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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Freitag, 25. Oktober 2013

Dichterhain: KÜHL UND HART von Franz Kafka


Kühl und hart...

Kühl und hart ist der heutige Tag.
Die Wolken erstarren.
Die Winde sind zerrende Taue.
Die Menschen erstarren.
Die Schritte klingen metallen
Auf erzenen Steinen,
Und die Augen schauen
Weite weiße Seen.

In dem alten Städtchen stehn
Kleine helle Weihnachtshäuschen,
Ihre bunte Scheiben sehn
Auf das schneeverwehte Plätzchen.
Auf dem Mondlichtplatze geht
Still ein Mann im Schnee fürbaß,
Seinen großen Schatten weht
Der Wind die Häuschen hinauf.

Menschen, die über dunkle Brücken gehn,
vorüber an Heiligen
mit matten Lichtlein.

Wolken, die über grauen Himmel ziehn
vorüber an Kirchen
mit verdämmernden Türmen.
Einer, der an der Quaderbrüstung lehnt
und in das Abendwasser schaut,
die Hände auf alten Steinen.

Franz Kafka

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Dichterhain: Gemeine Vokale von Anner Griem


Gemeine Vokale

Wer niemals in
Der Gosse lag
Nächtens durch
Die Gassen zog
Hungrig war und
Vom Abfall aß
Keine Worte fand
Und Sätze bog
Wird niemals
Ermessen können
Wie groß ein kleines
Wort sein kann

(c) Anner Griem

Montag, 21. Oktober 2013

Dichterhain: EROTIK UND GEDICHT von Jörn Laue-Weltring


Erotik und Gedicht

ein seit Jahrhunderten
wunderbar
verbandeltes Paar
begeben wir uns
nach seiner Lektüre
eng umschlungen
bisweilen zitternd
vorsichtig tastend
in den Rausch
von Haut und Gliedern
noch besonders nah
diesen schmeichelnden
lockenden Texten
die nichts bis wenig
verraten und doch
uns ahnen lassen
wo es liegt
das Paradies
in den Minuten
der Ekstase
der einfach wunderbar
sich auflösenden
Gefühlsknospe
spüren wir schnell
nur noch Körper
wir sein und stoßen
wippen, nehmen
geben, fordern
zerfließen
erahnen zuckend
was es an uns
alles an Körper gibt
sanftes Kosen
wieder aufnehmend
zur Ruhe schwimmend
fühlen wir uns
den Dichterworten
gleich, nur
im Leben und
unerreicht
an Worten
was wir gerade
zusammen
erklommen.

(c) Jörn Laue-Weltring

Samstag, 19. Oktober 2013

Dichterhain: Am Rande einer Wolke von Anna Achmatowa



Am Rande einer Wolke
Anna Achmatowa


Wie am Rand einer Wolke weiß ich
Noch immer, wie du sprichst,

Auch dir sind von meinen Worten
Die Nächte heller als Tage geworden.

Wir sind, als vom Erdkreis Verbannte,
Wie Sterne im All aufgegangen.

Keine Verzweiflung und keine Scham,
Nicht heute, nicht künftig, nicht dann.

Doch lebend hörst du im Realen,
Wie ich dich rief unter Qualen.

Und die Türe, die du aufgemacht,
Sie zuzuschlagen, es fehlt mir die Kraft.
Bildnis Anna Achmatowa,
Nathan Altman, 1914/15,

Anna Andrejewna Achmatowa, 1889 in Bolschoi Fontan bei Odessa, heute Ukraine, geboren, war eine bedeutende russische Dichterin und Schriftstellerin. Sie wurde von Stalin verfolgt, mit Schreibverbot belegt, ihre Familie inhaftiert und viele Freunde ermordet. Achmatowa  starb am 5. 3. 1966 in Domodedowo bei Moskau.

Freitag, 18. Oktober 2013

Dichterhain: AM ABGRUND OBEN von Heiko Hildebrandt


Am
Abgrund oben
Wartest du abweisend
Auf meinen ersten Kuß
Wolkenverhangen

Todesmutig

gehe ich
auf dich zu
Steine poltern drohend ins
Nichts

Kampfgezier

Und willkommen
Der Himmel ist
Zum Greifen nahe – Engel
Locken

(c) Heiko Hildebrandt, aus: "Unter der Uniform der Libelle",
Experimentelle Lyrik 1987-2011

Samstag, 12. Oktober 2013

Meine Gedichteklassiker: DIE LINIEN DES LEBENS von Friedrich Hölderlin

Sächsische Schweiz

Die Linien des Lebens

Die Linien des Lebens sind verschieden
wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen.
was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen
mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.

