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Sonntag, 17. November 2013

Prosa: TEUFELSKINDER (7) - Die Rache eines Weibes - von Jules Amedée Barbey d'Aurevilly


Die Rache eines Weibes

Fortiter!


Eines Abends gegen das Ende der Zeit Ludwig Philipps durchschritt ein junger Mann die Rue Basse-du-Rempart in Paris, die damals ihren Namen mit Recht führte, denn sie lag tiefer als der Boulevard und bildete einen stets schlecht beleuchteten finsteren Hohlweg, in den man vom Boulevard aus auf zwei Treppen hinabstieg, die einander sozusagen den Rücken zuwandten. Heutzutage besteht der Hohlweg nicht mehr, der sich ehedem von der Chaussee d'Antin bis zur Rue Cau- martin erstreckte, wo er die Höhe der Hauptstraße wieder gewann. Dieser Stadtgraben, wie man ihn hätte nennen können, in den man sich kaum bei Tage wagte, war nachts eine ganz üble Gegend. Im Dunkeln herrscht der Teufel. Er hatte dort eine seiner Standesherrschaften.
Ungefähr in der Mitte des Hohlweges, der auf der einen Seite von dem hoch sich hinziehenden Boulevard und auf der anderen von großen stummen Häusern mit verschlossenen Einfahrtstoren und etlichen Trödelläden umsäumt wurde, mündete ein enger ungedeckter Durchgang, wo der Wind, wenn er nur ein bißchen wehte, wie auf einer Flöte pfiff. Dieses Quergäßchen führte an einer Mauer und einigen Neubauten entlang zur Rue Neuve-des-Mathurins.
Der besagte, übrigens gewählt angezogene junge Mann, der den Hohlweg betrat, wandelte in diesem Augenblick selbstverständlich nicht auf dem Weg der Tugend. Er betrat ihn, weil er einem weiblichen Wesen nachging, das ohne Zaudern und ohne Verlegenheit vor ihm im verdächtigen Dunkel der Gasse verschwunden war.
Er war ein vornehmer junger Lebemann, ein gant jaune, wie man damals solche Leute nannte. Er hatte im Café de Paris umständlich zu Abend gegessen, sich sodann bei Tortoni (jetzt nicht mehr vorhanden) an das Geländer gesetzt und dort lässig die Weiber betrachtet, die den Boulevard hingingen. Eine nun war mehrere Male vorübergekommen, und ungeachtet dieses Umstandes und trotz der auffälligen Kleidung dieser Frau und ihrem gespreizten Gang, der sie hinlänglich kennzeichnete, und obgleich der junge Mann, der sich Robert von Tressignies nannte, schrecklich verlebt war und überdies gerade von einer Reise im Osten heimgekehrt war, wo er das Tierchen Weib in allen Rassen und Abarten reichlich kennengelernt hatte, war er der abendlichen Spaziergängerin doch beim fünften Vorbeigange gefolgt, wie ein Hund einer läufigen Hündin. Er verspottete sich selber mit diesem Vergleich, denn er besaß die Fähigkeit, sich zu beobachten und sein eigenes Tun und Lassen zu beurteilen, ohne daß seine Gedanken, so häufig sie mit seinen Taten nicht übereinstimmten, diese gehemmt hätten. Andererseits trübten seine Handlungen durchaus nicht seine Urteilskraft. Ein gräßlicher Doppelzustand!
Tressignies war über die Dreißig. Seine erste Jugend war in jener Oberflächlichkeit dahingegangen, die den Mann zum verliebten Affen, den Weibern gegenüber wenig wählerisch, machen. Darüber war er hinaus. Allmählich war er ein kühler und vielerfahrener Wüstling geworden, ein stark vergeistigter Genußmensch, der genug Betrachtungen über seine sinnlichen Schwächen angestellt hatte, um nicht mehr der Narr seiner Gelüste zu sein, aber auch weder Angst noch Abscheu vor irgendwelcher Empfindung verspürte. Eben hatte er den leisen Eindruck gehabt, etwas noch nicht Erlebtem nahe zu sein. Neugierig hatte er seinen Platz verlassen, gewillt, schließlich auch nur einem sehr alltäglichen Abenteuer nachzulaufen. In der Tat war das Frauenzimmer, das vor ihm herstolzierte, nichts weiter als eine Dirne der niedrigsten Klasse, aber sie war von so sichtlicher Schönheit, daß man sich wundern mußte, daß sie ihr nicht geholfen hatte, ein paar Sprossen höher zu klettern, daß sie keinen Verehrer gefunden, der sie dem Pfuhl der Straße enthoben hatte. Denn wo der liebe Gott in Paris ein hübsches Weib hinstellt, da setzt der Teufel rasch einen Narren dicht daneben, der es aushält.
Tressignies hatte aber noch einen besonderen Grund, daß er dem Frauenzimmer folgte. Es war nicht bloß die gebieterische Schönheit, die anderen Parisern vielleicht entging, weil sie nichts von wahrhaftiger Schönheit verstehen und ihr demokratisch gewordener Schönheitssinn jedweder Vornehmheit entbehrt. Diese weibliche Gestalt hatte eine Erinnerung in ihm erweckt. Sie war ihm wie jener Spottvogel über den Weg gehüpft, der so tut, als sei er eine Nachtigall, wie Byron wehmütig einmal in seinem Tagebuch sagt. Sie erinnerte ihn an eine andere Frau, die ihm anderswo einmal begegnet war. Es war sicher, ganz sicher, daß nur eine Ähnlichkeit vorlag, aber die eine glich der anderen zum Verwechseln, wenn sie auch nie in die Lage kommen konnten, miteinander verwechselt zu werden. Übrigens reizte ihn diese Ähnlichkeit mehr, als daß sie ihn verwunderte, denn er war ein viel zu erfahrener Beobachter, um nicht zu wissen, daß sich das menschliche Antlitz, dessen Formen sich in den Grenzen fester unbeugsamer mathematischer Gesetze bewegen, in einigen wenigen Grundarten immer wiederholt. Die Schönheit ist einheitlich; die Häßlichkeit vielgestaltig.
Aber selbst deren Mannigfachheit ist beschränkt. Unendlich ist nur der Ausdruck; denn dieser ist eine Offenbarung der Seele, die sich in den regelmäßigen wie unregelmäßigen, in den klaren wie in den wirren Zügen der Menschengesichter spiegelt. An derlei dachte Tressignies flüchtig, als er dieser Frau nachging, die den Schwall des Boulevard durchschnitt wie eine Sense, stolzer noch als die Königin von Saba des Tintoretto, in ihrem goldgelben Atlaskleid, dessen Falten beim Gehen raschelten und herausfordernd aufleuchteten. Umgetan hatte sie einen prächtigen türkischen Schal mit breiten weißen, scharlachroten und goldgelben Streifen; und von ihrem weißen protzigen Hut wehte bis auf die Schulter herab eine große rote Feder, eine »Trauerweide«, wie die damalige Mode sie nannte. An dieser Frau drückte diese Feder indessen alles andere denn Trübsal aus. Tressignies hatte erwartet, daß sie mit all ihrem Kokottenprunk in die hellerleuchtete Chaussee d'Antin einschwenken werde. Zu seinem Erstaunen betrat sie aber die Rue Basse-du-Rempart, den damaligen Schandfleck des Boulevards. Nicht so unerschrocken wie die Voranschreitende, zögerte der elegante junge Mann, aber nur kurz, ihr in seinen Lackstiefeln »dahinein« zu folgen.
Ein paar Augenblicke blieb das grelle Goldkleid im Dunkel des finsteren Loches verschwunden, aber alsbald, an der einzigen Straßenlaterne, der ersten lichten Stelle der Gasse, flackerte es wieder auf. Tressignies beeilte sich, die vor ihm Schreitende einzuholen. Das kostete wenig Mühe, denn sie ging langsamer, in Gewißheit, daß er ihr nachkäme. Als er nun ihr zur Seite war, wandte sie ihm ihr Antlitz zu und sah ihn an, scharf und dreist, wie Frauenzimmer ihrer Art dies zu tun pflegen. Er war tatsächlich wie geblendet von der Formenschönheit dieses Gesichts, das trotz der stark aufgetragenen roten Schminke im kärglichen fahlen Laternenlicht den warmen goldbraunen Ton der Haut darunter recht gut wahrnehmen ließ.
»Sie sind Spanierin?« fragte Tressignies, der in ihr eine hervorragende Vertreterin ihrer Rasse erkannte.
»Si!« gab sie zur Antwort. Spanierin sein, war zu jenen Zeiten (um 1825) etwas Besonderes. Das war gangbare Münze. Die Romane von damals, das Theater der Clara Gazul (von Prosper Mérimée), die Dichtungen Alfreds von Musset, der Tanz von Mariano Camprubi und Dolores Serral hatten die pfirsichfarbenen Frauen mit den Granatwangen in Mode gebracht. Nicht alle, die Spanierin zu sein vorgaben, waren welche. Diese hielt offenbar auf ihr Spaniertum nicht mehr als auf ihren sonstigen Staat. Ohne Übergang fügte sie dem einen spanischen Wort auf französisch hinzu: »Kommst du mit?« Sie duzte also jedermann wie die gemeinste Dirne aus der Rue de Poulies. Der Ton, die bereits heisere Stimme, die verfrühte Vertraulichkeit, dies göttliche Du – der Himmel im Munde einer geliebten Frau, aber üble Unverschämtheit in der Rede eines Weibes, der man nur der Erstbeste ist – hätte genügt, um Tressignies mit Ekel zu erfüllen und von dannen zu treiben, aber der Satan hielt ihn gefangen. Seine Abenteuerlust, im Verein mit grober Sinnlichkeit, beide geweckt beim ersten Anblick dieser Dirne, die ihn mehr reizte als bloß ein prächtiger, in Atlas schillernder Leib, hätten ihn in diesem Augenblick zu wer weiß was Tollem verleitet.
»Beim Teufel, ja!« sagte er. »Natürlich komme ich mit!« Und in Gedanken setzte er hinzu: Wie kann sie noch fragen? Ich werde mich morgen tüchtig abduschen.
Sie kamen an das Ende des Durchganges, wo man zur Rue-des-Mathurins gelangte. In diese gingen sie. Zwischen hohen Haufen von Ziegelsteinen und im Entstehen begriffenen Gebäuden türmte sich ein freistehender einzelner Bau. Offenbar hatte dieses schmale häßliche verfallene und trübselige Haus schon manche Sünde und manches Verbrechen in seinen grauen mürrischen Mauern beherbergt; und wohl war es nur erhalten geblieben, um ihrer noch mehr in sich zu bergen. Kaum hob es sich vom schwarzen Himmel ab. Es war ein blindes Haus, wenn man erleuchtete Fenster als die Augen eines Gebäudes ansieht. Nur eine kleine Laterne an einer langen Stange lauerte weit vorgereckt aus der Finsternis hervor, wie um die Vorübergehenden anzukrallen.
Dieses gräßliche Haus hatte die klassische halboffene Tür der üblen Orte. Drin führte ein kümmerlicher Gang zu einer Treppe, die ganz hinten begann. Man erkannte von weitem die ersten Stufen im kärglichen trüben Licht.
Das Frauenzimmer betrat den engen Gang, den es mit den üppigen Schultern und den bauschigen Falten des Rockes beinahe ausfüllte, und mit leichten, diesen Aufstieg gewöhnten Füßen erklomm es rasch die Schneckentreppe. Der Vergleich in diesem Worte paßte hier um so besser, weil die Stufen klebrig waren wie eine Schnecke. Auffällig war es, daß der abscheuliche Treppengang heller ward, je höher man kam. Das war nicht mehr der matte Schein der stinkenden Ölfunzel im Gang des ersten Geschosses, sondern ein Licht, das immer voller wurde und im zweiten Stock geradezu eine Lichtflut spendete. Zwei kerzentragende Wandleuchter aus Erz waren der prunkende Quell der verschwenderischen Strahlen vor einer Tür von gewöhnlichem Aussehen, an der eine jener Karten befestigt war, wie sie die Dirnen bei sich führen.
Überrascht von dieser Herrlichkeit, die im Widerspruch mit dem ganzen Hause stand, denn die Laternenträger verrieten eine gute Künstlerhand, achtete Tresignies mehr darauf als auf die Karte mit dem Namen der Frau, den er zu wissen nicht nötig hatte, denn er begleitete sie ja. Während er die Dinge betrachtete und das Frauenzimmer die so sonderbar geschmückte und so reichlich beleuchtete Tür aufschloß, fielen ihm die »Überraschungen« der Kleinen Häuser in den Zeiten Ludwigs des Fünfzehnten ein. Diese Person, dachte er bei sich, hat vermutlich etwelche Romane oder Denkwürdigkeiten aus jener Zeit gelesen und darnach den Einfall bekommen, eine hübsche Wohnung voll wollüstiger Romantik an einem Orte einzurichten, wo man dergleichen niemals vermutet. Aber als sich die Tür öffnete, sah er sich zu seiner erneuten Überraschung getäuscht.
Es war tatsächlich nur die gewöhnliche unordentliche Behausung einer Kokotte. Auf allen Möbeln lagen Kleidungsstücke herum, und aus dem Alkoven leuchtete ein Riesenbett, das Manövergelände, mit schamlosen Spiegeln im Hintergrund und oben an der Decke. Man sah, wo man sich befand. Auf dem Kaminsims standen kleine Flaschen, in der Eile des Weggangs zum abendlichen Raubzug unverstöpselt gelassen, und durchdufteten die schwüle Luft des Raumes, in dem der Rest männlicher Standhaftigkeit nach drei Atemzügen verfliegen mußte. Zu beiden Seiten des Kamins brannten Kerzen in Armleuchtern nämlichen Stils wie die draußen vor der Tür. Überall lagen Tierfelle als Teppiche über dem Teppich. Es war für alles gesorgt. Endlich konnte man durch eine offene Tür, durch Vorhänge hindurch, in ein geheimnisvolles Ankleidezimmer blicken, in das Allerheiligste dieser Venuspriesterin.
