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Sonntag, 24. Januar 2016

Heute heiß ersehnt und meistens ausverkauft: PENTHESILEA - HEINRICH VON KLEIST im Schauspiel Frankfurt



Felix Rech, Constanze Becker                                  (c) Birgit Hupfeld


PENTHESILEA
HEINRICH VON KLEIST



DU FÜRCHTEST MICH DOCH NICHT?


»Wir vernichten, was wir lieben«, so brachte die Schriftstellerin Christa Wolf das Thema von Kleists »Penthesilea« auf den Punkt. Es ist eine kriegerische, auf Gewalt beruhende Welt, in der die Amazonenkönigin und der griechische Heerführer Achill wie zwei Gestirne aufeinanderprallen und an ihrer fatal entgrenzten Liebe zueinander schier verglühen. Auf dem Schlachtfeld müssen die Amazonen ihre Männer finden und besiegen, so will es das Gesetz. Kriegsheld Achill hat noch nie ein Gefecht verloren. Er fordert Penthesilea zum Zweikampf, in den er jedoch unbewaffnet zieht, um sich ihr als Unterlegener preiszugeben. Dies Liebesgeständnis verkennend tötet ihn die Amazone blind vor Leidenschaft in mörderischer Ekstase. Michael Thalheimer inszeniert Kleists sprachliches Meisterwerk in einer auf drei Personen konzentrierten Fassung.

Seit der Eröffnung der Intendanz von Oliver Reese 2009 mit dem Doppelprojekt »Ödipus/Antigone« inszeniert Michael Thalheimer kontinuierlich am Schauspiel Frankfurt. Zu seinen Inszenierungen zählen u.a. »Maria Stuart« von Friedrich Schiller und Euripides’ »Medea«, die 2013 zum Theatertreffen in Berlin eingeladen wurde. Michael Thalheimer gehört zu den herausragenden zeitgenössischen Theatermachern Deutschlands. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen.

Sonntag, 3. Januar 2016

Wie war's bei DER ZERBROCHENE KRUG von Kleist im Schauspiel Frankfurt?

Max Mayer, Martin Rentzsch, Constanze
 Becker, Nico Holonics, 
Carina Zichner
Foto: Birgit Hupfeld





Ach die Moral, die Bestechlichkeit und der Autoritätsglaube ... Heinrich von Kleist, geboren am 18.10.1777 in Frankfurt an der Oder, hat zwischen 1803 und 1806 im Zuge eines poetischen Wettkampfs zwischen den Schriftstellern Ludwig Wieland, Heinrich Zschokke und ihm selbst eine gesalzene Komödie geschrieben, die zu den bekanntesten Dramen der deutschen Literatur gehört. DER ZERBROCHENE KRUG zeigt einen Richter im Fegefeuer der eigenen Seelennöte, weil er eine Tat richten soll, die er selbst begangen hat. Er zappelt wie ein Fisch an der Angel, ist eigentlich fast in den Regionen des Fegefeuers zu Hause - so verwerflich ist dieser Kerl - und kommt nur durch seine Position, seine Autorität recht weit, bis die Schlinge sich doch zuzieht.

Dass dabei die Justiz sehr schlecht wegkommt macht auch die Radikalität des Gesellschaftskritikers und Reformators Kleist aus, der rastlos und zeitweise von Wahnsinnsattacken getrieben durch die Lande reiste, die preußische Reform weitertreiben wollte. Nach einer stabilen Phase 1792-1799 mit sieben Jahren Soldatendasein studierte er drei Semester u.a. Mathematik und Physik, reiste nach Paris und in die Schweiz, begann 1802 die Arbeiten am ZERBROCHENEN KRUG, wollte 1803 Napoleon gegen England als Soldat unterstützen, arbeitete statttdessen ab 1804 bis 1806 im preußischen Finanzdepartment Königsberg und geriet auf dem Rückweg nach Berlin im Januar 1807 in französische Gefangenschaft. Er landete im Kriegsgefangenenlager Châlons-sur-Marn und wurde im Herbst 1807 wieder entlassen. Dort entstand AMPHYTRION und PENTHESILEA. 1808 schrieb er seine HERMANNSSCHLACHT unter dem Eindruck des Widerstands Spaniens gegen Napoleon. 1809 wollte er eine patriotisch-nationalistische Zeitschrift GERMANIA starten, die sich wegen Kapitulation Österreichs erledigte. Kleist wollte von seinen Dramen leben und bekam finanzielle Probleme, sein Anteil am väterlichen Vermögen war nach 1801 schnell verbraucht, das Einkommen brüchig. 1810 gründete er die BERLINER ABENDBLÄTTER, mit aktuellen Polizeiberichten als Kaufanreiz für die Masse. Das Projekt fiel der Zensur zum Opfer. Auch seine Erzählungen aus dieser Zeit konnten ihn nicht mehr ernähren, sein Drama PRINZ VON HOMBURG wurde bis 1814 verboten. Ohne je eine wirkliche Heimat zu finden, bis auf die im Freitod 1811 am Stolper Loch/Kleiner Wannsee im Südosten von Berlin, wo Kleist seine krebskranke Freundin Henriette Vogel und sich selbst erschoss, wirkt sein Leben hektisch, sprunghaft, sogar paradox - aber auch sehr schöpferisch.

