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Samstag, 26. Oktober 2013

Mammutgedichte von Jakob Michael Reinhold Lenz: DIE LANDPLAGEN - I. Der Krieg


Die Landplagen: I. Der Krieg
Gedicht von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792)

Erstes Buch. Der Krieg


Junge traurige Muse! besinge die schreklichen Plagen,
Die unerbittlich der Todesengel aus Schaalen des Zornes
Ueber die Länder ausschüttet, wenn frech gehäufete Schulden
Wider ein ganzes Volk vom Richter Gerechtigkeit heischen.

Wechselnde Scenen voll Grauen, stellt euch den furchtsamen Sinnen
In eurer ganzen Abscheulichkeit dar. Entkleidete Felder!
Rauchende Mauren und Thürme! Boßhaftig schleichende Lüfte!
Menschliche Schatten, nicht Menschen mehr, mit todblassen Gesichtern,

Mit bluttränenden Augen! Auf winselnde Kinder und Frauen!
Streitende, gegen einander erhizzete Vesten des Weltbaus,
Erd' und Feuer und Dampf und Wasserfluthen und Stürme!
Gebt mir den furchtbaren Stoff zu meinem ernsten Gesange.

Und ihr, denen ich singe, mein Preis ist, fühlet und weinet!
Weinet edle Menschlichkeit auf meine klagenden Saiten,
Weinet Tränen des Danks zu dem, der göttlich erbarmend
Noch die Gewitter der Rache, (sie brausten, wüteten, eilten
Ueber euch gräßlich hinauf) von euren Häuptern zurük hielt.

Du zuerst, der Landplagen Vater, mit Donner und Feuer
Ueber die Erde stürmend, durch Menschenopfer und Blut nicht,
Nicht durch Verödung und Wimmern der ganzen Natur zu versöhnen,
Krieg! oder nenn' ich dich lieber den ehrlich gemacheten Todschlag?
Pflanze mir Schwerdter vors Auge, färbe mit Blut meine Laute,
Daß meiner Brust voll Schrekken kein zärtlicher Seufzer entfliehe,
Oder ein sanfter Ton von meinen Saiten nicht irre.
Was für ein dumpfes Prasseln erwacht aus jener Entfernung,
Welches von schwazzenden Bergen der Widerhall dumpfer zurük tönt?
Ach ihr seid es, Bothen des Kriegs, Herolde des Todes,
Ihr lautkrachenden Trommeln, von Mordgesängen begleitet.
O wie flieget das Herz des erblassend-lauschenden Landmanns!
Schnell entfällt den starren Händen die Sichel: er eilet
Mit oft sinkenden Knien zum Dorf und verkündigt den Nachbarn:
"Fliehet! der Feind ist da." Sie hörens, erblassen und rennen
Männer und Weiber unsinnig mit fliegendem Haar durcheinander:
"Ach, was sollen wir thun?" und keiner rathet dem andern:
"Wohin sollen wir fliehn?" und keiner flieht vor Bestürzung.

Zögert nur! Seht ihr, wie nicht vom Himmel genährete Blizze
Jene Nebel zertrennen und hört ihr den Donner der Stükke? -
Seht ihr den Berg mit Wolken weissagenden Staubes bedekket?
Jezo senkt sich der Staub ins Thal. Helleuchtende Waffen
Dekken wie Aeren die Hügel. Mit stampfenden Fußtritten eilet
An ihrer Neige der Krieger hinab. So stürzen die Ströme
Im Schneeschmelzenden Lenz von steilen Felsen und machen
Ruhige Fluren zum wilden See. Schon seufzet der Akker
Unter gewafneten Schnittern, oder die nährenden Halmen
Werden von frechen Füssen im schlechten Sande begraben.

Plözlich erhebt sich ein banges Geschrei. Vor brennenden Hütten
Heulet der nakte Landmann. Mit Händeringen und Seufzen
Sieht, in Lumpen gehüllt, die trostlose Gattin der Glut zu,
An der scheue Kinder sich hängen. Im dunkeln verlaßnen
Furchtbaren Walde opfert ein blödes unschuldiges Mädchen
Winselnd der Brunst des Verführers die zu ohnmächtige Tugend.
O wie wird der Vater mit Tränenbetröpfelten Schritten
Seines Alters Trost verzweifelnd suchen und finden
In eines Wüterichs Arm. Mit seinem erschrokkenen Enkel
Eilet der schwache Greis hinweg; in den Runzeln der Wange
Schleichen bekümmerte Tränen: Da, ach! eine schnelle Faust reißt
Aus den Armen des Vaters den weinend sich sträubenden Knaben,
Ewig zum Sclaven: o hätte sie ihn dem Leben entrissen!

Jezo rükt die lebendige Mauer der Krieger zur sichern
Nahgelegenen Stadt, und schikket sich, sie zu belagern.
Alles wird Furcht in der Stadt: die hohen offenen Thore
Werden krachend verschlossen und Trommeln rasen wie Donner.
"GOTT! wie wird es uns gehen?" rufen die bleichen Bewohner,
Die wie gescheuchte Schaafe in dummer Verwirrung umher fliehn.
Bald verirrt ihr kläglicher Blik auf die Weiber, die Kinder:
Zitternd ergreifen sie sie und stürzen nieder mit ihnen
In die dumpfigsten Höhlen, wo ewige Dämmerung schleichet.
So ergreift mit ängstiger Hand den Beutel, in dem sein
Herz ruht, wenn über ihm sein Dach in Funken davon fliegt,
Der halb todte Wuchrer. Schon hört man das trozzige Schmettern
Auffodernder Trompeten. Mit nicht zu erschütterndem Muthe
Spottet der Vestung Beschüzzer der tönenden Drohung. Der Bürger
Hörts, wankt mit gezwungenem Schritte zur Wohnung und hänget
Schaudernd die rostigen Waffen um sich. Beklemmet umhals't er
Dann die ohnmächtige Gattin und die erbleichende Tochter,
Kann nicht sprechen und weint. Dort rüstet den Jüngling die Braut aus:
Mit unzähligen Küssen heften die schönen und blassen
Lippen sich auf sein brennend Gesicht, voll wallender Tränen.
Schluchzend tröstet der Trostlose sie: "Verzag nicht, Geliebte!
GOTT wird mich schüzzen: verzag nicht!" aber sein ängstliches Trösten
Rizzet die tödtliche Wund' in ihrem Busen nur tiefer.
Plözlich entreißt er sich ihren an ihm klebenden Armen:
Stumm und lebloß, als wär' ihr Herz dem Busen entrissen,
Steht sie, ihr Chrystallenes Aug auf ihn gekehrt und
Da er nun unsichtbar wird, und da sie statt seiner sein Bildniß
Nur noch zu sehen glaubt, und da er ihr Ach voll Verzweiflung
Nicht mehr hören kann, sinkt sie, athemloß, ohne Sinnen
In verbergende Kissen und schluchst, bis auf die siegreichen
Augenlieder voll Tränen der Schlummer mitleidig hinabsinkt.

Und nun sind schon die Wälle mit Vätern und Gatten und Söhnen,
Die für Mütter und Weiber und Kinder kämpfen, besetzet.
Brennende Kugeln stürzen aus zornig brüllender Stükke
Ehernem Rachen umsonst auf die langsam sich nähernden Feinde;
Alle Gassen sind öd' und nur aus hohlen Gewölben
Tönet die wechselnde Stimme der Angst, das dumpfe Gemurmel,
Und das Aechzen der Kranken und der Säuglinge Schreien.
Plözlich fliegen in zischenden Bogen funkelnde Bomben
Ueber die Stadt dahin, in izt noch stehende Thürme -
Jezt gesunken; würgen in bangen Versammlungen oder
Tödten ein munteres Kind, um welches erschrokkne Geschwister
Zitternd betrachtend stehn. Auf hartem Strohbette wälzt sich
Ein Todkranker und weint, so oft er den schütternden Knall hört.
Jezt entbrennet ein Haus. Vergeblich schlupfen mit schnellen
Schritten die hurtigen Greise aus ihren Gewölben zum Löschen:
Der wahrnehmende Feind schießt in das lodernde Feuer,
Dort herum sinken die Retter von springenden Bomben zerschmettert,
Und die Flamme wird Glut. Die zagende blasse Besazzung
Kömmt in Verwirrung, beängstigt vom Heulen der Weiber und Kinder,
Die mit zerstreueten Haaren die rauchenden Gassen durchirren
Und vom Brande gejagt auf Wäll' und Thürme sich retten.
Schnell bedient der Belagerer sich des erhascheten Vortheils,
Stürmt mit wildem Geschrei, besteigt die Mauren und öfnet
Die gesperreten Thore durch die er blutdürstig hereinzieht.

Wie die Wolke, die lang an der Stirne des blauen Olympus
Schwarz und schwefelgelb droht, von uneinigen Winden gehindert:
Endlich plazzet sie loß, verschüttet Donner und Feuer
Und den peitschenden Hagel in hülflose Haufen der Aeren,
Die er, nicht achtend des stetigen Bükkens grausam zerknikket:
Also würget der Feind in wehrlose Schaaren der Bürger,
Die mit gebogenem Knie nicht können die Wohlthat erflehen,
Länger das Licht des Tages, das Würmern gegönnt wird, zu trinken.
Blut besprenget das Pflaster: verworrene kreischende Stimmen
Tödtender und Getödteter steigen zum zürnenden Himmel.
Von dem Schrekken ergriffen gebehren schwangere Frauen:
Unbändig stürzen die Krieger in ihre Kammern und reissen
Den bekümmerten Ehemann hinweg von der Seite der Liebsten
Und vor ihren Augen ermorden sie ihn. Ach! vergeblich
Strebt der Gebehrerin matte Hand, zum Himmel zu ringen,
Ihr Mund stammelt und stöhnt vergeblich: sie sieht ihn durchstochen
Und eine tiefe Ohnmacht verlöscht ihr glimmendes Leben.
Bräute bitten und schluchzen für die bedrohten Geliebten:
Mörder sind taub dem Girren der Liebe. Geschändete Jungfrauen
Opfern dem schröklichen Stahl ihr schönes Leben, nachdem sie
Viehischen Lüsten die Tugend geopfert. Es rauchet des Säuglings
Eingedrükketer Schedel; in seinen goldgelben Lokken
Klebt Gehirn. Wie zersprang das Herz der verzweifelnden Mutter,
Als ein Wütrich ihr sie umhalsendes furchtsames Kind mit
Plumper Faust ihr entriß! Sie fiel vor ihm nieder; die Rechte
Grif ins gezükkete Schwerdt, die Linke versuchte den Märt'rer
Zu entreissen: sie jammerte, bat, beschwur ihn, versprach ihm
In der sie ängstenden Todesangst Geld, ihr Haus - ihre Tugend.
Aber er lacht' ihrer Wuth: so lachen nächtliche Blitze,
So lachen Flammen der Hölle durchs sie umwölbende Dunkel.
Zischend stieß er den Stahl durch den unschuldigsten Busen,
Da fiel das zarte Kind mit Zappeln zur Erde; die Wange
Ward mit zunehmender Blässe und purpurnem Blute gefärbet.
"Mutter! Mutter!" erscholl noch von den bebenden Lippen,
Als ihm das Leben entwich: es strekkte die Hände, die Füsse
Von sich und blieb, ohne Rettung tod, zu den Füssen der Mutter.
Ganz bleich, mit verwildertem Auge, zerrungenen Händen,
Die sich ausgeraufte Lokken fülleten, flog sie
Wie eine kindberaubte Löwin, auf den Barbaren,
Raubt ihm das Schwerdt und tödtete ihn und sich mit dem Schwerdte.

