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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Samstag, 23. November 2013

Heute Nachmittag in Saarbrücken: Die grandiosen Abenteuer der tapferen Johanna Holzschwert




23.11.2013 15:00 Uhr Theater Überzwerg, Erich-Kästner-Platz 1, 66119 Saarbrücken
+49 (0) 0681/ 958283-0
http://www.ueberzwerg.de

Die grandiosen Abenteuer der tapferen Johanna Holzschwert

»Holzschwert, Kopf verkehrt«, so hänseln die Mitschüler Johanna Holzschwert nur wegen ihres Nachnamens. Und ihre große Begeisterung für das Mittelalter, für Ritter, Könige und Hexen können sie auch nicht verstehen. Sie lauern ihr auf dem Schulweg auf – und dann passiert es: Im Streit wirft Johanna eine Fensterscheibe der Schule ein. Mit einem Brief des Englischlehrers an ihre Eltern in der Tasche macht sie sich auf den Heimweg. Diesen Brief muss Johanna dem Lehrer am nächsten Tag von ihren Eltern unterschrieben zurückbringen. Was nun? Johanna bekommt schließlich Hilfe von den Erdmännchen im Zoo, die ihr eine große Zukunft prophezeien: Sie leiht sich Schwert, Helm und Pferd (ein Klapprad namens »Peugeot«) von ihrem Bruder aus und macht sich auf ihrem galoppierenden Ross auf den Weg nach Frankreich. Dort gewinnt sie das Vertrauen des zukünftigen Königs, besiegt einen Riesen und befreit schließlich Frankreich von den Engländern. Und wer so was schafft, der wird auch mit einer kaputten Fensterscheibe und einem Brief an die Eltern fertig…

DIE GRANDIOSEN ABENTEUER DER TAPFEREN JOHANNA HOLZSCHWERT verbinden auf einfallsreiche, sehr witzige und lebendige Art und Weise Geschichte von früher mit einer Geschichte von heute. Im Mittelpunkt steht ein Mädchen, das – sehr frei nach Schillers Jungfrau von Orleans – mutig ihr Schicksal in die Hand nimmt.


Ein Stück von Michael Bang, Michael Schramm und Sabine Zieser für Alle ab 8 Jahren.

Regie: Martin Brachvogel
Ausstattung: Dorota Wünsch
Es spielen: Nicolas Bertholet, Sebastian Hammer, Sabine Merziger,
Reinhold Rolser

Lesung von Annette Kruhl in Trier: TAUSCHE EX GEGEN SEX



Freitag, 06. Dezember 2013 | Trier, Tuchfabrik, Wechselstraße 4, 54290 Trier
20 Uhr Eintritt: | VVK / AK 11 / 13 Euro
Tickets: 0651/7182412, www.ticket-regional.de

Annette Kruhl liest aus ihrem neuen Buch
Tausche Ex gegen Sex (Droemer)

Annette Kruhl
Vierzehn Jahre als treue Ehefrau sind eindeutig genug, be­schließt Marlene, als sie beim ersten One-Night-Stand ihres Lebens den besten Sex seit Jahren hat. Was hat sie sich bisher nur entgehen lassen! Kurzerhand verabschiedet sie sich von Ehebett und kuscheligen Fernseh­abenden und stürzt sich auf den Großstadt-Single-Freiwild-Markt. Sie erlebt ein Abenteuer nach dem anderen, erkennt aber bald, dass der nicht immer in postkoital genossener Zufriedenheit endet.


Der ewige Abschied mit Haindling, den lustigen Melancholikern, BAYERN


Dichterhain: WÄSCHELEINEN-TRÄUME von Karin Michaeli





Wäscheleinen-Träume

Es weht so lustig im Wind
das bunte Tuch an der Leine -
In Gedanken fliege ich mit
und denke nur an das eine:

Fliegen will ich über das Meer
bis hin zum Strand von Tahiti.
Dort tanze ich munter Hula-Hula -
und bewege rhytmisch und graziös
die musikalischen Arme und Beine !

(c) Karin Michaeli


Freitag, 22. November 2013

Fantasien zur Nacht (Performance): Annie LAM : BLEU


Annie LAM : BLEU

Der ewige Abschied mit Haindling, den lustigen Melancholikern, Hacklwurf


Fantasien zur Nacht (Lesung): Jürgen von der Lippe und Ina Müller: "Szenische Lesung" aus Jonathan Troppers "Mein fast perfektes Leben"



Jürgen von der Lippe und Ina Müller: "Szenische Lesung" aus Jonathan Troppers "Mein fast perfektes Leben"

Der ewige Abschied mit Haindling, den lustigen Melancholikern, Schmetterlingsküsse


Fantasien zur Nacht: EROS von Birgit Heid



Eros


Ich dürste schwer nach deinen Händen
deiner Stimme deinem Mund
der glutbegehrte Duft er raubt mich aus
mit Sanftmut und mit Scheu sich nähernde Lippen

richte deine Blicke auf meinen wohlgeformten Körper
ich stelle mich dir aus meine Grenzen
darfst du aufsaugen mit Leuchtaugen des Begehrens
sämtliches Rund gerate in meine Falle

ich drehe mich dir zu meine Antennen
beherrschen das Maß zwischen uns
lass dich entzücken und bewundere
eine Sonne die zum Feuerzauber taugt

meine erdbeerot pulsierenden Schätze
darfst flüchtig betrachten und sorgsam berühren
sie sind nur für dich so gestaltet
nur für den einen Gedanken zu teilen

und mehren die Lust zwischen uns
meine Haut ist längst weiter
sie liegt schon in deiner Behaarung
wenn ich mich entblöße du nimmst mich

an und mich auf auf deinen Leib
deinen Schoß legst du mich
schenkst deinen mir bis auf den Grund
mein Denken und Fühlen durchdringt mich

verseh mich mit dir versetz mich mit Wollust
mit Macht und mit Rufen
das Unbeherrschtsein wird Herr über uns
wie du über mich deine Größe verdunkelt das Licht

reiß mich schon an dich in Abgrund-Begierde
im Wirbeln des Fühlens entkleideten Seins
sprengen wir Grenzen von Haut und von Nähe
von Ich und von Du ein einziges Feuer gezündet an uns.

(c) Birgit Heid

Der ewige Abschied mit Haindling, den lustigen Melancholikern, Mythen und Sagen


Heute Abend im Pfalztheater Kaiserslautern: WAISEN von Dennis Kelly


Waisen

Stück von Dennis Kelly
Premiere 28|09|2013 | Werkstattbühne

Mit
Helen Natalie Forester
Danny Rainer Furch
Liam Daniel Mutlu
Leitung

Inszenierung: Harald Demmer
Bühne und Kostüme: Manfred Schneider
Dramaturgie: Andrea Wittstock

Sozialdrama auf der Grenze zwischen Lüge und Wahrheit

Danny und Helen planen ein romantisches Abendessen, der Sohn ist für den Abend bei der Großmutter gut untergebracht. Die Stimmung wird jäh unterbrochen, als Helens jüngerer Bruder Liam blutüberströmt ins Zimmer platzt. Auf der Straße sei ein Junge niedergestochen worden, er habe ihm bloß geholfen, dann sei der Junge geflohen. Danny will die Polizei rufen. Helen hindert ihn daran. Schließlich ist Liam vorbestraft, da ist es besser, keine Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. Danny lässt sich überreden, seinen Schwager zu schützen und ahnt nicht, in welch fatales Geflecht aus Halbwahrheiten, Lügen und Liebe er sich damit verstrickt. Liam beginnt, sich zu widersprechen. Mehr und mehr entpuppt sich der angebliche Helfer selbst als Täter. Dennoch bleibt er Helens einziger Bruder, für den sie sich verantwortlich fühlt, seit ihre Eltern starben – jedenfalls weit mehr als für einen Wildfremden draußen, wahrscheinlich ein Araber, „irgend so einen ... Typ, den wir gar nicht kennen“. Und auch von Danny verlangt sie, für seine Familie einzustehen, und seinen Glauben an die Prinzipien von Recht und Gesetz zu vergessen.

Dennis Kelly blickt hinter die Fassade von Familienglück, Moral und Anstand. „Waisen“ ist „weniger ein Krimi als eine Erkundung der Ängste und Loyalitäten, die uns dazu bringen, zu tun, was wir nicht tun sollten. Sowie die schmerzhafte Überprüfung, wie leicht unsere moralischen Grundwerte korrumpiert werden.“ (The Guardian)

Der ewige Abschied mit Haindling, den lustigen Melancholikern, Animation



Einladung nach Obermohr bei Ramstein zum Adventsallerlei mit Jutta Mohorko und Musikern rund ums Moorbachtal


Prosa: TEUFELSKINDER (9) - Verbrecherisches Glück (2) - von Jules Amedée Barbey d'Aurevilly

Verbrecherisches Glück (2)
Wahre Geschichten kann nur der Teufel erzählen!



