Mein Blog informiert Sie über Termine, Neuigkeiten, Wissenswertes, Skurriles und Bewundernswertes aus dem Bereich der Künste, Kino, Fotografie, Bücherwelt und vieles mehr. Die Welt ist bunt! Auch in meinem Blog. Geben Sie ihr im PC 30 Sekunden Zeit zu starten oder 5 Sekunden im Handy!
Welcome to my blog and feel free to leave a comment in English or French! World is colorful! Also in my blog. Give it 30 seconds to start in your PC and 5 in your phone.
Die neue Generation der platzsparenden Bücher - klein, stark, leicht und fast unsichtbar! E-Books bei viereggtext! Wollen Sie Anspruchsvolles veröffentlichen oder suchen Sie Lesegenuss für zu Hause oder unterwegs? Verfolgen Sie mein Programm im SV Verlag, Sie werden immer etwas Passendes entdecken ...Weitere Informationen
Noch bis 17.10.2010 ist in der ehemaligen Schuhfabrik Kopp, Bahnhofstraße 11, Pirmasens, jeweils von Mi 15:00 bis 17:00 Uhr bzw. Sa/So 11:00 bis 15:00 Uhr oder nach Vereinbarung: 0176 64349144
Achim Ribbeck
die Ausstellung Skulptur und Plastik in Pirmasens, Kunst im öffentlichen Raum zu sehen. FINISSAGE: 17.10., 15-18 Uhr
Lucie Wegmann und Daniel Moriz Lehr bei
der Arbeit an ihrem mittlerweile eingeweihten
Projekt vor dem Studentenheim Husterhöhe
Wer es verpasst hat zwar die Gelegenheit, in der Internetpräsenz die Position der Kunstwerke und die Namen der Künstler zu entdecken. Die gelben Punkte müssen angesteuert werden. Die Ausstellung bietet jedoch inklusive morbider Thomas Mannscher oder Tarkowskijscher Untergangsumgebung in der alten Fabrik hervorragende Kunstwerke von Künstlern (bei Kosmatschof eine Videoinstallation), von denen ich hier nur einige namentlich ohne weitere Erklärungen anbiete. Im Katalog zur Ausstellung für 15 EUR findet der Interessierte alles Wissenswerte über die Künstler und über 40 Kunstwerke im öffentlichen Raum von Pirmasens.
FriedensreichDunkelbuntRegentag Hundertwasser ist mehr als ein Künstler. Er ist ein Kunsterschaffer, ein Weg- und Weltgestalter, ein Naturintegrierer, ein "Assistent der Bäume", wie er es selbst ausdrückte, denn Bäume verkörperten für ihn die Natur, und ihre Naturwüchsigkeit, ihre biologische Krummheit bei gleichzeitig graziler oder mächtiger Ebenmäßigkeit, stand für Schönheit. Seinen bürgerlichen Namen hatte er früh abgelegt. Er ersetzte das "Sto" durch Hundert, den Friedrich durch Friedereich, Friedenreich, schließlich Friedensreich und erschuf sich mit diesem Namen Weltruhm. Es kamen noch zwei andere Vornamen dazu: Dunkelbunt und Regentag. Er, der einen umfassenden Kunstanspruch entwickelt hatte, eingebettet in die Ökologie, die Kybernetik der Abläufe, er, der alle Bereiche des Lebens gestalten und umgestalten wollte. Hundertwasser sah sich selbst sogar - wie alle anderen Menschen auch - in erster Linie dazu bestimmt, der Natur zu dienen, sie als Vorbild zu integrieren, außerdem Humus zu produzieren und zu Humus zu werden.
Friedensreich Hundertwasser wurde am 15.12.1928 in Wien geboren und starb am 19.02.2000 auf der "Queen Elizabeth 2" mitten im Pazifischen Ozean. Er wurde, wie er es immer wünschte, nackt in seine für Neuseeland entworfene Koru-Fahne gehüllt, 80 cm unter der Erde unter einem Tulpenbaum auf Neuseeland, seinem gelobten Land, begraben.
Ich habe mir drei sehr aussagekräftige Bücher zu Hundertwasser ausgesucht, die alle sehr geeignet sind, sich mit dem Künstler auseinanderzusetzen. Um es hier gleich vorwegzunehmen: Die reiche und sehr gute Bebilderung lässt keine Wünsche offen. Beste Aufnahmequalität, zumeist bestechende Druckqualität (obwohl Printed in China), kaum Farbverfälschungen,Goldtöne ganz rein wie vergoldet, eine Augenweide. Die Bücher stammen alle vom Taschen Verlag und sind neu von 10 € bis 30 € erhältlich. Zwei wurden und werden mit Special Price anlässlich des 25-jährigen Jubiläums von Taschen angeboten, und zwar die Darstellung von Wieland Schmied und die von Harry Rand. Die "Architektur" bewegt sich regulär um die 30 €.
In diesem sehr aufwändig und liebevoll im Sinne Hundertwassers gestalteten, für diesen Preis wirklich schon sehr opulenten Werk bekommt man einen fantastischen, sehr umfassenden Überblick über die Person und das Schaffen Hundertwassers. Leider ist das Schwarz als Hintergrundfarbe auf den Seiten sehr empfindlich und verkratzt sehr schnell.
Der Autor hat sehr viele Details aus dem Leben zusammengetragen, verbindet alles wunderbar mit den Schaffensperioden des Meisters, verzichtet nicht auf die widersprüchlichen Seiten Hundertwassers. In sieben Kapiteln bringt uns Schmied Hundertwasser näher. Zunächst eine gekonnte Einleitung, die uns alles Wesentliche zum Künstler vermittelt, auch die Kehrseite des Erfolgs. Später die Anerkennung, internationaler Erfolg, der Hundertwasser nie in den Kopf stieg. Er blieb der immer schaffende Künstler, allzeit bereit mit seinem Malnotset aus Wasserfarben, Pinseln und Stiften Ideen festzuhalten.
In jedem weiteren Kapitel ein Stück mehr über den Künstler, zunächst die Anfänge, die Namensfindung, Wien, der Freund und Kollege Arnulf Rainer, der sich ganz anders entwickelte, die Naivität, Kindlichkeit im Blick, Ausdruck und in der Denkweise, die Farben und Titel der Bilder. Der Künstler im Aufbruch, auf dem Weg zu sich selbst.