Alle diese Einzelheiten nahm Tressignies erst später wahr. Zunächst sah er nur die Dirne, zu der er mitgekommen war. Da er wußte, bei wem er sich befand, machte er keine Umstände. Er zog sie ohne weiteres zu sich auf das Sofa und nahm sie zwischen die Knie. Sie hatte Hut und Schal abgelegt und auf einen Sessel geworfen. Beide Hände um ihre Taille gekrallt, betrachtete er sie von oben bis unten, wie ein Trinker, der das Glas gegen das Licht, hält, ehe er es an seine Lippen setzt.
Der Eindruck, den sie ihm auf dem Boulevard gemacht hatte, war keine Täuschung gewesen. Sie war so recht ein Leckerbissen für einen verlebten Lüstling und groben Weiberhengst. Auch die Ähnlichkeit, die ihm sofort im flimmernden Helldunkel des Boulevards aufgefallen war, verflüchtete sich nicht im vollen ruhigen Lampenlicht. Nur besaß »Die andere«, an die sie ihn so stark gemahnte, nicht den Ausdruck des zielbewußten, fast schrecklichen Hochmuts, den der Teufel, der große Spaßmacher und Sozialist, einer Herzogin verweigert und zur Abwechselung einmal einem Weibe der Gasse verliehen hatte. Ohne Hut, mit ihrem schwarzen Haar, dem gelben Kleid, den üppigen Schultern und den noch üppigeren Hüften erinnerte sie an die Judith des Horaz Vernet, nur war ihr Wuchs venusinischer und ihre Gesichtszüge düsterer. Ein schreiender Widerspruch: Sie besaß den Körper, aber nicht den Kopf einer Dirne! Dieser Kurtisanenleib, dessen Rundungen Hände und Mund herausforderten, war mit einem Gesicht verbunden, dessen Hoffart die entflammten Sinne in Eis getaucht und Geilheit zu Respekt gewandelt hätte, wenn den hehren Linienschwung nicht schlüpfriges Kokottenlächeln entheiligte. Auf der Straße war solch schamloser Sirenengruß von ihrem roten Mund genug geflossen, aber jetzt, auf den Knien des Besuchers, war ihr Gesicht ernst und von so seltsamer Feindseligkeit, daß sie nur einen Krummsäbel in die Hand hätte zu nehmen brauchen, um Tressignies in die Rolle des Holophernes zu versetzen.
Er erkannte ihre fürstliche Schönheit. Sie ließ die Prüfung ihrer Reize stumm über sich ergehen, aber auch sie musterte ihn ihrerseits, und zwar betrachtete sie ihn nicht mit der habgierigen einseitigen Neugier ihresgleichen, das den Mann wie ein verdächtiges Geldstück abwägt; sondern offenbar dachte sie an ganz andere Dinge als an Gewinn und Genuß. Sie sah aus, als sei sie im Begriff, ein Verbrechen zu begehen. Ein glückliches Abenteuer, dachte Tressignies bei sich, der sie prüfte wie einen Gaul, ehe man ihn in Besitz nimmt. Wenn ihre Wollust nur so wild wäre wie ihr Gesicht! Er, der vielerfahrene Weiberkenner, der auf dem Marktplatz von Arianopel die schönsten Jungfrauen erhandelt hatte und sich auf den Preis eines Frauenleibes von solcher Form und Farbe verstand, warf für diesen auf zwei Stunden ein halbes Dutzend Goldstücke in eine blaue Kristallschale, die er mit der Hand gerade erreichen konnte und die vermutlich noch nie soviel Gold aufgenommen hatte. »Ich gefalle dir also!« rief sie angesichts des Geldes frech und zu allem bereit, vielleicht auch ungeduldig über die Musterung, die ihr mehr Neugierde als Begehrlichkeit zu verraten schien. Zeitvergeudung gilt Dirnen als Verlust oder Beleidigung. »Laß mich das ablegen!« fügte sie hinzu, als sei ihr das Kleid lästig, und begann die Knöpfe daran aufzuknöpfen. Dabei entwandte sie sich seinen Knien und ging in das Ankleidezimmer nebenan.
»Will sie ihr Kleid schonen?« fragte sich Tressignies. »Verfluchte Alltäglichkeit!« Eben hatte er eine unersättliche Messalina vor sich zu haben geträumt; jetzt sank er in die gemeine Wirklichkeit zurück. Er fühlte sich wieder bei der Dirne, der Pariser Dirne, die sie trotz der Göttlichkeit ihres Körpers war. Hol mich der Teufel! dachte er weiter. Romantik steckt in diesen Menschen nicht. Man muß sich bei ihnen an die Haut halten! Und er nahm sich vor, sich damit zu begnügen. Da kam sie zurück aus dem Nebengemach, gerüstet zum Tournier, in einem Anzug, der keiner ist, eine Gladiatorin der Lust. Tressignies war wie geblendet von einer Pracht, die selbst sein kennerisches Auge, der Bildhauerblick des homme à femmes, auf dem Boulevard unter den verheißungsvollen Umrissen ihrer Kleider und dem Schwung ihrer Glieder beim Gang im voraus nicht erschaut hatte. Sie war nicht ganz nackt, aber ärger denn dies, schamloser, als sei sie einfach nackt gekommen. Empörend schamlos. Bloße Nacktheit ist keusch. Es ist die tapfere Nacktheit. Diese über alle Grenzen schamlose tiefverdorbene Dirne hingegen, die, um die Sinne der Männer heißer zu entflammen, sich am liebsten selber in Brand gesetzt hätte, wäre sie auch dabei wie eine der lebenden Fackeln Neros zugrunde gegangen, verhüllte die kühne Fleischesblöße in die vergängliche Halbnacktheit durchsichtiger dünner Schleier, Diese Mischung von Berechnung und schlechtem Geschmack in ihrer frech herausfordernden Pracht erinnerte Tressignies an eine damals bei allen Kunsthändlern im Schaufenster stehende unbeschreibliche Statuette, die auf dem Sockel den geheimnisvollen Namen »Madame Husson« trug. Hier war jene Gestalt geiler Träume zur Wirklichkeit geworden.
Völlig sicher der Erregung, die sie in diesem Aufzug zu verursachen gewohnt war, stürzte sie unbändig auf ihn los und bot seinem Mund ihren prangenden Busen dar, mit der Gebärde der Phryne, die den Heiligen in Versuchung bringt, auf dem Gemälde des Paolo Veronese. Tressignies war kein Heiliger. Heißhungrig nahm er, was sich ihm bot. Er riß die tierische Verführerin in seine Arme mit einem Feuer, dem ihrem gleich.
Wirft sie sich so in alle Arme, die sie umschließen? fragte sich Tressignies. Mochte sie noch so erfahren in ihrem Dirnenhandwerk oder in ihrer Kurtisanenkunst sein: ihre rasende tobende Glut spottete der Erklärung durch unnatürliche oder krankhafte Sinnlichkeit. Es war mehr als das. Befand sie sich noch im Anfang ihrer Hetärenlaufbahn, daß sie sich mit so viel Wollust hingab?
Es war etwas wirklich Wildes und Gieriges in ihrer Art, als ob sie bei jedweder Zärtlichkeit ihr Leben lassen oder das des Partners in sich saugen wollte. Zu jener Zeit liebten es die Pariser Dirnen, denen der nette Name »Loretten« nicht mehr genügte, den ihnen die Literatur beigelegt und den Gavarni verewigt hat, nach morgenländischer Art »Panther« genannt zu werden. Auf keine ihrer Genossinnen paßte diese Bezeichnung trefflicher als auf diese Spanierin. Sie hatte die Biegsamkeit, die Sprunghaftigkeit einer Pantherkatze; sie wand sich, kratzte und biß wie sie. Tressignies konnte nicht umhin, sich zu gestehen, daß ihm noch nie ein Weib zu eigen gewesen war, das ihm einen so ungeheuerlichen Sinnesgenuß bereitet hatte wie diese Frau, deren Wollustrausch sich ihm in der Berührung mitteilte. Und doch hatte Tressignies wahrhaft geliebt.
Es gibt – ungewiß, ob zum Ruhm oder zur Schande der menschlichen Natur – in dem, was man wohl allzu verächtlich »Liebesfreuden« nennt, ebenso tiefe Abgründe wie in der Leidenschaft. In einen solchen Abgrund fühlte sich Tressignies versinken wie in den Strudel eines wilden Stromes, in dem kein Schwimmen hilft. Er sah sich weit über den Grenzen seiner sündhaften Erinnerungen, ja über den Träumen seiner starken und verdorbenen Phantasie. Er vergaß, wer sie war und warum er hergekommen war, das Haus und die Umgebung, bei deren ersten Anblick ihm übel geworden war. Er hatte seine Seele verloren an ihren Leib. Seine sonst schwer besiegbaren Sinne waren völlig berauscht, betört.
Sie war so verschwenderisch in ihren Zärtlichkeiten, daß er in einen Zustand geriet, wo er, der Liebesleugner, der große Zweifler, dem tollen Gedanken verfiel, in dieser erkauften Frau, die doch unmöglich zu jedem so sein könne, zum mindesten eine verliebte Anwandlung erweckt zu haben, denn sonst mußte sie sich doch binnen kurzem körperlich zugrunde richten. Diesen Wahn hegte Robert von Tressignies, dem wie seinem berühmten Namensvetter Robert Lovelace (dem Helden in der »Klarissa«, dem heute vergessenen Roman von Samuel Richardson) eiskaltes Blut in den Adern rann. Ein paar Minuten lang war dieser Herrenmensch Narr genug, daran zu glauben. Aber dieser eitle Wahn, entzündet an den Flammen der Wollust, die hier so glutvoll waren wie die der wahren Leidenschaft, hatte es sehr bald mit dem Zweifel zu tun, der ihn in der Zwischenzeit von einer Liebesraserei zur anderen überfiel. Aus der Tiefe seines Ichs rief ihm eine Stimme zu: »Du bist es nicht, dem sie sich mit dir hingibt!«
Er hatte sie nämlich beobachtet, in einem Augenblick, wo diese Pantherkatze ihn am glühendsten umwand und am zärtlichsten umkoste, wie sie, in ferne Erinnerung verloren, ein Armband betrachtete, auf dem er das Bildnis eines Mannes erkannte. Ein paar spanische Worte, die Tressignies in seiner Sprachunkenntnis nicht verstand, im Gemisch mit bacchantischen Schreien, galten wohl ebenso einem Abwesenden. Daß er der Stellvertreter eines anderen war, daß er einen anderen vorstellte, daß er das bloße Werkzeug eines Truggenusses war, des Ersatzes von etwas Unerreichbarem, zu dem verzweifelte Seelen ihre Zuflucht nehmen – dieser Gedanke übermannte seinen Geist auf das heftigste und ertötete mit einem Schlage alle seine Verrücktheit.
In einem Anfall von sinnloser Eifersucht und wilder Eitelkeit, in dem der Mann nicht mehr Herr seiner selbst ist, packte er die Daliegende rasch am Arm, um das Armband genauer zu sehen, das sie so innig angeschaut hatte, in einem Augenblick, da er geglaubt, sie müsse ihm ganz und gar angehören.
»Zeig mir das Bild!« sagte er mit einer Stimme, die noch roher war als seine Hand.
Sie wußte, was das besagte, aber ohne Stolz wies sie ihn zurecht.
»Wie kann man auf eine ... eifersüchtig sein wie ich eine bin?« Sie gebrauchte nicht das Wort »Dirne«, sondern ein gröberes. Tressignies war starr. »Du willst es sehen?« fuhr sie fort. »Hier!« Ihr voller, noch vom Schweiß der rasenden Wollust nasser Arm kam ihm nahe.
Es war das Bild eines häßlichen schmächtigen Mannes mit olivenfarbener Hautfarbe und gelblich-schwarzen Augen, einer finsteren, aber nicht unvornehmen Erscheinung, offenbar ein Straßenräuber oder ein Grande Spaniens. Nein, zweifellos ein Grande, denn er trug die Ordenskette des Goldnen Vlieses um den Hals.
»Wo hast du dir das angeeignet?« fragte Tressignies, in sicherer Erwartung, daß sie ihm jetzt einen Roman auftischen werde, die übliche Verführungsgeschichte, die bekannte Historie vom ersten, die sie alle erzählen.
»Angeeignet?« wiederholte sie empört. »Por Dios! Von ihm selbst geschenkt bekommen.«
»Von ihm? Wohl deinem Geliebten?« meinte Tressignies. »Dann hast du ihn betrogen. Er hat dich zum Teufel gejagt, und so bist du abgerutscht bis hierher?«
»Es ist nicht mein Geliebter«, sagte sie kühl, gegen Kränkung und Verdacht unempfindlich wie Stahl.
»Dann war er es!« sagte Tressignies. »Aber du liebst ihn noch immer. Vorhin an deinen Augen habe ich es gesehen...«
Sie lachte höhnisch auf.
»Dann verstehst du also nichts weder von Liebe noch von Haß!« rief sie. »Diesen Mann lieben? Ich verabscheue ihn. Es ist mein Gatte!«
»Dein Gatte?«
»Ja, mein Gatte!« wiederholte sie. »Einer der größten Herren Spaniens. Dreifacher Herzog, vierfacher Marquis, fünffacher Graf, Grande verschiedener Grade, Ritter vom Goldnen Vlies! Und ich bin die Herzogin Arcos von Sierra-Leone.«