Verblüffenderweise war die erste Fassung des ZERBROCHENEN KRUGS, die 1808 in Weimar unter der Regie unseres werten Goethes uraufgeführt wurde, ein Flop. Die Zuschauer und Presse moserten über das Stück, bezeichneten es als langweilig und lehnten es als abgeschmackt ab. Wahrscheinlich war es auch die Degoutanz seiner Beschreibung, die den Richter Adam auf dem Fluchtweg seiner nächtlichen Tat zum Hosenscheißer karikiert. Nichtsdestotrotz ist Kleists Sprache und Handlungskonstruktion trotz ihrer Verstaubtheit so bissig und witzig, dass sie heute noch einen Abend ohne Langeweile erlaubt. Sein Spott auf Religion und Justiz sucht seinesgleichen.

Oliver Reese am Frankfurter Schauspiel hat ursprünglich zwei Stücke zusammengestellt, die die brüchige Realität der gerichtlichen Wahrheitsfindung in autoritären Zeiten zum Thema hat. Einmal Kleist und einmal Ferdinand von Schirachs TERROR. Am Silvesterabend 2015 konnte man DER ZERBROCHENE KRUG alleine sehen. Das Geschehen in die 60er-Jahre geholt, modernisierte Szenerie, der Inhalt zeitlos und spielbar, solange es Gerichtsverhandlungen gibt und Fehltritte von Richtern möglich sind. Das Stück spielt im Original 1685 im nichtexistenten holländischen Huisum in der Provinz Utrecht. Es setzt die Shakespearsche Tradition des analytischen Dramas im ÖDIPUS fort, Richter Adams Klumpfuß ist hier ein deutliches äußeres Zeichen, denn auch Ödipus hatte einen.

Richter Adam (Max Mayer blutig und hyperaktiv vertuschend auf der moralischen Flucht) ist 
recht ramponiert, ohne Hosen, verkratzt, enorme Verletzungen im Gesicht und auf dem Kopf, so taucht er im Gericht auf. Der Schreiber Licht (Nico Holonics hinterlistig ermittelnd), der auch immer Licht ins Dunkle bringt, ahnt Schlimmes und fragt gleich peinlich nach, was denn das zu bedeuten hätte. Er vermutet Übles. Und so ist es auch. "Ein jeder trägt den Stein des Anstoßes in sich", äußert der Richter und behauptet, er sei wegen eines Alptraumes aus dem Bett gestürzt.
Bettina Hoppe, Carina Zichner, Max Mayer,
Martin Rentzsch

Foto: Birgit Hupfeld

Mir träumt’, es hätt’ ein Kläger mich ergriffen, 
Und schleppte vor den Richtstuhl mich; und ich,
Ich säße gleichwohl auf dem Richtstuhl dort,
Und schält’ und hunzt’ und schlingelte mich herunter,
Und judicirt den Hals ins Eisen mir.


Aber es war etwas ganz anderes vorgefallen. Es braucht einen überraschenden Besuch des Gerichtsrats Walter (Martin Rentzsch erst streng, dann vertuschend um bürgerliche Contenance ringend), der so streng prüft, dass der letztgeprüfte Richter Pfaul sich wegen aufgedeckter Veruntreuung aufhängen wollte, aber gerade noch gerettet wurde, eine aufgebrachte Frau Marthe Rull (Bettina Hoppe als wuterfüllte dauerwellengelockte Amazone der 60ies) mit einem zerbrochenen Krug, das Töchterchen Eve (fassungslose, aber gerechtigkeitsliebende Carina Zichner mit strahlendem Augenblau), das alles ausgelöst, ohne dass sie es wollte, ein scheinbar schuldiger Bauernjunge Ruprecht (geschickt um den heißen Brei herum, bis er fast auspackt: Lukas Rüppel), der aus dem Zimmer Eves rannte, und ein Unbekannter (zunächst "Lebrecht", der Bösewicht und Sündenbock, dann der Teufel) sowie die Zeugin Brigitte (eine russisch gestylte Skandalnudel mit endlos langen Beinen im Stil der 60er Jahre, die den Würdenträger ordentlich auf die Matratze zwingt: Constanze Becker), die schwere Anklage erhebt.


