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THEY LIVE 3, (c) Trash/Treasure |
Herb leuchtet in einem satten Dunkelviolett. Er ruht in sich und seiner Mitte, völlig überzeugt von seinem Sein und Tun und Reden. Eine wundervolle Farbe. Vertrauen erweckend. Ich selber stehe in einem irritierten Mix aus verschiedenen Grün- und Blautönen vor ihm, mit zitternden Knien, die Finger um die Textmappe gekrallt. Im letzten Moment habe ich mich gegen die zerrissenen Jeans entschieden und präsentiere mich nun so wahrhaftig ich kann.
Herb gefällt, was er sieht. Sein Blick gleitet meine Beine hoch und ich merke, wie er sie jenseits der True Emotion taxiert. Für einen Moment färbt sich mein Beinkleid dunkler. Er wendet sich wieder meinen Arbeitsproben zu – ich habe es tatsächlich geschafft, ihm die Mappe über den Tisch zu reichen – und liest. Stumm erwarte ich sein Urteil. Das kommt schließlich in Form eines Nickens.
»Gut, gut, Jade.« Er lacht mich offen an. »Es macht dir doch nichts aus, dass ich dich duze, jetzt, wo du im Team bist? Das machen hier alle so, besser, du gewöhnst dich gleich daran!«
Er erhebt sich, streckt mir die Hand entgegen.
»Ich bin Herb, dein Teamleiter. Willkommen an Bord.«
Ich ergreife die Hand und schüttle sie zaghaft. Meine Beine schmücken ein Muster aus grün-schwarzen Schlieren mit hektischen giftgrünen Punkten. So ganz traue ich dem Braten noch nicht. Das ist immer so bei mir: Gute Dinge brauchen stets etwas länger, um in mein Bewusstsein einzusickern.
»Nun mal nicht so aufgeregt«, schmunzelt Herb mit einem Blick auf meine Beine. »Das da oben ist zwar ein Haifischbecken, aber es wurde noch nie jemand am ersten Tag gefressen.« Er lacht, als habe er einen guten Witz gerissen. Sein Hemd leuchtet dabei in völligem Einklang mit seiner Selbstüberzeugung in dem gleichen satten Violett, das ich schon seit der ersten Minute bewundert habe.
Für einen Moment beneide ich ihn.
Lola wartet vor der Tür auf mich. Sie zeigt mir persönlich den neuen Arbeitsplatz, die Teeküche, die Kantine und reicht mich dabei herum, als sei ich das neue Maskottchen. Auch sie erstrahlt in vollem Selbstbewusstsein in dem ihr eigenen Orangerot, das sich nur manchmal etwas aufhellt oder um eine Nuance verdunkelt, ganz abhängig davon, wem sie gerade auf dem Flur begegnet. Ich brauche nicht hinzusehen, meine Beine sind wahrscheinlich wild gepunktet, so kribbelig und nervös ich bin. Zu viele Namen, zu viele Gesichter. Ich weiß nicht, ob ich für ein Team geschaffen bin.
In der Mittagspause bestehe ich auf einem Zweiertisch, fern ab des Trubels. Lola gesteht mir diese kleine Flucht zu. Als wir beide über unseren biodynamischen Salaten sitzen, platzt es aus mir heraus:
»Wie schafft ihr das nur?«
»Was?« Lola sieht mich fragend an.
»So gelassen zu sein, so ausgeglichen! Ich habe bei niemandem solche Farbschwankungen gesehen wie bei mir.« Ich fuhrwerke mit meiner Gabel in der Luft herum, als wollte ich die wilden Muster auf meinen Beinen nachzeichnen. Dann bleibt die Gabel still in der Luft stehen, zittert kaum.
»Ihr lauft herum, als ob ihr nichts kennen würdet, das euch aus eurer Bahn werfen könnte.«
Lola grinst. »Powernapping«, sagt sie dann und schiebt sich ein Salatblatt in den Mund. »Meditation«, nuschelt sie. »Entspannung!«
»Wie kannst du vor einer Pressekonferenz entspannt sein?«, kontere ich und nehme die Gabel wieder herunter.
Sie nimmt einen Schluck Wasser, stellt ihr Glas hin und sieht mich ernst an.
»Du wirst feststellen, dass sich alle hier gerade vor stressintensiven Momenten besonders gut um sich kümmern. Das ist eine gewisse Form von Disziplin. Du bist dir selber gegenüber verpflichtet, dass es dir gut geht. Besonders, wenn die Welt um dich herum zusammenfällt.« Sie lacht. Ihre Zähne blitzen. Das Orange strahlt.
»Verstehst du, was ich meine?« Sie nimmt meine Hand. »Etwas Besseres als dieser Job hätte dir gar nicht passieren können.«
Für diesen Moment glaube ich es ihr.
In der folgenden Zeit lernte ich meinen neuen Arbeitgeber besser kennen.
Er tat wahrhaft viel für seine Angestellten – das firmeneigene Spa war überwältigend, Fitness, Friseur, Meditationszentrum und sogar die konzerneigene Socialista, die für körperliche Entspannung der zwischenmenschlichen Art sorgte, an alles war gedacht. Und so schien es nicht verwunderlich, dass die meisten Kollegen konstant waren in ihrer Farbgebung. Auch das Miteinander war anders, man achtete sehr darauf, den anderen nicht vor den Kopf zu stoßen, etwas, das ich erst langsam lernen sollte. So allerdings brachte mir meine ruppige Art schnell einen abgesonderten Arbeitsbereich ein, denn niemand wollte meine Ausbrüche auf Dauer ertragen.
Dabei wollte ich insgeheim gerne so sein wie Lola oder Herb. Ruhig, kontrolliert, freundlich. Egal, welcher Wirbel um sie kreiste, egal, wie anstrengend die PKs sein mochten, man sah es den beiden nicht an.
Langsam fügte ich mich in das Leben ein. Ich ging mit Lola zum Meditieren, ich ging mit Kollegen zum Workout oder zum Flippern. Als ich eines Tages nach Hause kam und mich dabei ertappte, noch immer zu lächeln, da wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg war. Ein Blick auf meine Beine versicherte mir: no drama, baby. Alles grün. Und ich sah mich im Flurspiegel an und lachte frei heraus. So wurde ich ganz beiläufig zu einem glücklichen Menschen.
Fortsetzung folgt
AUS: Gabriele Behrend - HUMANOID. Ab sofort beim p.machinery-Verlag erhältlich. Die Geschichte erreichte beim Marburg-Award 2011 den zweiten Platz.