Was davor geschah lesen Sie hier.                                                 FORTSETZUNG FOLGT

Fantasien zur Nacht (Film): C'est Christelle. Imagine that!


C'est Christelle. Imagine that!

Fantasien zur Nacht (Film): Bal Erotique


Sweet Dreams @ Bal Erotique IV // 14.August.2009

Donnerstag, 14. November 2013

Good Sounds: MO, Diplo, XXX88


Das öffentliche Gesundheitswesen im Nationalsozialismus am Beispiel München


Annemone Christians
Amtsgewalt und Volksgesundheit
Das öffentliche Gesundheitswesen im nationalsozialistischen München

Gesundheitspolitik in der »Hauptstadt der Bewegung«: Fürsorge und Verfolgung.

Der Umbau der Gesellschaft nach erbbiologisch-rassistischen Ordnungsideen war ein Hauptziel nationalsozialistischer Politik. Dabei kam der auf »Rassenhygiene« programmierten Gesundheitspolitik eine Schlüsselrolle zu. Annemone Christians untersucht diesen Politikbereich am Beispiel Münchens, der sogenannten »Hauptstadt der Bewegung«. Im Vordergrund stehen dabei Kooperationen und Konflikte städtischer Stellen und ihre Folgen für die gesundheitspolitische Praxis der Münchner »Erb- und Rassenpflege«.
Die Autorin nimmt Fürsorge- und Verfolgungshandeln gleichermaßen in den Blick und verdeutlicht damit die charakteristische Ambivalenz der NS-Gesundheitspolitik. Dieser Ansatz der Untersuchung legt Brüche und Kontinuitäten in Gesundheitsdefinitionen, Personalpolitik und Verwaltungsstrukturen frei.

Keith Jarrett in London 2013: Miss Otis Regrets


Neues bei ECM: Mit Keith Jarrett das Jahr beschließen

Mit Aufnahmen von Keith Jarrett beschließt ECM seine Veröffentlichungsaktivitäten für 2013 im Jazz:

Aufgenommen 1986 in seinem Heimstudio, offenbart "No End" bisher undokumentierte Aspekte in Keith Jarretts Musik. Er ist hier an elektrischen Gitarren, elektrischem Bass, Schlagzeug und Perkussion zu hören, wie er Overdubs über eigene Improvisationen spielt: "Irgendwie passierte in diesen Tagen während der 80er Jahre etwas, das sich nie wiederholen wird", schreibt er in seinen Liner Notes. "Es gab, soweit ich mich erinnere, keinerlei Vorüberlegungen oder Kompositionen im herkömmlichen Sinn - nur ein Gefühl oder reine rhythmische Idee oder ein Konzept für eine Basslinie oder Melodie. Nichts davon war niedergeschrieben."

"Die 'Bregenz/München Concerts' waren Jarretts brillanteste Soloaufnahmen bis heute, das Niveau der Inspiration ist ziemlich außergewöhnlich, und die Musik deckt ein größeres musikalisches und emotionelles Spektrum ab denn je," schrieb Ian Carr einst in seiner Keith Jarrett-Biographie „The Man and his Music“. Zwei improvisierte Konzerte aus dem Jahr 1981 aus Österreich und Deutschland stehen hier im Blickpunkt, aufgenommen im Bregenzer Festspielhaus und im Münchner Herkulessaal. Während das Bregenzer Konzert bisher schon als Einzel-CD veröffentlicht war, ist die komplette Münchner Performance in diesem Set nun erstmals auf CD erhältlich.