Richter Adam muss einen Prozess eröffnen, weil der Gerichtsrat zusehen möchte, obwohl die Kläger dem Adam sehr bekannt sind und ihn offensichtlich schwer belasten können. Es beginnt ein Winden und Drehen, Aufbrausen und Abwiegeln, Lügen und Betrügen, Drohen mit Zorn und Nachteilen für immer. Und das alles ohne Perücke! Der Gerichtsrat muss des Öfteren einschreiten und um juristische Form bitten, treibt der Adam doch zu Abwegiges. Steht zu Beginn nur eine scheinbare Lappalie: "Seht ihr den Krug? – Oh ja, wir sehen ihn! – Nichts seht ihr, mit Verlaub. Die Scherben seht ihr. Der Krüge schönster ist entzweigeschlagen!", wird später ein schwerwiegendes Vergehen. Das Zertrümmern aller niederländischen Geschichte und Kultur (aufgemalt auf dem Krug) steht hier als ein Zeichen der Zerstörung, die der Richter betrieb. Denn es war der Dorfrichter Adam, der diesen Krug zerbrach, als er aus Eves Kammer floh, weil deren Verlobter Ruprecht hinter ihm her war. Und es war Ruprecht, der ihm mit einer Türklinke diese Wunden beibrachte, weil er Adam beim Koitus mit der Verlobten erwischte. Die Perücke wird nach der Tat von Frau Brigitte aus dem Spalier vor Eves Fenster gefischt ("Jedwedes Übel ist ein Zwilling", bemerkte Adam zum Verlust). Sie desavouiert den Richter als Hosenscheißer, der auf der Flucht in die Hosen macht und ein Denkmal unter einem Baum hinterlässt. Sie hörte zuvor auch Evchen laut rufen. "Was macht er, Niederträchtiger? Ich werde die Mutter rufen!" Auch die Spur ist so eindeutig, der Klumpfuß im Schnee, dass die Pranger sich schon freuen. Aber Brigitte sagt nicht, dass der Richter es war, sondern bezichtigt den Teufel, der mit Gestank an ihr vorbei!


Bettina Hoppe, Carina Zichner, Nico Holonics,
Max Mayer, Martin Rentzsch

Foto: Birgit Hupfeld
Was find ich euch für eine Spur im Schnee?
Rechts fein und scharf und nett gekantet immer,
Ein ordentlicher Menschenfuß,
Und links unförmig grobhin eingetölpelt
Ein ungeheurer klotz’ger Pferdefuß.


War die ganze Zeit erst der Lebrecht der Sündenbock, hier ganz klar korrupt beschlossene Sache zwischen den beiden Justizvertretern beim Gläschen Wein, wird's jetzt sehr eng. Weil alle vor dem Richter letztlich noch kuschen, ging das Spiel weiter. Nur der emporstrebende Gerichtsschreiber Licht verrät und belastet Adam direkt, indem er dessen stinkende Hose als Beweis vorführt und die Lügengeschichten über den Verlust der ehrwürdigen Perücke preisgibt. Richter Adam verurteilt Ruprecht autoritär schleunigst zu Gefängnis, um alles abzuschließen, ihn zum Schweigen zu bringen. Die Wahrheit ist so krass und unvertuschbar, dass bei Reese der Gerichtsrat dieses Mal die Verhandlung stoppt: "Geschlossen ist die Session!" 
Evchen sollte schon früher auf Drängen des Gerichtsrats aussagen, was sie zuerst noch ablehnte, jetzt aber, nachdem der Geliebte hinter Gitter soll, lässt sie die Bombe platzen. Nicht umsonst nimmt sie auf dem Richterstuhl Platz und Adam auf dem Angeklagtensitz. Eve erklärt, Adam habe sie mit einem gefälschten Dokument in die Irre geführt. Ruprecht hätte angeblich ohne Intervention des Richters seinen Kriegsdienst in Ostindien ableisten müssen, was den sicheren Tod bedeutet hätte. Adam bot sich an, Ruprecht davor zu bewahren, als er bei ihr auftauchte, und verschaffte sich so Zutritt zu ihrem Zimmer. Dort sei er zudringlich geworden.

Nachdem das lang Vermutete endlich ausgesprochen ist, lässt der Regisseur den Gerichtsrat Hals über Kopf abreisen, um nicht ein neues Urteil verlangen zu müssen, auch um die Korruptheit der Gerechtigkeit zu zeigen.

Erst als Marthe Rull sich beim Gerichtsrat nach dem Sitz der Regierung in Utrecht erkundigt, weil sie beabsichtigt, den Fall des zerbrochenen Kruges am Hof vorzutragen, ruft Walter aus der Ferne, dass Adam vom Dienst suspendiert sei, Licht eine rühmliche Zukunft vor sich haben werde und alle anderen den Ort nicht verlassen dürften. Kleine Freiheiten der Regie haben den Kleist am Ende deutlicher gemacht und schärfer. Eve und Ruprecht können sich wieder ihrer Liebe zuwenden.

Die Callgirl-Skandale der letzten Jahrzehnte dämmern an diesem Abend mit herauf, die gerissene und teils auch lächerliche Rolle des eigentlichen Schuldigen im Rotlicht zu zeigen. Eve freilich eine sittsame Bürgerstochter, die mit Rotlicht nichts am Hut hat. Dafür Brigitte, 
eine Durchtriebene, die Aufdeckerin des Skandals. Ihre Person verschiebt den Fokus auf die Doppelmoral des Würdenträgers. Kleist ergo modern und spannend, dennoch seine Sprache unberührt gelassen.

Montag, 2. November 2015

Wie war's bei KUNST von Yasmina Reza in Frankfurt?