Die Gräfin hatte ausgetrunken. ›Danke‹, flüsterte sie. ›Nehmen Sie dies wieder fort!‹
Haute-Claire wandte sich um, mit jener Bewegung, an der ich sie aus Hunderttausenden herausgefunden hätte, und ging mit der Schale aus dem Zimmer. Bis jetzt hatte ich den Grafen mit keinem Blick angesehen. Um so mehr fühlte ich, was mein Blick jetzt für ihn bedeutete. Endlich tat ich es. Ich fand seine Augen starr auf mich gerichtet, aber alsbald lebte ihr Ausdruck von Qual und Pein zur Freiheit auf. Er erkannte, daß ich gesehen hatte, aber nichts gesehen haben wollte. Er atmete auf. Er war meiner tiefsten Verschwiegenheit sicher. Offenbar erklärte er sich mein Benehmen – was mir gleichgültig war – aus dem Bestreben des Arztes, ein vornehmes Haus nicht verlieren zu wollen. Mich bewog vielmehr die Neugier des Beobachters zu meinem Verhalten. Ich wollte nach Haus und gelobte mir Schweigen. Durch mich sollte niemand etwas erfahren. Von jeher ist es mir das höchste Vergnügen, zu beobachten. Jetzt durfte ich dies heimliche Glück in vollen Zügen genießen, in diesem Erdenwinkel, diesem einsamen Schloß, wo ich als Arzt jederzeit Zutritt hatte.
Froh, seiner Besorgnis ledig zu sein, sagte Savigny zu mir: ›Ich bitte Sie, bis auf weiteres jeden Tag zu kommen.‹ Somit konnte ich das Geheimnis des Schlosses ungestört wie eine Krankheit ergründen. Ich fragte mich zunächst, um Licht in das Dunkel zu bringen, wie lange das Verhältnis wohl bestehen mochte. Seit Haute-Claires Verschwinden? War sie schon über ein Jahr Jungfer bei der Gräfin? Wie kam es, daß bisher kein Mensch erkannt hatte, was meine Augen sofort gemerkt?
Alle diese Fragen durchstürmten mich, als ich nach V*** zurückritt. Immer neue Gedanken gesellten sich hinzu. Graf und Gräfin Savigny, die einander anbeteten, wie es hieß, lebten ziemlich zurückgezogen. Schließlich aber kamen dann und wann Gäste. Waren es Herren, so brauchte sich Haute-Claire nicht sehen zu lassen. Und bei Damenbesuch? Die meisten Frauen der Stadt hatten sie, die jahrelang kaum aus ihrem Fechtsaal herausgekommen war, ja nur flüchtig gesehen, von weitem zu Pferd oder in der Messe. Und da hatte sie beständig ihren dichten blauen Schleier getragen. Mit Absicht? Sie gehört zu den ganz stolzen Menschen. Neugier verletzt sie. Sie werden immer undurchdringlicher, je mehr sie sich im Mittelpunkt der allgemeinen Betrachtung fühlen. Und die Dienerschaft, mit der sie wohl oder übel leben mußte, war wahrscheinlich nicht aus V***, sondern von anderswoher.
So beantwortete ich mir alle Fragen, die in mir aufstiegen. Und als ich zu Haus anlangte, da hatte ich einen Turm von mehr oder minder möglichen Vermutungen aufgerichtet. Ich wollte mir den Verhalt aufklären, der jedem Nichtgrübler unentwirrbar scheinen mußte. Eines freilich begriff ich gar nicht, nämlich, daß der Plan Haute-Claires, in der Gräfin Dienst zu treten, nicht an ihrer auffälligen Schönheit gescheitert war. Die Gräfin liebte ihren Mann, mußte also eifersüchtig sein. Indes waren die Aristokratinnen von V*** mindestens ungeheuer hochmütig. Figaros Hochzeit kannten sie nicht. Sie bildeten sich ein, ein hübsches Kammerkätzchen sei ihren Männern nicht mehr als ihnen der schönste Lakai. Zudem, sagte ich mir, als ich absaß, muß die Gräfin doch ihre Gründe haben, sich geliebt zu wähnen. Dieser Savigny ist ganz der Mann, sie in ihrem Wahn zu bestärken, wenn ihr je ein Zweifel käme.«
Ich konnte mich nicht enthalten, den Doktor bedenklich zu unterbrechen: »Das ist alles ganz gut und schön, nimmt aber der Sachlage nicht die Gefahr!«
»Allerdings nicht! Vielleicht hat aber gerade die Gefahr die ganze Lage erst geschaffen.« – Torty war ein großer Kenner der Menschenherzen. »Es gibt Leidenschaften, die erst durch die Gefahr erstehen und gedeihen, ohne sie nicht beständen oder verkümmerten. Im 16. Jahrhundert, im Zeitalter der starken Gefühle, war die Gefahr, die einer Liebe drohte, just die Mutter der großen Leidenschaften. Wenn man aus den Armen der Geliebten kam, lauerte hinter der Tür der Dolch. Oder es holte sich einer den Tod, indem er der Angebeteten verliebt den Muff küßte, den der Ehemann vergiftet hatte. Alles das schreckte aber nicht von der Liebe ab. Im Gegenteil, die beständige Gefahr stachelte sie an. Sie lohte und ward unwiderstehlich! In unserer nüchternen Zeit hat das Gesetz die Leidenschaft unterdrückt. Es bestraft den Ehebruch. Diese Gefahr ist unedel. Darum ist sie für höhere Menschen um so größer. Indem sich Savigny ihr aussetzte, empfand er vielleicht die Wollust der Gefahr, die starke Seelen berauscht.
Wie Sie sich denken können, begab ich mich am anderen Tage zeitig in das Schloß, aber ich bemerkte nicht das geringste. Es ging im Hause her wie in jedem anderen geordneten Hause. Die verkappte Haute- Ciaire erfüllte ihre Obliegenheiten als Dienerin so natürlich, als sei sie für diesen Beruf ausgebildet. Und auch das gräfliche Ehepaar gab mir keinen weiteren Aufschluß über das Geheimnis, das ich aufgespürt hatte.
So viel stand fest, daß Savigny und Haute-Claire eine freche Komödie spielten, mit einer Natürlichkeit und Vollendung, um die Berufsschauspieler sie hätten beneiden können. Und dieses Spiel war auf vorherige Verabredung begonnen worden. Eines anderen Umstandes war ich aber weniger gewiß, und das wollte ich zunächst erkunden. Ahnte die Gräfin wirklich nichts? Und, wenn dem so war, wie lange noch? Aus diesem Grunde wandte ich meine ganze Aufmerksamkeit ihr zu. Da sie krank war, wurde mir das nicht schwer. Ihre Krankheit machte sie sowieso zum Gegenstand meiner Beobachtungen.
Die Gräfin von Savigny war ein echtes Kind der Stadt V***. Es gab für sie nur eines, den Adel. Die übrige Welt war ihr keines Blickes wert. Dieser Standesdünkel war die einzige Leidenschaft der Damen von V***. Fräulein Delphine von Cantor war bei den Benediktinerinnen erzogen worden. Da sie nicht die Spur von wahrer Frömmigkeit in sich hatte, langweilte sie sich dort halb zu Tode. Dann langweilte sie sich zu Hause weiter, bis zu ihrer Verheiratung mit dem Grafen Savigny. Sie liebte ihn. Zum mindesten bildete sie sich das ein. Ein junges Mädchen, das sich langweilt, verliebt sich leicht in den ersten besten, der um sie wirbt. Die Gräfin war eine blasse Frau mit schlappem Fleisch, aber festen Knochen. Ihre milchweiße Haut war mit vielen winzigen Sommersprossen bedeckt, die dunkler als ihr rotblondes Haar waren. Wenn sie mir ihren wie bläuliche Perlmutter geäderten blassen Arm mit dem feinen rassigen Gelenk und dem trägen Pulsschlag reichte, machte sie mir jedesmal den Eindruck einer Dulderin, vom Schicksal bestimmt, als Opfer unter den Füßen einer anderen zertreten zu werden, der stolzen Haute-Claire, die sich vor ihr so weit erniedrigte, daß sie die Rolle ihrer Dienerin spielte. Nur widersprach diesem Eindruck, der sich mir beim ersten Anblick aufdrängte, ihr kräftig vorgeschobenes Kinn und ihre eigensinnige eckige Stirn unter dem glanzlosen Haar. Dieses Kinn in dem schmalen Gesichtchen erinnerte an das der Fulvia auf den römischen Münzen. Ich kam zu keinem Endurteil. Hier konnte der Fuß Haute-Claire sehr wohl straucheln.
Alles in allem schien es mir unmöglich, daß bei diesem Stand der Dinge dem Schloß seine jetzige Ruhe auf immerdar verblieb. Eines Tages mußte ein furchtbarer Sturm kommen. In Erwartung dieses Ereignisses verdoppelte ich meine Aufmerksamkeit bei der jungen Frau. Sie konnte ihrem Arzt nicht ewig ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Wem man sein leibliches Wohl anvertraut, dem öffnet man auch bald sein Herz. Die Gräfin mochte sich also noch so sehr winden und ihre Empfindungen und Gedanken in sich verschließen, eines Tages mußte ich den tiefsten Grund ihres Leidens von ihr selbst erfahren.