Auch bei ECM-New Series kommt es am 15. November zur letzten Veröffentlichung dieses Kalenderjahrs:

Mit dem Album „Il Cor Tristo“ begeht das Hilliard Ensemble sein 40jähriges Jubiläum. Herzstück ist ein Werk, das das Ensemble bei dem britischen Komponisten Roger Marsh in Auftrag gegeben hatte: "Il Cor Tristo", eine Vertonung der Gesänge 32 und 33 aus Dantes "Inferno", die Kompositionstechniken aus der Renaissance mit einem modernen Idiom verbindet. Die drei Teile von Marshs Komposition stehen hier im Wechsel mit Madrigalen der Komponisten Bernardo Pisano (1490-1548) und Jacques Arcadelt (1507-1568).

Der Pianist Vijay Iyer nahm im New Yorker Avatar Studio kürzlich unter der Leitung von Manfred Eicher sein erstes Album für ECM auf, weitere Produktionen sind geplant.

Am 15. November kommt es im Rahmen der „Europe Cultural Days 2013“ im Frankfurter Gesellschaftshaus Palmengarten zur deutschen Uraufführung von Dobrinka Tabakovas „Concerto for Cello and Strings“, das auch auf ihrem in diesem Jahr bei ECM New Series erschienenen Album „String Paths“ zu hören ist. Es spielt das Orchester Sinfonietta Rīga unter Normunds Šnē, Solistin ist Kristīna Blaumane.


Noch einmal erinnern sollöte man sich an die bereits im letzten Newsletter avisierten zwei Premierenkonzerte des Projekts ll Pergolese (Mit Maria Pia de Vito, François Couturier, Anja Lechner und Michele Rabbia): am 9. November in der Kirche di Donnaregina von Neapel und am 23. November im Auditorium Parco della Musica von Rom. 

Good Sounds: DRY THE RIVER, No rest


Prosa: TEUFELSKINDER (6) - Don Juans schönste Liebschaft - von Jules Amedée Barbey d'Aurevilly


Don Juans schönste Liebschaft
Unschuld ist des Teufels Leckerbissen


5

»Während der Anfänge meiner Beziehungen zu der Mutter«, begann Graf Ravila von neuem, »war ich zu der Kleinen der aufmerksame gute Freund, der man so den Kindern ist. Ich brachte ihr Bonbons mit, nannte sie ›Figürchen!‹ und streichelte ihr, während ich mit der Marquise plauderte, hin und wieder das Haar über dem Scheitel, mattes schwarzes Haar mit hellen Lichtern. Aber die kleine Hexe, deren großer Mund sonst jedem freundlich zulachte, verbiß dieses Lächeln mir gegenüber, zog dabei die Brauen finster zusammen und ward kraft dieser Verzerrung zur steinernen Karyatide, die unter meiner Hand wie unter der Last des Gebälks den erstarrten Kopf neigte. Angesichts dieser sich immer wiederholenden Unfreundlichkeit, ja fast Feindseligkeit, gab ich die mißlaunige kleine Empfindsame auf, die sich gegen die geringste Liebkosung sträubte, und redete kaum noch mit ihr. ›Sie fühlt gar wohl, daß du mich ihr raubst‹, meinte die Marquise. ›Sie ahnt, daß sie sich mit dir in die Liebe ihrer Mutter teilt.‹ Und zuweilen fügte sie in ihrer Aufrichtigkeit hinzu: ›Dies Kind ist mein Gewissen und seine Eifersucht mein böses Gewissen.‹

Eines Tages versuchte die Marquise ihr Töchterchen über den Grund auszufragen, warum sie mich nicht leiden mochte; aber sie erhielt mit Mühe und Not nichts als abgerissene, verstockte, törichte Antworten, wie eben bei einem Kind, das etwas nicht sagen will. ›Ich habe gar nichts gegen ihn... Ich wüßte nicht...‹ Vor solcher Dickköpfigkeit gab sie es auf, weiter in die Kleine zu dringen.

Ich muß hinzufügen, daß dieses launische Kind sehr fromm war; dumpf, abergläubisch, mittelalterlich, spanisch fromm. Es trug ein geweihtes Amulett und ähnliche lächerliche Heiligtümer um den mageren braunen Hals. ›Du bist leider ein Heide!‹ sagte die Marquise zu mir. ›Vielleicht hast du sie einmal durch eine gottlose Bemerkung verletzt. Ich bitte dich, sei vorsichtig in allem, was du in ihrer Gegenwart sagst! Vergrößere meine Schuld nicht noch mehr im Herzen dieses Kindes, vor dem ich mich ohnehin schon so schuldig fühle!‹

Fortan behandelte ich das kleine Mädchen wie eine junge Dame, mit jener Höflichkeit, die wir denen zuteil werden lassen, die wir nicht recht mögen. Ich betitelte sie in Förmlichkeit ›Gnädiges Fräulein!‹ und sie mich in eisiger Kälte: ›Graf Ravila!‹ In meiner Gegenwart tat sie nichts, was sie zur Geltung bringen konnte. Sie ging nicht im geringsten aus sich heraus. Die Mutter vermochte sie nicht zu bewegen, mir eine ihrer Zeichnungen zu zeigen oder mir auf dem Flügel ein Stück vorzuspielen. Traf ich sie zuweilen daran sitzend, beim andachtsvoll und eifrig betriebenen Üben, so brach sie sofort ab, fuhr vom Sessel auf und musizierte nicht weiter. Ein einziges Mal, als ihre Mutter darauf bestand, weil Besuch da war, setzte sie sich mit sehr wenig anmutiger Opfermiene vor die Tasten und begann mit abscheulich widerspenstigen Fingern, ich weiß nicht mehr was, zu klimpern. Ich stand am Kamin und schaute ihr von halbrückwärts zu. Da sie mir den Rücken zuwandte und kein Spiegel vor ihr hing, konnte sie nicht sehen, daß mein Blick auf ihr haftete. Mit einem Male machte sie den Rücken kerzengerade – für gewöhnlich hatte sie eine schlechte Haltung, so daß die Mutter ihr oft zurief: ›Wenn du dich nicht besser hältst, wirst du schließlich noch brustkrank werden!‹ –, als hätte mein Blick sie in das Rückgrat getroffen wie eine Flintenkugel. Heftig warf sie den Deckel zu, unter greulichem Lärm, und lief aus dem Musikzimmer. Man wollte sie zurückholen, aber an diesem Abend brachte dies niemand zuwege.

Offenbar sind auch die selbstgefälligsten Männer es nicht genug, denn das Benehmen des schwermütigen kleinen Mädchens, für das ich so wenig übrig hatte, brachte mich nicht darauf, ihr Gefühl für mich zu erkennen. Ihre Mutter kam gleich gar nicht dahinter. So eifersüchtig sie auf alle Frauen war, die bei ihr ein- und ausgingen: dem Kind gegenüber war sie ebensowenig eifersüchtig wie ich selbstgefällig, bis sich das Geheimnis schließlich durch einen Vorfall enthüllte, den mir die Marquise, die im vertrauten Umgang die leibhafte Mitteilsamkeit war, noch bleich vor ausgestandenem Schreck, aber laut lachend, daß sie die Sache nun wüßte, unvorsichtigerweise erzählt hat.«

Das Wort »unvorsichtigerweise« unterstrich er, indem er es gedehnt aussprach, als vielerfahrener Erzähler, der genau wußte, daß sich hieran die weitere Spannung seiner Geschichte knüpfte.

Dieses Unterstreichen genügte auch, denn die zwölf schönen Frauengesichter flammten vor starker Erregung auf wie die Engelsköpfe vor Gottes Thron. Ist das Gefühl der Neugier bei den Frauen nicht ebenso inbrünstig wie die Andacht bei den Engeln?

Ravila betrachtete sie alle, diese Köpfe von Engeln, die freilich unterhalb ihrer Schultern noch etwas hatten, und da er sie sichtlich in Stimmung sah, ihm weiter zuzuhören, fuhr er ohne weiteres fort:

»Ja, als sie mir einige Tage darauf den Vorfall erzählte, lachte sie laut, ohne zu wissen warum. Aber zuerst hatte sie nicht gelacht. Ich will versuchen, ihre eigenen Worte zu wiederholen: ›Denke dir‹, berichtete sie, ›ich sitze hier, wo ich jetzt sitze, da meldet man mir den Pfarrer von Saint-Germain-des-Prés. Kennst du ihn? Natürlich nicht. Du gehst ja nie in die Messe, was sehr schlecht von dir ist. Es ist ein heiliger Mann, der das Reich einer Frau nur betritt in Angelegenheiten der Armen oder der Kirche. Anfangs glaubte ich auch, es handele sich darum. Meine Tochter hatte zur Zeit das erste Abendmahl bei ihm empfangen und ihn weiterhin als Beichtvater behalten. Aus diesem Anlaß hatte ich ihn wiederholt zu Tisch gebeten, aber immer umsonst. Als er bei mir eintrat, war er völlig verwirrt, und ich bemerkte in seinem sonst so ruhigen Gesicht eine große und schlecht verhohlene Verlegenheit, die mir mehr schien als bloß Schüchternheit, so daß ich unwillkürlich ausrief: »Gott, was haben Sie denn, Herr Pfarrer?«

»Was ich habe, gnädige Frau?« gab er zur Antwort. »Sie sehen mich in der größten Verlegenheit der Welt. Ich bin nun schon über fünfzig Jahre in meinem frommen Amte, aber noch nie bin ich mit einem so heiklen Auftrag, mit einer mir selbst so unverständlichen Angelegenheit zu jemandem gekommen wie jetzt zu Ihnen...« Er setzte sich und bat mich, während unserer Unterredung niemanden vorzulassen. Sie können sich vorstellen, daß mich diese feierliche Einladung ein wenig bange machte. Er bemerkte es. »Erschrecken Sie nicht allzusehr, gnädige Frau«, hob er wieder an. »Sie müssen mich mit voller Fassung anhören und mir das Unfaßliche, um das es sich handelt, begreiflich machen. Ich finde mich darin nicht zurecht. Ihr Fräulein Tochter, in deren Auftrag ich hier bin, ist, wie Sie selbst wissen, ein Engel an Unschuld und Frömmigkeit. Ich kenne ihre Seele. Seit ihrem achten Jahr ist sie in meinen Händen, und ich bin überzeugt, daß sie sich irrt – vielleicht aus lauter Unschuld. Heute morgen war sie bei mir in der Beichte, und da hat sie mir eingestanden – Sie werden es ebensowenig glauben wie ich, gnädige Frau – aber ich muß es Ihnen sagen – sie sei in anderen Umständen...«

Ich stieß einen Schrei aus.