Friedrich Hölderlin

SV Verlag im Dichterhain: SPÄTHERBST I von Heidi Huber



Spätherbst I



Blattes
letzter
Taumeltanz
im
Feuerfarbenfest


Fast
neide ich



(c) Heidi Huber bei SV Verlag,
aus: Jahreszeitengedichte. Teil III - Herbst

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Dichterhain: Ames me, mea vita! (Liebe mich, mein Leben!) von Kerstin Seidel


Ames me, mea vita!


Ich bin, die ich bin,
eine Liebe mir selbst,
mir selbsteigener Traum
wie wundervolle Wirklichkeit

Ich bin, die ich bin
eine schöne Frau
erdkraftvoll weiblich
wild und frei
mir selbst zur Freude
kraftvoll singen meine Werke
ein heilsames Lied

Ich bin, die ich bin
leuchtende Liebe
Wiederkehr magischen Wissens
ein Kind der Erde
eine Mutter von Vielen
eine heilende Quelle
wirksam zuerst mir selbst
dann schöpfend
aus dieser Kraft
für andere

Ich strahle und spreche
mir Flügel zu schwebe
singe mir Freude
tanze den Sprung des Lebens
mir selbst zum Wohle
und dir

(c) Kerstin Seidel

Dienstag, 8. Oktober 2013

Meine Gedichteklassiker: DER GOTT DES MORGENS von Hugo Ball



Der Gott des Morgens

Die Vögel und Veigel sitzen auf Simsen und Dächern des Himmels
Schlafend in goldenen Träumen.

Der Morgen erwacht und schreitet ans grünlichen Toren, von Schaum gebaut.
An seine Brust anklammert sich ein verfrühtes Mövenpaar
Mit klatschenden Schwingen.

Er schreitet dahin, der Gott. Sein Kleid ist ein enganliegend Geflecht
Ans Kelchen tautriefender Rosen. Des Meeres Tosen hängt ihm vom Haupte
Herab im Lockengewühl, im Lockengefäll.

Korallentand und Schneckengehäuse sind sein klingelnder Kopfaufputz.
Lachende Riffe sind seiner Zähne weißblinkende Reihen.
Auf der Oboe ans Pappelholz lockt er die Sonne herauf.

Die Hände breitet er aus nach den neugebornen Unendlichkeiten.
Er schmettert den Stab auf das Felsengelände
Und rosane Brände werfen aufbrausend Entzündung weit in die Ferne.

Die Fenster und die Fassaden der Wolkengebäude stehen in Flammen.
Die Länder und Städte der Menschen schlafen noch wie vergessenes Spielzeug.
Über die Ebene schürfet des Gottes Schuh auf rollendem Perlengestein.

Wolken und Wellen, Weiden und Winde singen sein Lied ihm nach.
Die Hyazinthen der Gärten niesen sich wach und schau’n ihm verwundert ins Auge.
Die Gräser recken die grünen Schwerter und fechten ein nasses Getümmel.

Ungeduldig tanzet der Gott. Ihm ists nicht genug, daß die Erde
Dem Tag ihn entgegenträgt gleich einer Lustfregatte.
Auf dem Verdeck des segelnden Schiffes noch stürmt er dahin, der Gott,

Lachend und jauchzend, rufend und weckend, die Syrinx blasend
Mit hellem Getön.

Hugo Ball
(* 22. Februar 1886 in Pirmasens; † 14. September 1927 in Montagnola, Schweiz) war Autor und Mitbegründer der Zürcher Dada-Bewegung. Er war Freund und Biograf von Hermann Hesse.

