Die Onliner-Runde (von links): "Spiegel Online"- Geschäftsführerin Katharina Borchert, "stern"- Vizechefredakteurin Anita Zielina und Zeit- Online-Chefredakteur Jochen Wegner |
(kress, Jens Twiehaus) Sie redeten über böse Werbung, nervige Verliebtheit in US-Trends und die Notwendigkeit eigener Experimente – und präsentierten sich selbst erschreckend mutlos. Drei Chefs großer Online-Medien diskutierten am Mittwoch bei der Media Convention in Berlin über das große Ganze und das riesengroße Nichts. "Wir müssten mal" war dabei die Lieblingsvokabel von Anita Zielina ("stern.de"), Katharina Borchert ("Spiegel Online") und Jochen Wegner ("Zeit Online"). Sie offenbarten das große Problem des deutschen Online-Journalismus.
Wir müssten mal ... offen über Werbung reden
Native Advertising, also redaktionell aussehende Werbung, ist in aller Munde. Jüngst klagte der "Spiegel" über die umstrittene Werbeform, bis aufflog, dass auf "Spiegel Online" selbst Werbung für Lotto gemacht wurde, die aussah wie ein Artikel. Geschäftsführerin Borchert musste sich in der Diskussionsrunde noch einmal entschuldigen für die Verfehlung. Diese Werbung sei online gegangen, ohne dass jemand in der Redaktion etwas davon wusste, sagte sie. Der sonst übliche Prozess der Kontrolle habe nicht stattgefunden.
Native Advertising ist schlecht, da waren sich alle einig. Dass dennoch aus den eigenen Anzeigenabteilungen der Druck komme, bis an die Schmerzgrenze zu gehen, ist ebenso die Wahrheit. "Zeit Online"-Chefredakteur Wegner sprach nur kryptisch von komischen Vermarktungsdeals, die es in den Medienhäusern gebe, über die aber nicht offen gesprochen werde. Zugleich vermieden alle drei Diskutanten selbst offen darüber zu sprechen. Welche Werbeideen mussten sie schon abwehren? Welcher Werber agiert besonders dreist? Die Online-Runde schwieg und blieb im Ungefähren.
Nur so viel von Wegner: Dass der Getränkekonzern Red Bull selbst Medien herstelle, sei ja in Ordnung. "Was ich schwierig fände, wäre, wenn Red Bull uns Geld geben würde und sagt: Macht mal was zu Limonade", sagte der "Zeit Online"-Chef und räumte ein: Solche Anfragen von Werbetreibenden kämen natürlich.
Wir müssten mal ... eigene Ideen haben
Alle Medienideen kommen aus Amerika – das nervte vor allem Katharina Borchert: "Ich frage mich manchmal wo die Ideen sind und dass wir immer sehr viel in die USA gucken." Auch hier blieb es leider bei der Frage. Wie es beim "Spiegel" läuft, ob dort genug Raum zum Herumspinnen abseits der alltäglichen Verpflichtungen bleibt, ließ Borchert offen. "Wir haben nicht gelernt wirklich zu experimentieren", meinte sie. "Die meisten von uns sitzen immer noch zu lange im stillen Kämmerlein." Selbstkritik ja, Verbesserungsvorschläge Fehlanzeige.
Wir müssten mal ... etwas wagen
Das Gute liegt vielleicht so nah – in der guten alten "Papierindustrie". Bei den Zeitschriften machten die Verlage gerade den Onlineredaktionen vor, wie es richtig geht, waren sich Wegner und Zielina einig. Idee haben, auf den Markt werfen, bei Misserfolg einstampfen. "Ich glaube wir als digitale Medien können von den Printprodukten da viel lernen", sagte die "stern"-Vizechefredakteurin.
Online versuchten Journalisten meist, etwas einst Analoges in etwas Digitales hineinzupressen, anstatt mal ganz von vorne anzufangen. "Warum nicht fünfmal im Jahr etwas neues Digitales starten und dann auch wieder einstellen, wenn es nicht funktioniert?" Ja, warum eigentlich nicht?
Am Ende lieferte Wegner beinahe selbst die Antwort, warum gar nichts entsteht auf dem deutschen Online-Experimentierfeld: Es geht den großen Medienhäusern doch noch zu gut. "Wären wir stärker unter Druck, würden wir stärker agieren." Den Visionären fehlen die Visionen.