Wie aus dem Toderfüllten Eden die Satane zogen,
So, auf Verwüstung stolz, ziehn aus ausspeyenden Tohren
Ueber mit Schutt und Leichen gefüllte Gräben die Barbarn.
Schwarz von Rauch, voll wartender Blizze, schauet der Himmel
Auf die Verruchten hinab und winkt dem feindlichen Heere
Wider sie anzuziehn und Henker den Henkern zu werden.
Schnell pflanzt auf dem weiten, zertretenen, stäubenden Akker
Sich ein blizzender Zaun von Schwerdtern, es toben die Trommeln
Und die Fahnen flattern bedeutend, wie Abbadons Flügel,
Ueber die Haufen dahin, die stumm zum Tode sich ordnen.
Brust gegen Brust gekehrt stehn die geweiheten Mörder,
Frech, gedankenloß, doch heimlich voll Sorgens und traurig.
Wie ein Wandrer erschrikt, wenn er unvermuthet den Rachen
Des zerreissenden Löwen vor ihm aufgesperrt siehet
Und nicht fliehen mehr kann: so beben sie, da die Geschüzze
Gegen sie angeführt, mit offenem Schlund' ihnen drohen.
Jezt ertönt die Trompete: sie sendet Schrekken auf Schrekken
In die Gebeine des Kriegers hinab. Jezt rufet die Stimme
Der Hauptleute zum Streit. Man strekt die blanken Gewehre -
Bliz auf Bliz und Knall auf Knall verwunden und tödten.
Menschen sinken wie Mükken, wie ein gewaltiger Schlag stürzt,
Taumeln betäubt darnieder, betäubt, bis eisernes Krachen
Sich eröfnender Thore der Ewigkeit sie aus dem Traum wekt.
Mit verdreheten Augen entstürzt der verwundete Frevler
Dem unter ihm wegstreichenden Roß. In umspannender dunkler
Todesangst suchet die starrende Hand die andre, sie noch zum
Richter zu falten: umsonst! zu kurz ist die Zeit seiner Busse,
Da er die längere frech, mit leichtsinniger Boßheit versäumet.
Ihr, die eure Pflicht aufruft, den winkenden Fahnen
In tausendfache Gefahren zu folgen, erbebt vor dem Tode,
Eh er noch auf der drohenden Spizze des feindlichen Schwerdtes
Vor eurem Busen steht: schaut ihm ins furchtbare Antliz,
Werdet vertraut mit ihm, gewöhnt euch zu seinen Schrekken,
Eh sein abscheulich Geripp euch unvermuthet umhalset.

Zagen und Schauder verbreitendes Bild! Aufdampfende Ströme
Menschenbluts rinnen auf dem untern ehernen Fußtritt des Heeres
Donnernden Akker, der izt zum harten Wege getreten,
Sie nicht bergen mehr kann. Entstellete Leichen, Waffen,
Kleider, unkenntliche Fahnen, Aeser geschlachteter Rosse,
Liegen unter den Füssen der Streiter zerstampft und verwirret.
Rauch und Staub verdunkelt die Gegend. Kugeln und Flammen
Fahren schröklich umher: das Schwerdt wird wüthend geschwungen
Durch die seufzende Luft, und Blut trieft herab von der Schneide.
Knallen, Schreyen, Wiehern und Winseln ertönen vermischet
Und die kläglichen Stimmen Verwundter und Sterbender werden
Fürchterlich unterbrochen von jauchzenden Siegesposaunen.
So viele Völker hier kämpften, so viele Zungen und Sprachen
Flehn von verschiedenen Gottheiten oder von Märtrern Erbarmen.
Hier eröfnet den Mund ein weicherzogner Jüngling;
Aber der Schall seiner Stimme verschwindt im wirbelnden Lärmen.
Dort strekt flehend ein Gatte die Hand aus, der sich der Gattin
Und der unmündigen Kinder erinnert und gern dem Getümmel
Noch entränne, noch lebte: aber die schnaubenden Rosse
Stürmen über ihm weg und erstikken den Funken des Lebens.
Damon, ein Vater und Held, der an der Seite des ersten
Des geliebtesten Sohnes voll Staub und Blut lag, erblikt' ihn:
Als er ihn sah, da schob er sich näher zu ihm, umarmt' ihn:
"O dich segn' ich, Geliebter! daß deine ehrende Wunde
Blut fürs Vaterland strömt! Sei getrost! die Kämpfe des Todes
Endet unsterblicher Lohn: laß uns mit Freuden sie kämpfen!
Freue dich, Sohn, und stirb!" Der sprachlose Jüngling
Zärtlicher, furchtsamer von Empfindung, hörte den Helden
Nicht. Sein trübes Auge tröpfelt' unzälige Tränen
In das Blut seiner Wunde und sein Herz brach seufzend.

Indeß end't sich die Schlacht. Ein Theil der Siegenden eilet
Denen Entfliehenden nach, von welchen ein plözlicher Regen
Abgeworfener Kleider und Waffen den Boden bedekket.
Fliegend wiehern die Rosse. Wolken von Staub verhüllen
Laufende Fußgänger ihren Verfolgern. Feigere Sieger
Plündern die Leichen in ihrem Blut. Abscheulicher Anblik!
Menschlicher sind die, die mütterlich Erdreich den Todten eröfnen
Und unter schönen Blumen Helden zu ruhen vergönnen,
Die der Großsprecher Glük durch stumme Wunden erkauften.

Flekken der Menschheit, vom wildsten der höllischen Geister ersonnen,
Krig, Zerstörer der Freuden, Verderber friedseliger Staaten!
So erschreklich du bist, sind schreklicher oft deine Folgen,
Die Jahrhunderte durch dein Andenken wieder erneuern.
Schallet nach langem Kriegesgeschrei die tröstliche Stimme
Der Posaune des Friedens an fröhlich nachhallenden Ufern:
Ach dann nahet der Landmann mit stillen unschuldigen Tränen,
Sucht sein verlassenes Dorf und findet glimmende Asche,
Sucht sein wallendes Feld, die Auen voll hüpfender Schaafe
Und die Berge voll Reben: und findt unkenntliche Wüsten.
So fand Noah die vormals lächelnde Erde verschlemmet
Als er aus dem schwimmenden Sarge neugierig heraustrat.
Tiefer gebeugt betrachtet die ihm izt drohenden Mauren
Seiner einst zierlichen Wohnung der Bürger. So stumm und erschrokken
Sah der mäonische Held die vorigen Freunde, mit jeder
Tugend des Lebens geschmükt, auf Circens bezauberter Insel
Ihn als zottigte Bären mit wildem Schnauben bedräuen.
Ganze Geschlechter ziehn hülfloß umher. Dort kriechet ein Alter
An dem dürren Stekken: ihm folgen mit langsamen Schritten
Seine entstellten Kinder nebst ihrer wehmütigen Mutter:
Alle in Lumpen, alle vom Gipfel des Glüks und des Reichthums
Zu der tiefsten Tiefe der Dürftigkeit niedergesunken.
Stolz geht der niedrige Reiche der sie geplündert, vorüber,
Hört, umwikkelt mit Tressen, bekannt mit Seufzern und Flüchen,
Nicht das stete Gewinsel der nakten hungrigen Knaben,
Noch das Stöhnen des Greises, der sie zu trösten versuchet.
Schändliche Sieger! die wehrlose friedengewöhnte Geschlechte
In ihren Häusern bestürmen und aus den Wällen voll Reben
Mit bepanzerten Händen verscheuchen: die köstliche Weine
Nicht aus Helmen entwaffneter Helden, aus gottlosem Raube
Und dem Heiligthum sonst geweihten Gefässen verschlukken.
Ists Verdienst ein Räuber zu sein, ists Lorbeeren würdig?
Oder lispelt sie nicht in eurem Busen, die Stimme
Die allmächtige Stimme der Menschlichkeit und des Erbarmens?
Oder erschrekket euch nie der fluchende Seufzer des Bettlers,
Einst ein glüklicher Bürger? Weigert die Hand sich nicht, bebt nicht,
Zu berühren ein Gut das fremdes Mühen verdiente?
Eure Kinder und Weiber, (ich sehe die rächende Zukunft)
Irren verlassen umher von einem Wuchrer gedrükket:
Tränen bahnen sich Wege auf ihre trostlose Wangen
Und ihr Busen gewöhnt sich zu bittern und heimlichen Seufzern.

Gräßlicher sind der Muse die Tygerseelen, die Morden
Und Unschuldiger rinnendes Blut zum Labsale wählen,
Lachen zu Flammen der Dörfer und jauchzen ins Schreien der Märtrer.
Einst wenn der sein Opfer aufspahrende Tod euch hinwirft,
Sollen tränende Augen, tränlose Augen, weit offen,
Um euer Lager blinken, ein stetes Winseln und Heulen
In eure Ohren schallen und aller der Elenden Flüche
Wie ein hoher Berg auf eurem ringenden Busen,
Der unter fruchtloser Müh sie von sich zu welzen, hinstirbt,
Ruhen. Höret und bebt: Es ist für Teufel ein Gott da.