Im 3. Kapitel die gesamten theoretischen Ansätze seine Grammatik des Sehens, das spektakuläre Verschimmelungsmanifest von 1958, vorgestellt in der Steiermark, München und Wuppertal. Es besagt, dass so wuchernd, sich ausbreitend und natürlich sich formend wie der Schimmelpilz unsere Architektur insgesamt, auch im Industriebereich sein soll. Keine Gerade, sondern immer das Organische und Vegetative - schöpferische Verschimmelung. Keine Diktatur und Zensur durch die Geometrie. Er ist darin ein radikaler Ökologe, der mit natürlichen Stoffen bauen möchte, Erdhäuser, Dachbegrünungen, Sonne, Licht, Wasser. Weiter die "Linie von Hamburg", 1959, wo Hundertwasser als Gastdozent an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste in Gemeinschaft mit Bazon Brock und Schuldt eine 10 km lange, spiralförmig ansteigende Linie in seinem Raum zeichnen wollte, was ihm nach 48 Stunden Laufzeit bereits untersagt wurde und zu einer Niederlegung der Gastdozentur führte. Seine "Brennesselaktion" in Paris, 1960, forderte die Zuhörer auf, als Zeichen der Solidarität mit Künstlern und Menschen in schwieriger existenzieller Lage mit ihm eine Art Brennesselspinatsuppe zu essen, die die geforderte Autarkie von und Distanz zu Ausnutzung brächte. Berühmt wurden auch seine "Nacktreden" 1967 in München und 1968 in Wien, wo er nackt vor die Zuhörer trat und eine spontane Veränderung der Architektur durch den Wurf zweier mit Farbe gefüllter Eier an die Decke vollzog - ein Überraschungsauftritt anlässlich seiner Vernissage mit Skandalwogen in der Presse, da niemand mit Happening oder Spoantankunst vertraut war. Selbst das Polizeiverhör fehlte nicht, danach war die Aktion bei anderen Auftritten bekannt und ohne diese Auswirkung. Was wollte er damit erreichen? Es ging ihm dabei um die "dritte Haut", die Behausung des Menschen, die zweite ist die Kleidung. Er wollte damit auf die Wichtigkeit angemessener Architektur hinweisen, die wie eine dritte Haut sein soll, in der Nacktheit am besten erfahrbar - Natur in der Natur. Ebenso verwegen ist sein Schönheitsbegriff. Schöne Dinge sollen Hindernisse sein in der Wahrnehmung des allzu Glatten, Gefälligen, Fortschrittlichen. "Schönheitshindernisse sind nicht kontrollierte Unregelmäßigkeiten." [Anm. vom Hundertwasser Archiv für den Autor, auf Wunsch des Archivs von mir eingefügt:] Hunderwasser geht in mehreren Texten auf den Begriff „Schönheitshindernisse“ ein. „Fortschritt eher verhindern“ wird nicht thematisiert. Ein umfangreicheres Hundertwasser Zitat bietet eine aufschlussreiche Erklärung: „Wer kann Unregelmäßigkeiten gestalten? Der Mensch natürlich selbst, wenn er dazu fähig ist. Der Künstler. Aber am besten kann es die Natur. Es gibt keinen besseren Lehrmeister als die Natur. Nur die Natur schafft nicht reglementierte Unregelmäßigkeiten, wahrhafte Schönheitshindernisse. Man muß die Natur bewußt mitgestalten lassen an der Farbe. Das geht ganz einfach. Eine Wand braucht nur zu verwittern. Langsam verwittert sie, und es entstehen diese Bilder, die der Mensch gar nicht fähig ist, so schön und so perfekt zu gestalten. (Hundertwasser, in: Farbe in der Architektur, 1981)“ oder „Was wir jedoch dringend benötigen, sind Schönheitshindernisse. Diese Schönheitshindernisse bestehen aus nichtreglementierten Unregelmäßigkeiten. Und diese nichtreglementierten Unregelmäßigkeiten bestehen entweder aus Spontanvegetation oder aus der Kreativität des Einzelnen. Beides sind Schöpfungen, die sich gegenseitig ergänzen. (Hundertwasser, in: Konkrete Utopien für die grüne Stadt, 1983)“
In der Folge positioniert Schmied Hundertwasser in der Tradition von Gustav Klimt, Egon Schiele, John Ruskins mit seiner Verehrung von Venedig und seiner Ornamentalik (Hundertwasser wohnte auch längere Zeit in Venedig), ferner Antoni Gaudi, Ferdinand Cheval, Rudolf Steiners Goetheanum und die Erd- wie Felsenhäuser in Nordafrika und auf Santorin. Wir erleben seine Malerei, seine Grafik, die er durch Varianten in den Auflagen individualisierte, seine Briefmarken und Nummernschilder, seine Nationalfahnen und Bibelillustration, erleben ihn als Umweltschützer. Eines seiner dringlichsten Projekte war die Humustoilette, die Bedeutung von Humusbildung = biologische Zerfallsprozesse erwähnte ich oben schon, die lediglich durch Belüftung und biologische Zersetzung funktionierte (wie man heute von unzähligen Versuchen in Ökogeländen weiß, geruchslos und zuverlässig). In Kawakawa, Neuseeland, durfte er 1999, 20 Jahre nach seinem Manifest "Scheißkultur - Die heilige Scheiße" in Pfäffikon am Zürcher See, eine öffentliche Toilette nach seinen Vorstellungen umgestalten, die heute noch Anziehungspunkt vieler Touristen ist.
Schließlich lernen wir Hundertwasser noch ausführlich als grünen und einfallsreichen landschaftsprägenden Architekten kennen. Sein Hundertwasserhaus in Wien, seine zahlreichen anderen realisierten Architekturprojekte, 23 in Deutschland und Österreich, sprechen eine so klare und angenehme Sprache, dass wir uns fragen, warum nicht verstärkt in diese Richtung gebaut wird. Alles unter dem Joch der Einsparungen, kantig, schachtelig, ungesund, ohne Grün. Bei Hundertwasser das Gegenteil. Schon seine Dachgärten sind eine Wucht, Spontanvegetation wird zu wachsender Naturlandschaft in luftiger Höhe und verschafft den Menschen das Gefühl auf dem Land zu sein. So wollte er es immer haben, neben all den runden, farbigen und unregelmäßigen Schönheitshindernissen im Innern. Seine goldenen Kuppeln, nicht nur auf der Kirche in Bärnbach, sondern auch im Fernwärmewerk Wien oder an der Raststätte Bad Fischau, werden uns lange faszinieren. In Deutschland können wir in Plochingen, in Darmstadt, Frankfurt, Bad Soden, Essen, Uelzen (der Hundertwasser-Bahnhof wird von der Bahn gerade renoviert), Magdeburg, Wittenberg und im fränkischen Selb Meisterwerke seiner Baukunst entdecken.