So dachte ich bei mir. Aber meine Voraussicht erfüllte sich nicht. Nach ein paar Tagen war ich überzeugt, daß sie nicht im geringsten ahnte, wie ihr Mann und Haute-Claire sie in der Stille und Verschwiegenheit des Hauses hintergingen. War sie blind? Kannte sie keine Eifersucht? Wie verhielt sich das? Im allgemeinen war sie hochmütig zurückhaltend gegen ihre Umwelt. Nur zu ihrem Mann nicht. Ihrer angeblichen Jungfer gegenüber benahm sie sich als gütige Herrin. Sie gab ihre Befehle in der knappsten Form, wie eben eine Dame, die an Gehorsam gewöhnt und dessen sicher ist. Nie erhob sie dabei ihre Stimme lauter denn nötig. Eulalia war eine treffliche Dienerin. Sie, die sich, ich weiß nicht wie, bei ihr eingeschlichen und eingeschmeichelt hatte, umhegte die Gräfin mit jener Sorglichkeit, die niemals die Grenze überschreitet, wo sie lästig wird. Bis in ihre kleinsten Dienstleistungen hinein offenbarte sie eine solche Geschmeidigkeit und ein so feines Verständnis für das Wesen ihrer Herrin, daß man ihre Klugheit und ihren Eifer genial nennen mußte.
Schließlich sprach ich einmal mit der Gräfin über ihre Jungfer. Wenn ich sie bei meinen Krankenbesuchen auf so unbefangene Weise um die Gräfin beschäftigt sah, rieselte mir jedesmal ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Mir war es, als sähe ich eine Schlange, die sich aufrollt und sich streckt und lautlos an das Lager eines schlummernden Weibes heranschleicht. Eines Abends bat die Gräfin ihre Zofe, ihr irgend etwas zu holen. Während sich Eulalia behenden Schritts entfernte, nahm ich diese Gelegenheit wahr, um ein Wort zu wagen, das mir vielleicht Aufklärung verschaffte.
›Die reinen Samtpfoten! Ihre Jungfer ist das Musterbild einer guten Dienerin. Erlauben Sie mir die Frage: woher haben Sie sie? Wohl aus V***.‹
›Ach ja, sie ist nicht übel‹, meinte die Gräfin nachlässig, während sie sich in einem kleinen Handspiegel besah, der einen Rahmen von grünem Samt mit einem Kranz von Pfauenfedern hatte. Sie sah gelangweilt hinein, ganz wie jemand, dessen Gedanken nicht bei seinen Worten sind. ›Ich bin recht zufrieden mit ihr. Aus V*** ist sie nicht. Woher sie aber ist–da fragen Sie mich zu viel, mein lieber Doktor. Wenden Sie sich an den Grafen, wenn Ihnen daran liegt, es zu wissen! Er hat sie mir kurze Zeit nach unserer Heirat besorgt. Als er sie mir vorstellte, hat er mir nur berichtet, daß sie vordem bei einer alten Verwandten von ihm gedient habe. Die Dame war gestorben und Eulalia stellenlos. Auf des Grafen Fürsprache hin habe ich sie angenommen.
Und ich bereue es nicht. Sie ist tadellos. Ich glaube, sie hat nicht einen Fehlern.‹
›Doch, Frau Gräfin!‹ fiel ich heuchlerisch-ernst ein. ›Ich kenne einen an ihr.‹
›So? Und der wäre?‹ kam es gedehnt-teilnahmslos von ihr, wobei sie ihre blassen Lippen weiter andächtig im Spiegel musterte.
›Sie ist zu schön! Viel zu schön für eine Kammerzofe! Eines Tages wird sie Ihnen entführt werden.‹
›Meinen Sie?‹ sagte sie, ebenso gedankenlos und abwesend wie vorher. ›Gewiß, Frau Gräfin. Vielleicht verliebt sich sogar ein hoher Herr in sie! Sie ist so schön, daß sie sogar einem Herzog den Kopf verdrehen könnte!‹
Ich maß meine Worte genau ab, während ich so meine Sonde ansetzte. Wenn ich jetzt nicht auf etwas Greifbares stieß, dann war nichts da.
›In V*** gibt es keinen Herzog‹, erwiderte die Gräfin. Ihre Stirn blieb so glatt wie das Spiegelglas in ihrer Hand. ›Im übrigen, lieber Doktor, lassen sich diese Mädchen nicht halten, wenn sie fort wollen, und wenn man sie noch so gut behandelt.‹ Sie glättete ihre Augenbrauen und fuhr fort: ›Eulalia hat eine angenehme Art, mich zu bedienen. Gleichwohl hüte ich mich, vertraulich mit ihr zu sein; denn, wenn es irgendwie darauf ankäme, fragt sie ebenso wenig wie jede andere darnach, ob ich sie gern habe.‹
Damit war das Kapitel Eulalia für jenen Tag abgetan. Die Gräfin war also vollständig ahnungslos! Wer wäre das nicht auch gewesen? Ich selbst, der ich sie im ersten Augenblick als die Haute-Claire vom Fechtboden erkannt hatte, ich selbst geriet zuweilen in die Versuchung, an die Eulalia zu glauben.
Savigny fand sich mit seiner Rolle bei weitem nicht so leicht, gefällig und ungezwungen ab wie Haute-Claire, obgleich für ihn das Spiel viel einfacher war. Sie aber bewegte sich in ihrem Lügennetz wie der munterste Fisch im Wasser. Ganz gewiß hatte sie ihn lieb und über alles lieb, denn sonst hätte sie wohl ihre einzigartige Stellung nicht aufgegeben, die ihre Eitelkeit befriedigen mußte, weil sie Augen einer ganzen Stadt – für sie die Welt – auf sie richtete. Einmal hätte sie sicherlich unter ihren zahlreichen Bewunderern und Verehrern den Mann finden können, der sie aus Liebe heiratete und ihr die Kreise öffnete, aus denen sie bis dahin nur die Herren kannte. Alles in allem war Savignys Einsatz bei dem Spiel geringer denn der ihre. Sie brachte das größere Opfer. Sein Mannesstolz mußte darunter leiden, daß er seiner Geliebten nicht die Demütigung einer ihrer unwürdigen Stellung zu ersparen vermochte. Darin lag übrigens eine Unstimmigkeit mit der Heißblütigkeit, die man ihm nachsagte. Wenn er Haute-Claire wirklich so leidenschaftlich liebte, daß er ihr seine junge Gattin opferte, dann hätte er sie entführen und in Italien mit ihr leben können. Dergleichen kam schon damals nicht selten vor. Er hätte damit das würdelose Versteckspiel des Doppellebens umgangen. Sollte er gar der weniger liebende Teil sein? Ließ er sich etwa von Haute-Claire lieben, viel mehr als er sie liebte? Oder hatte sie sich auf eigene Faust in seine unmittelbare Nähe gedrängt? Und er fand die Sache keck und reizvoll und ließ es zu? Was ich zwischen Savigny und Haute-Claire wahrnahm, gab mir nur wenig Aufschluß. Daß sie gemeinsame Sünder waren, das stand bei mir fest. Welcher Art aber ihre gegenseitigen Gefühle waren, ihr genaues Verhältnis zueinander, das blieb in diesem Seelenrätsel der dunkle Punkt, den ich zu beleuchten trachtete. Savigny benahm sich gegen seine Frau durchaus einwandfrei. Wenn Haute- Claire anwesend war, beobachtete ich ihn auf das schärfste und entdeckte eine gewisse Unsicherheit in seinem Verhalten, die mir nicht gerade Seelenruhe verriet. Wenn er – zum Beispiel – Haute-Claire, wie es das Einerlei des Alltags mit sich bringt, um ein Buch, eine Zeitung oder sonst etwas bat, so hatte er beim Empfang dieser Dinge eine so merkwürdige Art, daß sie jeder anderen Frau als dem harmlosen ehemaligen Klosterfräulein alles verraten hätte. Ich gewahrte, wie er es beinahe vermied, der Hand Haute-Claires zu begegnen, gleichsam als wäre es ihm bei einer zufälligen Berührung unmöglich, sie nicht festzuhalten.
Haute-Claire ihrerseits war völlig frei von jedweder Verwirrung und überängstlichen Vorsicht. Sie war eine Verführerin wie alle Frauen. Vor ihnen wäre der liebe Gott im Himmel nicht sicher, wenn es einen gäbe, und ebensowenig der Teufel in seiner Hölle! Bisweilen spielte sie sichtlich mit dem Mannessinn und der Gefahr. Einmal, als mein Besuch in die Mittagsstunde fiel, bediente sie während der Mahlzeit, die Savigny getreulich am Bett seiner Frau einnahm. Die anderen Dienstboten betraten das Gemach der Gräfin nicht. Um die Schüsseln auf den Tisch zu setzen, mußte sie sich über Savignys Schulter neigen. Ich ertappte sie, wie sie dabei des Grafen Ohr mit ihrer Brust streichelte. Er ward ganz blaß und sah auf seine Frau, ob sie es bemerkte. Zum Kuckuck! Ich war damals noch in den Jahren, wo man in der Befriedigung der Sinne den ganzen Sinn des Lebens sucht. Ich malte mir in meiner Vorstellung den köstlichen Reiz aus, der in dieser heimlichen und gefährlichen Liebschaft vor den Augen einer betrogenen Frau liegen mußte.