Alles ist jezt öd' und Handlung, Gewerbe und Handwerk
Unterbrochen. Einsam zerstreuet seufzen die Menschen
Nach den besseren Zeiten, doch seufzen sie lange vergeblich.
Selten tritt nicht der magere Hunger, gefräßige Seuchen
Und weiterndtende Pest in die Fußtapfen des Krieges.
Oft erobern Tyrannen die schon verheereten Länder
Und ihre Herrschaft ist ewiger Krieg: sie pressen beraubten
Und erst schwach emporstrebenden Bürgern armselige Güter,
Schiffbrüchigen den Schiffbruch ab und nennen sich Väter.
Oft müssen die Ueberwundnen den scheuen Nakken hinbeugen
Dem unerträglichen Joch der Gefangenschaft. Grausame Ketten
Klingen an ihren unschuldigen Händen; umschränkende Blökke
Muß ihr müder Fuß, als wären sie Räuber, fortschleppen.

Noch einen Blik, empfindliche Muse! vergönne mir, die du
Schon der Tränen satt bist, die in dein Saytenspiel fallen.
Laß uns're Augen mit den gebrochenen Strahlen des Tages
Dämmernde Höhlen, die Gräber lebendig modernder Sklaven
Durchirren, laß uns die dunkeln Tränen auf ihren blassen
Gelben Wangen zählen (so krümmt zwischen Ufern von Schwefel
Sich der schwarze Styx); laß uns des Tunischen Räubers,
Oder des grausamen Türken, des Vieherniedrigten Tartarn
Wilde Aekker durchwandern, wo lärmende Ketten harmonisch
Tiefe Seufzer gleich Rindern pflügender Christen begleiten.

Dort im furchtbaren schwarzen Hayn, vom Strahle der Sonne
Selten nur angelacht (wie tröstet diß Lächeln die Seele!),
Arbeitet Silvius einsam. Er war ein blühender Jüngling,
Als er die trostlose Braut, mit nicht zu stillenden Tränen
Ahndungsvoll verließ, für seine Brüder zu kämpfen.
Aber wie hat der Gram izt in seine Wangen voll Rosen
Tiefe Furchen gezogen! Wie fliessen vom Kinn, den die Schöne
Oft mit sanfter Hand gestreichelt, die eißgrauen Haare!
Ach! und hätt' er kein Herz, das nur für Liebe geschaffen,
Nur für sanfte Triebe gestimmet wäre, wie glüklich
Wär' er! Aber bey jedem Stoß der klingenden Schaufel
In den felsharten Boden, hart wie seine Bewohner,
Fällt eine Träne mit nieder. "O Gott!" ruft er oft und hält die
Braunen Arme lange verzagend zum Himmel gebreitet.
Auch der scheinet ihm unbarmherzig: dann wirft er sich nieder,
Stekket sein Haupt in den Staub, bedekket mit Tränen die Gräsgen,
Betet und ächzet und schreyt. Verborgen lauschende Barbarn
Eilen herzu und färben mit Blut die betenden Arme.
Keine Wiesen reizen sein Aug': er ist wie ein Todter:
Stumm schleicht er aufs Feld, stumm eilet er weg zu der Höhle,
Die ihn schreklich erwartet; doch segnet er sie, denn das Dunkel
Das nie Phöbus noch Luna besucht, verbirgt seine Tränen
Und die bemooßten Gewölbe hallen des nächtlichen Flehens
Flüstern tröstlich zurük, gleich einer Antwort der Gottheit.
Selten verschließt ein kurzer verräthrischer Schlaf ihm die Augen,
Müde zu weinen: dann schaun die furchtbarthürmenden Mauren
Wie mitleidig nieder auf ihn, so siehet ein Kirchthurm
Auf die umher begrabnen herab. Und wenn kaum der erwachte
Morgen noch auf den Hügeln umherglänzt und Thäler durchschleichet,
So entschliesset sein Blik sich dem traurigen Lichte schon wieder,
Irrt verwildert umher, erkennt das alte Behältniß
Und der erneuerte Tag erneuert das Maaß seines Kummers.
Unterdeß gehen der Braut die Jahregedünkten Tage,
Jeder von Tränen durchweint vorüber. Im ängstenden Traume
Sieht sie oft den Geliebten von Ungeheuern umgeben,
Oder umarmt ihn in düstern Höhlen, an welchen das Heulen
Wüthender Wasserfälle herauftönt. - Bis an dem Himmel
Der sie erhört, ein glücklicher Tag zur Erde hinab lacht,
Da den geliebten Sclaven sein Freund sein Damon erlöset.
Athemloß rennt er zu ihm: der staunet ihn an und spricht nicht.
Ihre zitternden Arme umschlingen sich, ehe die Brust kann
Worte herausarbeiten, umschlingen sich, gleich als wären
Beyde ein Körper. Wie rollen die freudigen redenden Tränen
Des Unglüklichen Wangen hinab, wie drükt er den Liebling
Ans laut schluchzende Herz! So hoch empfindet kein Seraph.
"Folge mir, spricht der, du bist befreyt." So rühret kein Donner,
Schrekket kein plözlicher Bliz, wie dieses Wort die versunkne
Muthlose Seele aufschüttelt. Noch ist sie nur ganz Staunen,
Und verzweiflungsvolle Hofnung: doch bald wird die volle
Freude des Herzens Wunden heilen, die tiefgegrabnen
Runzeln des Antlizzes eben machen und Blüthe drauf pflanzen.
Und nun folgt er mit ungewissen Tritten, die magre
Hand in die Hand des Freundes geheftet, die Stirne, aus der die
Ganze Seele leuchtet, auf seine Achsel gelehnt, dem
Edlen Retter und weint und kann ihm nicht danken: "Damon!"
Lispelt er manchmal (die Stimm ist ersäuft in Tränen), und drükt ihn
Fester an seine Brust und lezt ihm die Wange mit Küssen.
Unsichtbar stehn ihre Schuzgeister, lächeln sich ihre Entzükkung
Und umarmen sich zärtlicher bei dem Anblik der Freundschaft
Ihrer Beschüzten. - Und jezt versuche die Muse Wonne,
Die nur fühlen sich läßt, zu schildern. Er eilet, er flieget
Zu seinem andern Leben. Sie sizt, die welken Arme
Unter das Haupt gestüzt: ihre bleichen reizenden Wangen
Schmükken küssenswürdige Tränen, wie Thautropfen Liljen.
Also in Gram versunken sizt sie: sieh! da eröfnet
Schnell sich die Thüre des Zimmers. Ein Mann, (noch rauh sind die Züge
Des einst männlich schönen Gesichts in dem seinen verstekket)
In ungewöhnlicher Kleidung, mit wild herabfallendem Barte
Und entzündeten Augen umarmt lautweinend die Schöne.
Gleich als hätt' ein mitternächtlicher Schatten mit kaltem
Schröklichen Arm sie umschlungen, bleibt sie, vom Gefühle verlassen.
Doch bald öfnen ihr seine unzähligen Küsse das blaue
Himmlische Aug', es strömt von Zeugen ihrer Empfindung
Eh sie noch deutlich empfindet. Er spricht ihren Namen mit Stammeln
Tausendmal aus, drükt ihre kraftlose Hand an die Lippen,
Wäscht sie in seinen Tränen. "Geliebteste, theuerste, beste,
Theuerste Doris!" Sie zittert, betrachtet ihn, und erkennt ihn:
"Silvius! - Bist du es, Silvius? Bist du es, theurer Geliebter?
Ist es ein täuschender Traum, der dich mir schenket? Wie oder
Seh ich vielleicht im Todesthale dich wieder? - Du bist es,
Ja, du bist es!" - Jauchzen erfüllt die Gegend und Freude
Ist der Liebenden Seele, die sie belebet und fortreißt,
Daß sie Handlungen üben, der Einfalt und Kindheit sich nähern,
Die der gelehrte Vater am staubichten Pulte belachet.

Dann wenn die rauschende Freude vorbeygerauschet ist, kann sie
An dem werthen Geliebten nicht satt sich sehen, dann kann er
An der theuren Geliebten nicht satt sich küssen: dann trennt sie
Nimmer sich von ihm. Er muß tief in dem einsamen Hayne,
Der ihm wieder Ruhe zulispelt, am gleitenden Bache,
Des unabläßiges Murmeln ihm nicht mehr Schwermuth erwekket,
Seine Geschicht' ihr erzählen. Sie troknet dann zärtlich die Tränen
Die die Erzehlung begleiten, und muß auch ihm ihren Kummer,
Ihre Geschicht' erzehlen, dann küßt er die reizenden Tränen
Von ihren Wangen weg, die ihre Erzehlung begleiten.


Freitag, 25. Oktober 2013

Mach den Augentest auf dem New York Times Square um Mitternacht - ein aktuelles Oktoberprojekt von New Yorker Designern


Midnight Moment: "Eye Test" - 2x4 from AIGA/NY 

TIMES SQUARE ARTS, TSAC & AIGA/NY PRESENT OCTOBER’S MIDNIGHT MOMENT
The AIGA/NY invited a select group of New York designers to submit videos for October’s Midnight Moment. Midnight Moment is the largest coordinated effort in history by the sign operators in Times Square to display synchronized, cutting-edge creative content on electronic billboards and newspaper kiosks throughout Times Square every night.
Of all the major muscles, the six that govern the movement of the eye are the most active and precise. Even when the body is at rest -- even asleep! -- the eye is in constant motion. So in honor of these most sportive of organs, Eye Test presents a visionary workout tape: An animation inspired by the abstract patterns and optical illusions utilized in eye exams, broadcast test patterns, color blindness tests and other objective measures of visual metrics.

Fantasien zur Nacht (Film): FREEDOM


"FREEDOM"

Fantasien zur Nacht (Film): MORNING COFFEE mit Budnik




music: Big Bad Voodoo Daddy - Save My Soul

video: Konstantin Alexandroff (kostassoid.com)
model: Budnik


Fantasien zur Nacht (Film): Flaschen-Liebespost, ausgesucht von Walter Brusius



A Great Animated Short Film About Love-Bottle by Kirsten Lepore (2011)   


ausgesucht von Walter Brusius

Der Künstler arbeitet und lebt seit 1982 in Bad Kreuznach 
als freischaffender Maler und Autor. Mehr Informationen.