Einen deutlich kürzeren, aber ebenfalls sehr gelungenen Überblick über das Schaffen Hundertwassers bietet Harry Rands Darstellung. In einer gekonnten Collage aus Biografie, Stilentwicklung, Schwerpunkten, Ereignissen und Interviewteilen lernen wir Hundertwasser noch unmittelbarer kennen. Die vielen Original-Zitate erlauben uns ein authentisches Bild des Künstlers zu gewinnen. Sie lassen Hundertwasser lebendig erscheinen, geben uns Anlass, ihn neu zu betrachten und anders zu verstehen. Rands Zusammenstellung ist eine sinnvolle Ergänzung zu Schmieds Buch.
Angelika Taschen (Hrsg.) Hundertwasser Architektur Für ein natur- und menschengerechteres Bauen Köln 2006, 320 Seiten, Großformat, Hardcover 29,90 €, Taschen Verlag
Einen wiederum eigenen Zugang zum Werk verschafft diese vollständige Zusammenstellung aller architektonischen Projekte Hundertwassers. Wer nur seine Architektur genauer studieren will, findet hier sehr viele Möglichkeiten. Durch selbsterklärende Texte des Künstlers zu seinen Projekten, auch durch Reden, Anweisungen und Manifeste, lernen wir Hundertwasser als sehr engagierten ökologischen Architekten kennen. Voller Hingabe und immer wiederkehrender Heraufbeschwörung der Natürlichkeit bettet er seine Projekte als Kleinodien in die Natur, schafft Augenfänge erster Klasse. Bei den Arbeiten zum Hundertwasserhaus in Wien ereigneten sich z.B. sehr häufig Auffahrunfälle, weil die Fahrer zu lange die Fassaden hinaufschauten. Schönheit als Hindernis, wie es Hundertwasser wünschte ... In reicher Bebilderung, aufwändiger Gestaltung und aussagekräftigen Texten erleben wir die Architektur Hundertwassers als eine hohe Kunst der fühlbaren Ästhetik der "Schönheitshindernisse".
Ausstellung in Traben-Trabach. Es handelt sich
bei diesen Gegenständen nicht um Hundertwasser-Werke,
sondern um diverse fremde Ausführungen.
foto: viereggtext
Dekadentipp bis 2019 - Hundertwasser zu St. Jakobi in Stralsund In der Kirche St. Jakobi, Stralsund, werden seit April 2009 bis 2019 jährlich zwischen April und Oktober wechselnd Originalgrafiken, Unikate, Plakate und Objekte von Hundertwasser gezeigt und Rahmenveranstaltungen dazu geboten. Das Projekt versteht sich als eine Verbindung von Kultur- und Sozialarbeit, möchte auf die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen aufmerksam machen und hat eine Art Hinweischarakter, den man sich auch an anderen Orten wünscht. Auch für Schulen als Ausflugsziel sehr interessant, es werden verschiedene hochaktuelle Hundertwasserthemen behandelt: Menschenrechte - Erhaltung der Schöpfung - Kreativität der Menschen - Farben - Wasser wertvoller als Gold - Hundertwasser-Gebäude. Dieses Jahr noch bis Ende Oktober! Öffnungszeiten: täglich 11.00 Uhr - 18.00 Uhr Eintritt: 7.50 € / 5.50 € (ermäßigt) / 1 € (Kindergruppen) Kontakt: 03831/30 96 96
Warum denn in die Ferne schweifen oder München zu teuer? Saufen für die Konjunktur jetzt im Pfälzer Wald.
Pirmasens bietet am Freitag, 8. Oktober, und Samstag, 9. Oktober, jeweils um 18.00 Uhr, in der Messehalle 6A (Messegelände), Pirmasens
das
1. PARKtoberfest
mit DJ Ötzi, Franken X-Press, Spider-Murphy-Gang und der Transatlantic Showband
Zünftiger Fassbieranstich, laute Stimmungsmusik und bayerische Schmankerln - das hört sich alles ziemlich nach der "Wiesn" an und ist doch so nah - nämlich in der Pirmasenser Messehalle. Für die Stimmungsmusik sorgen am Freitag DJ Ötzi & Band sowie Franken X-Press und am Samstag Spider-Murphy-Gang und die Transatlantic Showband. An beiden Tagen gibt es außerdem „A Mordsgaudi" mit Rodeo Bullriding und witzigen Maßkrug-Spielen.
Preise: Tischkarte (8 Personen - für einen Tag) 70,00 Euro Tickets erhältlich am Schalter der Parkbrauerei, Zweibrücker Str. 4, 66953 Pirmasens.
Park & Bellheimer Brauereien GmbH & Co KG
Zweibrücker Str. 4
66953 Pirmasens www.park-bellheimer.de
Ein absolut bemerkenswertes und spannendes Bändchen über Fatrasien und Fatras aus dem mittelalterlichen Frankreich. Um das Geheimnis dieser Bezeichnungen zu lüften: Es handelt sich um parodistische, satirische, karnevalistische, spöttische, widersprüchliche, verblüffende, bissige, frivole, obszöne, subversive, aggressive und bizarre poetische Ergüsse, "Anti-Lyrik", die zu den obskuren Randgenres der Weltpoesie zählen.
Wie der Herausgeber und Übersetzer so modern und ansprechend formuliert, verbirgt sich hinter diesen Dichtweisen "eine - vielleicht improvisierte - Performance-Rede, eine Art mittelalterliche Slam Poetry oder scharfer Rap". Dies scheint ihm mehr für die Fatras zu gelten, die eine ebenso feste Bauart haben wie die Fatrasien, jedoch eine Weiterentwicklung der Fatrasien darstellen.Sie haben sich wohl am Rande der etablierten und seriösen literarischen Rituale der religiösen Gesellschaften Puys und der Dichter-Bruderschaften confréries entwickelt. Das Erhabene des Höfischen und Aristokratischen ist ihnen fremd. Ihr Zweck war wohl das Lachen nicht zu verlernen in finsteren Zeiten unter Zuhilfenahme des Spottes, der Tabuverletzung und der offensichtlichen Sinnveränderung. Elf Verse (6 +5) mit dem Reimschema aabaab / babab konstituieren den Anspruch auf eine Fatrasie. Bei den Fatras sind es 13 Verse, 2 harmonische "Heile-Welt-Verse" vorab und dann 11 Verse folgend, die alles demontieren, was bei der Fatrasie gleich von Beginn an wirksam ist. Die Fatras haben das Reimschema AB AabaabbabaB.
