurükke;
Aber ihn lenket die Macht der Höll', er vollführt, er vollführet,
Er vollführet den schröklichsten Streich. Sie schreyt, sie mordet und knirschet,
Rauft ihr Haar mit der Linken, und tödtet ihr Kind mit der Rechten.

Bebst du, Muse? Verlaß sie, verlaß die verfluchteste Scene!
Laß die Höll' ihre That mit gräßlichem Heulen besingen!
Stimme die silbernen Sayten die solch ein Thema erniedrigt!
Sieh, dort ruft eine edlere Mutter die hungrigen Kinder
Traurig zusammen; sie hat vom kleinen Reste des Mehlkorbs
Und des Oelkrugs das lezte nothdürftige Mahl zubereitet:
"Kinder, die ich mit Schmerzen gebar, mit größerem Schmerze
Seh ich euch sterben. Kommt! erquikket die schmachtende Zunge!
Dann, mit brechendem Herzen will ich euch segnen, ihr Satten!
Und will sterben." Nun pflanzt sich das magre Geschlecht um die Schüssel -
Schnell ist sie leer. Mit Wangen auf welchen die Tränen vor Hizze
Stehn blieben, schlang die Jugend eilfertig die sparsame Kost ein:
Und nun sizzet sie sprachloß: noch tobt der müßige Magen
Und der Gaumen vertroknet, wie heisses Eisen, auf welches
Wenige Tropfen fallen; die Tränen rollen von neuem.
Aber die Mutter, sie hat für ihre Kinder gefastet,
Hebt die Augen zum Himmel, ihr mütterlich Herz ist in Aufruhr:
Balde sinkt sie, zu heftig von Schmerz und Liebe bekämpfet,
Von ihrem Siz zu Boden. Erschrokken stürzen die Kinder
Auf sie: "Mutter, stirb nicht! stirb nicht geliebteste Mutter!"
Aber ihr Geist verläßt sie. Der lezte Blik ihrer Augen
Ist noch mitleidig zärtlich auf ihre Kinder geheftet;
Zwar sie kann nicht Worte stammeln, nicht Seufzer erpressen,
Denn die Zung' ist gebunden, ihr sterben die Seufzer im Busen;
Aber inwendig rufet ihr starkes Geschrey zu dem Höchsten,
Zum dem Höchsten, der Raben ernährt und krümmenden Würmern
Auf ihrer langsamen Reise die Speis' entgegen führt. Und der
Herr, der Erbarmer hörts und spricht: - es feyern die Himmel -
"Ich will aufhören, sie zu plagen. Sie sind meine Kinder,
Ihr Geschrey ist vor mir gekommen. Ich hörte dich röcheln!
Stimmen des Todes, ich hört' euch. - Flieh, verderbender Hunger!"

Wie ein räubrischer Adler, wenn hezzende Stimmen der Jäger
Und das schmetternde Hüfthorn weit durch die lauten Gesträuche
Tönen: er lauschet und regt die schwarzen Fittige, hebt sich
Und beschattet die Wipfel der Linden; dann fliegt er zur nächsten
Eiche, schwingt sich empor, durchschiffet die seufzenden Lüfte,
Wird dicht unter den Wolken zur Lerche - und verschwindt dann:
So schrekt den gierigen Hunger der Ruf des allmächtigen Vaters;
Ungern verläßt er die Erde. Da regnet der eiserne Himmel.
Dankbar richten die Blumen sich auf: die schwimmenden Wiesen
Und die Hügel und Hayne beginnen zu lächeln; die Teiche
Schwellen empor und die stillen Flüsse murmeln von neuem,
Wie dem Ohnmächtigen, wenn ihn ein Balsam erfrischet, das Auge
Wieder entwölkt wird, die Glieder sich regen, und langsam zum Herzen
Durch die schlaffen Adern sich das belebete Blut drängt.
O wie sammlen die Menschen den nassen Regen des Himmels
In Gefässen auf, und löschen die brennenden Schlünde!
So drangen einst die Hebräer mit offenen Mäulern und Krügen
Zu dem strömenden Felsen, wie hier die lechzende Menge
Unter geöfneten Wolken harrend stehet und Wasser
Einerndtet, dann ihre Beute liebkosend und jauchzend ins Haus trägt,
Wo sie sich labt, erquikter als Funchals Fürst bei Pokalen.

Balde winken die Früchte von wieder umkleideten Bäumen,
Und in den leeren Vorrathskammern der Hülsen der Aeren
Keimt der Segen des Landes. Doch kennt die heisse Begierde
Keine Geduld, noch läßt sie der wohlthätigen Erde
Und dem Thau des Himmels und den nun fruchtbaren Stralen
Zeit die Körner und Früchte zu reifen. Heimlich unmuthig
Ueber den Lauf der Natur entreissen zalenlose Hände
Die vom angestammeten Gift nicht befreite, unzeitge
Nahrung den sträubenden Halmen: und sieh! die verderbende Seuche
Schwebt, ein weitausgebreitetes Ungeheuer über die satten
Städte, und droht mit scheußlichlächelndem Antliz den Schlemmern,
Die von neuem an Tafeln, beladen mit Mißbrauch und Wollust,
Den verkennen, der Thau an Spizzen der Gräsgen und Tropfen
An die Kronen der Aeren hängt und die Erde befruchtet.