Fantasien zur Nacht: ICH LOG von Hermann Hesse (1901)

Ich log
von Hermann Hesse


Ich log! Ich log! Ich bin nicht alt,
Ich bin nicht satt vom Leben,
Mir macht jede schöne Frauengestalt
Noch Puls und Gedanken erbeben.


Mir träumt noch von Weibern heiß und nackt,
Von guten und von schlechten,
Von wilder Walzer brillantem Takt
Und von verliebten Nächten.


Mir träumt von einer Liebe sogar,
Einer schweigsam schönen und reinen,
Wie jene erste, heilige war,
Und ich kann noch um sie weinen.


Heute Abend in Neunkirchen: Sebastian Hackel & Black Ribbon



Sebastian Hackel & Black Ribbon
Freitag - 25.10.2013, 20:30 - Stummsche Reithalle

2011 veröffentlichte Sebastian Hackel sein Debütalbum „Kreideblumen“ bei Ludwig/Indigo, die Single „Warum sie lacht“ schaffte es auf den New Noises Sampler vom Rolling Stone Magazin und ein Auftritt bei „Inas Nacht“ sorgte für eine zweiwöchige Top 10 Amazon-Platzierung. Das und noch viel mehr kann Sebastian Hackel bereits vorweisen. Dem schlaksigen Dresdener mit den Dreadlocks scheint neben einem guten Aussehen noch so einiges in den Schoß zu fallen, wofür manch einer sich abrackern muss. Seine musikalische Laufbahn begann er als Schlagzeuger, 2007 fing er an, eigene Lieder auf Deutsch zu schreiben. Und so entstanden fast nebenbei Stück für Stück jene Kleinode, die sein Debütalbum zieren. Seine Musik weckte bereits die Aufmerksamkeit so grundverschiedener Größen wie Edo Zanki und Tom Liwa. Hackel singt gefühlvolle Lieder, in denen Melancholie und Ratlosigkeit immer wieder den Ausweg in Optimismus und pure Lebensfreude finden. Und er besitzt eine wirklich große Stimme, die ihn vom Gros der neudeutschen Songschreiber abhebt. Bei Hackel klingt alles echt und authentisch. „Die 14 Titel auf dem Debütalbum des 22-Jährigen sind wie unberührte Kunst aus dem Hinterhof, mit allem, was dazugehört - kreativ, locker, einfach schön." (Melodie & Rhythmus). Unterstützt wird Hackel an diesem Abend von Black Ribbon. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich der Singer/Songwriter Jobst M. Feit. Der gebürtige Saarländer wohnt mittlerweile in der Hessischen Landeshauptstadt und verbreitet von dort aus seine meist akustisch gehaltenen Kompositionen. Seine musikalische Vergangenheit begann Feit ebenfalls in anderen Gefilden, wovon man bei Black Ribbon jedoch nichts mehr merkt, nur vielleicht, die große Leidenschaft, die Feit in seine Musik verpackt. Außerdem gibt es eine direkte Verbindung zwischen Black Ribbon und Neunkirchen, denn sein Debüt „Out To The Light“ ist Ende 2011 beim lokalen Liebhaber-Label NKRC Records erschienen.

5 Debütfilme sind für den Preis EUROPÄISCHE ENTDECKUNG 2013 nominiert

The European Film Academy congratulates the nominees for the EUROPEAN DISCOVERY 2013 – Prix FIPRESCI, an award presented annually as part of the European Film Awards to a young and upcoming director for a first full-length feature film. 

This year’s nominations were determined by a committee comprised of EFA Board Members Helena Danielsson (Sweden) and László Kantor (Hungary), EFA Members Pierre-Henri Deleau (France) and Jacob Neiiendam (Denmark), as well as Alin Tasciyan (Turkey), Andrei Plakhov (Russia), and Marco Spagnoli (Italy) as members of FIPRESCI, the International Federation of Film Critics.
Nominated are:
ÄTA SOVA DÖ (Eat Sleep Die)
Sweden, 104 min
WRITTEN & DIRECTED BY: Gabriela Pichler
PRODUCED BY: China Åhlander
CALL GIRL
Sweden/Norway/Ireland/Finland, 133 min
DIRECTED BY: Mikael Marcimain
WRITTEN BY: Marietta von Hausswolff von Baumgarten
PRODUCED BY: Mimmi Spång 
MIELE
Italy/France, 90 min
DIRECTED BY: Valeria Golino
WRITTEN BY: Francesca Marciano, Valia Santella & Valeria Golino
PRODUCED BY: Riccardo Scamarcio, Viola Prestieri, Anne-Dominique Toussaint & Raphaël Berdugo
OH BOY
Germany, 83 min
WRITTEN & DIRECTED BY: Jan Ole Gerster
PRODUCED BY: Marcos Kantis & Alexander Wadouh
LA PLAGA (The Plague)
Spain, 85 min
WRITTEN & DIRECTED BY: Neus Ballús
PRODUCED BY: Pau Subirós 
The nominated films will soon be submitted to the 2,900 EFA Members to elect the winner. The European Discovery 2013 – Prix FIPRESCI will then be presented at the European Film Awards Ceremony in Berlin on Saturday, 7 December - streamed live on www.europeanfilmawards.eu

Armutsbekämpfung muss nach oben in der politischen Tagesordnung

Lebensmittelvergabe in München


„Armut wird sich weiter verfestigen und noch weiter steigen, wenn die Bundesregierung nicht endlich Maßnahmen in Angriff nimmt, die verhindern, dass immer mehr Menschen von Armut bedroht sind“. Das erklärte die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Ulrike Mascher, anlässlich aktueller Zahlen des Statistischen Bundesamts zur Armutsgefährdung im Jahr 2011 in Deutschland. „Wenn 16,1 Prozent der Bevölkerung, also rund 13 Millionen Menschen, von Armut bedroht sind, dann darf die Politik dies nicht länger ignorieren“. Leider sind diese Warnungen und Forderungen schon seit Jahren laut, aber es passiert nichts in unserem ineffizienten und kaum manövrierbaren Politapparat. Was man allerdings schon eingerichtet hat, das ist der Streitkräfteeinsatz im Falle eines Aufstandes. Mit Pauken und Trompeten sowie Awacs kann der Staat unerlaubten Bevölkerungsauftritten begegnen. 

Auffallend sei, so Mascher, dass die Armutsquote vor allem bei Frauen, Alleinerziehenden und Arbeitslosen, aber auch Rentnern, sehr hoch sei. „Arbeitslosigkeit, nicht bedarfsgerechte Hartz-IV-Sätze, Niedriglöhne, mit denen man keine Familie ernähren kann, Renten, die kaum zum Leben reichen, Frauen, die in Teilzeit arbeiten, all dies wird die Armutstendenzen in Deutschland in den nächsten Jahren noch verstärken“, prognostizierte Mascher.

„Wer Armut vermeiden will, muss für ordentlich bezahlte Arbeit und gute Arbeitsbedingungen sorgen“, so Mascher. Der Sozialverband fordert daher einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Er sieht darüber hinaus auch eine gesetzliche Regelung zur Einschränkung von Leih- und Zeitarbeit sowie von befristeten Jobs als notwendig an, um Lohndumping zu bekämpfen.

„Die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts machen klar, dass Armut in Deutschland ein tatsächliches Problem ist und nicht mehr wegdiskutiert werden darf. Deshalb muss die Vermeidung und Bekämpfung von Armut ganz nach oben auf die politische Tagesordnung“.

Auf Platz 3 in der Gunst der Zuschauer: P R I S O N E R S


Prisoners

Regie: Denis Villeneuve
Mit Hugh Jackman, Jake Gyllenhaal, Viola Davis mehr
Thriller
USA
Tobis Film

FSK ab 16 freigegeben


Keller Dover (Hugh Jackman) ist ein bibeltreuer Kriegsveteran. Der harte Kerl steht mit beiden Beinen fest im Leben. Dovers Welt gerät jedoch aus den Fugen, als seine sechsjährige Tochter Anna (Erin Gerasimovich) und deren Freundin Joy an Thanksgiving entführt werden. Es beginnt eine fieberhafte Suche, die von dem jungen und ambitionierten Polizisten Loki (Jake Gyllenhaal) angeführt wird, dessen primäres Ziel es jedoch ist, nach erfolgreichem Abschluss der Ermittlungen endlich der Kleinstadt zu entfliehen und in eine Großstadt versetzt zu werden. Doch alle Spuren im Entführungsfall verlaufen im Nichts. Auch den einzigen Verdächtigen, den geistig zurückgebliebenen Alex Jones (Paul Dano), muss Loki aus Mangel an Beweisen wieder laufen lassen. Familienvater Dover fasst daraufhin einen folgenschweren Entschluss: Er will die Wahrheit auf eigene Faust herausfinden und begibt sich auf einen verhängnisvollen und gnadenlosen Weg der Selbstjustiz, um die beiden kleinen Mädchen vielleicht doch noch zu finden.


In der Gunst der Zuschauer auf Platz 2: R U S H







Rush - Alles für den Sieg
3. Oktober 2013 (2 Std. 3 Min.)
Regie: Ron Howard
Mit Chris Hemsworth, Daniel Brühl, Olivia Wilde mehr
USA, Deutschland, Großbritannien

FSK ab 12 freigegeben






Die wahre Geschichte über die Rivalität zwischen zwei Formel-1-Rennfahrern, dem Österreicher Niki Lauda (Daniel Brühl) und dem Engländer James Hunt (Chris Hemsworth). Im Jahr 1976 gerät Laudas Ferrari in der zweiten Runde des deutschen Grand Prix am Nürburgring ins Schleudern und er selbst verbrennt bei dem Crash beinahe - während Hunt das Rennen gewinnt. Sechs Wochen später sitzt Lauda aber wieder am Steuer und beginnt eine furiose Aufholjagd im Kampf um den Gesamtsieg. Das atemberaubende Duell ist auch der Kampf zweier gegensätzlicher Philosophien im Rennsport: auf der einen Seite der englische Playboy und Frauenschwarm Hunt, der mit dem bekannten Model Suzy Miller (Olivia Wilde) verheiratet ist, auf der anderen Seite der ehrgeizige und disziplinierte Vorzeige-Sportler Lauda. Der schlägt Hunt beim Großen Preis von Italien und anschließend auch in Kanada sowie in den USA, doch damit ist die denkwürdige Rennsaison noch nicht gelaufen...