Ich wartete auf den Wendepunkt, auf den Umschwung, der meiner Ansicht nach unvermeidlich war. Bis dahin hatte ich von dem Roman der beiden nur Savignys Erblassen und seine ängstliche Unruhe gesehen. Wie das Rätsel der Sphinx ging mir das nicht aus dem Kopf. Es beherrschte mich so stark, daß ich zu spionieren anfing. Das ist der Auswuchs des Beobachtens. Starke Leidenschaften verderben einen. Um zu ergründen, was ich wissen wollte, erlaubte ich mir allerlei kleine Gemeinheiten, die meiner selbst unwürdig waren, das wußte ich, aber trotz alledem beging ich sie. Ja, ja, Verehrtester, Liebhabereien sind Schwächen! Ich war der meinen verfallen.
Bei meinen Krankenbesuchen auf dem Schloß fragte ich, wenn ich den Gaul am Stall abgab, die Dienerschaft so geschickt über ihre Herrschaft aus, daß sie es gar nicht merkten. Ich spionierte also; anders kann man das nicht nennen. Die Leute hatten indessen ebensowenig eine Ahnung von der Geschichte wie die Gräfin. Sie hielten Haute-Claire allesamt für ihresgleichen. Es sah also aus, als sollte meine schöne Hoffnung auf Befriedigung völlig zuschanden werden. Da kam ein Ereignis, das alle meine Vermutungen weit übertraf und mir einen größeren Einblick in das Geheimnis gewährte als meine ganze bisherige Herumschnüffelei.
Seit acht Wochen besuchte ich die Gräfin, ohne daß sich ihr Zustand besserte. Mehr und mehr machten sich die Anzeichen der Bleichsucht erkennbar. Savigny und Haute-Claire spielten ihre schwierigen Rollen in gleicher Meisterlichkeit weiter, ohne sich durch meine Gegenwart darin stören zu lassen. Nur schien es mir, als seien die beiden Spieler ein wenig matt geworden. Serion war abgemagert. Ich hörte, wie man in V*** sagte: ›Was für ein guter Ehemann der Savigny doch ist! Er sieht schon ganz mitgenommen aus durch die Krankheit seiner Frau! Wundervoll, wenn zwei sich so lieben !‹
Haute-Claire, diese marmorne Schönheit, hatte Schatten unter den Augen. Nicht so, wie man sie vom Weinen bekommt. Denn ihre Augen haben sicherlich ihr Lebtag nicht geweint. Sie hatten Ränder, die von durchwachten Nächten reden. Um so glühender blitzten die Augen aus dem dunklen Rahmen. Übrigens konnten Savignys Magerkeit und Haute-Claires umschattete Augen tausenderlei Ursachen haben. Die beiden lebten doch auf einem Vulkan. Ich beobachtete alle verräterischen Zeichen auf ihren Gesichtern, suchte sie zu deuten und war meist um die Antwort verlegen.
Einmal kam ich von meinem Besuchsgang erst am späten Abend nach Savigny. Eine Wöchnerin in der Stadt hatte mich allzulange aufgehalten. Wie ich am Schlosse eintraf, war es längst zu spät für einen Besuch. Welche Zeit es war, wußte ich nicht; meine Uhr war stehengeblieben. Nach dem Stand des Mondes mußte Mitternacht vorüber sein. Die Sichel herührte mit ihrem unteren Rand beinahe die hohen Tannen von Savigny, hinter denen sie bald versinken mußte ...
Waren Sie öfters in Savigny?« unterbrach sich der Doktor selber, indem er sich plötzlich zu mir hinwandte.
»Jawohl.«
»So! Dann wissen Sie also auch, daß man durch das Tannengehölz und die Schloßmauer entlanggehen muß, wenn man auf dem kürzesten Weg nach V*** will. Wie ich im Dunkel des Gehölzes bin – kein Licht, kein Laut! –, da trifft mit einem Male doch ein sonderbarer Klang mein Ohr, den ich mir zunächst gar nicht erklären konnte. Erst wie ich dem Schloß näher kam, ward mir der Ursprung des Geräusches erkennbar. Es war das Klirren sich kreuzender, kämpfender, einander streifender Waffen. Sie wissen, wie deutlich man in der Stille der dünnen Nachtluft jeden Klang vernimmt. Die leisesten Laute verstärken sich merkwürdig. Mein Ohr hatte mich nicht betrogen. Ein lebhaftes Florettfechten war hörbar. Als ich nun an den Waldrand hinauskam, lag das Schloß im bleichen Mondlicht vor mir. Ein Fenster stand offen. In den waagerechten Lücken der Läden der Balkontür daneben schimmerten Lichtstreifen. Es war ein warmer Juliabend. Aha! dachte ich. Also immer noch die alte Liebe! Ich war mir nicht im Zweifel, daß Serion und Haute-Claire die beiden waren, die nächtlicherweile miteinander fochten. Man hörte klar und deutlich die Klingen, als sähe man sie, und das Aufstampfen der ausfallenden Fechter. Es war in dem Eckturm, der von allen vieren am weitesten von den Gemächern der Gräfin entfernt lag. Das schlafende Schloß, das so still und weiß im Mondenschimmer stand, war wie ausgestorben. Überall Schweigen und Dunkel. Nur in dem entlegenen Turm war Licht und Leben.
Ich parierte meinen Gaul am Rande des Gehölzes zum Halten und lauschte dem lebhaften Waffengang. Dieser seltsame Kampf eines Liebespaares fesselte mich stark. So hatten sie sich ehedem geliebt, und so liebten sie sich noch immer. Auf einmal ward es still. Ein Stoß gegen die Läden, und die Balkontür stand offen. Ich hatte gerade so viel Zeit, mein Pferd in den dunkeln Tann zurückzureißen. Sonst wäre ich in der lichten Nacht bemerkt worden. Serion und Haute-Claire kamen auf den Balkon heraus und traten an das Geländer. Ich sah sie haarscharf. Der Mond war hinter dem Gehölz versunken, aber die Umrisse der beiden hoben sich klar ab gegen das Licht eines Armleuchters, der seinen Schein aus dem Zimmer in das Dunkel warf. Haute-Claire trug die Tracht, in der ich sie in ihrem Fechtsaal so viele Male gesehen hatte: ein knappsitzendes Wams aus Gemsleder, das sie wie ein Panzer umschloß, und ein seidenes Trikot, das ihre schönen Formen liebkoste. Savigny war ganz ähnlich angezogen. Schlank und kraftvoll wie die Verkörperung der Jugend und Gesundheit stand das Paar vor dem erleuchteten Hintergrund in ihren enganliegenden Kleidern, wie nackt. Sie redeten miteinander, über das Geländer gebeugt, aber leise, so daß ich ihre Worte nicht verstand. Ihre Haltung verriet mir aber, was sie sagten. Auf einmal schlang Savigny in leidenschaftlicher Wallung den Arm um den Amazonenleib zu seiner Seite, der für allen Widerstand geschaffen schien und der nicht widerstrebte. Im Gegenteil, beinahe im selben Augenblick warf die stolze Haute-Claire ihre Arme um seinen Hals und drückte sich an ihn. So bildeten sie eine Wiederholung der berühmten Liebesgruppe von Canova, die jedermann kennt. Mund auf Mund gepreßt küßten sie sich. Endlich gingen die beiden in das Zimmer zurück, noch immer umschlungen. Schwer wallten dunkle Vorhänge hinter ihnen nieder. Ich wagte mich aus dem Gehölz heraus.
Bald wird der Tag kommen, sagte ich mir, an dem die beiden mehr zu verbergen haben als bloß sich selber. Einmal nach solch einer Nacht werden sie mir beichten. Als Arzt zog ich diese Folgerung, nachdem sich mir ihre Verliebtheit, ihre Liebkosungen, soviel verraten hatten. Meine Voraussage ist allerdings am Feuer dieser leidenschaftlichen Menschen zuschanden geworden. Solche Leute bekommen keine Kinder. Anderntags ritt ich nach dem Schloß. Haute-Claire war wieder Eulalia. Sie saß in dem langen Gang vor dem Zimmer der Gräfin in einer Fensternische. Auf einem Stuhl hatte sie einen Haufen Wäsche neben sich zum Nähen und Ausbessern. Die nächtliche Fechterin bei solcher Tagesbeschäftigung! Meinen Schritt kannte sie so genau, daß sie nicht einmal den Kopf hob, um aufzusehen, wer kam. Sie hielt ihn auf ihre Arbeit gesenkt unter der steifen Batisthaube, dem Kopfputz der Normandie, den sie zuweilen trug. Meinen Augen bot sich nur der weiche Nacken, auf dem sich Löckchen kräuselten und lose Begierden weckten. Alles Animalische an dieser Frau ist prachtvoll. Wenige nur besitzen diese Art Schönheit in höherem Maß.