Montag, 7. Oktober 2013

Dichterhain: SONNENTANZ AM ABEND von Jörg Laue-Weltring



Sonnentanz am Abend

geht der Tag nach
viel Sonnenschein
zur abendlichen Neige

trauen sich
die Schatten kaum
die Wände hoch

grüßt doch schon
der helle Mond
das Sternenheer

tanzen meine
alten Knochen wie
leichte Federn

auf Dich zu
den letzten Strahl
zu haschen

in Deinem Auge

(c) Jörn Laue-Weltring 

Sonntag, 6. Oktober 2013

Dichterhain: GEDICHT DAS FAST VERDURSTETE von Andreas Noga



gedicht das fast verdurstete

es atmet regen es öffnet sich
wie ein umgedrehter schirm
es hat einen körper der spürt die wolken
fallen als zärtlich stürzendes wasser
es ist entspannt und es sinkt
in die geräusche des laubs
durch die sommerhitze ist es fast nicht
durchgekommen es schluckte staub
und heidesand ich fand es reglos
neben einer gestorbenen pfütze
in einem vertrockneten vers
schimmerte die gier nach wasser
unter einem ginsterbusch legte ich es
vorsichtig in den schatten gab ihm
zu trinken trug es im rucksack nach hause
dort hat es lange gebadet die hausbar geleert
wir haben dichter und gedicht gespielt
uns dennoch gut verstanden
jetzt sitzt es am fenster und atmet ruhig
den takt der tropfen es will weiter nichts
als lauschen der regen klingt schön
und das ist alles



nach gerhard falkner „ausziehen bis zum umfallen“

(c) Andreas Noga

Samstag, 5. Oktober 2013

Dichterhain: FAST von Artem Zolotarov


Fast

Mich überkommt schon fast ein fahles Schaudern,
wenn ich fast denke, was ich fast schon bin.
Und fasst das Fast mich zwischen Wut und Zaudern,
so will ich fast schon groß sein, wie ein Kind.

Schon immer war ich fast der Allerbeste.
Nur fehlte fast zu viel, um es zu sein.
Der fast gewollte Gast erfasst nur Reste,
die fast schon wichtig sind, ist er allein.

Ich werde fast zufrieden Leben lernen
Zufrieden sterben kann man auch nur fast.
Und irgendwann gehör ich zu Legenden,
und wenns nicht klappt, dann werd ichs eben fast.

(c) Artem Zolotarov

Dienstag, 1. Oktober 2013

Dichterhain: DER STICH von Karin Michaeli


Der Stich

In die Augen und von da den Weg ins Herz
geht der Stich aus dem Universum geradewegs,
breitet sich aus über den Bauch bis in die Seele.

Wühlt Wolken auf und Schmetterlinge, aus denen
zum Ende hin nichts anderes werden als Motten.

Der letzte Tanz ist ein Tango-Macht-Schnitt,
geht geradewegs ins Gehirn, seziert es – legt bloß
die Gedanken, die Sehnsucht – die Dummheit

des Bauches, der nicht denkt, sondern frisst.
Wenn das Kotzen anfängt, ist Genesung in Sicht.
Katharsis im Tango-Macht-Schritt ? – Jetzt nicht !

Weiter tanzen auf anderem Parkett in Sälen
mit grellem Neon-Licht im Glanz der Wut !
Schreien mit geschlossenem weit offenen Mund  
bis zur Morgensonne, die hell, unschuldig, bunt
die Narben der Verletzungen immer wieder heilt.

Die Sonne ist die Schwester der Liebenden  
wärmt sie auf, macht sie schön und warm  
schickt in der Nacht die Sterne, den kalten Mond
zu den weinenden müde getanzten Seelenkindern.

Der letzte Stich, mein Freund, ist Universumsjob  
es richten am Ende die heiligen Kräfte der Natur,
die wohlgefällig die Fäden gesponnen haben...

(c) Karin Michaeli

Samstag, 28. September 2013

Dichterhain: ES IST ALLES EITEL von Andreas Gryphius


Es ist alles eitel


Du siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:
Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden:

Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
Was itzt so pocht und trotzt ist morgen Asch und Bein
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles dies, was wir für köstlich achten,

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;
Als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfind't.
Noch will, was ewig ist, kein einig Mensch betrachten! 


(c)  Andreas Gryphius 

Freitag, 27. September 2013

Dichterhain: FEDERSPIEL II von Ute AnneMarie Schuster

Federspiel II


Streichelnd, sanft wie zarte Hände,
kitzelt es auf meiner Haut,
doch es war nur eine Feder,
die der Wind mir zugehaucht.

Hinter schweren Augenlidern,
tanzt der Federkiel geschwind,
bebend meine Glieder zucken,
durch das Fenster weht der Wind.

Einzig meine Wunschgedanken,
ließen träumen meinen Sinn,
zärtlich strich ich über Federn,

gab mich einer Windböe hin.

(c) Ute AnneMarie Schuster

Donnerstag, 26. September 2013

Dichterhain: VERBLENDET. Prosa von Thomas Reich


VERBLENDET


Er fragte mich, wer ich sein wolle, wenn ich nicht ich selbst sein müsste. Ich erschauderte an den Möglichkeiten, die von Verrat bis heimtückischem Mord reichten. Ich erkannte die Matrizen der westlichen Welt, lernte meinen Ellenbogen das Denken beizubringen.