Sascha Nathan (Yvan), Wolfgang Michael (Marc),
Martin Rentzsch (Serge)

(c) Birgit Hupfeld
Ja, Männerfreundschaften sind schon etwas Eigenes. Es gibt natürlich solche und solche. Von der Zweckgemeinschaft beim Sport entstanden über Versöhnungen und Freundschaften nach heftigsten Auseinandersetzungen bis zum homosexuellen Liebespaar. Eins ist allen gemeinsam, Männer kippeln sich immer gern, sie pieksen, provozieren, locken, verletzen und lauern, sind burschikos, rau, aber es können halt auch die besten Freunde sein, Vertrauen, Zusammenhalt, Bereicherung, Hilfe. Gibt es einen elementaren Unterschied zu Frauenfreundschaften bis auf den weniger zärtlichen Umgang? Nein, es dreht sich immer alles um die Pole positiv, negativ, Yin und Yang, männlich, weiblich. Noch die gesellschaftlichen Gepflogenheiten dazu und unseren archetypischen Basisdiskurs, und schon haben wir Muster, nach denen es ganz oft abläuft, bis auf die rühmlichen Ausnahmen.

Die drei Freunde Serge, Marc und Yvan aus Frankreich kennen sich und ihre Spleens in Yasmina Rezas "Komödie" aus den 90er-Jahren schon 15 Jahre. Man trifft sich, geht ins Kino oder essen, trinkt ein paar Gläser und plaudert. Aber da bewegt sich ja schon mehr unter der Oberfläche, es sind ja Individuen, Persönlichkeiten mit prägenden eigenen Erlebnissen und der immergleichen Angst, gar nicht ernst genommen zu werden. Es entwickelt sich zwangsläufig ein Gerangel um anerkannt, weniger anerkannt, dominant und weniger dominant, wissend und unwissend, intelligent und weniger intelligent, stärker und weniger stark, aufwerten und abwerten, paktieren und isolieren usw. Nach so langer Zeit geht man sich häufig auch auf die Nerven ...

Yasmina Reza führt in ihrem witzigen Theaterstück über einen geschickten Kunstgriff in die Tiefen der Freundschaft und spiegelt alle Beteiligten in der Kunst, ohne in langwierige Kunstdiskurse überzugehen. Vielmehr schuf sie Dialoge, wie man sie in ihrer doch aus anderen Streitigkeiten bekannten Verbohrtheit, Absurdität und Sinnlosigkeit nur belachen kann. Jeder der Beteiligten hat zu Hause ein dominantes Bild hängen. Marc, der intelligente betagte Nörgler, ein Ingenieur der Aeronautik, Tendenz zum unerbittlichen Bildungsbürger, eine Landschaft gesehen von der Touristenattraktion und vom Weltkulturerbe Festung Carcasonne. Yvan, der Verkäufer, jetzt durch Heirat von Catherine in das Papierwarengeschäft des Onkels aufgenommen und vom Textilienverkauf zu Papier wechselnd, ein psychisch aktiver und interessierter Psychotherapeutenbesucher und problematisierender als die anderen, schmückt sein Wohnzimmer mit einem Blumenbild in Öl von seinem Vater. Und Serge, der Mediziner und Dermatologe, der die Kunst liebt, ja, der bringt den Stein des Anstoßes ins Geschehen: Er kauft ein Bild von Antreos, einem unbekannten Maler, aus dem Jahr 1970, ganz in Weiß, lediglich Pinselstrukturen machen Unterschiede. Es steht offensichtlich in der Tradition der scheinbaren Aussagelosigkeit des abstrakten Expressionismus, und vor allem wird es zum Ausgangspunkt einer Dekonstruktion und Rekonstruktion der Freundschaften, weil es sage und schreibe 100.000 gekostet hat. Der Galerist Hendington, ein geschickter Verkäufer, würde es für 120.000 zurücknehmen, sollte Serge es wieder loswerden wollen.

Marc, der wohl am meisten entsetzt darüber ist, dass er nicht gefragt wurde, denn er sieht sich, wie es rauskommt, als Mentor und Lebensberater von Serge, im Grunde auch von Yvan, und Kontrolleur der Aktivitäten der anderen: "Man muss seine Freunde überwachen, sonst entgleisen sie einem", er sei derjenige, der die anderen forme müsse, beginnt das Werk zu zerpflücken, es als "Scheiße" zu bezeichnen, was eine Streitdynamik in Gang setzt, die sich erst am Ende überraschend wieder legt, weil Serge klein beigibt. Für Serge ist dieses Urteil, der Verriss des Gemäldes, von dem Marc sich in seiner Ruhe gestört sieht, ein Affront. Marc wird ihm zum pseudoliebenswürdigen "absterbenden" und "hämischen" Menschen, dessen Meinung ihm scheißegal ist. Er entwickelt einen Zorn auf Marc, der seinerseits sich in seinen Verriss steigert, und weiß, dass schon damals, als Serge das Wort "Dekonstruktion" in den Raum stellte, die Wahrheit klar war.

Yvan sieht das toleranter, nur der Preis bringt ihn zu Lachsalven. Er besucht Serge und möchte, 
Martin Rentzsch, Wolfgang Michael, Sascha Nathan
(c) Birgit Hupfeld
dass er selbst über seine Dummheit lacht, was auch die bessere Strategie ist, aber Serge liebt das Bild. Er gibt zwar zu, dass es verrückt sei, das Geld auszugeben, aber es sei so sinnfällig, magnetisch, horizontöffnend, beherberge eine spürbare Vibration. Marc demontiert weiter, der Künstler nichts wert, aber Serge tue, als ob der Künstler "eine Entität" sei. Die hätten doch gar nichts zu sagen.