So saß sie meist, wenn ich an ihr vorüberkam. An jenem Tage mußte sie sich aber dazu verstehen, mir ihr Gesicht zu zeigen. Die Gräfin klingelte ihr nämlich, weil ich Tinte und Papier für ein Rezept brauchte. Sie kam. An ihrem Finger saß noch der stählerne Fingerhut. Sie hatte sich nicht die Zeit genommen, ihn abzustreifen. Die eingefädelte Nadel hatte sie an ihren verlockenden Busen gesteckt.
Während ich schrieb, blieb sie vor mir stehen und hielt mir das Schreibzeug mit einer lässigen Bewegung der Unterarme, die mit ihrer Fechtkunst verwandt war. Als ich fertig war, schaute ich ihr in die Augen. Ihr Gesichtsausdruck war müd. In diesem Augenblick kam Savigny in das Zimmer. Er sah noch viel schlaffer aus. Er redete mich an und sprach über den Zustand der Gräfin, die nicht genesen wollte, wie einer, dem die Genesung zu langsam geht. Es sprach ein bitterer heftiger Ton der Ungeduld aus ihm. Während er redete, ging er auf und ab. Ich sah ihn gelassen an. Dieses Benehmen ärgerte mich. Ich dachte bei mir: Wenn ich dir deine Frau kuriere, ist es aus mit eurer nächtlichen Fechterei! Offenbar hatte er allen Sinn für die Wirklichkeit verloren. Ich war nahe daran, ihm ordentlich Bescheid zu geben, begnügte mich aber doch lieber damit, ihn mir nur anzusehen. Das war denn doch der Gipfel der Schauspielerei!«
Wiederum hielt der Erzähler inne und genehmigte umständlich eine Prise. Dann fuhr er fort:
»Er war also höllisch ungeduldig. Aber nicht etwa, weil seine betrogene Frau nicht wieder gesund wurde. Das regte ihn gewiß nicht auf. Er hatte ja seine Liebste im Hause. Die Genesung konnte ihm seine Liaison dangereuse nur erschweren. Gleichwohl ging ihm die Endlosigkeit der Krankheit offenbar auf die Nerven. Er hatte mit einem Ende gerechnet. Der Zeitpunkt, wo ihm oder seiner Geliebten oder vielleicht allen beiden zugleich der Gedanke kam, einzugreifen, weil die Krankheit oder der Arzt versagten, der war wohl zu dieser Stunde.«
»Torty, wollen Sie damit sagen...?« Ich ließ meine Frage unausgesprochen. Die Andeutung hatte mich ergriffen. Er nickte mit dem Kopf und sah mich schicksalsschwer an, wie der steinerne Marschall, indem er Don Juans Einladung zum Nachtmahl annimmt.
»Ja!« gab er langsam und leise zur Antwort. »Wenigstens lief ein paar Tage später die Schreckenskunde durch das Land, die Gräfin wäre an Gift gestorben.«
»An Gift!«
»Ihre Kammerjungfer Eulalia hatte sich in der Flasche versehen und ihrer Herrin anstatt der verschriebenen Arznei Doppeltinte gegeben. Solch ein Irrtum ist nicht unmöglich. Nur wußte ich, daß Eulalia und Haute-Claire eins war. Und ich hatte das Paar als Canova-Gruppe gesehen, damals auf dem Balkon am Turmzimmer. Die Welt wußte davon nichts. Man hatte allgemein zunächst nur den Eindruck eines gräßlichen Unglücks. Zwei Jahre später allerdings, als man erfuhr, daß der Graf von Savigny ›die Stassin‹ geheiratet hatte – es war natürlich längst herausgekommen, wer die falsche Eulalia gewesen war! –, da begannen wie dumpfes Donnergrollen die Verdächtigungen, im Flüsterton, als fürchte man sich, das auszusprechen, was man argwöhnte. Im Grunde wußte nämlich keiner etwas Bestimmtes. Schließlich genügte die Tatsache der unglaublichen Mißheirat, daß man den Grafen von Savigny mied. Und das ist so geblieben bis auf den heutigen Tag. Das Geflüster über den Verdacht schlief schließlich ein. Einen Wisser gab es aber, der seiner Sache sicher war ...«
»Das waren Sie natürlich, Doktor!«
»Allerdings. Aber es hatte noch einen zweiten gegeben, ohne den mein Wissen nur vag geblieben wäre, schlimmer mithin als Garnichtswissen. Ich hätte niemals Sicherheit gewonnen, und die habe ich. Hören Sie nun, wie ich dazu kam!
Selbstverständlich erfuhr ich als erster von der Vergiftung der Gräfin. Mich, den Arzt, mußten die beiden Schuldigen oder Nichtschuldigen wohl oder übel sofort holen lassen. Man ließ dem Stallknecht nicht einmal die Zeit, sein Pferd zu satteln. Ohne Sattel, in rasendem Galopp kam er in V*** an. Im Galopp ging es zurück nach Schloß Savigny. Trotzdem kam ich zu spät.
Savigny empfing mich verstört am Tor. Während ich absaß, erzählte er mir mit einer Stimme, die sich merklich vor den eigenen Worten fürchtete: ›Die Jungfer hat sich versehen ...‹ Er vermied den Namen Eulalia, den am nächsten Tag schon alle Welt im Munde haben sollte. ›Aber sagen Sie, lieber Doktor, Doppeltinte ist doch kein Gift?‹
›Je nachdem !‹ erwiderte ich. ›Es kommt auf ihre Bestandteile an.‹
Er führte mich zur Gräfin. Sie war erschöpft vor Schmerzen. Ihr verzerrtes Gesicht sah aus wie ein weißer Garnknäuel, der in grüne Farbe gefallen war. Schrecklich. Ihr Lächeln mit den schwarzen Lippen war gräßlich anzusehen. Es schien mir, als wollte sie mir sagen: Ich weiß, was du denkst.
Mit halbem Blick spähte ich nach Eulalia. Ich hätte in diesem Augenblick ihr Gesicht zu gern gesehen. Sie war nicht da. Hatte sie bei all ihrem Mut doch Angst vor mir? Zuvörderst hegte ich nur eine unsichere Vermutung. Als ich eintrat, richtete sich die Gräfin mit vieler Anstrengung ein wenig auf.
›Da sind Sie ja, verehrter Doktor! Es ist zu spät. Ich gehöre zu den Toten ...‹ Und zum Grafen gewandt fuhr sie fort: ›Du hättest lieber nach dem Pfarrer schicken sollen, Serion, nicht zum Arzt! Ich bitte dich, laß ihn rasch noch holen und gib Befehl, daß uns jetzt niemand stört. Ich will ein wenig mit dem Herrn Doktor allein sein.‹
Noch nie hatte ich solch ein ›Ich will‹ von ihr gehört. Ihr Kinn und ihre Stirn hatten also Berechtigung.
»Soll ich auch draußen bleiben ?‹ fragte Savigny matt.
›Auch du, mein Lieber!‹ erwiderte sie, und fast zärtlich setzte sie hinzu: ›Du weißt, wie sehr sich Frauen gerade vor denen schämen, die sie lieb haben.‹ Kaum war er fort, da ging eine gräßliche Veränderung mit der Gräfin vor. Die sanfte Zärtlichkeit schlug um in wilde Wut.
›Doktor‹, keuchte sie mit haßerfüllter Stimme, ›mein Tod ist kein Zufall. Ein Verbrechen tilgt mich aus dieser Welt. Serlon liebt Eulalia, und sie hat mich vergiftet. Damals glaubte ich Ihnen nicht, als Sie meinten, sie sei zu schön für eine Jungfer. Das war töricht von mir. Er liebt die Elende, diese Verbrecherin, die mich mordet. Er ist der Schuldigere von beiden, weil er sie liebt und mich mit ihr betrogen hat. Seit ein paar Tagen habe ich alles durchschaut, an den Blicken, die sie über meinem Bett miteinander tauschen. Und dann kam dieses abscheuliche Gift! Ich schmeckte es sofort. Aber ich habe es trotzdem ausgetrunken, bis auf den letzten Tropfen. Denn ich mag nicht mehr leben. Reden Sie nicht von Gegengift! Ich will keins. Ich will sterben.‹
›Dann hätte man mich nicht erst holen lassen sollen, Frau Gräfin‹, erklärte ich.
›Doch‹, hauchte sie. ›Ich wollte Ihnen sagen, daß sie mich vergiftet haben. Und Sie sollen mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie nie einen Verdacht aussprechen. Es gäbe ein fürchterliches Gerede. Das will ich nicht. Sie sind mein Arzt. Man wird Ihnen glauben, wenn auch Sie von einem Versehen reden, mit dem die beiden die Tat bemänteln. Und fügen Sie noch hinzu, daß ich vielleicht zu retten gewesen wäre ohne die lange Krankheit, die meine Widerstandskraft zuvor gebrochen hat. Das müssen Sie mir schwören, lieber Doktor!‹
Ich sagte nichts. Sie erriet meine Gedanken. Ich war nämlich des Glaubens, sie wolle den Grafen schonen. Das erschien mir natürlich; es gibt solche Frauen, deren Liebe und Selbstlosigkeit so tief sind, daß sie selbst den Tod ohne den leisesten Wunsch nach Vergeltung hinnehmen. Allerdings hatte mir die Gräfin von Savigny bisher nicht den Eindruck gemacht, als gehöre sie zu diesen Frauen.