Manchmal sitze ich da, wische vertrocknete Fliegen von einem staubigen Fenstersims, und frage mich, wie es soweit kommen konnte. Im Mülleimer liegt der Putzplan der letzten Woche. Reliquien einer Zeit, als wir noch alle Entscheidungen in der großen Runde beschlossen. Das war, bevor er kam. Nun sitzt jeder auf seinem Zimmer und schweigt. Nachts höre ich das Schaben von Kugelschreiber auf Papier. Sie tun es heimlich, so wie ich. Und doch öffnet keiner seine Tür, um mit den nackten Füßen in den Flur zu treten. Das geheime Leben der Nacht. Klickende Feuerzeuge, gurgelnde Heizkörper, unterdrückte Schluchzer. So mag es in den Gefangenenlagern dieser Welt klingen, wenn die Wächter schlafen gehen. Blechtassen, die gegen Gitterstäbe aus schwerem Stahl schlagen. Eine eingängige Melodie, fast ein Lied. Ganz Deutschland singt die Internationale.

Wachzuliegen, im Strudel all dieser verzweifelten Geräusche. Wie kann ich ihre Hilferufe ignorieren? Ohne mich selbst schuldig machen? Ich frage mich, wie frei einer ohne Gewissen wäre. Unglaublicher Schub, nun spüre ich es auch. Er hat recht.

Nun der Spiegel. Ich wische mir die Zweifel aus dem Gesicht, wie ich mir die Brauen gerade ziehe. Meine Sorgen waren unbegründet. Mein blütenweißer Kragen ist gestärkt von den Wehklagen der Nacht. Wie konnte ich nur an ihm zweifeln? Oder den Lehren, die er mir zwischen Butterbrot und Schwarztee schmackhaft machte? Draußen zwitschern die Vögel. Der Flur hat alle Klagen vergessen. Man könnte eine Stecknadel fallen lassen, niemand würde sie hören. Meine Mitbewohner schweigen.

Er hat mir versprochen, die Wohnung heute zu verlassen. Noch zweifle ich, doch er versicherte mir, das Tageslicht sei gnädiger als die Nacht. Ich vertraue ihm, weil ich sonst niemandem mehr vertrauen kann. Auch daran ist er schuld, doch seine Worte zerstreuen jeden Zweifel.

Dienstag, 24. September 2013

Dichterhain: NÄHE UND DISTANZ von Regine Wendt

Nähe und Distanz


Deine Hand in meiner Hand
und doch meilenweit entfernt
du willst alles oder nichts.
Dein Blick in meine Augen
deine Nähe bei mir
doch deine Angst wird zu groß.
Deine Schwäche und meine Schwäche
und doch viel mehr
Was willst du?
Für einen allein zu viel.


Aus: Tanz mit mir. Gedichte von Regine Wendt. Frisch erschienen als E-Book im SV Verlag.

Samstag, 21. September 2013

Dichterhain: NÄHE UND DISTANZ von Regine Wendt

Nähe und Distanz


Deine Hand in meiner Hand
und doch meilenweit entfernt
du willst alles oder nichts.
Dein Blick in meine Augen
deine Nähe bei mir
doch deine Angst wird zu groß.
Deine Schwäche und meine Schwäche
und doch viel mehr
Was willst du?
Für einen allein zu viel.


Aus: Tanz mit mir. Gedichte von Regine Wendt. Frisch erschienen als E-Book im SV Verlag.





Mittwoch, 18. September 2013

Dichterhain: ALTE HEIMAT, ICH HÖR DICH RUFEN! Von Diana Stein


(c) Diana Stein


Alte Heimat, ich hör dich rufen!


Nachts, im Fluge durch die Zeit,
reisen die Gedanken weit,
hin an Orte ferner Welt,
in der es uns im Traum gefällt.

Tags, im Rhythmus der Gezeiten,
fliegen wir in neue Weiten,
die wir heimlich träumend schufen,
alte Heimat, ich hör dich rufen!

(c) Diana Stein



Dienstag, 17. September 2013

Dichterhain: Der liebe Gott und der Wein. Von Karin Michaeli

Kirchenweinfest in Machtum,
Luxembourg, 2011 (c) Karin Michaeli


Endlich ein Samstag mit Sonnenschein und der Möglichkeit, nach dem Markteinkauf Platz zu nehmen im Straßencafé mit Tageszeitung und Cappucino.