Hochburg der Gedichte war die nordfranzösische Stadt Arras, die zum Zeitpunkt des Auftretens in französischer Hand war, später burgundisch/englisch sowie habsburgisch, und erst durch Louis XIII. ab 1640 wieder in den Armen von Paris landete. Blütezeit der Fatrasien von Arras war etwa um 1290 für einige Jahre, es gab jedoch schon früher um die Jahre1240/1250 welche. Die Dichter der Spaßgedichte von 1240/50 sind unbekannt, die Jahrzehnte älteren überlieferten aristokratischen Fatrasien (klassischer Widerspruch!) stammen wohl von Philippe de Rémy, Sire de Beaumanoir. Die Fatras tauchten im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts mit Watriquet Brassenel de Couvin um 1325 auf. Sie verschwanden wieder, traten 100 Jahre später wieder bei Baudet Herenc und Jean Régnier (hier Gefängnispoesie und Gefoltertenhumor im 30-jährigen Krieg) an die Öffentlichkeit und sind eigentlich nicht mehr aus der Literatur späterer bekannter Autoren wegzudenken. Francois Villon bemühte diese Sichtweise wieder im 15. Jahrhundert, Rimbaud im 19. Jahrhundert. Auch Sprach- und Lyrikexperimente im 20. Jahrhundert greifen auf den Nonsens, das Widersprüchliche in wesentlich modernerer Form jedoch zurück.
Die Wiege der Nonsensgedichte liegt in der Antike. Vergil und Ovid hatten bereits das Widersprüchliche und sinnentleerte Gegenläufige gepflegt, die Bibel kennt diese Stilform auch.
Fazit: Ein fesselndes Kennenlernen des Unsinns aus Arras auf Deutsch und Französisch mit einer kurzen und lehrreichen Darstellung des Herausgebers. Ein ungewöhnliches Geschenk für Lyrikfreunde. Die Reime konnten bei der Übersetzung nicht wiedergegeben werden - ein Unternehmen von "fatrasischer Unmöglichkeit".
Nr. 43
"Ein heiliger Leib aus Celle* / machte mit einem Leder vom Aal, / dass der Mond aufging, / und ein Aas / hatte eine Tochter, / die das Meer davontrug. / Sie wären tot angekommen, / wäre nicht eine Sichel gewesen, / die auszog, sie zu befreien / für ein Hoppeldimoppel / am Donnerstag beim Abendbrot.
Uns cors sainz de Cille
Fist d'un cuir d'anguille
La lune lever,
Et une morille
Avoit une fille
Qui portoit la mer.
Mort fussent a l'ariver,
Se ne fust une faucille
Qui les ala delivrer
Por une byreliquoquille,
Le Juedy au soupper.
*Celle: La Celle-en-Brie, Benediktinerabtei bei Meaux."
Nr 46
"... Eine brütende Lerche / hatte einen Striegel gepackt / auf dem Schwanz einer Ziege / und ihn derart mit dem Arsch geschubst, / dass die Stadtmauer von Paris kaputtging."
--> Auf der Frankfurter Buchmesse wird Ralph Dutli dieses Buch am Donnerstag, 7.10., im Rahmen von open books vorstellen: 07.10.2010, um 18:30 Uhr, Frankfurt, open books im Kunstverein, Heussenstamm-Galerie, Braubachstraße 34, Moderation: Thorsten Ahrend
Schopenhauer für Anfänger Die Welt als Wille und Vorstellung Eine Lese-Einführung von Susanne Möbuß München 1998/2010 (Originalausgabe), 219 Seiten, Paperback, 9,90 €, dtv
Mit 31 Jahren kam Schopenhauers erster Teil der "Welt als Wille und Vorstellung" heraus, die im weiteren Leben noch mehrfach überarbeitet bzw. 1844 und endgültig 1859 durch einen zweiten Teil ergänzt wurde. Eine sehr gelungene Einführung zu Schopenhauers erstem Hauptwerk stammt von Susanne Möbuß, die sich vor dem ersten Teil des aus drei Teilen bestehenden späteren Werkes widmet. 1818 wurde der erste Teil veröffentlicht, der aus den vier Büchern mit den Schwerpunkten die Welt als Vorstellung, das Wirken des Willens, die Rolle des Kunstwerks und Freiheit des Menschen wie Leben im Einklang mit dem Willen und Tugend, besteht. Mitveröffentlicht wurde auch die "Kritik der Kantischen Philosophie".
Im späteren zweiten Teil der "Welt als Wille..." finden sich Ergänzungen und Erläuterungen Schopenhauers zu Teil 1.
Im gesamten Werk werden seine grundlegenden Überlegungen zu Verstand, Vernunft, Vorstellung, Wille, Idee, Tugend und Schönheit festgehalten, die unser Denken heute bestimmen.
Uns ist Welt nur als Vorstellung zu vermitteln, mehr können wir nicht erkennen, es gibt für uns keine Objektivität, keine Wahrheit hinter den Dingen, da alles Vorstellung ist. Der Verstand erlaubt die Vorstellungen und die Vernunft geht darüber hinaus, sie ist neben den Emotionen Triebfeder des Handels, unabhängig davon, ob die Handlungen gut oder böse, tugendhaft oder nicht sind. Vernunft erlaubt es, die Vorstellungen fern vom Hier und Jetzt noch mal auf eine höhere oder andere räumliche und zeitliche Ebene zu heben. Sie hat mit Tugend nichts zu tun.
All unserem Streben und Handeln liegt der Wille zugrunde, die Lebensenergie, der Lebenswille. Der Wille manifestiert sich in allem, in der Natur, im Mensch, wir können ihn überall am Werk sehen. Er bringt uns dazu, mit dem Verstand die Vorstellung zu entwickeln, und auf einer höheren Ebene mittels der Vernunft in den Vorstellungen ganz in seinem Sinne zu handeln. Er zeigt sich uns auch in den Ideen, die in jedem Ding, Tier, Mensch stecken. Sie sind Formen des Willens.
Was hat es mit der Schönheit auf sich? In vielen Deutschstunden im Lande angesprochen, fasst die Autorin es treffend zusammen: "Das Schöne lädt zur Anschauung ein, doch das Erhabene ringt sie dem Menschen - beinahe gegen seinen Willen - ab. Ein Sonnenuntergang, ein Sturm "verlangt dem Menschen mehr Größe ab". Schönheit ist etwas Gefälliges, Subjektives, am reinsten und besten noch in der Skulptur des Menschen, da sie ihn zum Subjekt und Objekt der Betrachtung macht. Erhabenheit verlangt dagegen einen Bewusstseinsprozess und ist über der Schönheit anzusiedeln.