›Was Sie vermuten, das ist es nicht, was mich veranlaßt, Sie um Ihre Verschwiegenheit zu bitten. Ich hasse Savigny, und ich liebe ihn noch. Aber so schlapp bin ich nicht, daß ich dem Verräter vergebe. Unversöhnlich werde ich von ihm scheiden. Aber das ist eine rein persönliche Sache. Ich habe noch andere Rücksichten zu nehmen...‹ Die Kraft ihrer Worte enthüllte mir eine Seite ihres Wesens, die ich wohl geahnt, aber nicht recht ermessen hatte.
›Ich will nicht, daß ein Graf von Savigny nach dem Tode seiner Frau für ihren Mörder gilt. Ich will nicht, daß ein Savigny vor Gericht geschleppt wird als Spießgeselle einer schamlosen Giftmischerin. Ich will nicht, daß ein solcher Schandfleck den guten alten Namen Savigny besudelt, der auch mein Name war. Darum handelt es sich! Nicht um ihn. Er hat den Galgen verdient. Es steht Höheres auf dem Spiel. Eins bedauere ich. Daß die schönen Zeiten vorüber sind, in denen man diese Eulalia in ein Kellerloch geworfen hätte, ohne weiter ein Wort zu verlieren. Aber der Adel hat seine alte Macht nicht mehr. Da ich diese Rache nicht nehmen kann, verzichte ich auf jede andere ...‹
Sie redete klar und bestimmt, trotz des Krampfes ihrer Kiefer.
Ich hatte eine echte Aristokratin der alten Art vor mir.
Tiefer ergriffen, als es einem Arzt geziemt, versprach ich ihr mit einem Schwur, ihren Wunsch zu erfüllen, wenn es mir nicht gelänge, sie noch zu retten.
Ich hielt mein Wort. Gerettet habe ich sie nicht. Ich konnte es nicht; sie verweigerte jedes Gegenmittel.
Als sie tot war, erfüllte ich ihren Letzten Willen und beruhigte die erregten Gemüter. Seitdem sind an die fünfundzwanzig Jahre verflossen. Längst liegt Ruhe, Schweigen, Vergessenheit über der grauenhaften Begebenheit.
Sie sind der erste, dem ich ein Wort von dieser dunklen Geschichte erzähle. Schuld an meiner heutigen Redseligkeit ist allein die Begegnung vorhin. Eine seltsame Fügung des Schicksals, daß die beiden immer noch schönen, glücklichen, leidenschaftlichen, unzertrennlichen Geschöpfe an uns vorübergingen. Die Zeit und das Verbrechen haben ihnen nichts anzutun vermocht. Herrlich wie durch diesen Garten schreiten sie durch das Leben, gleich Wesen, die über dem Irdischen schweben.«
Ich war entsetzt. »Wenn sie wirklich so glücklich sind«, wandte ich ein, »wie Sie mir sagen, so wäre dies ein gräßlicher Widerspruch der Schöpfung.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht!« entgegnete mir der freigeistige Arzt voller Seelenruhe. »Tatsache ist, daß dieses Glück besteht. Die beiden sind die glücklichsten Menschen. Ich bin alt. Mir ist viel fremdes Glück begegnet. Keins war von Dauer. Nur dieses währt bis heute.
Sie dürfen es mir glauben, daß ich gesucht, geprüft und geforscht habe, um die Kehrseite dieses Wunders zu entdecken. Ich habe das Dasein der beiden weiterhin im Auge behalten, in der Meinung, dies empörende Glück müsse in einem geheimen Winkel einen Riß haben, sei er noch so winzig. Ich habe ihn nicht gefunden. Wir stehen vor einem wundervollen Hohn des Teufels gegen Gott. Das heißt, wenn es die beiden gäbe.
Nach dem Tode der Gräfin verblieb ich auf gutem Fuß mit dem Grafen. Da ich die Fabel, die den Giftmord bemäntelte, bestätigt hatte, so hatten sie keinen Grund, mich fernzuhalten. Mir wiederum lag alles daran, die Fortsetzung der Geschichte aus der Nähe zu erleben. Mir schauderte vor den beiden; aber ich überwand mein Grauen.
Zunächst kam nach der Sitte des Landes eine Trauerzeit von zwei Jahren. Savigny benahm sich in dieser Zeit seinem früheren Ruf gemäß, demzufolge er das Muster eines Ehrenmannes gewesen sein sollte. Er verkehrte mit keinem Menschen, sondern verbrachte die Zeit in klösterlicher Einsamkeit auf seinem Schloß. Damals kümmerte sich noch niemand darum, daß Eulalia, die ›unschuldige‹ Ursache des Todes der Gräfin, weiterhin im Schloß blieb. Es hätte sich wohl gehört, daß der Graf gerade sie sofort entlassen hätte, selbst wenn sie schuldlos war. Daß er die Unklugheit beging, sie im Hause zu behalten, war mir ein Beweis für seine mir bekannte unsinnige Leidenschaft. So war ich im Grunde nicht sonderlich erstaunt, als ich von einem Diener des Schlosses gelegentlich erfuhr, daß die Eulalia noch immer da sei. Er berichtete dies so gleichgültig, daß ich daraus ersah: unter den Leuten im Schloß ahnte keiner, daß sie des Grafen Geliebte war. Also spielten sie noch immer ihre Komödie! Warum gingen sie nicht in das Ausland? Er war reich. Er konnte überall im großen Stil leben. Warum machte er sich mit dieser Hexe nicht aus dem Staub?
Die Gründe, daß sie dies nicht getan haben, sind mir noch heute unerschlossen.
Daß die beiden, die ihre Wahlverwandtschaft vom ersten Augenblick des Sich-Sehens triebmäßig erkannt hatten, ihre Verbindung fortsetzen würden, daran hätte ich nicht einen Augenblick gezweifelt, war ich doch Zeuge gewesen, wie sie die Gräfin betrogen hatten. An eine Ehe aber zwischen den beiden dachte ich keineswegs.
Um so größer war meine Überraschung, als ich nach zwei Jahren die vollendete Tatsache erfuhr. Es ging mir nicht allein so. Alle Welt war aufgebracht. Die gute Gesellschaft kläffte vor Wut wie eine Meute ausgesperrter Hunde.
Übrigens war ich während der beiden Trauerjahre, die Serion so streng hielt – was man ihm, wie alles an den Tag kam, als Heuchelei und Gemeinheit anrechnete –, nur selten in Savigny. Was hatte ich dort zu schaffen? Man befand sich wohl und bedurfte meiner Dienste nicht. Dennoch machte ich dem Grafen hin und wieder einen Besuch, aus Höflichkeit und mehr noch aus Neugier. Serion empfing mich, wie es sich fügte, bald hier, bald da, wo er gerade verweilte. Ich merkte ihm keine Verlegenheit an. Er war der liebenswürdige Weltmann, ganz wie einst. Nur ernst war er. Das hatte ich schon oft im Leben beobachtet: glückliche Menschen sind ernst. Behutsam tragen sie ihr Herz vor sich *her wie ein volles Glas, das bei der leisesten Erschütterung überfließen oder entzweigehen kann. Trotz dieses Ernstes und seiner dunklen Kleidung wohnte in seinen Augen grenzenlose Glückseligkeit. Es war nicht mehr jener Ausdruck der Erleichterung und Befreiung, der damals drinnen aufging, als ich am Lager seiner kranken Frau Haute- Claire erkannte und ihm stumm meine Verschwiegenheit gelobte. Nein. Jetzt war es echtes hohes Glück. Zwar plauderten wir bei diesen förmlichen kurzen Besuchen nur von nebensächlichen Dingen. Aber des Grafen Stimme klang nicht mehr wie zu Lebzeiten seiner Frau. Sie war voll und warm geworden. Sie verriet ein starkes Innenleben.
Ehe ich auch Haute-Claire begegnete, verging geraume Zeit. Sie saß nicht mehr mit ihrer Arbeit in der Fensternische, wenn ich den Gang entlang kam. Wohl lagen manchmal ein Bündel Wäsche an ihrem alten Platz, und Schere, Fingerhut und Nähkistchen auf dem Fensterbrett. Verriet das nicht, daß sie noch immer hier arbeitete und ihren Sitz nur verlassen hatte, weil sie mich kommen gehört? Schon vermeinte ich, sie fürchte sich vor meinem forschenden Blick. Den brauchte sie nicht mehr zu scheuen! Wußte sie doch nichts von der gräßlichen Enthüllung, die mir die Gräfin vor ihrem Tode gemacht hatte. Unerschrocken und stolz wie Haute-Claire war, mußte sie eine gewisse Befriedigung darin finden, meinem Forscherblick die Stirn zu bieten. So war es tatsächlich. Schließlich traf ich sie und fand in ihrem Antlitz ein so strahlendes Glück, daß eine ganze Flasche Doppeltinte es nicht ausgelöscht hätte.