»Ich habe heute früh in meinem Beichtstuhl einen ebensolchen Schrei ausgestoßen«, fuhr der Pfarrer fort, »als sie mir dieses Bekenntnis ablegte, grundehrlich und ganz verzweifelt. Ich kenne dies Kind bis in das Herz. Es hat keine Ahnung vom Leben und von der Sünde. Von allen jungen Mädchen, deren Beichtvater ich bin, ist sie die, für die ich vor Gott am festesten einstehe. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann! Wir Priester, wir sind Seelenärzte. Wir müssen tief in die Herzen greifen und die geheimsten Sünden entfernen, mit Händen, die nicht wehe tun und keine Narben hinterlassen. Darum habe ich sie mit sorglichster Vorsicht ausgefragt, erforscht, mit Fragen bedrängt, aber der fassungslose Mund, der die Sache gesagt, sein Vergehen eingestanden, den Fehltritt ein Verbrechen genannt und sich selbst auf ewig verdammt geheißen hatte, blieb fortan hartnäckig stumm und sprach nur noch die eine inständige Bitte aus, ich solle Sie, gnädige Frau, aufsuchen, denn sie selber werde nie den Mut finden, es Ihnen zu gestehen.«

Ich hörte dem Pfarrer zu, voll Entsetzen und Verwunderung. Wie er, und mehr noch wie er, war ich der Unschuld meiner Tochter gewiß. Aber Unschuldige kommen oft zu Fall, gerade durch ihre Unschuld. Was sie ihrem Beichtvater bekannt hatte, war nicht unmöglich, so wenig ich es glaubte. Nein, ich glaubte es nicht. Und doch. Sie war zwar erst dreizehn Jahre alt; aber sie war schon Weib. Diese frühe Reife hatte mich erschreckt. Fieberhafte leidenschaftliche Neugier erfaßte mich.

»Ich will und werde alles erfahren!« sagte ich zu dem braven Mann, der verwirrt vor mir stand und vor Verlegenheit die Krempe seines Hutes zerdrückte. »Gehen Sie jetzt, Herr Pfarrer! Vor Ihnen wird sie nicht sprechen. Aber ich bin sicher, daß sie mir alles sagen wird. Ich werde alles aus ihr herausbekommen, und dann werden wir beide verstehen, was uns jetzt unbegreiflich ist.«

Darauf ging der Priester, und ich begab mich sofort zu meiner Tochter. Sie zu mir zu bitten und sie zu erwarten, dazu war ich zu ungeduldig.

Ich fand sie vor dem Kruzifix an ihrem Bett. Sie kniete nicht, sondern lag auf dem Boden, bleich wie eine Tote, mit trockenen ganz roten verweinten Augen. Ich nahm sie in meine Arme, setzte sie neben mich und hob sie dann auf den Schoß. Ich sagte zu ihr, ich könne nicht glauben, was mir der Pfarrer soeben mitgeteilt habe.

Aber sie ließ mich nicht ausreden, um mir mit schluchzender Stimme und verstörter Miene zu beteuern, alles, was sie gesagt, wäre wahr. Und als ich, immer unruhiger und bestürzter, nach dem Namen dessen, fragte, der...

Ich brachte die Frage nicht ganz heraus. Ach, das war das Allerschrecklichste! Die Kleine verbarg ihr Gesicht und den Kopf an meiner Schulter. Ich sah flammende Röte hinten auf ihrem Hals und fühlte ihr Zittern. Aber sie sagte kein Wort. Wie vor dem Priester blieb sie auch vor mir stumm wie Stein.

»Es muß wohl einer sein, der recht tief unter dir steht, daß du dich so sehr schämst«, sagte ich, um sie zum Widerspruch zu reizen, denn ich weiß, wie stolz sie ist. Aber sie blieb weiter schweigsam und ließ den Kopf nach wie vor an meiner Schulter vergraben. Das währte eine Zeit, die mir endlos vorkam. Dann plötzlich sagte sie, ohne sich aufzurichten: »Schwöre mir, Mutter, daß du mir verzeihen wirst!«

Ich leistete ihr den Schwur, den sie verlangte, auf die Gefahr hin, ihn hundertmal brechen zu müssen. Das machte mir die geringste Sorge. Ich war voller Ungeduld. Mich fieberte. Es war mir, als solle mir der Kopf zerspringen...

»Es ist Herr von Ravila!« flüsterte sie, ohne sich in meinen Armen zu regen.

Der Name zerschmetterte mich.

Amadee! Das war ein Schlag bis tief in mein Herz. Ich hatte die Strafe für die große Sünde meines Lebens. Du bist den Frauen gegenüber ein so schrecklicher Mensch. Ich war immer in der Furcht vor den anderen. Das Gräßlichste einem geliebten Mann gegenüber ergriff mich: Zweifel und Verdacht. Aber ich mußte die Kraft behalten, meine Empfindung vor diesem grausamen Kind zu verbergen, das vielleicht die Liebschaft ihrer Mutter ahnte.

»Herr von Ravila?« rief ich mit einer Stimme, die mir klang, als verrate sie alles. »Aber du sprichst ja nie mit ihm? Du fliehst ihn...« Der Zorn entbrannte in mir. Ich fühlte es. »So falsch seid ihr beide vor mir?«

Ich beherrschte mich. Ich mußte die Einzelheiten dieser schändlichen Verführung erfahren, alle, alle nacheinander. Und so fragte ich danach, mit einer Sanftmut, an der ich zu ersticken vermeinte. Endlich befreite mich ihr naives Geständnis von der Marter, die mich zu Tode peinigte.

»Mutter, es war an einem Abend. Er saß in dem großen Lehnstuhl, am Kamin, dicht neben dem Sofa. Lange saß er da. Dann stand er auf. Und ich hatte das Unglück, mich nach ihm in seinen Lehnstuhl zu setzen. Ach, Mutter, es war mir, als hätte ich mich auf Feuer gesetzt. Ich wollte wieder aufstehen, aber ich vermochte es nicht. Das Herz blieb mir stehen. Und ich fühlte – ich fühlte in mir – ach Mutter – daß ich etwas bekam – ein Kind –«

Ravila hatte gesagt, die Marquise habe gelacht, als sie ihm dies berichtete. Aber keine der zwölf Frauen in der Runde um ihn dachte daran zu lachen. Und er selber auch nicht.

»Und das, meine Damen«, sagte Ravila zum Schluß seiner Geschichte, »das war die schönste Liebe, die ich je erlebt.«

Er schwieg, und die Damen auch. Alle waren nachdenklich. Verstanden sie den Sinn seiner Worte?

Im Koran steht: Josef, wie er Sklave war bei Frau Potiphar, war so schön, daß die Frauen, die er bei Tisch bediente, sich mit dem Messer in die Finger schnitten, wenn sie ihn anschauten. Wir leben nicht zu Josefs Zeiten, und bei Tisch ist die Sache heutzutage nicht mehr so gefährlich.

Die Herzogin, das goldene Nachtischmesser in der Hand, mit dem sie sich aber nie geschnitten hätte, bemerkte, zynisch, wie sie gern war:

»Mag sie sonst noch so geistreich gewesen sein, Ihre Marquise, es war doch eine Riesendummheit von ihr; Ihnen diese Geschichte zu erzählen!«

Die Gräfin von Chiffrevas blickte träumerisch in den Grund ihres mit Rheinwein gefüllten smaragdgrünen Römers, als stecke da drin ein Rätsel wie in ihrem Herzen.

»Und das Figürchen?« fragte sie.

»Als mir die Mutter die Geschichte erzählte, war sie schon tot, jungvermählt verstorben irgendwo in der Provinz«, erwiderte Ravila.

»Sonst...«, meinte die Herzogin versonnen.

Was davor geschah, lesen Sie hier.

Mittwoch, 13. November 2013

Good Sounds: JOHN NEWMAN, Love Me Again


Bis Ende November in Bad Bergzabern: Eau, terre et lumière - Wasser, Erde, Licht

Icône Métisse


Galerie Passerelle
Do & Fr: 14-18h, Sa: 11-16h, und nach Vereinbarung



Vom 27. Oktober bis zum 30. November 2013 präsentiert die Galerie Passerelle,
Bad Bergzabern, Marktstr. 55, Werke der Malerin Eliane Karakaya und des Keramikers Martin Lichtmann unter dem Titel

Eau, terre et lumière - Wasser, Erde, Licht


Les joncs
Die abstrakten Aquarelle von Eliane Karakaya überraschen durch die Verbindung von Zartheit, was dem Malen mit Wasserfarbe eigen ist, und kräftigem Duktus, wodurch die Künstlerin ihre Wahrnehmung der Natur wiedergibt. Ganz besonders faszinieren sie die Rheinauen im Zyklus der Natur und bei wechselnden Wetterverhältnissen. Sie erspürt die Kräfte, die diese Landschaft erschaffen, und macht sie durch rhythmische Elemente und eine besondere Farbsprache sichtbar. Nach der intensiven Beobachtung, die zur „Entzifferung“ der Landschaft führt, kommt in tiefer Konzentration die Rekonstruktion im Atelier.

Ihre Acrylbilder bestechen durch ihre Farbintensität, ihre klaren Linien und Flächen und die innewohnende Energie, die sie beim Betrachten freilassen. Mit pigmentangereicherten Acrylfarben und speziell aus Holz angefertigtem Werkzeug schafft die Künstlerin eine höhere Abstraktion, deren „gewaltigen Dynamik“ das Unsagbare zum Ausdruck bringt, etwa die Emotionen, die sie vor Ort empfunden und in sich aufgenommen hat, und die sie später auf die Leinwand spannen will.

Die Galerie Passerelle wird insbesondere ihre Acrylbilder und Aquarellen zeigen, andere Beispiele ihres Wirkens können auf Anfrage eingesehen werden.