Das Werk: Arthur Schopenhauer Die Welt als Wille und Vorstellung Gesamtausgabe München 1998, 1440 Seiten, Paperback, 21,90 €, dtv
Nachhaltigkeit ist keine vorübergehende Modeerscheinung. Auf diesem Gebiet suchen wir ständig nach mehr Informationen, neuen Produkten und Entwicklungen. Designer reagieren ihrerseits mit eleganten und effizienten Produkten, die eine nachhaltige Zukunft im Blick haben. Dieses Buch stellt über 180 solcher innovativer und preisgekrönter Projekte aus über 20 Ländern zusammen, lanciert von weltweit führenden Design-Agenturen und Unternehmen wie IDEO, IBM und New Deal Design.
Vorgestellt werden Mehrwegprodukte von Wasserflaschen über Windeln bis hin zu solar- und windenergiebetriebenen Produkten, eine Uhr, deren Stromverbrauch durch eine chemische Reaktion zwischen Metall und Erde gedeckt wird, Luft- und Wasserreiniger, Särge und Urnen für nachhaltige Bestattungen, Papier aus Elefanten- und Schafdung, aber auch umweltfreundliche Schokolade, Bikinis, Gitarren, stromsparende Geräte und vieles andere mehr. Das Buch bringt Sie auf den neuesten Stand in Sachen revolutionäres, nachhaltiges Produktdesign.
Julius Wiedemann / Dalcacio da Gama Reis (Editor)
Miscellaneous / Miscellaneous
Flexicover mit Klappen, 19.6 x 24.9 cm, 440 Seiten € 29.99 ISBN: 978-3-8365-2093-5
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
Tom Rachman: Die Unperfekten. RomanWas, wenn ein Zeitungserbe seinem Basset mehr Interesse entgegenbringt als dem Schicksal seines Blattes? Was wird aus der unglückseligen Ruby? Aus Ed, der gefeuert wird und sich an der zuständigen Sachbearbeiterin rächt? Aus der Chefredakteurin Kathleen? Und aus dem Pariskorrespondenten Lloyd, der, einsam wie ein Straßenhund, aus Not eine Story erfindet und auffliegt? - Tom Rachmans in USA bereits gefeierter Erstling erzählt von Aufstieg und Niedergang einer internationalen Tageszeitung in Rom, ihren Machern und Lesern - und vor allem: von Menschen.
- Die Rechte an diesem Roman wurden bereits in 17 Länder verkauft
- »Dieser Roman von Tom Rachman ist so gut, dass ich ihn zweimal lesen musste.« (Christopher Buckley, The New York Times Book Review)
- Deutsche Erstausgabe / Oktober 2010 (zur Buchmesse lieferbar)
Mi, 6. Oktober, 20.00 Uhr: Lesung im Rahmen der OPEN BOOKS (Frankfurter Kunstverein, Raum A)
Friedrich Ani: Die Tat. Kriminalroman ›Die Tat‹ ist der neueste Band aus Friedrich Anis Krimiserie ›Der Seher‹ um den blinden Ex-Hauptkommissar Jonas Vogel.
- Platz 6 der KrimiWelt-Bestenliste Mai 2010- In der Reihe 'Der Seher' sind bislang erschienen: ›Wer lebt, stirbt‹ und ›Wer tötet, handelt‹- Friedrich Ani erhielt bereits dreimal den Deutschen Krimipreis
- Originalausgabe
Do, 7. Oktober, 13.30-14.30 Uhr: Friedrich Ani im Gespräch mit Raúl Argemí (Weltempfang-Stand, Halle 5.0 D 941)
Thomas Strobl: Ohne Schulden läuft nichts.
Warum Sparsamkeit nicht reicher macht, sondern ärmer Die Marktwirtschaft ist ein kapitalistisches System, und der Kapitalismus ist ein gigantischer »Kettenbrief«. Ohne Kredite gibt es keine Investitionen, ohne Investitionen keine Gewinne und ohne Gewinne können die Schulden nicht bezahlt werden. Dafür, ob die Marktwirtschaft sozial bleibt oder »asozial« wird, ist nicht die Wirtschaft, sondern die Politik verantwortlich. Thomas Strobls provozierende Analyse deutet die Mechanismen der Marktwirtschaft auf unkonventionelle Weise.
- Thomas Strobl ist Ökonom, Manager und Publizist. Mit www.weissgarnix.de führt er einen der bekanntesten deutschen Wirtschaftsblogs, mit seinen Beiträgen im Feuilleton der FAZ löst er regelmäßig kontroverse Debatten aus.
- Originalausgabe / November 2010 (zur Buchmesse lieferbar)
Fr, 8. Oktober, 14.00 Uhr: Lesung im Rahmen der OPEN BOOKS (Haus am Dom)
Jochen Bittner: So nicht, Europa! Die drei großen Fehler der EU Die EU hat unter Europäern einen schlechten Ruf. Warum wächst und gedeiht ihr Image-Problem? Der Autor hatte Gelegenheit, die EU gründlich unter die Lupe zu nehmen, von innen und außen, und legt hier eine kluge und amüsante Bestandsaufnahme vor. Kurz gesagt läuft Folgendes schief:
1. Die EU regelt Kleines zu groß und Großes zu klein.
2. Die EU regelt Weiches zu hart und Hartes zu weich.
3. Die EU bewegt sich oben zu schnell und unten zu langsam.
- Jochen Bittner ist seit 2007 als politischer Redakteur für die ›Zeit‹ Europa- und NATO-Korrespondent in Brüssel.
- Originalausgabe / November 2010 (zur Buchmesse lieferbar)
Fr, 8. Oktober, 15.30 Uhr: Lesung im Rahmen der OPEN BOOKS (Haus am Dom)
Außerdem zu Gast bei dtv in Halle 3.0 Stand B 130 auf der Frankfurter Buchmesse (6.-10. Oktober 2010):
Marcel Reich-Ranicki Mein Leben München 2003/2009, 566 S., Paperback, 9,90 €, dtv
Warum noch mehr über Marcel Reich-Ranicki schreiben, es ist schon so viel veröffentlicht worden? Weil es sich immer rentieren wird, ein Gewinn sein wird, sich mit ihm und seiner Geschichte, seiner Biografie zu beschäftigen. Wir erleben auf Hunderten von Seiten ein Leben dicht gefüllt mit Literatur, Kultur Deutschlands, Polens und Englands, gewissermaßen der ganzen europäischen Staaten, wir müssen uns erneut mit der Geschichte Nazideutschlands auseinandersetzen, erleben alles aus der sehr genauen Sicht eines prominenten Betroffenen, der uns hier klar macht, wie barbarisch dieser Feldzug gegen das Judentum und die scheinbaren Feinde im Osten war. Gerade in diesen Septembertagen fand das Überrollen und Bombardieren des kaum gerüsteten und unterlegenen Polens statt und begann in der Folge die menschenverachtende Installation der Vernichtungsmaschinerie.