Es war auf der großen Schloßtreppe, wo ich ihr zum ersten Male wieder begegnete. Sie kam herunter, ich stieg hinauf. Als sie mich gewahrte, verlangsamte sie ihren ziemlich raschen Schritt. Offenbar wollte sie mir Gelegenheit geben, ihr in das Gesicht zu schauen, in ihre Augen, vor denen sich wohl Pantheraugen schließen, nicht aber die meinen. Wie sie so die Stufen herunterschritt, wehten ihre Röcke um sie und hinter ihr drein, und es war, als schwebe sie vom Himmel hernieder. Überirdisches Glück umfloß sie, zehntausendmal erhabener als das Glück in Serlons Angesicht. Trotzdem ging ich ohne Gruß an ihr vorüber. Mag Ludwig der Vierzehnte jede Kammerzofe auf den Treppen gegrüßt haben! Das waren ja keine Giftmischerinnen! Übrigens war sie an jenem Tage noch als Kammerjungfer gekleidet, mit weißer Schürze. Aber das Unpersönliche der Dienerin war glückhaftem Herrinnenstolz gewichen. Jener Ausdruck ist ihr verblieben. Ich habe ihn vorhin wiedergesehen. Er wird Ihnen auch aufgefallen sein. Er tritt mehr hervor an ihr als selbst die Schönheit ihres Gesichts. So sind sie beide höhere Wesen im Glanz ihrer frohlockenden Überlegenheit. Serlon hatte diesen sonnigen Ausdruck früher nicht. Er hat ihn von ihr. Nach zwanzig Jahren ist er noch da. Er verblaßt oder umwölkt sich keinen Augenblick in den Zügen dieser beiden seltenen Lieblinge des Lebens. Diesen Ausdruck haben sie allem Ungemach siegreich entgegenleuchten lassen: der gesellschaftlichen Acht, dem bösen Gerede, der allgemeinen Anklage. Wer ihnen begegnet und sie anschaut, hält das Verbrechen, dessen man sie beschuldigt hat, für abscheuliche Verleumdung.«
»Doch Ihnen, Doktor«, unterbrach ich ihn, »der Sie alles wissen, Ihnen kann der Schein nichts vormachen. Aber Sie sind den beiden nicht überallhin gefolgt. Sie haben sie nicht zu jeder Stunde gesehen.«
Spöttisch, aber tiefsinnig antwortete mir Torty: »Ich bin überzeugt, auch in ihrem Schlafzimmer zur Nacht geht ihnen die Sonne ihres Glückes nicht verloren. Dahin bin ich ihnen nicht gefolgt. Sonst habe ich sie überall und jederzeit beobachtet, seit ihrer Hochzeit, die sie, ich weiß nicht wo, gefeiert haben, um dem Hallo der Leute von V*** zu entgehen, wo Volk und Adel, jedes in seiner Weise empört war. Nach ihrer Rückkehr als Vermählte war sie die rechtmäßige Gräfin von Savigny, er aber verfemt, weil er eine Dienerin geheiratet hatte. Man tat das Schloß Savigny in Acht und Bann und schnitt das Paar. Man überließ sie sich selber. Mochten sie einander auffressen, bis sie sich sattkriegten! Aber sie haben sich nicht satt bekommen, wie jedermann immer von neuem sehen kann. Mich, als Arzt und Liebhaber menschlicher Merkwürdigkeiten, mich fesseln natürlich diese beiden – Ungeheuer. Das ist der Grund, warum ich nicht zu denen gehöre, die von den Savignys nichts wissen wollen. Als ich der zur Gräfin verwandelten Zofe meinen Besuch machte, war sie in der Tat vom Scheitel bis zur Sohle die Gräfin, als sei sie niemals etwas anderes gewesen. So empfing sie mich. Sie scherte sich den Teufel darum, daß ich sie in weißer Schürze, den Besuchskartenteller in der Hand, im Gedächtnis haben mochte. ›Jetzt bin ich nicht mehr die Eulalia‹, sagte sie mir in ihrer stolzen Haltung, ›sondern Haute-Claire. Und Haute-Claire ist glücklich, daß sie ihm zuliebe die Eulalia gewesen ist.‹
Ich dachte daran, daß sie noch ganz was anderes war. Übrigens war ich der einzige, der so wenig Ehrgefühl besaß, das Paar nach seiner Heimkehr im Schloß aufzusuchen. Mit der Zeit ging ich sogar sehr oft hin. Sie dürfen es mir glauben, daß ich voller Eifer fortfuhr, das Zusammenleben der beiden zu belauern und zu erforschen, die in ihrem Bund so voll des Glückes waren. Ja, Sie mögen mir nun glauben oder nicht, ich habe dieses lichte Glück, das, wie ich so genau weiß, auf ein dunkles Verbrechen begründet war, nicht einen einzigen Augenblick getrübt oder auch bloß beschattet gesehen.
Ist das nicht eine Ohrfeige für alle Sittenprediger, die das schöne Gesetz vom bestraften Laster und der belohnten Tugend erfunden haben? Jene beiden waren geächtet und lebten einsam. Nur von mir wurden sie besucht. Und vor mir, dem zum Hausfreund gewordenen Arzt, legten sie sich keinerlei Zwang auf. Sie vergaßen meine Gegenwart und lebten dabei im Rausch ihrer Leidenschaft, der ich nichts Ähnliches von allem, was ich erlebt und erfahren, an die Seite stellen kann. Sie haben soeben eine kleine Probe davon selbst gesehen; sie streiften uns beinahe im Vorübergehen und doch haben sie mich nicht einmal bemerkt. Es ist nicht das erstemal gewesen, daß sie mich übersehen haben.
Das Glück der beiden hat ihr Gewissen erstickt. Wir stehen hier vor einer Tatsache, die mich ebenso verblüfft hat wie Sie. Es handelt sich um die seltsame Erscheinung eines dauernden Glückes, das gleich einer Seifenblase immer größer und bunter wird, aber nicht wie jene platzt. Glück, das bestehenbleibt, ist an und für sich schon ein Wunder. Glück im Verbrechen ist aber geradezu ungeheuerlich. Zwanzig Jahre laufe ich nun schon darüber den Kopf schüttelnd herum. Der alte Arzt, der alte Beobachter und der alte Moralist und Amoralist – ganz wie Sie wollen! (er hatte mein Lächeln bemerkt) – alle drei stehen sie ratlos vor diesem Schauspiel. Es gibt ein bekanntes Wort, das man allenthalben hören kann: Glück läßt sich nicht sagen. Es läßt sich auch nicht beschreiben. Man kann dieses Einfließen eines höheren Lebens in unser Dasein ebensowenig bildlich darstellen wie das Blut, das durch die Adern strömt. Am Pulsschlag erkennt man, daß es fließt. So ungefähr fühle ich dem unbegreiflichen Glück der beiden den Puls und weiß, daß es da ist. Das Paar erlebt jeden Tag, ohne sich dessen bewußt zu sein, das wundervolle Kapitel von der ehelichen Liebe der Frau von Staël oder auch jene prächtigen Verse aus Miltons ›Verlorenem Paradies‹.
Das Schicksal, ein guter Stern, der Zufall – oder was weiß ich? – hat es so gefügt, daß sie füreinander leben dürfen. Sie sind reich, haben also die Beschaulichkeit, ohne die es einsames Glück nicht gibt, an der es auch oft zugrunde geht. Doch ihrem Glück hat sie nichts angetan. Sie hat nur alles Überflüssige darin getilgt und dem Dasein der beiden eine wundervolle Einfachheit verliehen. Große Ereignisse gibt es für sie nicht. Sie leben so recht als Schloßinsassen, in einem Reich für sich, fern der Welt, mit der sie nichts zu tun haben und deren Hochachtung wie Geringschätzung sie gleich kühl läßt. Sie trennen sie niemals. Wohin der eine geht, dahin folgt der andere. Wie zu Lebzeiten des alten Fechtmeisters sieht man Haute-Claire wieder zu Pferd in der Umgegend von V***. Ihr zur Seite den Grafen. Wenn die Frauen der Stadt sie so sehen, recken sie ihre Hälse noch mehr denn ehedem nach dem geheimnisvollen jungen Mädchen im undurchdringlichen dunkelblauen Schleier. Jetzt zeigt sie den Leuten kühn das Antlitz der ›Dienerin, die es verstanden hat, den Grafen einzufangen‹. Entrüstet und nachdenklich gehen die Frauen ihrer Wege.
Das gräfliche Paar macht keine Reisen. Zuweilen kommen sie nach Paris. Aber sie bleiben stets nur ein paar Tage. Ihr Leben spielt sich gänzlich im Schloß Savigny, dem Schauplatz jenes Verbrechens ab, das ihre abgrundtiefen Herzen wohl vergessen haben.«
»Sie haben keine Kinder, nicht wahr?« fragte ich.
»Ach so«, erwiderte Torty. »Sie meinen, das sei der wunde Punkt, die Vergeltung, die Rache oder das Gottesgericht, wie man das so nennt. Allerdings, sie haben keine. Einmal wagte ich Haute-Claire zu fragen: ›Betrübt es Sie nicht, Gräfin, daß Sie keine Kinder haben?‹ – ›Ich will keine‹, gab sie mir entschieden zur Antwort. ›Dann könnte ich Serlon nicht mehr mit meinem ganzen Herzen lieben.‹ Und beinahe verächtlich fügte sie hinzu: ›Kinder sind gut für unglückliche Frauen.‹«
Mit diesem tiefsinnigen Spruch brach Torty seine Erzählung ab. Die Geschichte hatte mich ergriffen. Und ich sagte zu ihm:
»Haute-Claire ist eine Verbrecherin, gleichwohl eine verführerische Frau. Ohne ihre Schandtat könnte ich Serlons Liebe verstehen.«
»Besser noch mit ihrer Schandtat!« brummte der unerschrockene Biedermann. »Ich begreife den Grafen!«