Martin Lichtmann stammt von der Ostseeküste Schleswig-Holsteins und lebt in Kaiserslautern, wo er auch sein Atelier hat. Zunächst beruflich anders orientiert, entdeckte er als 37-jähriger die Arbeit mit dem Material Ton und blieb dabei, indem er an den Sommerakademien Trier und Salzburg Kurse belegte. Sehr bald kam er dann dazu, selber Kurse zu halten, insbesondere in seiner Wahlheimat Kaiserslautern. Er hat des Öfteren in der Pfalz ausgestellt sowie in der ihm vertrauten nördlichen Heimat und darüber hinaus bis Schweden und Irland.

Wer seine Objekte betrachtet, empfindet trotz ihrer Eigenart einen déjà-vu Effekt. Nicht weil man solch ungewöhnliche Kunstobjekte schon irgendwo gesehen hätte, sondern weil sie auf uns wirken, als gehörten sie zur eigenen Geschichte. Haben wir nicht als Kind allerlei seltsame Gegenstände am Strand gefunden, wie Trophäen gesammelt und stolz weiter gezeigt?

Good Sounds: DAVID BOWIE, See Emily Play


Baumkuchen-Backen im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern


Spezialitäten aus der Backstube
Frisch gebacken in den Mund: Rund um den Baumkuchen geht’s bei „Art and Taste“


Passend zur Vorweihnachtszeit steht das Baumkuchen-Backen im Mittelpunkt der nächsten Ausgabe von „Art and Taste“ im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (mpk) am Donnerstag, 21. November, um 19 Uhr. Über offener Flamme zeigt Martin Krummel von der gleichnamigen Kaiserslauterer Konditorei die Kunst des Baumkuchen-Backens, bei der sich der Teig Schicht für Schicht übereinanderlegt, bis schließlich die ringförmige Delikatesse fertig ist. Gemeinsam mit Svenja Kriebel, Sammlungsleiterin der Kunsthandwerklichen Sammlung, wird der Kunst des Backens über offener Flamme, ihrer Traditionen und dem engen Zusammenhang von Qualität, Genuss und Geschmack nachgegangen. Die Teilnehmer sind eingeladen, das, was so einfach ausschaut, auch selbst zu versuchen, und zwar selbst zu backen und zu kosten. Ausgestellte Waffeleisen und Springerlformen aus dem 17. bis zum 19. Jahrhundert ergänzen den Gaumenschmaus und die Kulturgeschichte des Backens. Eine verbindliche Anmeldung zu dieser Veranstaltung, die in Kooperation mit der Konditorei Krummel stattfindet, sollte bis zum 19. November unter der Telefonnummer 0631 3647-201 oder per Mail an info@mpk.bv-pfalz.de erfolgen (Eintritt: 7,50 Euro).

Von Theater und Museen über Schulen und Lehrbauernhof bis zu Angeboten seelischer Gesundheit – breit ist das Spektrum an Einrichtungen, die zum Bezirksverband Pfalz gehören. Er kümmert sich um kulturelle, soziale und wirtschaftliche Belange der Pfälzerinnen und Pfälzer. Dank seiner langen demokratischen Tradition ist er einzigartig in Rheinland-Pfalz.

Carl Orff: O Fortuna aus CARMINA BURANA


Premiere in Mannheim am 22.11.2013: Carmina Burana von Carl Orff


Carmina Burana von Carl Orff
Premiere am 22. November, 19.30 Uhr, Opernhaus Mannheim

Carl Orffs Carmina Burana, »Lieder aus Benediktbeuern«, ziehen bis heute die Hörer in ihren Bann. »Alles, was ich bisher geschrieben und was Sie leider gedruckt haben, können Sie nun einstampfen! Mit Carmina Burana beginnen meine gesammelten Werke!«, schrieb der stolze Komponist nach der Uraufführung 1937. Er hatte zu seinem unverwechselbaren »Orff-Stil« gefunden. Die Texte, lateinische und deutsche Vagantenlieder, entnahm er der Benediktbeurer Liederhandschrift aus dem 11. und 12. Jahrhundert. Es sind Spottlieder und Gesänge, die von Frühling, Liebe und von ausgelassenen, trunkenen Festen handeln. Sie sind erfüllt von einer ungebändigten Lebenslust. Den Rahmen bildet der stimmgewaltige Anruf der Schicksalsgöttin (»O Fortuna«), deren Rad den menschlichen Lebenslauf bestimmt. In drei Teilen schildert das Werk eine Frühlingsfeier (Primo vere. Uf dem anger), das Lob des Essens und Trinkens (In Taberna) und ein ritterliches Liebesfest (Cour d’amours).

Mal zart und kokett, mal übermütig tänzerisch, mal wild und ekstatisch ist die Musik, die Orff für Solisten, Chor und großes Orchester mit zwei Klavieren, Celesta und umfangreichem Schlagwerk schrieb. Es dirigiert Mannheims Generalmusikdirektor Dan Ettinger.


Musikalische Leitung: Dan Ettinger – Chor: Tilman Michael – Kinderchor: Anke-Christine Kober
mit Estelle Kruger*/Cornelia Ptassek; Onur Abaci, Thomas Berau/Karsten Mewes*

*Premierenbesetzung

Good Sounds: BLAKE SHELTON, Boys 'Round Here


Wir lernen Kurpfälzisch 06 - g


Gaaß/Geeß - Ziege („Geiß“)
Gaul - Pferd
Gawwl - Gabel
gedriggld - getrocknet
Geedl/Goodl - Patentante
Geelerriewe, Gelwerriewe - Möhren, Karotten („Gelbe Rüben“)
Geil - Pferde
…gell? - („…oder?“, „nicht wahr?“)
Geknoddel - Durcheinander, undurchsichtige Sache
gepalde - behalten
Ghannsdrauwe/Ghonnsdraawe - Johannisbeeren („Johannistrauben“)
Glotzbagg/Glotzbäggele - Stiefmütterchen (Pflanze)
Gnaams/Immes - Tagesration Nahrung
Gnaaz (auch: Knatsch) - Ärger
gnoddere - meckern
Gogglrobber - Kleintierzüchter („Hahnenrupfer“)
Gosch - Mund (abwertend beim Menschen), Maul eines Tieres
greine - weinen
Griffel - Finger (Pl.)
Grumbeer, auch: Kadoffl - Kartoffel („Grundbirne“)
Grusslbeer - Stachelbeere
gruuschdle - ungeplant etwas suchen oder ausführen
Gscherrabdrickelhandischel - Geschirrtuch
Gschnuddl, das - nachlässig gemachte Hausaufgabe, nachlässig verfasstes Schreiben
gschtoppt - gefüllte Geldbörse (von „gestopft“)
Guudheer - Eichelhäher
Guudsl - Bonbon („Der kleebd an dir wie e babbisch Guudsl!“)

Good Sounds: KELLIE PICKLER, Little Bit Gypsy


Prosa: TEUFELSKINDER (5) - Don Juans schönste Liebschaft - von Jules Amedée Barbey d'Aurevilly


