Foto: Barbara Niggl Radloff
hat den Heine-Preis 2022 der Landeshauptstadt Düsseldorf erhalten. Der Heine-Preis ist ein wichtiger Literatur- und Persönlichkeitspreis in Deutschland und wird mit 50.000 Euro dotiert. Perönlichkeiten, die den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten, sind Adressaten der Auszeichnung. Der Preis wird im Dezember, an einem noch zu veröffentlichenden Termin überreicht. Am 13.12. ist Heinrich Heines 225. Geburtstag.
Die Jury begründete ihr Votum wie folgt: "Den Heine-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf 2022 erhält Jurij Andruchowytsch. Andruchowytsch, einer der führenden ukrainischen Romanciers, Lyriker und Essayisten unserer Zeit, schreibt über die Lage des Individuums in der mitteleuropäischen Geschichte und Gegenwart. Dabei übt er scharfe Kritik an Übergriffen von Geheimdiensten, Militär und Justiz. Der Sinn für Ironie und das Groteske kennzeichnen sein Werk in bester Heinescher Tradition. Dabei spielt er mit literarischen Formen und überschreitet die Grenzen zwischen Realität und Fantasie. Jurij Andruchowytsch setzt sich leidenschaftlich für den europäischen Gedanken ein und vertritt die Identität der Ukraine als Kulturnation. Er erinnert Europa daran, dass Freiheit und Menschenrechte in der Ukraine in vorderster Linie verteidigt werden."
Jurij Andruchowytsch wurde am 13. März 1960 in Stanyslawiw (Stanislau; seit 1962 umbenannt in Iwano-Frankiwsk) in der Westukraine geboren. Das Journalismus-Studium am Lemberger Polygraphischen Institut schloss er 1982 ab und leistete von 1983 bis 1984 seinen Wehrdienst. Von 1989 bis 1991 besuchte er Literaturkurse am Maxim-Gorki-Institut in Moskau und legte 1994 seine Dissertation über den ukrainischen Nationaldichter Bohdan-Ihor Antonytsch vor.
Jurij Andruchowytsch ist einer der wichtigsten Schriftsteller und Intellektuellen der unabhängigen Ukraine seit 1991. Mit Wiktor Neborak und Oleksander Irwanez gründete er in Lemberg (Lwiw) die literarische Performance-Gruppe "Bu-Ba-Bu", die für Burleske, Balagan (Rummel) und Buffonade (Possenreißer) stand und bis 1992 das sozialistische Regime mit satirischen, lautpoetischen und karnevalesken Gedicht-Experimenten kritisierte.
Sein 2003 auf Deutsch erschienener Band "Das letzte Territorium" beschreibt mit kritisch-ironischem Blick die postsowjetische Realität der Ukraine und nimmt unter anderem die repressive Medienpolitik der Regierung, den Exodus der Bevölkerung in den Westen und die ambivalente Existenz von Künstlern unter die Lupe. Jurij Andruchowytsch ist ein entschiedener Befürworter einer Anbindung der Ukraine an Europa und kritisierte vehement den Anti-Europakurs des früheren Präsidenten und Gefolgsmanns des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Wiktor Janukowytsch. Unter dem Eindruck der Annexion der Krim durch Russland im März 2014 und des blutigen Bürgerkriegs zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten im Donbas gab Jurij Andruchowytsch 2014 den Sammelband "Euromaidan. Was in der Ukraine auf dem Spiel steht" heraus, in dem ukrainische Intellektuelle die Geschehnisse diskutieren.
Jurij Andruchowytsch übersetzte Gedichte von Rainer Maria Rilke, Prosa von Robert Walser und Boris L. Pasternak oder Shakespeares "Hamlet" und "Romeo und Julia" ins Ukrainische. Eine enge Verbindung zu Deutschland entstand im Rahmen mehrerer Studienaufenthalte, unter anderem 1992 und 2001 im Künstlerhaus Alberta bei München sowie 2005 beim Künstlerprogramm des DAAD in Berlin. 2014 übernahm er die Siegfried-Unseld-Professur für Slawistik und mitteleuropäische Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2006 ist er zudem Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Es ist nicht der erste Preis, der den exzellenten Autor erreicht: 2001 wurde der Herder-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung verliehen, 2005 erhielt er den Sonderpreis des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises der Stadt Osnabrück und 2006 wurde er mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet. Im gleichen Jahr folgte der Mitteleuropäische Literaturpreis Angelus der polnischen Stadt Wroclaw. 2014 erhielt Jurij Andruchowytsch den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken und im Jahr 2016 die Goethe-Medaille des Goethe-Instituts.
Bedeutende Werke, die ins Deutsche übersetzt wurden:
"Moskowiada" (1993; deutsch 2006, "Moscoviada")
"Desorijentazija na miszewosti" (1999; deutsch 2003, "Das letzte Territorium")
"Rekreaziji" (1992; deutsch 2019, "Karpatenkarneval")
"Dvanadcat' obrutschiw" (2003; deutsch 2005, "Zwölf Ringe").