Mit einer erschreckenden Klarheit durch die Brille des beliebtesten Kritikerentertainers Deutschlands gesehen und wiedererzählt im persönlichen Gespräch, so begegnet uns dieses spannende Buch, das man nicht aus der Hand legen will, bevor es zu Ende ist. Das "Literarische Quartett", zuvor das "Literarische Kaffeehaus" die geistreichen Dialoge der Rezensenten und Feuilletonisten mit Marcel R.-R. und dann dieses chaotische und bedrohliche Leben bis 1959, mehrfach vom Tod, der Verhaftung bedroht, sogar von den Nachkriegskommunisten ins Gefängnis verfrachtet, erlebte der Autor die Diktaturen der Rechtsextremen und der Linksextremen als ein und dieselbe bedrohliche Angelegenheit, wobei der Vernichtungswille der Nazis über allem residierte.
Seine Biographie, die sich bis jetzt 1,2 Mio Mal verkauft hat, wurde 2008 auch als Film gedreht, allerdings nur bis zu seinem 38. Lebensjahr und mit dem Kunstgriff, dass Reich-Ranicki sein Leben in einem Verhör durch den polnischen Geheimdienst erzählt. Er war zwar in Verhören, nie hat er dort jedoch so ausführlich und prosaisch über sein Leben berichtet. Das ist aber auch völlig sekundär, der Film war gut und ansprechend, das Buch ist es auch.
Marcel Reich-Ranicki wurde 1920 im polnischen Wloclawek geboren, sein Ursprungsname ist nur Reich. Den Namen Ranicki musste er später nach dem Krieg in London als Diplomat in polnischen Diensten dazunehmen, um wie in seinem ganzen Leben, seine Identität, dieses Mal als Deutscher, zu verschleiern. Mit dieser als Kainsmal empfundenen Herkunft als Jude hängt auch ein Leidensweg zusammen, der in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts begann und sich erst in der Nachkriegszeit auflöste. Als 9-Jähriger kam er nach Berlin, der Hauptstadt des "Landes der Kultur", wie seine Lehrerin in Polen sagte, und musste dort als ein tolerierter Außenseiter im Schulbetrieb leben. Dennoch, trotz all der deutlicher werdenden Bedrohung konnte er 1938 noch sein Abitur machen, bevor er in Abschiebehaft genommen und schließlich nach Warschau deportiert wurde. Hier lebte er bis 1943, zunächst noch frei, dann ab September 1939 auf der Flucht vor den Nazitruppen und schließlich interniert im Warschauer Ghetto. Wie durch eine Fügung musste er später nicht wie seine Eltern auf die Todeseite bei der Separation durch SS-Offiziere treten, sondern musste und konnte von der Lebensseite aus beobachten, wie seine Eltern vor der Reitpeitsche fliehend in ihre Todesbestimmung laufen mussten. Sie wurden in Treblinka vergast. Dieser so ganz krass entwürdigende und entmenschlichte Abschied hat er sein Leben lang nicht vergessen.
Im Ghetto arbeitete er als Übersetzer im Ältestenrat/Judenrat, den die Nazis zur Selbstverwaltung einrichteten. Er erlebte alles aus unmittelbarer Nähe mit bis zum Abtransport Zehntausender, Hunderttausender von Menschen, dem Selbstmord von Adam Czerniaków, der als eingesetzter Vorsitzender der Warschauer jüdischen Gemeinde (zu diesem Zeitpunkt der zweitgrößten auf der Welt nach New York) die Auflösung des Warschauer Ghettos durch die SS unterschreiben musste. Marcel R.-R. konnte sich beim Sammeln für den Abtransport in einer gewagten Flucht mit seiner heutigen Frau Tosia retten. Erst im Juli 1944 erhoben sich Zehntausende Polen zum letzten Widerstand gegen die Deutschen, 160.000 gingen unter, ohne dass die Russen eingriffen. Versteckt bei einem polnischen Schriftsetzer überlebten die Reich-Ranickis, er hatte Tosia als 20-Jähriger bereits im Ghetto zur Vermeidung eines Abtransportes spontan geheiratet. Ende 1944 trat er beim polnischen Geheimdienst als Hauptmann ein und war später für Polens Nachrichtendienst in London, wo er auch Vize-Konsul wurde. Nach seinem Rückruf nach einigen Jahren kam die Absetzung durch die Kommunisten, Gefängnis, Ausgeschlossener ein zweites Mal, so aus dem Schriftstellerverband und zeitweise von Arbeit. Erst ein Jahr vor seiner Flucht aus Polen wurde es besser und endgültig danach. Er blieb 1958 einfach in Deutschland, kehrte nicht zurück und baute sich hier mit Frau und Kind ein neues Leben auf, ein sehr gutes.
All diese ganzen Strapazen, den Dauerstress in den Diktaturen, den Überlebenskampf im Ghetto, das Stigmatisiertsein als Jude verarbeitete er mit einer ungeheuren Liebe und einem starken Interesse an deutscher Literatur und Kultur, obwohl er jahrelang das Gegenteil, den Ausnahmezustand erleben musste. Aber all die fiktive Realität ermöglichte ihm, über den Dingen zu stehen, und so ist seine Biografie gleichzeitig ein Dokument der Literatur- und Geistesgeschichte.
Wir lernen das Berlin der 30er-Jahre kennen mit Gustav Gründgens, dem Spielverbot im Theater und dem Erfindungsreichtum der Theatermacher, dennoch Kritik zu üben. Die Wichtigkeit von Kästner in dieser Zeit und anderer Literatur für Marcel R.-R, Franz Werfel zum Beispiel, die Versuche Kulturleben im Warschauer Ghetto durch ein Orchester und Konzerte aufrecht zu erhalten, die bizarr-nekrophile Verwendung der Wagnerschen Musik im Zusammenhang mit Todesurteilen und -vollstreckungen bei den Nazis. Wie lebenserhaltend es sein kann, durch Erzählungen über Literatur andere zu unterhalten, so Bolek, der die Reichs versteckte. Und schließlich die ganze Nachkriegsliteraturgeschichte von Brecht, Seghers, Heinrich Böll, Günter Grass über die Gruppe 47, Hans Werner Richter und seine schulisch-autoritäre Führung, bis hin zu Walter Jens, Elias Canetti, Theodor W. Adorno, Thomas Bernhard, Max Frisch und Martin Walser.