Don Juans schönste Liebschaft
Unschuld ist des Teufels Leckerbissen

4


Graf Ravila begann:
»Ich habe mir von einem großen Kenner des Lebens sagen lassen, unsere allerstärkste Liebe sei nicht die erste, nicht die letzte, wie so viele glauben, sondern die zweite. Nun, in Dingen der Liebe ist alles wahr und alles falsch, und überdies stimmt es nicht bei mir. Was ich Ihnen heute abend erzählen will, meine Damen, liegt zurück in der schönsten Zeit meiner Jugend. Ich war schon nicht mehr ein sogenannter junger Mann, aber doch noch als Mann jung, wenn ich auch – wie ein älter Onkel von mir, ein Malteser, diese Zeit des Lebens nennt – meine ›Kreuzzüge‹ hinter mir hatte. Ich stand in der Blüte meiner Kraft und war der Herzensfreund einer Dame, die Sie alle kennen und die Sie alle bewundert haben ...«
Bei diesen Worten, die der alte Fuchs so hinwarf, tauschten seine lauschenden Zuhörerinnen einander Blicke aus, alle zu gleicher Zeit, jede jeder anderen. Es war ein Schauspiel, nicht in Worte faßbar.
Ravila fuhr fort:
»Diese Dame war das vornehmste Geschöpf, das es geben mag, im vollen Sinne des Wortes. Sie war jung, reich, hochgeboren, schön, geistreich, kunstsinnig und dabei so natürlich, wie ein Weltkind es eben sein kann. Sie hegte damals hienieden nur einen einzigen Ehrgeiz: mir zu gefallen, mir zu gehören, mir die zärtlichste Geliebte und die beste Freundin zu sein.
Vermutlich war ich nicht der erste Mann, den sie liebte. Sie hatte schon einmal geliebt. Nicht ihren Gatten. Aber diese Neigung war so tugendsam, überirdisch und himmlisch gewesen, daß sie ihr wohl einen Vorgeschmack gewährt, nicht aber die Liebe in ihrer Fülle geschenkt hatte. Die Kräfte ihres Herzens waren dabei geschult worden für die große Leidenschaft, die bald darauf kommen sollte. Es war ein Liebesversuch gewesen, vielleicht zu vergleichen mit der ›leeren Messe‹, wie angehende Priester sie lesen, um sich zu üben, damit sie dann keine Fehler machen bei der wirklichen, der heiligen Messe. Als ich in das Leben dieser Frau eintrat, befand sie sich noch auf der Vorstufe. Ich sollte ihre heilige Messe werden, und ich habe sie zelebriert mit Prunk und Pracht wie ein hoher Kirchenfürst...«
Bei diesem Vergleich weitete sich molliges, leises Lächeln – vergänglich, aber köstlich – um die zwölf schweigenden Lippenpaare wie runde Wellenkreise auf dem stillen Spiegel eines Sees, wenn ein paar Tropfen vom Himmel fallen.
Der Graf erzählte indessen weiter:
»Sie war wirklich ein Wesen von eigener Art. Selten habe ich so wahre Güte, so warmes Mitleid, so erhabene Gefühle gesehen, selbst noch in der Leidenschaft, bei der, wie Sie wissen, die Menschen meist keine Engel sind. Und nie habe ich weniger Unnatur gefunden, weniger Ziererei und Zimperlichkeit, zwei Dinge, die manches Frauenherz so verwirren, daß es wie ein Garnknäuel ausschaut, mit dem Katzenpfoten gespielt haben... Katzenhaft war überhaupt nichts an ihr. Sie war das, was die vertrackten Romanschreiber, die uns mit ihrem Zunftgeschwätz die Begriffe verdrehen, eine ›primitive Natur mit einem Hauch von Kultur‹ nennen. In der Tat, sie hatte davon nur den schimmernden Schmelz, keine einzige aber jener kleinen Verdorbenheiten, die manchem reizvoller dünken als die reine Schönheit...«
»War sie brünett?« unterbrach die Herzogin unvermittelt und ungeduldig die Erzählung, die sich ihr zu sehr vom Kernpunkt zu entfernen schien.
»Ah, ich bin nicht deutlich genug«, sagte Ravila verschmitzt. »Jawohl, sie war braun im Haar. Es war schwarzbraun, mit dem Glanz glatten Ebenholzes, just der rechte Schmuck eines feingeformten Frauenkopfes. Dem Teint nach war sie aber eine Blondine. Und der Teint, nicht die Haarfarbe ist es, was entscheidet, ob eine Frau brünett oder Blondine ist...«
Hier sprach ein Kenner, der mit den Frauen mehr angestellt hatte als bloß Bildnisstudien.
»... Sie war eine Blondine mit schwarzem Haar ...« Durch alle Blondinen der Tafelrunde, die blondes Haar hatten, zitterte unmerkbar eine Bewegung. Es war klar, daß die Geschichte für sie nun weniger Reiz hatte.
Sie ging weiter:
»Sie hatte das Haar der Nacht, aber im Antlitz die Morgenröte. Aus ihrem Gesicht leuchtete eine seltene strahlende Frische, die dem Nachtleben von Paris getrotzt hatte, in dessen Lichtermeer so viele Rosen verblassen. Es war ihre Heimat schon jahrelang, aber ihre Wangen und ihre Lippen bewahrten noch immer die volle Farbe, Ihr Glanz stand im Einklang mit dem des Rubins auf der Mitte des Stirnreifens, den sie mit Vorliebe trug. Damals war die Haartracht der Belle Ferronière Mode. Und mit dem funkelnden Rubin wetteiferten ihre beiden glutvollen Augen. Ein Dreigestirn!
Schlank, aber kräftig, ja junonisch, wäre sie die passende Frau für einen Kürassier-Obersten gewesen. Ihr Mann war Eskadronchef nur in einem Husaren-Regiment. Eine große Dame mit der Gesundheit einer Bauersfrau, die mit der Haut die Sonne trinkt. Voll Sonnenglut, so war sie, und zwar im Blut wie in ihrer Seele, überall und immer bereit... Aber hier gerade beginnt das Merkwürdige! Dieses kraftvolle und ursprüngliche Geschöpf, diese Purpurnatur, war – glauben Sie es? – eine Stümperin der Liebe...«
Es senkten sich etliche Augen; aber sie öffneten sich rasch wieder, um spöttisch zu leuchten.
»Ja, eine Stümperin im Lieben wie im Leben«, wiederholte Ravila, ohne Bestimmtes hinzuzufügen. »Der Mann, den sie liebte, mußte ihr immerfort zwei Dinge predigen, die sie, nebenbei bemerkt, niemals begriffen hat: sich zu verschließen vor der Welt, der ewig lauernden und unerbittlichen, und insgeheim die große Kunst der Liebe zu betätigen, ohne die jede Leidenschaft zum Tode verurteilt ist. Die Art ihrer Liebe entbehrte der Meisterschaft. Sie war das Gegenstück zu so vielen Frauen, die nichts als diese besitzen. Ja, um die Lehren des Fürstenspiegels zu verstehen und anzuwenden, muß man schon ein Borgia sein. Borgia war vor Machiavell da. Jener war der Meister und dieser der Darsteller.
Eine Borgia war meine Freundin nicht, sondern eine ehrliche, sinnliche, unerfahrene Frau trotz ihrer überwältigenden Schönheit. Ich habe irgendwo einmal ein Bild gesehen, auf dem ein kleines Mädchen am Quell den Durst löschen will, aber das geschöpfte Wasser rinnt ihm durch die Finger, weil es nicht versteht, sie fest zusammenzupressen. Verwirrt steht es da...
Diese Mischung von Wollust und Unschuld hatte gewiß ihren Reiz. Aber bei aller Fähigkeit, Liebe zu geben und sogar Glück zu spenden, besaß sie doch nicht die Kraft, sich in ihrer Hingabe dem Gegenspieler anzupassen. Leider war ich damals noch nicht beschaulich genug, um mich an der Schönheit an sich zu erfreuen. Und so kam es, daß sie an gewissen Tagen Anlaß bekam, ruhelos, eifersüchtig und heftig zu werden. Dies ist man ja, wenn man liebt. Und sie liebte wahrhaftig! Aber Eifersucht, Unruhe, Heftigkeit, alles das verlor sich in der unerschöpflichen Güte ihres Herzens beim ersten Leid, das sie einem zufügen wollte oder zugefügt zu haben glaubte. Ebenso ungeschickt im Grausam- wie im Zärtlichsein, war sie eine Löwin unbekannter Art, die sich einbildet, Tatzen zu haben, aber wenn sie damit zuschlägt, wundervolle Samtpatschen zeigt...«
»Was soll das alles?« fragte die Gräfin von Chiffrevas ihre Nachbarin. »Das kann doch wirklich nicht Don Juans schönste Liebschaft gewesen sein?«
Alle die Liebeskünstlerinnen um ihn zweifelten an der Möglichkeit solcher Einfalt.
Ravila entwickelte sein Erlebnis weiter:
»Wir lebten also in einer Intimität, die hin und wieder eines Unwetters nicht entbehrte, aber Zerwürfnisse nicht kannte. Unser Verhältnis war in der Spießbürgerstadt, Paris genannt, ein öffentliches Geheimnis. Die Marquise – sie war nämlich Marquise ...«
Es saßen ihrer drei Marquisen am Tisch, und alle drei waren brünett. Keine zuckte mit der Wimper. Sie wußten alle drei, daß er nicht von ihnen sprach. Von Samt war an ihnen nichts zu spüren, höchstens an der Oberlippe der einen von den dreien, einer lüstern aufgeworfenen Oberlippe, die in diesem Augenblick reichliche Geringschätzigkeit zum Ausdruck brachte.
»... ja, eine dreifache Marquise«, fuhr Ravila fort, der nach und nach in Schwung gekommen war, »wie man Pascha mit drei Roßschweifen sein kann. Die Marquise war eine von denen, die nichts zu verbergen verstehen; die es nicht können, auch wenn sie es wollen. Sogar ihre Tochter, damals ein Kind von dreizehn Jahren, merkte trotz ihrer Unschuld nur zu gut, welche Gefühle die Mutter für mich hegte. Ich weiß nicht, welcher Dichter die Frage getan hat, was die Töchter der Frauen, die wir lieben, wohl von uns denken. Eine schwere Frage, die ich mir oft vorgelegt habe, wenn ich die großen, dunklen, drohenden Späheraugen des kleinen Mädchens auf mir ruhen sah.
Dieses scheue Kind verließ den Salon zumeist, sooft ich eintrat; wenn es aber darin verbleiben mußte, hielt es sich so weit wie möglich von mir fern. Offenbar empfand es eine geradezu leidenschaftliche Abneigung vor mir, die zu verbergen ihm bei aller Anstrengung nicht gelang. Die Marquise, die doch wahrlich keine scharfe Beobachterin war, mahnte mich immer wieder: ›Lieber Freund, wir müssen uns in acht nehmen. Ich glaube, die Kleine ist eifersüchtig auf dich.‹ Ich nahm mich viel mehr in acht als sie. Und wäre das kleine Ding ein leibhaftes Teufelchen gewesen, ich hätte mir nicht in meine Karten blicken lassen. Bei der Mutter war das leicht möglich. Ihr rosiges Gesicht war wie ein Spiegel, aus dem man alles ersehen konnte. Jeder Hauch blieb darauf haften.
Aus dem unverkennbaren Haß der Kleinen mußte ich schließen, daß sie das Geheimnis ihrer Mutter aus einer verräterischen Erregung, aus einem unbewußt allzu zärtlichen Blick erfahren hatte. Es war ein unscheinbares Geschöpf, kein bißchen das Abbild der Prachtformen, der es entstammte, geradezu häßlich, was selbst die Mutter eingestand, so zärtlich sie ihr Kind liebte. Neben einem Diamanten ein kleiner Rauchtopas. Mir fällt der treffende Vergleich nicht ein. Der Entwurf zu einer Bronze. Eine kleine Hexe mit großen Augen, die dann ...« Er hielt inne, als hätte er schon zuviel gesagt; wie eine Kerzenflamme, die mit einem Male kleiner wird.

Die Anteilnahme an seiner Geschichte war wieder allgemein geworden. Auf allen Gesichtern lag abermals Spannung und Neugier. Und durch die schönen Zähne der Gräfin zischelte ein »Endlich!« als Frohlocken der erlösten Ungeduld.

Dienstag, 12. November 2013

Good Sounds: FRIEDEL LELONEK, Hamu


Die Preise des 62. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg

Newcomer of the year: 
Regisseur Carlos Lechuga (MELAZA)Fotos: Festival/Ben Pakalski

Die Preise des 62. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg

Newcomer of the Year –
Main Award of Mannheim-Heidelberg

Hauptpreis von Mannheim-Heidelberg
MELAZA / MOLASSES
von Carlos Lechuga, Kuba/Frankreich/Panama (2013)

We would like to give the Main Award of Mannheim-Heidelberg to the film “Melaza” - “Molasses” for the enormous courage to tell a really important message clear and simple, like a glass of water, showing emotional but yet in distant images the relationship between the characters with strong significant images without being didactic.

Wir vergeben den Großen Preis von Mannheim-Heidelberg an den Film „Melaza“ – „Molasses“ für den enormen Mut dieses Films, eine wichtige Botschaft, klar und einfach wie ein Glas Wasser, erzählen zu können, emotional und trotzdem in distanzierten Bildern die Beziehung zwischen den Protagonisten mit starken bedeutungsvollen Bildern zu zeigen, ohne didaktisch zu sein.