Gemächlich ziehe ich mit meinem Einkaufswägelchen durch das Zooviertel hin zum Markt an der Brücke vor ALDI. Leuchtend gelbe Zitronen, rote Karotten, Paprika in allen Farben, dunkelrote Beete und dazwischen das saftige Grün der Salate machen mir Appetit auf feine Küche. Die geräucherte Makrele esse ich auf der Mauer vor ALDI sofort mit einem feinen Roggenbrötchen dazu und es fehlt jetzt nur noch ein Rotwein und schon wäre ich in Machtum, dem Moselörtchen in Luxemburg, wo einmal jährlich das „Weinschmeckfest" stattfindet.

Entschuldigung – so hieß es früher, als es zum ersten Mal stattfand Anfang der neunziger Jahre. Das waren noch Zeiten. Eher zufällig fuhr ich mit meinem Sohn und meinem Lebensgefährten ins kleine Dorf Machtum zur Weinsegnung in der Kirche. Wir hatten in der Zeitung gelesen vom „Weinschmeckfest“ (Wäiischmaachfest auf lux. Dialekt). Nun wollten wir der Weinsegnungs-Zeremonie in der Kirche beiwohnen. 

An die 1000 Flaschen Wein waren in der Kirche kunstvoll aufgestapelt und der Pfarrer schenkte jedem der Besucher höchstpersönlich ein Gläschen Wein ein. Die Gläser hatten wir zuvor gekauft für 2,- DM und konnten anschließend vom Wein so viel trinken wie wir wollten.
„Die können den Wein noch so viel segnen“, sinnierte mein Sohn Michael „er ist und bleibt sauer !“

Heute, fast 20 Jahre später, heißt dieses einmal jährlich stattfindende Event „Weinhappening“. Das Gläschen kostet 5,- Euro und immer noch ist es möglich, mit diesem Gläschen an den Weinständen so viel Wein zu trinken wie man möchte – ohne auch nur ein zeites Mal das Portemonnaie zu öffnen.

In der Kirchen sind immer noch die Weinflaschen aufgestapelt – vom roten Pino noir bis hin zum klassischen Elbling sind alle Luxemburger Weinsorten aus allen Regionen des Landes hier vertreten. 

Während ich die Makrele genüßlich verzehre, kommen mir Gedanken über Gott. Ob Gott wohl manchmal betrunken ist, wenn in der Kirche so viele Flaschen Wein lagern ? Es würde nicht auffallen, wenn hier ein paar Flaschen fehlen. Ob Gott den Wein aus der geschlossenen Flasche in sich aufnimmt oder ob ein Engel mitkommt mit einem Korkenzieher? Ob der Engel auch ein Schlückchen bekommt ? 

Und was ist, wenn Gott während der vier Tage des Weinhappenings tatsächlich in dieser kleinen Kirche in Machtum einer bei ihm nicht vermuteten Trunksucht unterliegt und vier Tage außer Gefecht gesetzt ist ? Das Gute und Böse nicht mehr regeln kann ? Gerät dann das Wetter aus den Fugen, geraten dann die Menschen in Streit ? 

Die Vorstellung, das die Weltgeschicke für einen Moment aus den Fugen geraten, weil in dieser kleinen Kirche am Rande der Luxemburger Grenze an vier Tagen im Kirchenschiff und am Altar Tausende von den erlesensten Weinsorten aufgestapelt werden, lässt mich für einen Moment erschüttert in den wolkigen Himmel schauen. Merkt man auch am Wetter, ob Gott betrunken ist ? Gibt es dann statt einem Sommer plötzlich einen Herbst ?

Schnell verlasse ich den Ort, der in mir solche Gedanken hervor bringt, um Richtung Brehmplatz zum „Moskito“ zu schlendern. Hier lasse ich mich erleichtert nieder an einem freien Tisch und genieße die samstägliche Zeitungslektüre. Aber die Gedanken schweifen immer wieder zurück zu Gott und der Unwissenheit darüber, ob er einen guten Wein schätzt oder eher asketisch ist. Er hat doch den Menschen den Wein geschenkt – oder war es ein Irrtum, eine Laune der Natur, die aus Traubensaft Wein werden ließ? Lehnt Gott dieses Spektakel in seinem Tempel möglicherweise ab und kann sich nicht verständlich machen ? Fragen über Fragen, die ich in dieser kleinen Ausführung nicht endgültig für mich beantworten kann.

(c) Karin Michaeli