Marcel Reich-Ranicki, Professor, Dr. h. c. mult., geboren 1920 in Wloclawek an der Weichsel, ist in Berlin aufgewachsen. Er war von 1960 bis 1973 ständiger Literaturkritiker der Wochenzeitung ›Die Zeit‹ und leitete von 1973 bis 1988 in der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ die Redaktion für Literatur und literarisches Leben. 1968/69 lehrte er an amerikanischen Universitäten, 1971 bis 1975 war er Gastprofessor für Neue Deutsche Literatur an den Universitäten Stockholm und Uppsala, seit 1974 Honorarprofessor in Tübingen, 1991/92 Heinrich Heine-Gastprofessur an der Universität Düsseldorf. Von 1988 bis 2001 leitete er das ›Literarische Quartett‹. Ehrendoktor der Universitäten in Uppsala, Augsburg, Bamberg, Düsseldorf, Utrecht und München. Goethepreis des Jahres 2002
Samuel Kassow Ringelblums Vermächtnis: Das geheime Archiv des Warschauer Ghettos Hamburg 2010, 752 Seiten, Hardcover, 39,95 €, Rowohlt
Samuel Kassow dokumentiert darin erstmalig das Archiv des Warschauer Ghettos, das der Historiker Emanuel Ringelblum aufgebaut hat. Marcel Reich-Ranicki kannte Ringelblum, hatte ihn kurz kennen gelernt und wusste um die Verstecke der Aufzeichnungen.
Kassow stellt ausführlich den Hintergrund des Ghettoarchivs dar, beschreibt die Lebensgeschichte Ringelblums und die verschiedenen jüdischen politischen Gruppierungen. Die Darstellung der Arbeit im Untergrundarchiv ist eng verquickt mit der Ghettogeschichte und ermöglicht einen denkbar breiten Einblick in das Schicksal der Verfolgten in ganz Polen.
Jürgen von der Lippe Monika Cleves Verkehrte Welt Inszenierte Lesung mit Musik Frankfurt 2010, Audio-CD, ca. 73 Min., Eichborn
Unter diesem Titel sind sowohl ein Buch als auch ein Hörbuch zu haben. Jürgen von der Lippe stellt alles auf den Kopf, Erwartungen werden in seinen Kurzgeschichten bzw. Sketchen nicht erfüllt, es geht durcheinander. Widersinnig, absurd und spöttisch verläuft und endet das Meiste in einer grotesken Nonsenseaussage, die doch noch eine Botschaft im Hintergrund bereithält. Der Bankräuber ist der nette Herr Beck aus dem Vhs-Kurs "Dachgeschossausbau - gewusst wie", der Bankangestellte zeigt freundlich hinterm Tresen den leeren Tresor und erzählt, dass die Kunden oder gar Bankräuber zurzeit ja vorsichtig sein sollten, dass sie alles Persönliche in der Bank lassen müssten, was nicht niet-. und nagelfest sei. Die Friedenspfeife wird abgelehnt, weil einer das Rauchen aufgibt, er landet am Marterpfahl und muss seine Exfrau erkennen, die da plötzlich vor ihm steht. Der Pfarrer im öffentlichen Verkehrsmittel möchte einen Kuss von einer Frau erhaschen, nimmt dann Abstand und wird am Ende gezwungen, es zu tun.... Alle erwarten es von ihm ... schon aus Nächstenliebe... So kann sich der von-der-Lippe-Fan von Nonsense zu verkehrte Welt und zurück hangeln, in dieser inszenierten Lesung vom Autor sowie unter reger Beteiligung von Carolin Kebekus und Jochen Malmsheimer, natürlich mit ansprechender Musik.
Vor einiger Zeit habe ich schon auf Werner Buchers Verlag in den Schweizer Alpen hingewiesen. Nun möchte ich ihn in der Reihe der Unabhängigen Verlage genauer betrachten, denn seine Impulse sind mehr als stark. Der geneigte Leser findet jede Menge moderne Lyrik, moderne Weltsicht und unermüdliche Förderung der jungen Schweizer Literatur. So ruft es mal schräg, mal tiefgründig, mal schrill, mal hochpoetisch, aber immer ansprechend aus dem wohl höchstgelegenen literarischen Verlag in Oberegg wie vom Muezzin auf dem Minarett zum täglichen Umgang mit Literatur ... So in seiner Poesie-Agenda, einem Taschenkalender, der einem die Wartezeit am Bahnhof oder im Wartezimmer mehr als versüßt. In der Ausgabe 2010 eine große Zahl an interessanten Gedichten, lyrischen Fetzen, Haikus und Bildern, die mit Sicherheit in der neuen Ausgabe 2011 auch zu erwarten sind. Eine Besprechung folgt, ebenso seiner Jazz-CD und der aktuellen orte-Ausgabe 164.
NEUERSCHEINUNGEN IM SOMMER / HERBST 2010
MORD IN WALD AR
Jon Durschei
orte-Krimi
226 Seiten, broschiert
CHF 26.00 / EUR 15,00
ISBN 978-3-85830-157-4
Endlich — der achte Krimi von Jon Durschei! Und wieder gerät Pater Ambrosius in eine Geschichte, bei der es einen Mord aufzuklären gibt, diesmal im Appenzellerland ...
HOL DEN MOND AUF DEINEN TELLER
Esther Thormann
Gedichte, fund-orte 34
Herausgegeben von Werner Bucher und Virgilio Masciadri
86 Seiten, limitierte und numerierte Auflage, von der Autorin signiert
CHF 28.00 / EUR 19,00
ISBN 978-3-85830-158-1
Die Bernerin Esther Thormann ist längst ein Geheimtip der Schweizer Lyrikszene — ein Band, der zu ihrer Entdeckung einlädt.
POESIE-AGENDA 2011
Herausgegeben von Werner Bucher, Virgilio Masciadri und Jolanda Fäh
Mit Kalendarium, Eintragungen, Adressverzeichnis und vielen Gedichten.
256 Seiten, broschiert
CHF 16.00 / EUR 10,00
ISBN 978-3-85830-153-6
Erscheint Ende September 2010
„Nirgends sonst gibt es Lyrik und Humor in einer so anregenden Verbindung. ‚Poesie-Agenda’ ist das Gegenteil von Langeweile.“ (Andreas Noga auf „lyrikzeitung.de“)
SPAZIEREN MIT DEM GELBGRÜNEN PUMA
Werner Bucher / Malcolm Green
Lyrik & Jazz, Audio-CD, 70 Min.