Publikumspreis/Special Award Mannheim-Heidelberg 
TANGERINES Regisseur Zaza Urushadze (links) und 
Produzent Ivo Felt (rechts) mit Festivaldirektor Dr. Michael Kötz (Mitte)

SPECIAL AWARD OF MANNHEIM-HEIDELBERG
MANDARIINID – TANGERINES
by Zaza Urushadze, Estonia/Georgia (2013)

The Special Award of Mannheim-Heidelberg goes to the film “Mandariinid” – “Tangerines” for how focused the input and the story was told about understanding each other, being tolerant, learning each others way of life and also for the great three leading actors.

Der Spezialpreis von Mannheim-Heidelberg wird an den Film „Mandariinid“ – „Tangerines“ vergeben für die Art und Weise, wie er unseren Blick auf das Verständnis für andere lenkt und wie die Geschichte den Fokus auf Toleranz und das Kennenlernen der Lebensweise von Anderen stellt – und auch für die drei tollen Hauptdarsteller.


SPECIAL AWARDS OF THE JURY
Ghaedeye Tasadof - Bending the Rules
by Behnam Behzadi, Iran (2013)
For the director Behnam Behzadi of “Ghaedeye Tasadof” – “Bending the Rules” for his work with his actors and the camera.

An den Regisseur Behnam Behzadi von „Ghaedeye Tasadof“ – „Bending the Rules“ für seine Arbeit mit den Schauspielern und der Kamera.


Før Snøen Faller – Before Snowfall
by Hisham Zaman, Norway, Germany, Iraq (2013)
To the main actor Abdullah Taher of “För Snöen Faller” – “Before Snowfall” for his charismatic courage portrait of the character.

An den Hauptdarsteller Abdullah Taher von „För Snöen Faller“ – „Before Snowfall“ für seine charismatische Darstellung eines mutigen Protagonisten.

SPECIAL MENTION
De Nieuwe Wereld - The New World
by Jaap van Heusden, Netherlands (2013)
“De Nieuwe Wereld” – “The New World” for the important story and issue.

„De Nieuwe Wereld“ – „The New World“ für die wichtige Geschichte und das Thema.


PUBLIKUMSPREIS
MANDARIINID / TANGERINES
von Zaza Urushadze, Estland/Georgien (2013)

Fipresci-award
DRIFT
von Benny Vandendriessche, Belgien (2013)
A visceral and poetic experience that sometimes made us feel uneasy yet left indelible impressions on the minds and hearts of the jury.

Eine intuitive und poetische Erfahrung, die uns manchmal ein banges Gefühl verschaffte und dennoch unauslöschliche Eindrücke im Verstand und den Herzen der Jury hinterließ.

PREISE DER ÖKUMENISCHEN JURY
Die Ökumenische Jury von SIGNIS und INTERFILM beim 62. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg vergibt ihren Preis, dotiert mit 1.500.- € von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Katholischen Filmarbeit Deutschlands, an:

HEMMA / HOME
von Maximilian Hult, Schweden/Island (2013)
After her husband's death, Frida ignores her grief by taking care of Lou, her estranged grand-daughter; and Tom, a neighbour boy. With great tenderness, together they overcome the difficulties of day-to-day life. Trough directly expressed humour, comical situations and vivid colors, Hemma/Home shows an alternative way of dealing with loss, social conventions and love.

Nach dem Tod ihres Mannes stürzt sich Frida in die Sorge um Lou, die ihr fremde Enkeltochter und den Nachbarsjungen Tom und verdrängt, damit die eigene tiefe Trauer. Zusammen bewältigen die Drei die Hürden des Alltagslebens. Mit tiefem Humor, herzhafter Komik und lin euchtenden Farben zeigt Hemma/Home einen eigenen Weg, mit Verlust, gesellschaftlichen Gepflogenheiten und Zuneigung umzugehen.


Empfehlung der Kinobetreiber
Razredni sovražnik / Class Enemy
von Rok Biček, Slowenien (2013)
Gibt es einen Weg zwischen Kuschelpädagogik und autoritärem Stil? „Razredni sovražnik“ – „Class Enemy“ führt uns auf eine bis zum Ende spannende Slalomfahrt zwischen beiden Extremen. Dicht und intensiv wird der Mikrokosmos einer Klassengemeinschaft portraitiert, wobei die Kamera bedrückender Weise die Schule niemals verlässt. Das herausragende Drehbuch und die beeindruckenden Schauspieler vermitteln jedem Zuschauer glaubhaft die persönlichkeitsbildende Wirkung von Schule, ohne in Klischees abzudriften.

MANDARIINID / TANGERINES
von Zaza Urushadze, Estland/Georgien (2013)
Kann es zwei feindliche Soldaten miteinander versöhnen, den gleichen Lebensretter zu haben? „Mandariinid“ – „Tangerines“ ist ein spannendes Kammerspiel über Moral, Krieg und Freundschaft, das mit sparsamen Mitteln das Publikum maximal zu fesseln vermag. Mit wundervoll subtilem Humor kann der Film zugleich unterhalten und uns die Absurdität des Krieges aufzeigen.

Cyanure / Cyanide
von Séverine Cornamusaz, Schweiz/Kanada (2013)
Kann ein krimineller Vater ein Vorbild sein? Die effektvolle, dynamisch ausgeprägte Coming-of-Age-Story „Cyanure“ – „Cyanide“ gibt bereits in der Anfangssequenz, gleich einer Ouvertüre, die Geschichte komprimiert wieder und ist darüber hinaus vom klugen Einsatz filmischen Handwerks geprägt. Die Schweizer Regisseurin erzählt mit viel Liebe zu Details und mit einem großen Schuss Humor eine in sich schlüssige Geschichte, an deren Ende die Erkenntnis steht, dass Träume nicht immer in Erfüllung gehen, dass das Leben aber trotzdem Lösungen bereithält.


Jurys 2013
Internationale Jury
István Szabó, Hungary - Präsident
Kirsi Liimatainen, Finnland
Matías Bize, Chile


Ökumenische Jury
Magali Van Reeth, Lyon (France) – Präsident
Arne Kristophersen, Brondy (Dänemark)
Vanessa Locke, Berlin (Deutschland)
Christian Murer, Urdorf (Schweiz)
Christoph Strack, Berlin (Deutschland)

FIPRESCI Jury
Leo Bankersen (Niederlande) - Präsident
Gad Abitta (Fankreich)
Maya Dimitrova (Bulgarien)
José Antonio Teodoro (Kanada)
Hirsch Bettina (Deutschland)


Kinobetreiber Jury
Melanie Hoffmann
Lina Winkler
Elke Hoffmann
Werner Hoffmann
Jörg Jakob

Good Sounds: THE KLEZMER LOUNGE BAND, Violin Scotschne


Wer heute erwerbsgemindert ist, lebt mit größter Wahrscheinlichkeit unter dem Exitenzminimum!


Erwerbsminderung darf keine Armutsfalle sein


„Die schrittweise Anhebung der Zurechnungszeit bei der Erwerbsminderungsrente bringt keine nennenswerte Verbesserung für die Betroffenen“, kritisiert Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, jüngste Vorschläge aus den Reihen von Union und SPD. „Seit 20 Jahren sinken die Erwerbsminderungsrenten und liegen für Neurentner heute unter der Armutsschwelle. Die Politik hat dieser Entwicklung tatenlos zugesehen und plant jetzt offenbar, die Rentner noch einmal bis 2029 zu vertrösten. Das ist nicht akzeptabel.“

Eine Anhebung der Zurechnungszeiten sei zwar grundsätzlich ein geeignetes Instrument, um die Erwerbsminderungsrente zu verbessern, doch wirke eine schrittweise Verbesserung viel zu spät und brächte Neurentnern in den nächsten Jahren keine spürbare Verringerung ihres Armutsrisikos. „Die Erhöhung der Zurechnungszeit muss in einem Schritt sofort erfolgen“, so Mascher. Dies würde Neurentnern immerhin 45 Euro mehr Rente im Monat bringen.

Fast jede fünfte ausbezahlte gesetzliche Rente ist mittlerweile eine Erwerbsminderungsrente. Die durchschnittliche monatliche Rente betrug bei Neurentnern im Rentenzugang 2012 nur 607 Euro und damit unter dem steuerfreien Existenzminimum. Schuld daran sind vor allem die Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten von bis zu 10,8 Prozent. Auch wurde bei der Einführung der Rente mit 67 versäumt, die Zurechnungszeiten für Erwerbsminderungsrentner entsprechend zu verlängern. "Wenn jemand aufgrund einer Krankheit Erwerbsminderungsrente beantragen muss, dann tut er dies in der Regel nicht freiwillig, um vorzeitig in den Ruhestand zu wechseln, sondern aus einer schicksalhaft bedingten Notsituation heraus. Deshalb dürfen Erwerbsminderungsrentner nicht mit Abschlägen auf ihre Rente belastet werden", unterstreicht Mascher.

Vielen gesundheitlich angeschlagenen Arbeitnehmern kann nach Ansicht des VdK der Weg in die Erwerbsminderungsrente erspart bleiben. Doch immer noch führt die berufliche Rehabilitation in Deutschland ein Schattendasein. Deshalb fordert der VdK, dass es auf dem Gebiet der Rehabilitation deutliche Verbesserungen geben muss. Der „Reha-Deckel“, der die Ausgaben für notwenige Reha-Maßnahmen begrenzt, muss abgeschafft werden. Jeder Euro, der in die berufliche Rehabilitation fließt, zahlt sich meist nach kurzer Zeit mit der Rückkehr in die Berufstätigkeit wieder aus. Das durchschnittliche Eintrittsalter in die Erwerbsminderungsrente liegt derzeit bei 50,7 Jahren. „Wer die Rente mit 67 hochhält, der sollte dafür sorgen, dass Menschen mit Gesundheitsproblemen so viel Unterstützung bekommen, dass sie auch so lange durchhalten“, so die VdK-Präsidentin.

Good Sounds: RILKE-PROJEKT Weltenwanderer 01, Traumgekrönt XV (Katja Flint)

Katja Flint
Das Rilke-Projekt von Schönherz & Fleer produziert seit einigen Jahren Gedichtevertonungen von Rainer Maria Rilke mit prominenten Schauspielern oder Sängern. MEHR