Seit kurzem in Kino: GRAVITY mit Sandra Bullock und George Clooney




Gravity
Regie: Alfonso Cuarón
Mit Sandra Bullock, George Clooney, Ed Harris mehr
Science-Fiction
USA, Großbritannien

FSK ab 12 freigegeben

Die brillante Bio-Medizinerin Dr. Ryan Stone (Sandra Bullock) geht auf ihre erste Weltraum-Mission. An ihrer Seite ist der Astronaut Matt Kowalski (George Clooney), ein Veteran auf seinem letzten Trip ins All vor dem Ruhestand. Doch ein Routineausflug der beiden Astronauten außerhalb der Raumkapsel endet im Desaster. Das Shuttle wird zerstört, Ryan und Matt befinden sich plötzlich ganz alleine in den dunklen Tiefen des Weltraums - um sie herum nur Stille. Die Raumfahrer haben jeglichen Kontakt zur Erde verloren und es gibt keine Aussicht auf eine Rettung, während ein Verbindungsband wenigstens verhindert, dass sich die beiden auch noch gegenseitig verlieren. Jeder Atemzug frisst etwas mehr von dem wenigen Sauerstoff, den sie noch haben, und schließlich wird Angst zu Panik und dann zu tiefer, hoffnungsloser Verzweiflung. Die Besucher haben den Film bisher als erstklassig eingestuft, mörderisch, atemraubend gut. 

Die Großstadt aus Papier


It's paper from Pingo van der Brinkloev

Das einzigartige Amazonien


Amazônia Manauara from MOOV

Dichterhain: KÜHL UND HART von Franz Kafka


Kühl und hart...

Kühl und hart ist der heutige Tag.
Die Wolken erstarren.
Die Winde sind zerrende Taue.
Die Menschen erstarren.
Die Schritte klingen metallen
Auf erzenen Steinen,
Und die Augen schauen
Weite weiße Seen.

In dem alten Städtchen stehn
Kleine helle Weihnachtshäuschen,
Ihre bunte Scheiben sehn
Auf das schneeverwehte Plätzchen.
Auf dem Mondlichtplatze geht
Still ein Mann im Schnee fürbaß,
Seinen großen Schatten weht
Der Wind die Häuschen hinauf.

Menschen, die über dunkle Brücken gehn,
vorüber an Heiligen
mit matten Lichtlein.

Wolken, die über grauen Himmel ziehn
vorüber an Kirchen
mit verdämmernden Türmen.
Einer, der an der Quaderbrüstung lehnt
und in das Abendwasser schaut,
die Hände auf alten Steinen.

Franz Kafka

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Bestien und Exorzismus in der Kunst



SansSouci / SS Issue N.1 from Ditroit. 


SansSouci is a new art book including works of more than 40 contemporary artists. 

Zeichentrickfilm: Wo die kleinen Kinder herkommen - 'The Door' by David Shrigley



'The Door' by David Shrigley from James Newport

Heute Abend in Karlsruhe: Hennes Bender im Tollhaus

Hennes Bender



Bild




''Klein/Laut''
Comedy
24. Oktober 2013, 20 Uhr
Ort: Kulturzentrum Tollhaus

HENNES BENDER ist weder übertrieben groß noch sonderlich leise. Deswegen trägt seine neueste Show auch den treffenden Titel "KLEIN/LAUT"! Wie üblich holt er nicht lange aus, sondern beißt sich direkt und ohne Umwege im Wahnsinn der Realität und ihrer Nebenwirkungen fest! Ein kurzer Kracher, der lange nachhallt - oder wie sein Kollege Jochen Malmsheimer ihn nennt: "Das Cornichon des deutschen Kabaretts"!

Heute (24.10.) im TOLLHAUS zu Gast.


5. FOTOFESTIVAL MA-LU-HD: VERANSTALTUNGEN IN DIESER WOCHE



5. Fotofestival 
Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg
Grenzgänge. Magnum : Trans-Territories


VERANSTALTUNGEN IN DIESER WOCHE

Das Fotofestival läuft bis zum 10. November 2013 und bis dahin gibt es noch viele weitere Veranstaltungen, die einen Besuch lohnen.

Läuft gerade:

24.10.2013   16:00
Ort: ZEPHYR - Raum für Fotografie der Reiss-Engelhorn-Museen
Öffentliche Führung durch die Ausstellung Deutschlandreise im ZEPHYR - Raum für Fotografie, Reiss-Engelhorn-Museen
Teilnahmegebühr 3,50 Euro / 2 Euro ermäßigt zzgl. Eintritt
   
24.10.2013   18:00                                                                                                     Ort: Heidelberger Kunstverein
Öffentliche Führung durch die Ausstellung Battleground / Afghanistan im Heidelberger Kunstverein

26.10.201314:00
Öffentliche Führung durch die Ausstellung Community
Ort: Kunstverein Ludwigshafen
Öffentliche Führung durch die Ausstellung Community im Kunstverein Ludwigshafen

Good Sounds: DAUGHTRY 06, It's Not Over

Daughtry ist eine US-amerikanische Post-Grunge-Band. MEHR

Heute in Ludwigshafen am Rhein: Literaturnachmittag


Donnerstag, 24.10.2013 um 15:30 Uhr, Turm 33 Cafédrale, Maxstraße 33, 67059 Ludwigshafen

Literaturnachmittag

Anita Künkel liest `Stories aus dem Fernen Osten` von Banana Yoshimoto, Hiromi Kawakami und Franka Potente

Sie sind an Büchern interessiert, haben Spaß an lebendigen Literaturlesungen, wollen mit anderen spannende, unterhaltsame und informative Texte hören und diskutieren? Dann sind Sie hier richtig! Herzliche Einladung!

Kosten: 4.-€ inkl. einem Getränk

Mit Ausdauertraining gegen Herzschwäche


Ausdauertraining bessert die Herzschwäche


Die Leistungsfähigkeit von Patienten mit diastolischer Herzschwäche nimmt unter einem körperlichen Ausdauertraining deutlich zu, ebenso ihr subjektives Wohlbefinden. Das Training muss mindestens 2- bis 3-mal pro Woche mit einer Pulsbeschleunigung auf Werte zwischen 110 und 130/min erfolgen. „Um bei einer diastolischen Herzschwäche eine Leistungssteigerung oder Abnahme der Beschwerden zu erzielen, muss das Training regelmäßig, mindestens 2- bis 3-mal pro Woche und für eine Dauer von mindestens 30 Minuten erfolgen“, betont Prof. Hasenfuß. Das Training kann in Form von Radfahren, Schwimmen oder Walking durchgeführt werden. Muskelkräftigende Übungen (z. B. mit Theraband) können das Ausdauertraining gut unterstützen. Das Training sollte jedoch erst nach Rücksprache mit dem behandelnden Hausarzt/Kardiologen erfolgen.

Good Sounds: DAUGHTRY 05, HOME

Daughtry ist eine US-amerikanische Post-Grunge-Band. MEHR


Liebe/Erotik-Bestseller RUSH OF LOVE, Band 2


Erfolgstitel in der Spiegel-Bestsellerliste - eine erotische Geschichte

Rush of Love - Erlöst

Abbi Glines
272 Seiten, Kartoniert, Band 2 der Reihe RUSH OF LOVE, Band 1: - Verführt

Blaires Welt bricht mit einem Schlag zusammen. Alles, was sie für wahr hielt, ist nichts als Lüge. Sie weiß, dass sie niemals aufhören wird, Rush zu lieben sie weiß aber auch, dass sie ihm niemals verzeihen kann. Sie versucht, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Ohne ihn. Bis ihre Welt erneut erschüttert wird. Doch was tun, wenn der Mensch, der einen am tiefsten verletzt hat, der Einzige ist, dem man noch vertrauen kann?


Abbi Glines, 1977 in Birmingham (Alabama) geboren, schrieb zahlreiche erfolgreiche Fantasy- und Jugendbücher, bevor ihr mit ihren »New Adult«-Romanen der internationale Durchbruch gelang. Heute lebt sie mit ihrem Mann und drei Kindern in Fairhope, Alabama.WEBSITE


Leseprobe
Rush of Love - Erlöst
Abbi Glines
Rush

Vor dreizehn Jahren …
Es klopfte an der Tür, dann war nur noch leises Fußscharren zu hören. Mir wurde schwer ums Herz. Mom hatte von unterwegs aus angerufen und mir gesagt, wo sie gewesen waren und dass sie sich nun erst mal mit ihren Freundinnen ein paar Cocktails genehmigen müsse. Was bedeutete, dass ich Nan trösten müsste. Meiner Mom wäre das nach all dem, was passiert war, zu stressig. Zumindest hatte sie das bei ihrem Anruf behauptet.
»Rush?«, rief Nan und bekam dann Schluckauf. Sie hatte geweint.
»Ich bin hier, Nan.« Ich rappelte mich aus dem Sitzsack in der Ecke hoch, in den ich mich gekuschelt hatte. Das war mein Versteck. So was brauchte man in diesem Haus. Hatte man keines, geschahen schlimme Dinge.
In Nans tränennassem Gesicht klebten Strähnen ihrer roten Locken. Mit bebender Unterlippe sah sie mit traurigen Augen zu mir auf. Glücklich blickten sie fast nie. Meine Mutter gab sich nur dann mit Nan ab, wenn sie sie herausputzen und mit ihr angeben wollte. Die übrige Zeit behandelte sie sie wie Luft. Ich dagegen tat mein Bestes, Nan das Gefühl zu geben, erwünscht zu sein.
»Ich hab ihn nicht gesehen. Er war nicht da«, flüsterte sie und schluchzte auf. Ich brauchte nicht zu fragen, wer er war. Das wusste ich auch so. Mom hatte Nans ewige Fragerei nach ihrem Vater sattgehabt. Und hatte beschlossen, mit ihr zu ihm zu fahren. Ich wünschte, sie hätte mir Bescheid gegeben und mich mitgenommen. Angesichts von Nans kummervoller Miene packte mich die kalte Wut. Wenn ich diesen Menschen je zu Gesicht bekäme, würde er von mir eins auf die Nase kriegen. Ich wollte ihn bluten sehen.
»Na, komm her«, sagte ich und breitete die Arme aus. Sie schlang ihre zarten Ärmchen um meine Taille und drückte mich fest. Solche Momente schnürten mir die Kehle zu. Sie tat mir so leid. Von meinem Dad wusste ich ja zumindest, dass er mich gernhatte. Er verbrachte Zeit mit mir.
»Er hat andere Töchter. Zwei. Und sie sind … sooo hübsch! Ihr Haar sieht aus wie Engelshaar. Und sie haben eine Mom, die sie draußen im Dreck spielen lässt. Sie hatten Tennisschuhe an. Schmutzige!« Nan war neidisch auf schmutzige Tennisschuhe. Bei unserer Mutter musste sie immer wie aus dem Ei gepellt aussehen. So etwas wie Tennisschuhe hatte sie noch nie besessen.
»Sie können nicht hübscher sein als du«, versicherte ich ihr im Brustton der Überzeugung.
Schniefend löste sich Nan von mir und sah mich mit ihren großen grünen Augen an. »Doch, sind sie. Ich hab sie gesehen. Und ich hab Fotos von beiden mit einem Mann an der Wand hängen sehen. Er liebt sie … und mich, mich liebt er nicht.«
Ich konnte sie nicht anlügen. Sie hatte recht. Er liebte sie nicht.
»Er ist ein Vollidiot. Aber du hast ja mich, Nan. Ich bin immer für dich da!«