CHF 28.00 / EUR 19,00
ISBN 978-3-85830-159-8
Der Poet Werner Bucher und der St. Galler Jazzer Malcolm Green haben sich zu einer Session zusammengetan — eine CD mit Sounds und Gedichten im Originalton.
In Vorbereitung auf den Herbst:
KEIN FALL IN DISENTIS?
Duri Rungger
orte-Krimi
220 Seiten, broschiert
CHF 26.00 / EUR 15,00
ISBN 978-3-85830-161-1
Disentis im Jahr 1955: eine Gemeinde gerät in Unruhe, als einer ihrer Bewohner erschlagen wird — ein subtiler Dorf-Krimi.
DAS LIED VOM KNARRENDEN PARKETT
Virgilio Masciadri
Gedichte, fund-orte 35
Herausgegeben von Werner Bucher
74 Seiten, limitierte und numerierte Auflage, vom Autor signiert
CHF 28.00 / EUR 19,00
ISBN 978-3-85830-152-9
Die neuen Gedichte von Virgilio Masciadri: nachdenklich und beschwingt, transparent und eng verwoben zugleich.
Und fünfmal jährlich neu:
orte — Schweizer Literaturzeitschrift
Seit 1974 die farbigste Literatur- und Lyrikzeitschrift der Schweiz!
Die Themen 2010:
orte 162 – Georges Haldas, Poète (erschienen)
orte 163 – Neue Texte von Frauen (erschienen)
orte 164 – Die Geschichte hinter dem Gedicht (erscheint 2. Hälfte August 2010)
orte 165 – Appenzeller Autorinnen und Autoren (erscheint im Herbst 2010)
orte 166 – Erika Burkart (erscheint im Winter 2010)
Jedes Heft ca. 68 Seiten, Einzelheft CHF 14.00/EUR 8,00; Jahresabo Schweiz CHF 60.00; Ausland Europa CHF 72.00/EUR 41,00; ISSN 1016-7803
Werner Bucher bei viereggtext
_______________________________________
Arthur Schopenhauer, geboren am 22. Februar 1788 in Danzig, studierte Philosophie in Göttingen und Berlin. 1833 zog er nach Frankfurt am Main und war dort als Privatgelehrter tätig. Neben seinem Hauptwerk "Die Welt als Wille und Vorstellung" waren es vor allem die "Parerga und Paralipomena" (1851), unter anderem mit den "Aphorismen zur Lebensweisheit", die ihn berühmt machten. Arthur Schopenhauer starb am 21. September 1860 in Frankfurt am Main an einer Lungenentzündung. Er zählt zu den populärsten Philosophen des 19. Jahrhunderts.
Arthur Schopenhauer, der "glückliche Pessimist" oder "pessimistische Optimist", der "Alleshinterfrager" hat im 19. Jahrhundert sehr viel an Denkarbeit zu allen Facetten des Lebens geleistet. Vom Grund des Daseins über das Sosein des Menschen ("die Fabrikware der Natur"), seine Beziehung zum jeweils anderen Geschlecht, die Rolle des Weibes im Leben des Mannes, Wesenseigenheiten der Frauen, die Bedeutung der Wollust und Lust, dem Zeugungsakt, bis hin zu Fragen des Lebens, der täglichen Existenz, des psychischen und metaphysischen Selfmanagements sowie zu Krankheit und Tod. Wie er selbst äußerte, macht den Philosophen aus, "keine Frage auf dem Herzen zu behalten". Und schon früh in seinem Leben ist klar, von welcher Warte aus er die Welt sieht: "Das Leben ist eine missliche Sache: Ich habe mir vorgesetzt, es damit hinzubringen, über dasselbe nachzudenken." Er wird häufig in einem Atemzug mit Friedrich Nietzsche und Sören Kierkegaard genannt, die die pessimistisch-nihilistische Weltsicht gemeinsam haben. Seine Erlebnisse 1804 in Marseille, wo er mit ansehen musste, wie Sklaven behandelt und leben mussten, taten ihr Übriges, die Welt sehr skeptisch und vor allem realistisch zu betrachten.
Robert Zimmer Arthur Schopenhauer Ein philosophischer Weltbürger München 2010 (Originalausgabe), 299 Seiten, Paperback, 14,90 €, dtv
In der Biografie von Robert Zimmer finden wir einerseits Schopenhauer wieder, so wie wir ihn kennen, als junges Genie der Philosophiegeschichte und als alten verschrobenen Denker, der der Welt seine Missachtung ausdrückte und dadurch berühmt wurde. Und wir entdecken jene Phase in Schopenhauers Leben zwischen dem 30. und 45. Lebensjahr, die nach unvollendet und Misserfolg aussieht. In Zimmers kompetentem Überblick lernen wir Schopenhauer als Mensch und Denker in seiner Zeit kennen, mit ihren Einflüssen und Kontakten. So zu Goethe, Friedrich Arnold Brockhaus, Jean Paul und Schleiermacher, seinem Kontrahenten Hegel (der ihm die Show an der Berliner Universität stahl, was Schopenhauer leere Vorlesungsräume bescherte und zur Abkehr vom Unileben brachte), Friedrich Hebbel und Richard Wagner. Auch als Mensch lernen wir ihn kennen, mit seinem Interesse für Literatur, Naturwissenschaft, Psychologie, Anthropologie, östliche Weisheit, seiner Einstufung des "Weibes" als "das zweite", "das unästhetische" Geschlecht ("Weder für Musik, noch Poesie, noch bildende Künste haben sie wirklich und wahrhaftig Sinn und Empfänglichkeit; sondern bloße Aefferei, zum Behuf ihrer Gefallsucht, ist es, wenn sie solche affektiren und vorgeben.") und natürlich last not least Philosophie. Schopenhauer hat die Literatur und Kunst mitgestaltet, ihm gebührt ein wichtiger Platz in unserem Andenken, auch wenn er keine Möglichkeit sah, dass Mann und Frau sich außerhalb des Sexuallebens verstehen könnten. Er hat Darwin vorweggenommen, die Geistesgeschichte nach ihm maßgebend geprägt. So unterschiedliche Persönlichkeiten wie Richard Wagner, Samuel Beckett, Thomas Bernhard, Tucholsky und Wilhelm Busch bewunderten ihn. Die klassische Psychoanalyse von Freud, Jung und Adler griff seine Erkenntnisse auf.