Für Serge, der viel mehr hineininterpretieren kann als die anderen, ist es objektiv kein Weiß, vielleicht eine Blässe, es seien definitiv andere Farben zu sehen, ein deutliches Rot. Rot sind allerdings nur Marcs Socken, der trotzdem nichts sieht außer Weiß. Yvan gesteht seinem Freund den Spleen zu und möchte sich nicht in den Verriss einmischen. Nachdem er von der bevorstehenden Hochzeit, bei der die Freunde Trauzeugen sein sollen, und den Problemen mit seiner Mutter und seiner Schwiegermutter erzählt, die nicht gemeinsam auf der Einladung stehen wollen, wird seine Hütte auch angesteckt.

"Was du immer mit deinen Weibern hast!", stichelt Marc und beschimpft Yvan wegen seiner Zustimmung zum Bild als "servilen Speichellecker". Der entflieht dem Gespräch wutentbrannt, kehrt aber als geschulter Psychotherapiepatient zurück, um Marc zu helfen, statt ihn zu schlagen. Der hinterfragt auch diese Beziehung. Yvan empfiehlt allen seinen Psychiater Finkelson und weiter geht's.

Nun sind die Ehefrauen dran. Serge beleidigt Marcs Paula "jenseits des Runzligen" als negative Frau mit herablassendem Naturell. Beide zusammen ein "Fossilienpaar". Serge deklariert das Ende der Freundschaft, es kommt zu einer Schlägerei. Natürlich beleidigt Marc auch Yvans Catherine als "Rabenaas von Frau". Mit Serge will er das Absagen der Hochzeit. Durch einen Heulkrampf entspannt Yvan die Situation, bezichtigt sich als armen Menschen, der nicht mal die seelischen Verletzungen der anderen habe, er, ein Luftikus und Irrwisch aus dem Sumpf.

Und hier wird eine Reproduktion der klassischen Familienkonstellation klar, die drei haben sich auf Rollen geeinigt, Marc der Vater, Serge der Sohn und Yvan quasi die Mutter, das Weibliche, die durch ihre Schwäche den Ärger entmachtet. Yvan ist depressiv, weint auch über die Aussage, dass ihre Freundschaft eine "Versuchsperiode" gewesen sein soll. Wie Marc sagt, kann er nicht mit dem rationalen Diskurs, aber "nichts, was wichtig ist, ist aus einem rationalen Diskurs entstanden".


Serge entspannt mit einem Ruck die Lage, indem er Marc auffordert das Bild mit Sinn zu füllen, damit es bei den anderen ankäme. Und zwar in einer großzügigen Unterwerfung und Missachtung des Kaufpreises des Bildes: Mittels Filzschreiber soll er was reinzeichnen. Und Marc macht das mit Ernst. Ein Skifahrer bei der Abfahrt ... Das reicht für eine Versöhnung und ein Bier zusammen.

Und so endet das Stück wie es angefangen hat, nur mit neuem zweiten Teil der Aussage. Marc tritt als Kommentator, wie die anderen auch im Laufe des Stücks, nach vorne und spricht: 

"Mein Freund Serge hat sich ein Bild gekauft, 1,60 x 1,20 m, mit einem Mann, der auf Skiern einen Raum durchquert und dann verschwindet." Damit ist der Eklat vom Tisch, das Bild hat eine Aussage und wenn sie noch so nichtig ist.

Wolfgang Michael als kauzig-nörgelnder, machtbesessen-cholerischer Marc ist ein völliges Unikum, er trägt ganz viel von diesem Stück, Martin Rentzsch (Serge) überzeugt als etwas verrückter, in die Kunst verliebter Yuppie-Doktor und Sascha Nathan (Yvan), der auch den Biberkopf zurzeit spielt, hat starke Clownsqualitäten - zwischen Clownerie und Dick & Doof ist er die zweite wichtige Stütze in diesem sehenswerten Stück.

Video

Samstag, 26. September 2015

Schauspiel Frankfurt: DIE GESCHICHTE VOM FRANZ BIBERKOPF // Bühnenfassung nach ALFRED DÖBLIN

(c) Birgit Hupfeld
DIE GESCHICHTE VOM 
FRANZ BIBERKOPF
ALFRED DÖBLIN

MIT THE TIGER LILLIES (*****)


KEINER WILL MIR HELFEN, NICHT GOTT, NICHT SATAN, KEIN ENGEL, KEIN MENSCH.

Alfred Döblins »Berlin Alexanderplatz« zählt neben James Joyces »Ulysses« und »Manhattan Transfer« von John Dos Passos zu den bedeutendsten Großstadtromanen der Weltliteratur. Weitgehend unbekannt aber ist, dass Döblin sein Meisterwerk unter dem Titel »Die Geschichte vom Franz Biberkopf« für das Radio selbst bearbeitete. Es ist die Geschichte des geläuterten Ex-Häftlings Franz Biberkopf, der sich fest vorgenommen hat, sein Geld nur noch mit ehrlicher Arbeit zu verdienen, um am Ende verlassen und gedemütigt doch wieder auf die schiefe Bahn zu geraten. Deutlicher noch als im Roman stilisiert Alfred Döblin darin den Weg seines Helden zur Prüfung Hiobs als den Kampf des Individuums gegen den übermächtigen Moloch Großstadt, das sich, verführt und verraten, am Ende gebrochen seinem ungleichen Gegner beugen muss.