Blaire


Gegenwart …
Fünfzehn Meilen außerhalb Stadt mussten reichen. Niemand aus Sumit würde so weit zu einer Apotheke fahren. Außer natürlich, er war neunzehn und wollte etwas besorgen, worüber niemand in der Stadt Bescheid wissen durfte. Alles, was in der Apotheke in Sumit, Alabama, gekauft wurde, machte in kürzester Zeit die Runde. Vor allem, wenn man unverheiratet war und Kondome kaufte … oder einen Schwangerschaftstest.
Mit gesenktem Blick legte ich die Schwangerschaftstests auf die Ladentheke. In meinen Augen mussten sich Angst und Schuldgefühle spiegeln, und das brauchte keiner zu sehen. Ich hatte es ja noch nicht einmal Cain erzählt. Seitdem ich Rush vor drei Wochen aus meinem Leben verbannt hatte, hatten Cain und ich wieder mehr Zeit miteinander verbracht. Es war so ungezwungen und einfach zwischen uns. Er drängte mich nicht zu reden, aber wenn ich darüber reden wollte, hörte er zu.
»Sechzehn Dollar und fünfzehn Cent, bitte«, sagte die Dame auf der anderen Seite der Ladentheke. Ich hörte die Sorge in ihrer Stimme. Was nicht überraschte. Schließlich handelte es sich um den Schandkauf, vor dem sich alle Mädchen im Teenageralter fürchteten. Ich gab ihr einen Zwanzigdollarschein, ohne den Blick von der kleinen Tüte zu heben, die sie vor mich hingestellt hatte. Diese Tüte enthielt die Antwort, die ich gleichermaßen brauchte und fürchtete. Es wäre leichter gewesen, einfach darüber hinwegzusehen, dass meine Periode zwei Wochen überfällig war, und so zu tun, als wäre alles wie immer. Aber ich musste es wissen.
»So, bitte schön, drei Dollar und fünfundachtzig Cent zurück«, sagte sie. Ich nahm das Wechselgeld aus ihrer ausgestreckten Hand.
»Danke«, murmelte ich und schnappte mir die Tüte.
»Ich hoffe, es wendet sich alles zum Guten«, sagte die Dame in freundlichem Ton. Ich hob den Blick und sah in ein mitfühlendes braunes Augenpaar. Sie war eine Fremde, die ich nie wiedersehen würde, aber in diesem Moment half es, dass es eine Mitwisserin gab. Ich fühlte mich nicht mehr so allein.
»Ich auch«, erwiderte ich, bevor ich mich umdrehte und durch die Tür wieder in die heiße Sommersonne trat.
Ich war auf dem Parkplatz zwei Schritte weit gekommen, als mein Blick auf die Fahrerseite meines Pick-ups fiel. Cain lehnte dagegen, die Arme vor der Brust verschränkt. Seine graue Baseballkappe, auf der ein »A« für »University of Alabama« prangte, hatte er sich tief ins Gesicht gezogen, sodass ich seine Augen nicht sehen konnte.
Ich blieb stehen und starrte ihn an. Es brachte nichts, ihn anzulügen. Ihm war klar, dass ich nicht hergekommen war, um Kondome zu kaufen. Es gab nur die andere Möglichkeit. Auch wenn ich seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte, wusste ich, dass er es wusste.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, der mich schon plagte, seitdem ich am Morgen in den Pick-up gestiegen und zur Stadt hinausgefahren war. Nun waren es nicht nur ich und die Fremde hinter der Ladentheke, die Bescheid wussten. Mein bester Freund tat es auch.
Ich zwang mich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er würde Fragen stellen, und ich müsste sie beantworten. Nach den letzten Wochen war ich ihm das schuldig. Er verdiente es, die Wahrheit zu erfahren. Nur: Wie fing ich an?
Kurz vor ihm blieb ich stehen. Ich war froh, dass er sein Gesicht beschirmte. Seine Miene wollte ich lieber nicht sehen, wenn ich ihm alles erklärte.
Zunächst mal schwiegen wir uns an. Ich wollte, dass er das Gespräch begann, aber nachdem er gefühlte zehn Minuten nichts sagte, fragte ich schließlich: »Woher hast du gewusst, wo ich bin?«
»Schließlich wohnst du bei meiner Großmutter. Kaum hast du angefangen, dich sonderbar aufzuführen, da hat sie auch schon bei mir angerufen. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, erwiderte er.
Tränen brannten in meinen Augen. Ich würde jetzt nicht losheulen. Geheult hatte ich nun wirklich schon genug. Ich drückte die Tüte mit den Schwangerschaftstests fester an mich und straffte die Schultern. »Du bist mir hinterhergefahren«, sagte ich. Es war keine Frage.
»Na logisch«, erwiderte er, schüttelte den Kopf und wandte dann den Blick vom mir ab. »Hattest du eigentlich vor, es mir zu erzählen, Blaire?«
Hatte ich das? Keine Ahnung. So weit war ich mit meinen Überlegungen noch gar nicht gekommen. »Ich bin mir ja noch nicht mal sicher, ob’s überhaupt was zu erzählen gibt«, antwortete ich aufrichtig.
Wieder schüttelte Cain den Kopf und lachte dann höhnisch auf. »Nicht sicher, ja? Du bist die ganze Strecke hierhergefahren, weil du dir nicht sicher bist?«
Er war wütend. Oder verletzt? Für beides gab es überhaupt keinen Anlass. »Ich bin mir auf jeden Fall nicht sicher, bis ich diesen Test gemacht habe. Meine Tage sind überfällig. Das ist alles. Und jetzt sag mir, wieso ich dir davon erzählen sollte. Dich betrifft’s doch gar nicht!«
Langsam richtete Cain seinen Blick wieder auf mich. Er schob seine Kappe zurück, sodass seine Augen nicht länger beschattet wurden. Ungläubigkeit und Kummer waren darin zu lesen. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Das war fast schlimmer, als in seinen Augen Verdammung zu entdecken. In gewisser Hinsicht wäre mir das lieber gewesen.
»Wirklich? So siehst du das also? Nach allem, was wir durchgemacht haben, denkst du so darüber?«
Du meine Güte, was wir durchgemacht hatten, lag lange zurück. Genau genommen hatte ich eine Menge mit ihm durchgemacht. Während er seine Highschoolzeit genossen hatte, hatte ich alle Mühe gehabt, dass mir mein Leben nicht entglitt. Was bildete er sich eigentlich ein? Mich packte die Wut, und ich funkelte ihn an.
»Ja, Cain. Genau so sehe ich das! Ich kapiere nicht ganz, was genau wir deiner Meinung nach durchgemacht haben. Wir waren beste Freunde, dann waren wir ein Paar, schließlich wurde meine Mom krank. Aber du hattest nur Sex im Kopf und hast mich betrogen. Und ich habe mich allein um meine Mom gekümmert. Ohne jemanden zu haben, bei dem ich mich hätte anlehnen können. Dann starb sie, und ich fuhr nach Florida. Danach war mein Herz in Stücke zerrissen, und meine Welt lag in Scherben. Ich kam wieder nach Hause. Und du warst für mich da. Ich habe dich nicht darum gebeten, aber so war’s nun mal. Klar bin ich dir dafür dankbar, aber deshalb kann ich noch lange nicht sagen: Okay, was davor war – vergeben und vergessen! Schließlich hast du mich genau da, wo ich dich am dringendsten gebraucht hätte, im Stich gelassen! Verzeih mir also bitte, dass ich, wenn mir gerade wieder der Boden unter den Füßen weggerissen wird, nicht gleich zu dir gerannt komme. Das hast du dir noch nicht verdient!«
Ich atmete schwer, und die Tränen, gegen die ich angekämpft hatte, liefen mir nun über die Wangen. Verdammter Mist, ich hatte doch nicht weinen wollen! Ich ging auf ihn zu und stieß ihn mit aller Kraft aus dem Weg, damit ich zur Wagentür kam. Nur weg von hier. Weg von ihm.
»Geh da weg!«, schrie ich und versuchte, die Tür aufzumachen, gegen die er immer noch lehnte.
Ich rechnete damit, dass er auf mich einreden würde. Ich rechnete mit allem Möglichen, nur nicht damit, dass er tat, worum ich ihn gebeten hatte. Doch so war’s. Ich stieg auf den Fahrersitz, warf die kleine Plastiktüte auf den Sitz neben mich, ließ den Motor an und stieß zurück. Cain hatte sich geradeso viel vom Fleck gerührt, dass ich einsteigen konnte. Er stand da und starrte zu Boden, als würde er dort alle Antworten finden.
Vielleicht hätte ich ihm das nicht alles an den Kopf knallen sollen. Vielleicht hätte ich alles für mich behalten sollen wie all die Jahre zuvor auch schon. Aber jetzt war es zu spät. Er hatte mich zum falschen Zeitpunkt auf dem falschen Fuß erwischt. Und ich würde mir deswegen jetzt keine Vorwürfe machen.
Zu seiner Großmutter konnte ich nun allerdings auch nicht zurück. Ihr schwante etwas. Und wahrscheinlich würde Cain sie anrufen und ihr alles brühwarm erzählen. Na ja, vielleicht nicht die ganze Wahrheit, aber etwas, das ihr nahekam. Also blieb mir nichts anderes übrig, als den Schwangerschaftstest auf der Toilette irgendeiner Tankstelle zu machen. Konnte es noch schlimmer kommen?