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Donnerstag, 21. November 2013

Literaturgeschichte: Prosa aus der Zeit des Ersten Weltkrieges



Krieg – von allen Seiten
Prosa aus der Zeit des Ersten Weltkrieges

Herausgegeben von Wilhelm Krull

222 S., geb., Schutzumschlag,
ISBN: 978-3-8353-1346-0 (2013)



Von Paul Zech bis Ernst Jünger – der Erste Weltkrieg in der Literatur von 1912 bis 1922.

Von wenigen als drohendes Unheil vorausgesehen, von vielen als willkommenes Abenteuer herbeigesehnt, wurde der Erste Weltkrieg zu einer tiefen Zäsur menschlicher Ohnmachtserfahrung. Überall war Krieg – zu Wasser, am Boden und erstmals auch in den Lüften. Die maschinell geprägte Kriegsführung und das Massensterben auf den Schlachtfeldern und in den Schützengräben ließen auch die Überlebenden existenziell erschüttert und orientierungslos zurück.
Der Band enthält Erzählungen und Tagebucheintragungen von Autoren wie Walter Flex, Leonhard Frank, Ernst Jünger, Egon Erwin Kisch, Wilhelm Lamszus, Andreas Latzko und Paul Zech. Er vermittelt dem Leser einen Einblick in das breite Spektrum höchst unterschiedlicher Positionen und Reaktionen aus der Zeit von 1912 bis 1922.

Der ewige Abschied mit Haindling, den lustigen Melancholikern, Weiter Blick


Wer ist Prinzessin Emma?


1 Die kleine Prinzessin Emma

Mitten im Wald wohnte ein König mit seiner Königin. Sie waren sehr glücklich und hatten sich von Herzen lieb. Das einzige was ihnen noch fehlte, war ein kleiner Prinz oder eine kleine Prinzessin. Viele Jahre schon wartete das Königspaar auf ein Baby, aber dieser Wunsch wurde ihnen bis heute nicht erfüllt.
Direkt neben dem Schloss war ein kleiner Park, dort wohnten zwei sehr alte Feen. Die eine war ganz klein und dick und die andere riesengroß und spindeldürr. Es waren wunderbare und sehr liebenswürdige Feen. Die Kleine hieß GroßesGlück und die Große hieß KleineFreude. Wie sie zu ihren Namen gekommen waren, dass wussten sie selbst nicht, aber beide waren sehr glücklich damit.
GroßesGlück und KleineFreude waren sehr gute Freundinnen der Königin. Oft trafen sie sich im Schloss, zum Kaffeeklatsch oder tranken heiße Schokolade und aßen die leckeren Kekse, die die Köchin LeckereSchnecke für sie gebacken hatte. Alle drei waren große Schleckermäulchen.
Nun wussten die beiden natürlich von dem großen Wunsch der Königin. Sie überlegten hin und her, wie sie es wohl am Besten anstellen könnten, dass ihre liebe Herrin endlich ein Baby bekam. Sie kannten alle Elfen und Zwerge, die im Wald wohnten und wussten ganz genau, dass irgendwer der traurigen Königin sicher helfen konnte, wieder glücklich zu werden.
So zogen GroßesGlück und KleineFreude also los, um jemanden, um Hilfe zu bitten. Zuerst kamen sie zur Elfe Flügelchen. Sie war ein ganz kleines zartes Wesen mit Flügeln, die ganz bunt und sehr groß waren, so richtige große Schmetterlingsflügel. Flügelchen gab den Feen einen Zaubertrank, aus getrockneten Beeren und Morgentau.  Morgen früh zur 6. Stunde sollte die Königin, einen kleinen Becher, davon trinken.
Auf dem gleichen Weg, den die Feen eingeschlagen hatten, lag auch das Häuschen des Zwerges AufdemBerg. Er hieß so, weil seine kleine Hütte ganz oben auf einem Berg stand. Das war ein ganz lustiges Männchen, welches immer auf und ab sprang. AufdemBerg sah sehr lustig aus, weil sein kugelrunder Bauch dabei immer mit hüpfte. Er schenkte ihnen einen wunderschönen Bergkristall, mit magischen Kräften. „Die Königin muss diesen Stein um Mitternacht in das Mondlicht legen und solange darauf schauen, bis sie ein Kind sieht“, sagte der kleine Zwerg sehr, sehr ernst.
Die beiden Feen waren ganz erstaunt, dass sie gleich bei den ersten beiden Waldbewohnern so ein großes Glück hatten und gingen ganz fröhlich und sehr glücklich wieder nach Hause. Am nächsten Morgen machten sie sich, mit dem Zaubertrank und dem Bergkristall  auf den Weg ins Schloss. LeckereSchnecke hatte einen wunderbaren Apfelkuchen mit Zimt gebacken, den man durch das ganze Schloss riechen konnte. Dazu hatte sie eine große Schüssel mit frischer Sahne gestellt.  Sie kochte rasch einen Kaffee und deckte den Tisch, mit dem feinen weißen Leinen, dem guten Geschirr und dem königlichen blitzeblank geputzten Silber. Diesem wunderbaren Kuchen- und Kaffeeduft, konnte auch die Königin nicht widerstehen. So setzten sich alle drei gemütlich an die Kaffeetafel und freuten sich, dass sie sich so einen schönen Tag machen konnten. GroßesGlück und KleineFreude übergaben ihre Geschenke und erzählten der lieben Freundin, was denn zu tun sei, damit endlich ein Baby ins Königreich einziehen konnte. (...)


Textauszug aus einem der Prinzessin-Emma-Bücher von Ute AnneMarie Schuster, verlegt beim Verlag art of arts, die im Moment im Rahmen einer Benefizaktion für Herzkinder Österreich und Berliner Pflegeeltern für einen guten Zweck erwerbar sind. 50 % des Kaufpreises fließen den beiden Vereinen zu.

Sehen Sie hierzu den Beitrag: 

Benefizaktion als Privataktion einer engagierten Dichterin

Flüchtige Begegnung aus: TANZ MIT MIR von Regine Wendt. Ein E-Book im SV Verlag






Flüchtige Begegnung


Deine Hand in meiner Hand
Warm und fest
Knistern in mir
Erschauernd, versinkend
Sekunden atemlos
Eine verzückte Hummel
Kreist in meinem Bauch
Oder tiefer, schamlos
Gesenkter Blick
Nur nichts lesen lassen


Dunkelbewimpert
Die Begierde
Verschlossenes
Aussichtslose Gefühle
Geheimgehaltene Träume
Nur deine Hand
In meiner Hand
Haut auf Haut, häutend
So viel für mich
Viel zu viel
Schnell vorbei
Schon bist du fort
Ich bin noch immer

Bei dir


Aus: 
Tanz mit mir. Gedichte von Regine Wendt.
Gemälde und Fotos von der Autorin 
Erschienen als E-Book im SV Verlag.

Der ewige Abschied mit Haindling, den lustigen Melancholikern, Schlaflos

Hans-Jürgen Buchner