Döblins teils düsteres, oft komödiantisches, immer aber rührendes Großstadtpanorama ist wie geschaffen für den rabenschwarzen Humor und die Melancholie der englischen Band »The Tiger Lillies«. Sie gelten als die »Urväter des Brechtschen Punk Cabaret«, kombinieren Zirzensisches mit ihrem britischen Humor und schaffen damit ihren eigenen unverwechselbaren Sound. Mit Regisseurin Stephanie Mohr verbindet sie eine längere künstlerische Zusammenarbeit, so haben sie 2011 gemeinsam in Wien eine legendäre Version des »Woyzeck« erarbeitet.

Regie
Stephanie Mohr
Live-Musik
The Tiger Lillies
Komposition
Martyn Jacques
Bühne
Miriam Busch
Kostüme
Nini von Selzam
Dramaturgie
Michael Billenkamp
Besetzung
Sascha Nathan (Franz Biberkopf / Hiob)
Till Weinheimer (Sprecher (Der Tod))
Felix Rech (Reinhold / Stimme / Chor)
Paula Hans (Mieze / Junge / Auto (Fiat) / Chor)
Josefin Platt (Eve / Frau / Chor)
Till Firit (Meck / Karl / Chor)
Christoph Pütthoff (Pums / Richter / Wirt / Chor)
Thorsten Danner (Lüders / Herbert / Max / Hoppegartener / Chor)

Alice von Lindenau (Lina / Cilly / Toni / Auto (Opel) / Chor)

Mittwoch, 5. August 2015

Schauspiel Frankfurt ab 17. September in die neue Spielzeit

Am 17. September wird die Spielzeit im Schauspielhaus mit Alfred Döblins »Die Geschichte vom Franz Biberkopf«eröffnet. Erstmals kommt die von Döblin für das Radio bearbeitete Fassung seines Meisterwerks »Berlin Alexanderplatz« auf die Bühne – inszeniert von Stephanie Mohr. 

In den Kammerspielen können Sie zwei Tage danach die Uraufführung »Die Leere nach dem Fest« des belgischen, interdisziplinär arbeitenden bildenden Künstlers Hans Op de Beeck erleben, einem eigens für das Schauspiel Frankfurt entstandenen Theatertext.

Anfang Oktober vereint ein Doppelprojekt mit Heinrich von Kleists Lustspiel »Der zerbrochene Krug« und dem ersten Stück des Strafverteidigers und Schriftstellers Ferdinand von Schirach »Terror« zwei Stücke, die das Thema Justiz in unterschiedlichen Epochen reflektieren. 

Michael Thalheimer bringt mit »Penthesilea« den zweiten Kleist auf die Bühne. »Schuld und Sühne« vollendet unsere Dostojewski-Trilogie. Andreas Kriegenburg inszeniert Shakespeares letztes Stück »Der Sturm«. Im Juni könen sie sich auf den musikalischen Abend »Revue!« von und diesmal auch mit Rainald Grebe freuen.

Im Bockenheimer Depot setzt das Schauspiel mit »Schöne neue Welt« von Aldous Huxley und »Clockwork Orange« von Anthony Burgess einen Akzent mit Stücken für junges Publikum.

Gespannt sein können Sie auch auf besondere Stücke zum Thema »virtuelle Welten«, die einen künstlerisch facettenreichen Spielplan mit weiteren Premieren, Uraufführungen und außergewöhnlichen Projekten ergänzen.

Dienstag, 26. Mai 2015

Schauspiel Frankfurt veranstaltet REGIEstudio-Festival

Nachwuchsregisseure bringen drei Uraufführungen in den Kammerspielen zur Premiere
Zum zweiten Mal veranstaltet das Schauspiel Frankfurt ein REGIEstudio-Festival. Vom 12. bis zum 14. Juni 2015 werden neben drei Uraufführungen einige der im Laufe der Spielzeit entstandenen Box-Produktionen gezeigt. Außerdem gibt es Diskussionen und Gespräche, die die Inszenierungen rahmen.
Die drei Mitglieder des REGIEstudios, Mizgin Bilmen, Laura Linnenbaum und Hans Block, haben in dieser Spielzeit erstmals mit den Stipendiaten des AUTORENstudios Texte entwickelt und deren dramatisches Potential gemeinsam szenisch erprobt. Entstanden sind u.a. drei Stücke, die an allen Festivaltagen hintereinander in den Kammerspielen aufgeführt werden:

»EXIT:LULU« von Simon Paul Schneider nach Frank Wedekind bringt Mizgin Bilmen zur Premiere. Das Stück handelt von unbegrenzten Möglichkeiten, Wünschen und Fantasien. Und es setzt sich mit dem Schmerz auseinander, den die freie Entscheidung gebiert. Ein weiteres Stück von Simon Paul Schneider, »Vom Fischer und seiner Frau«, inszeniert Laura Linnenbaum. Der Text sucht die Analogie zum grimmschen Märchen. Allerdings trifft hier der Fischer nicht auf einen Butt, sondern auf die Festung Europa. – Ein surrealer Roadtrip, der sich den Gesetzen von Zeit, Raum und Realität widersetzt. »Flankufuroto« von Bonn Park bringt Hans Block auf die Bühne. Park entwirft ein Zukunftsszenario, in dem die Chinesen die lang angekündigte Weltherrschaft erlangt haben und die »deutschfrankfurterischen« Werte in eine neue Ordnung bringen.
Das 2013 gegründete REGIEstudio ist ein Nachwuchsförderprogramm, das jungen Regisseuren ein Jahr lang die Möglichkeit bietet, den Spielplan der Box zu gestalten, je drei Inszenierungen zur Premiere zu bringen und mit der Unterstützung erfahrener Tutoren und Dramaturgen an der künstlerischen Handschrift zu feilen. Höhepunkt und Abschluss des diesjährigen REGIEstudios bildet das Festival. Es dokumentiert die künstlerische Entwicklung der drei Stipendiaten. Unter www.schauspielfrankfurt.de ist das gesamte Programm abrufbar.

Freitag, 8. Mai 2015

10. und 12. Mai Günter Grass' Vermächtnis im Schauspiel Frankfurt: DIE BLECHTROMMEL

DIE BLECHTROMMEL
GÜNTER GRASS


Premiere 11. Januar 2015   I   2 Std. 15 Min., inkl. Pause   I   Regie: Oliver Reese   I   Bühne: Daniel Wollenzin   I   Kostüme: Laura Krack   I   Besetzung: Nico Holonics

Termine
So 10.05.2015 16.00 Uhr – 18.15 Uhr
Di 12.05.2015 19.30 Uhr – 21.45 Uhr, 19.00 Uhr, Einführung im Chagallsaal


(c) Birgit Hupfeld

EIN GANZES VOLK GLAUBTE AN DEN WEIHNACHTSMANN

Noch kaum geboren, erkennt Oskar Matzerath die Welt als universales Desaster – und lehnt sie ab. Einzig die von seiner Mutter versprochene Blechtrommel eröffnet ihm eine akzeptable Überlebensperspektive: die Existenzform als Trommler, ein groteskes Künstlerdasein mit ambivalenten Motivationen und Wirkungen. So beschließt Oskar an seinem dritten Geburtstag, nicht mehr zu wachsen, sondern zu beobachten und zu trommeln. Aus der Froschperspektive schildert er das Aufziehen des faschistischen Denkens und Handelns, berichtet von Ehebruch und Pogromnacht, verknüpft Privatgeschichte mit Zeitgeschichte. Er ist Zeuge, zugleich Außenseiter wie Beteiligter einer Welt, in welcher ein Zivilisationsbruch wie der Holocaust möglich ist.

Nicht schuldig, aber verantwortlich für das Grauen, das in deutschem Namen begangen wurde, hat Günter Grass sich zeitlebens gefühlt. »Die Blechtrommel« ist auch ein Versuch, die Mechanismen der eigenen Verführung durchsichtig zu machen. Trotz aller Kontroversen um den Roman und Nobelpreisträger Günter Grass, gilt der Text bis heute als Meilenstein der deutschen Nachkriegsliteratur. Regisseur Oliver Reese erzählt die Geschichte des ewigen Trommlers in einer ganz auf die Perspektive der Hauptfigur zugeschnittenen Fassung.

























Günter Grass hielt noch am 11. Februar 2015 eine Lesung im Schauspiel Frankfurt und beteiligte sich an der Reihe ÜBER LEBEN im Zeichen des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz, bevor er sich letzten Monat, am 13. April 2015 in Lübeck für immer verabschiedete.

Samstag, 27. Dezember 2014

Schauspiel Frankfurt: Leben mit Auschwitz – danach



Thementage vom 6. bis 15. Februar 2015 

am Schauspiel Frankfurt


Am 27. Januar 2015 jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 70. Mal. Anlässlich dieses Ereignisses geht das Schauspiel Frankfurt vom 6. bis 15. Februar mit Diskussionen, Vorträgen, internationalen Gastspielen und eigenen Theaterproduktionen den Ursachen und Folgen des Zivilisationsbruches auf den Grund. Bekannte Künstler, Denker, Wissenschaftler und Überlebende des Holocaust diskutieren, welche Schlussfolgerungen wir aus der Vergangenheit ziehen sollten. Sie beleuchten Schuldgefühle, Ängste und Rituale des Erinnerns und hinterfragen, wie heute Vorurteile, rechte Ideologien und Genozide entstehen.

Vorträge und Diskussionen
Eröffnet werden die Thementage am Freitag, den 6. Februar mit einer Podiumsdiskussion im Schauspielhaus. Michel Friedman spricht mit Daniel Cohn-Bendit, Harald Welzer, Jutta Limbach und Christiane Woopen über Ursachen und Folgen der Shoah und deren Bedeutung für Gesellschaft, Politik und Kultur.