Rush

Früher hatten die Wellen, die ans Ufer brandeten, mich immer beruhigen können. Wenn ich eine andere Sicht auf die Dinge brauchte, hatte ich mich schon seit Kindheitstagen hier auf die Terrasse verzogen und das Meer beobachtet – und es hatte immer geholfen. Doch jetzt haute das nicht mehr hin.
Das Haus war leer. Meine Mutter und … der Mann, der, wenn es nach mir ginge, für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren sollte, hatten es verlassen, als ich vor drei Wochen aus Alabama zurückgekommen war. Ich war wütend, am Boden zerstört und völlig außer mir gewesen. Nachdem ich gedroht hatte, diesen Kerl umzubringen, hatte ich gefordert, dass er und meine Mutter sofort das Haus verließen. Ich wollte keinen von beiden mehr sehen. Eigentlich hätte ich meine Mutter in der Zwischenzeit einmal anrufen und mit ihr reden müssen, aber dazu konnte ich mich einfach nicht durchringen.
Ihr zu verzeihen war leichter gesagt als getan. Nan hatte etliche Male vorbeigeschaut und mich angefleht, mit Mom zu reden. Nan konnte für das alles ja nichts, aber auch ihr konnte ich mich nicht anvertrauen. Sie erinnerte mich daran, was ich verloren hatte. Was ich kaum gehabt hatte. Was zu finden ich nie erwartet hatte.
Ein lautes Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Ich begriff, dass jemand vor der Tür stehen musste, denn nun klingelte es obendrein noch. Danach wieder Klopfen. Wer, verdammt noch mal, war das? Seitdem mich Blaire verlassen hatte, hatte mich außer Grant und meiner Schwester niemand mehr besucht.
Ich stellte mein Bier auf dem Tisch neben mir ab und stand auf. Wer auch immer es war, er hatte besser einen guten Grund, hier völlig uneingeladen aufzukreuzen. Ich ging durchs Haus, das noch picobello aussah, seit Henrietta, die Zugehfrau, es beim letzten Mal sauber gemacht hatte. Ohne Partys oder überhaupt ein gesellschaftliches Leben war Ordnung zu halten kein Problem mehr. Eigentlich gefiel mir das viel besser so.
Es klopfte mittlerweile wie wild, und ich riss die Tür auf, um der Person dahinter mitzuteilen, sie solle sich zum Teufel scheren. Doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Dass mir dieser Typ wieder unter die Augen käme, hatte ich nicht gedacht. Ich war ihm nur einmal begegnet und hatte auf Anhieb eine tiefe Abneigung gegen ihn verspürt. Nun war er hier, und ich hätte ihn am liebsten an der Schulter gepackt und geschüttelt, damit er mir sagte, wie es ihr ginge. Ob alles okay mit ihr wäre. Wo sie jetzt wohl wohnte? Gott, doch wohl hoffentlich nicht bei ihm? Was, wenn er … Nein, nein, nein, das durfte nicht sein! Das würde sie nicht tun. Meine Blaire doch nicht!
Automatisch ballten sich meine Hände zu Fäusten.
»Eines muss ich wissen«, sagte Cain, der Junge aus Blaires Vergangenheit, den ich ungläubig anstarrte. »Habt ihr«, er stockte und schluckte. »Hast du sie … Ach, fuck …« Er nahm seine Baseballkappe herunter und fuhr sich durchs Haar. Er hatte dunkle Augenringe und sah erschöpft aus.
Mir blieb das Herz stehen. Ich packte ihn am Arm. »Wo ist Blaire? Alles in Ordnung mit ihr?«
»Es geht ihr gut … Also, es ist alles okay mit ihr. Und jetzt lass mich los, verflucht noch mal, du brichst mir ja noch den Arm!«, schnauzte Cain und riss sich von mir los. »Blaire ist gesund und munter in Sumit. Deswegen bin ich nicht hier.«
Ach nein? Wieso denn dann? Außer Blaire verband uns doch nichts!
»Als sie Sumit verlassen hat, war sie unschuldig. Absolut unschuldig. Ich war ihr einziger richtiger Freund. Ich kann das also beurteilen. Wir sind von klein auf beste Freunde gewesen. Die Blaire, die zurückkam, war nicht mehr dieselbe. Aber sie spricht nicht darüber. Ich muss einfach wissen, ob sie und du … ob ihr beide … Hast du sie gevögelt?«
Mein Blick vernebelte sich, und ich hatte nur noch einen Gedanken: Ich wollte ihm den Hals umdrehen. Er hatte eine Grenze überschritten. So durfte er über Blaire nicht reden. Und solche Fragen stellen oder ihre Unschuld anzweifeln schon gleich gar nicht. Blaire war unschuldig, verdammt. Er hatte kein Recht!
»Ach du Scheiße! Rush, Bro, lass ihn los!«, rief Grant. Ich hörte ihn, allerdings nur aus weiter Ferne und wie aus einem Tunnel. Meine ganze Aufmerksamkeit galt dem Kerl vor mir, auf dessen Gesicht gerade meine Faust landete, sodass ihm Blut aus der Nase spritzte. Genau so sollte es sein. Ich wollte, verdammt noch mal, dass er blutete!
Zwei Arme umschlangen mich von hinten und zogen mich weg, während Cain zurückstolperte und sich die Hand an die Nase hielt. In seinen Augen stand die blanke Panik. Genauer gesagt, in einem seiner Augen. Das andere war bereits ratzfatz zugeschwollen.
»Meine Fresse, was hast du ihm denn nur gesagt?«, fragte Grant, der mich schraubstockartig umfasst hielt.
»Wehe, du sagst es!«, brüllte ich, als ich sah, dass Cain antworten wollte. Ich ertrug es nicht, ihn so über sie reden zu hören. Nichts an dem, was Blaire und ich getan hatten, war schmutzig oder falsch. Er tat ja gerade so, als hätte ich sie zugrunde gerichtet. Dabei war Blaire unschuldig. So unglaublich unschuldig. Und nichts von dem, was wir getan hatten, änderte etwas daran.
Grant, der mich noch immer fest umklammert hielt, wandte sich an Cain. »Hey, du ziehst jetzt mal besser Leine! Er hat bald zehn Kilo mehr an Muskelmasse drauf als ich, und ich kann ihn nicht ewig in Schach halten. Also zisch ab. Und lass dich hier nie mehr blicken! Kannst von Glück reden, dass ich rechtzeitig aufgetaucht bin.«
Cain nickte und taumelte dann zu seinem Pick-up. Meine Wut hatte sich inzwischen zwar etwas gelegt, doch ganz verraucht war sie nicht. Am liebsten hätte ich ihn weiter vermöbelt. Ihm jeden Gedanken aus dem Leib geprügelt, von wegen Blaire wäre nicht mehr so vollkommen wie zu dem Zeitpunkt, als sie Alabama verlassen hatte. Er wusste ja nicht, was sie alles durchgemacht hatte. Welche Hölle ihr meine Familie bereitet hatte. Wie konnte er sich da um sie kümmern? Sie brauchte mich.
»Wenn ich dich jetzt loslasse, rennst du dann wie angestochen hinter seinem Pick-up her, oder hast du dich hübsch langsam wieder eingekriegt?«, fragte Grant und lockerte seinen Griff.
»Alles okay«, versicherte ich ihm, schüttelte seine Arme ab und ging zum Geländer, umklammerte es und holte ein paarmal tief Luft. Der Schmerz war wieder mit voller Wucht zurückgekehrt. Ich hatte es geschafft, ihn tief in mir zu vergraben, bis er nur noch leise pochte, aber beim Anblick dieser Memme waren die Erinnerungen wieder hochgekommen. Jene Nacht, von der ich mich nie erholen würde. Die mir für immer einen Stempel aufgedrückt hatte.
»Dürfte ich erfahren, worum’s da eben ging? Oder willst du mir auch die Fresse polieren?«, fragte Grant, nachdem er genügend Sicherheitsabstand zwischen uns gelassen hatte.
Grant war mein Halbbruder. Als wir klein waren, waren sein Vater und meine Mutter miteinander verheiratet gewesen. Lang genug, dass wir uns für immer verbunden fühlten. Obwohl meine Mom seitdem diverse Ehemänner verschlissen hatte, betrachtete ich Grant immer noch als Familie. Er besaß genug Einblick, um zu wissen, dass es um Blaire gehen musste.
»Das war Blaires Exfreund«, erwiderte ich, ohne ihn anzusehen.
Grant räusperte sich. »Und er ist hergekommen, um sich damit zu brüsten? Oder bist du ihm an die Gurgel gegangen, weil er auch mal was mit ihr hatte?«
Beides. Nichts von beidem. Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Er ist hergekommen und hat blöde Fragen gestellt. Über mich und Blaire, Dinge, die ihn einen Dreck angehen.« »Ah so, verstehe. Das macht Sinn. Na, das ist ihm ja wohl teuer zu stehen gekommen. Immerhin hat der Bursche zusätzlich zu seinem blauen Auge vermutlich auch noch eine gebrochene Nase!«
Endlich hob ich den Kopf und sah zu Grant. »Danke, dass du mich von ihm weggezogen hast. Ich hab einfach rotgesehen.«
Grant nickte und öffnete dann die Tür. »Komm. Auf den Schreck trinken wir ein Bierchen!«