Am Samstag, den 7. Februar wird im Chagallsaal ein vielgestaltiges Programm geboten. Ein erster Themenschwerpunkt beleuchtet ab 11.00 Uhr die Darstellbarkeit des Holocaust in den Künsten. Stefan Krankenhagen beschreibt – ausgehend von Adornos Unsagbarkeitstopos – die künstlerische Auseinandersetzung von Beckett bis Spielberg. Im Anschluss diskutiert Gert Scobel mit Dani Levy, Volker März, Robert Schindel und Oliver Reese über Herausforderungen und Chancen der gegenwärtigen »HolocaustKunst«: Wie viel Provokation und Ironie ist im künstlerischen Umgang mit den schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlaubt? Wann weitet Kunst den Blick und wann bestätigt sie lediglich moralische Plattitüden? Unter dem Übertitel »Eskalation der Gewalt – heute« setzen sich ab 14.00 Uhr die Professoren Wilhelm Heitmeyer, Bernhard Pörksen und Mihran Dabag mit der Entstehung von Vorurteilen, Feinbildern und genozidaler Gewalt auseinander. Ein dritter thematischer Schwerpunkt widmet sich ab 16.30 Uhr dem Generationendiskurs. Nach einem Zeitzeugengespräch mit Trude Simonsohn sprechen Kinder und Enkel der Opfer und Täter über Traumata, Schuldgefühle und Chancen der Versöhnung. Die Diskutanten Niklas Frank, Katrin Himmler, Michel Friedman und Channah Trzebiner haben sich in ihren Büchern intensiv mit ihrer Familienbiografie auseinandergesetzt und Tabus im engsten Kreise gebrochen. Peter Lückemeier wird sie befragen.


Am Sonntag, den 8. Februar berichtet die Holocaustüberlebende und Schriftstellerin Inge Deutschkron über ihr bewegendes und bewegtes Leben. Und am Dienstag, den 10. Februar diskutieren Martin Walser und Michel Friedman über Vergangenheit und Zukunft der NS-Aufarbeitung.

Tanztheater und Schauspiel
Neben eigenen Theaterproduktionen werden im Rahmen der Thementage zwei internationale Gastspiele im Schauspielhaus aufgeführt: Das Burgtheater Wien zeigt am 7. und 8. Februar »Die letzten Zeugen«, ein Projekt von Doron Rabinovici und Matthias Hartmann, in dem Überlebende der Shoah ihre sehr persönliche Botschaft übermitteln. Am 14. Februar ist die Hofesh Shechter Company, London, mit der Tanztheaterproduktion »Political Mother« zu Gast. Elf Tänzer erzählen in traurigen, amüsanten und schockierenden Szenen von alltäglichen Unterdrückungsmechanismen und Zwangssituationen des modernen Lebens. Die Produktionen des Schauspiel Frankfurt »Liquidation«, »Die Blechtrommel«, »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« und »Anne« reflektieren die NS-Zeit und den Holocaust auf vielfältige Weise.

Ausstellung
Vom 6. bis 15. Februar wird eine Ausstellung von Jehuda Bacon im Chagallsaal zu sehen sein. Bacon überlebte Auschwitz und fand später in der Kunst eine Möglichkeit, sich mit seiner traumatischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Er lehrte an der Bezalel-Kunstakademie, Jerusalem, und stellte in Berlin, Prag, Washington, New York und London aus.

Das Schauspiel Frankfurt als öffentlicher Raum der lebendigen Kunst, der zwischenmenschlichen Begegnung sowie der geistigen Auseinandersetzung bietet während der Thementage also vielfältige Möglichkeiten, sich mit der historischen Verantwortung, der Gefährdung unserer Zivilisation und den Chancen und Grenzen der Kunst zu befassen.


Veranstaltungsorte:
Schauspielhaus, Chagallsaal:
Willy-Brandt-Platz,
Kammerspiele:
Neue Mainzer Straße 15

www.schauspielfrankfurt.de

Dienstag, 22. Oktober 2013

Heute Abend in Frankfurt: Die Geierwally von Wilhelmine von Hillern


22.10.2013, 20 Uhr, Schauspiel Frankfurt, Box

Die Geierwally
Wilhelmine von Hillern (ausverkauft bis Ende November)

1873 erscheint Wilhelmine von Hillerns Roman über den Mythos der Geierwally: Einer jungen Frau, einer Außenseiterin, die mit dem von ihr gezähmten Geier in der Einsamkeit der Bergwelt lebt, nachdem sie sich dem patriarchalischen Zwang der Heirat mit einem ungeliebten Mann und den Traditionen des scheinbar idyllischen Dorfes verweigert. In ihrer selbstgewählten Vereinsamung in den Gebirgen hat sie wundersame Erlebnisse und Begegnungen. Doch der Sog zurück in die Gemeinschaft ist stark und es kommt zu Verstrickungen von Liebe und Hass, Natur und Zivilisation, Gemeinschaft und Außenseitertum. Es ist die Geschichte einer starken Frau, einer Krawallmacherin in ihrem Kampf um Anerkennung in einer Gesellschaft, die sich in der Aufrechterhaltung eines verstaubten Wertesystems nicht irritieren lässt.

Regie: Johanna Wehner + Bühne / Kostüme: Hannes Hartmann + Musik /Dramaturgie: Rebecca Lang + Besetzung: Constanze Becker, Heidi Ecks, Torben Kessler, Daniel Rothaug