Blaire

Wohin konnte ich gehen? Mir fiel als einziger Ort das Grab meiner Mutter ein. Ich hatte kein Zuhause. Und zu Granny Q konnte ich auch nicht mehr zurück. Cain wartete vermutlich schon bei seiner Großmutter auf mich. Na ja, vielleicht auch nicht. Vielleicht hatte ich es mir mit ihm auch endgültig verdorben. Ich ließ mich am Rand des Grabs nieder und schlang die Arme um meine Beine.
Ich war nach Sumit zurückgekehrt, weil es der einzige Ort war, den ich kannte. Nun musste ich ihn wieder verlassen, da ich hier nicht bleiben konnte. Einmal mehr würde mein Leben eine plötzliche Wendung nehmen. Eine, auf die ich nicht vorbereitet war. Als ich klein war, hatte unsere Mom uns zur Sonntagsschule in der hiesigen Baptistenkirche gebracht. Ich erinnerte mich an ein Bibelzitat, das sie uns dort vorgelesen hatten, in dem es hieß, Gott würde uns nur so viel aufbürden, wie wir auch ertragen könnten. Allmählich fragte ich mich jedoch, ob das nur für diejenigen galt, die jeden Sonntag in die Kirche gingen und vor dem Zubettgehen grundsätzlich beteten. Denn in meinem Fall teilte er wirklich kräftig aus.
Doch Selbstmitleid brachte mich auch nicht weiter. Stattdessen musste ein Plan her. Dass ich nicht ewig bei Granny Q wohnen und mir von Cain Unterstützung in Alltagsdingen holen könnte, war ohnehin klar gewesen. Dafür war zwischen Cain und mir zu viel vorgefallen. Dinge, die ich nicht wiederholen wollte. Es wurde Zeit zu gehen, doch wohin? Das war noch immer die große Frage – wie auch schon drei Wochen zuvor.
»Mom, ich wünschte, du wärst hier. Ich weiß nicht, was ich tun soll, und es gibt auch niemanden, den ich fragen kann«, flüsterte ich ihr auf dem stillen Friedhof zu. Ich hoffte so sehr, dass sie mich hören konnte. Mir gefiel der Gedanke nicht, dass sie unter der Erde lag. Aber nach dem Tod meiner Zwillingsschwester Valerie hatten Mom und ich auch schon hier gesessen und uns mit Valerie unterhalten. Mom hatte gemeint, ihr Geist würde über uns wachen und sie könne uns hören. Ich wünschte mir inständig, dass es so war.
»Ich bin’s nur. Ich vermisse euch beide so. Ich möchte nicht allein sein … Und ich habe Angst!« Bis auf das Rascheln der Blätter in den Bäumen war es still um mich herum. »Du hast mir mal gesagt, wenn ich nur fest genug hinhören würde, dann würde ich die Antwort in meinem Herzen finden. Ich versuche es, Mom, aber ich bin so verwirrt. Vielleicht könntest du mir ja irgendwie einen kleinen Fingerzeig geben?«
Ich stützte mein Kinn auf meine Knie und schloss die Augen. Ich würde nicht weinen!
»Erinnerst du dich, als du mir gesagt hast, ich müsste Cain genau sagen, was ich empfinde? Dass ich mich erst dann besser fühlen könnte, wenn alles gesagt sei? Tja, genau das habe ich heute gemacht. Selbst wenn er mir verzeiht, wird es nie mehr so sein wie vorher. Aber gut, ich sollte mein Leben allmählich selbst in die Hand nehmen. Wenn ich nur wüsste, wie!«
Allein dadurch, dass ich alles einmal aussprach, fühlte ich mich schon besser. Die Stille um mich herum hatte ein Ende, als eine Wagentür zugeschlagen wurde.
Ich löste die Arme von den Beinen und blickte zum Parkplatz, wo ein einziges Auto stand, eines, das für diesen kleinen Ort viel zu teuer war. Als ich sah, wer ausstieg, japste ich nach Luft und sprang auf. Bethy! Sie war hier! In Sumit! Auf dem Friedhof … noch dazu mit einer ausgesprochenen Nobelkutsche!
Das lange braune Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte sie. Ich dagegen konnte es gar nicht wirklich fassen. Bildete ich mir das Ganze vielleicht nur ein? Was wollte sie denn hier?
»Ich find’s mehr als doof, dass du kein Handy hast«, zeterte sie los. »Wie, in drei Teufels Namen, soll ich dir Bescheid geben, dass ich komme, wenn ich keine Nummer habe? Hm?« Ich verstand nur Bahnhof, aber allein der Klang ihrer Stimme bewirkte schon, dass ich das kurze Stück zu ihr rannte.
Lachend breitete Bethy die Arme aus, und ich fiel ihr um den Hals. »Du hier? Ich glaub’s einfach nicht!«, rief ich, nachdem ich sie ausgiebig gedrückt hatte.
»Japp, ich eigentlich auch nicht. Ich hab ewig gebraucht! Aber was tut man nicht alles, wenn man mit jemandem sprechen will, der sein Handy in Rosemary gelassen hat?«
Zu gern hätte ich ihr mein Herz ausgeschüttet, aber es ging nicht. Noch nicht. Ich brauchte Zeit.
»Ich freue mich riesig, dass du hier bist, aber wie hast du mich nur gefunden?«
Grinsend legte Bethy den Kopf schief. »Ich bin einfach in der Stadt herumgefahren und habe mich nach deinem Pick-up umgeschaut. Nachdem es im ganzen Ort gefühlt nur eine Straße gibt, ist das ja kein großes Kunststück.«
Ich bestaunte ihren Wagen. »Mit dem Schlitten musst du hier ganz schön für Aufsehen gesorgt haben«, sagte ich.
»Der gehört Jace und fährt sich einfach traumhaft!«
Also war sie immer noch mit Jace zusammen. Gut. Gleichzeitig verspürte ich einen Stich im Herzen. Denn Jace erinnerte mich an Rosemary. Und Rosemary erinnerte mich an Rush.
»Ich würde dich ja fragen, wie’s dir geht, aber ich seh’s ja«, sagte sie und betrachtete mich von Kopf bis Fuß. »Meine Güte, du bist nur noch ein Strich in der Landschaft! Hast du denn seit deinem Aufbruch in Rosemary nichts mehr gegessen?«
Es stimmte, mir fielen buchstäblich die Klamotten vom Leib. Doch bei all dem Druck, der auf mir lastete, brachte ich einfach nichts herunter. »Ich habe ein paar blöde Wochen hinter mir, aber so langsam kriege ich mich wieder ein, glaube ich zumindest.«
Bethy ließ den Blick zu dem Grab hinter mir wandern. Dann zu dem daneben. Als sie die Inschriften der Grabsteine las, wurde ihre Miene traurig. »Niemand kann dir deine Erinnerungen nehmen. Die bleiben dir«, sagte sie und drückte mir die Hand.
»Ich weiß. Ich glaube sowieso kein Wort von dem, was sie über meine Mom gesagt haben. Mein Vater ist ein Lügner. Und Georgianna – was die behauptet, hätte meine Mom niemals getan. Wenn überhaupt jemand für diesen ganzen Schlamassel verantwortlich ist, dann ist es mein Vater. Er hat uns allen diesen Kummer bereitet. Und nicht meine Mom. Niemals im Leben meine Mom!«
Bethy nickte und behielt meine Hand weiter fest in ihrer. Dass jemand mir zuhörte und mir glaubte und auch von der Unschuld meiner Mutter überzeugt war, tat so unglaublich gut.
»Du und deine Schwester, habt ihr euch denn sehr ähnlich gesehen?«
Valerie, wie sie lächelt, das ist meine letzte Erinnerung an sie. Ihr Lächeln war so viel strahlender als meines. Ihre Zähne waren auch ohne die Hilfe von Zahnspangen vollkommen. Und ihre Augen leuchteten viel intensiver. Dennoch: Alle behaupteten, wir sähen völlig gleich aus. Ihnen fielen die Unterschiede gar nicht auf. Ich hatte mich immer gefragt, wieso nicht. Für mich waren sie nicht zu übersehen.
»Wir glichen uns wie ein Ei dem anderen«, erwiderte ich. Bethy würde die Wahrheit nicht einleuchten.
»Gleich zwei Blaire Wynns – unvorstellbar! Da müsst ihr in diesem Städtchen doch haufenweise Herzen gebrochen haben!« Nachdem sie sich nach meiner verstorbenen Schwester erkundigt hatte, wollte sie nun offenbar die Stimmung auflockern. Wie lieb von ihr.
»Nur Valerie. Ich war schon ziemlich früh mit Cain zusammen. Habe also keine Herzen gebrochen.«
Bethys Augen weiteten sich ein wenig, dann wandte sie den Blick ab und räusperte sich. »Obwohl’s natürlich cool ist, dich wiederzusehen, und wir beide die Stadt total zum Rocken bringen könnten, bin ich, ehrlich gesagt, nicht ganz grundlos hier.«
Dass sie einen Grund gehabt haben musste herzufahren, war mir klar gewesen, nur welchen?
»Okay?«, sagte ich und wartete, dass sie fortfuhr.
»Könnten wir das vielleicht in einem Café bequatschen?« Sie furchte die Stirn und sah dann zur Straße hinüber. »Oder vielleicht in der Eisdiele, nachdem es hier was anderes anscheinend gar nicht gibt?«
Anders als ich schien sie sich zwischen Gräbern unwohl zu fühlen. Das war normal. Aber ich war nicht normal. »Ja, okay«, sagte ich und ging meine Handtasche holen, die am Grab meiner Mutter lag.
»Hier ist deine Antwort«, hörte ich eine Stimme so leise sagen, dass ich fast schon dachte, ich hätte es mir nur eingebildet. Als ich mich zu Bethy umdrehte, die die Hände in ihre Hosentaschen gesteckt hatte, lächelte sie mich an.
»Hast du was gesagt?«, fragte ich.
»Ähm, wie meinst du das? Gerade eben? Von hier aus?«, fragte sie verwirrt.
Ich nickte. »Ja. Hast du irgendwas geflüstert?«
Sie zog die Nase kraus, blickte sich dann nervös um und schüttelte den Kopf. »Nö … ähm … Komm, wir machen uns jetzt lieber mal vom Acker« Sie packte mich am Arm und zog mich hinter sich her zu Jace’ Wagen.
Ich sah zu Moms Grab zurück, und eine tiefe Ruhe überkam mich. War das etwa …? Nein, bestimmt nicht. Kopfschüttelnd wandte ich mich um und setzte mich leise lächelnd auf die Beifahrerseite.

(c) Piper Verlag

Dichterhain: Gemeine Vokale von Anner Griem


Gemeine Vokale

Wer niemals in
Der Gosse lag
Nächtens durch
Die Gassen zog
Hungrig war und
Vom Abfall aß
Keine Worte fand
Und Sätze bog
Wird niemals
Ermessen können
Wie groß ein kleines
Wort sein kann

(c) Anner Griem