Die Landplagen: I. Der Krieg
Gedicht von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792)
Erstes Buch. Der Krieg
Junge traurige Muse! besinge die schreklichen Plagen,
Die unerbittlich der Todesengel aus Schaalen des Zornes
Ueber die Länder ausschüttet, wenn frech gehäufete Schulden
Wider ein ganzes Volk vom Richter Gerechtigkeit heischen.
Wechselnde Scenen voll Grauen, stellt euch den furchtsamen Sinnen
In eurer ganzen Abscheulichkeit dar. Entkleidete Felder!
Rauchende Mauren und Thürme! Boßhaftig schleichende Lüfte!
Menschliche Schatten, nicht Menschen mehr, mit todblassen Gesichtern,
Mit bluttränenden Augen! Auf winselnde Kinder und Frauen!
Streitende, gegen einander erhizzete Vesten des Weltbaus,
Erd' und Feuer und Dampf und Wasserfluthen und Stürme!
Gebt mir den furchtbaren Stoff zu meinem ernsten Gesange.
Und ihr, denen ich singe, mein Preis ist, fühlet und weinet!
Weinet edle Menschlichkeit auf meine klagenden Saiten,
Weinet Tränen des Danks zu dem, der göttlich erbarmend
Noch die Gewitter der Rache, (sie brausten, wüteten, eilten
Ueber euch gräßlich hinauf) von euren Häuptern zurük hielt.
Du zuerst, der Landplagen Vater, mit Donner und Feuer
Ueber die Erde stürmend, durch Menschenopfer und Blut nicht,
Nicht durch Verödung und Wimmern der ganzen Natur zu versöhnen,
Krieg! oder nenn' ich dich lieber den ehrlich gemacheten Todschlag?
Pflanze mir Schwerdter vors Auge, färbe mit Blut meine Laute,
Daß meiner Brust voll Schrekken kein zärtlicher Seufzer entfliehe,
Oder ein sanfter Ton von meinen Saiten nicht irre.
Was für ein dumpfes Prasseln erwacht aus jener Entfernung,
Welches von schwazzenden Bergen der Widerhall dumpfer zurük tönt?
Ach ihr seid es, Bothen des Kriegs, Herolde des Todes,
Ihr lautkrachenden Trommeln, von Mordgesängen begleitet.
O wie flieget das Herz des erblassend-lauschenden Landmanns!
Schnell entfällt den starren Händen die Sichel: er eilet
Mit oft sinkenden Knien zum Dorf und verkündigt den Nachbarn:
"Fliehet! der Feind ist da." Sie hörens, erblassen und rennen
Männer und Weiber unsinnig mit fliegendem Haar durcheinander:
"Ach, was sollen wir thun?" und keiner rathet dem andern:
"Wohin sollen wir fliehn?" und keiner flieht vor Bestürzung.
Zögert nur! Seht ihr, wie nicht vom Himmel genährete Blizze
Jene Nebel zertrennen und hört ihr den Donner der Stükke? -
Seht ihr den Berg mit Wolken weissagenden Staubes bedekket?
Jezo senkt sich der Staub ins Thal. Helleuchtende Waffen
Dekken wie Aeren die Hügel. Mit stampfenden Fußtritten eilet
An ihrer Neige der Krieger hinab. So stürzen die Ströme
Im Schneeschmelzenden Lenz von steilen Felsen und machen
Ruhige Fluren zum wilden See. Schon seufzet der Akker
Unter gewafneten Schnittern, oder die nährenden Halmen
Werden von frechen Füssen im schlechten Sande begraben.
Plözlich erhebt sich ein banges Geschrei. Vor brennenden Hütten
Heulet der nakte Landmann. Mit Händeringen und Seufzen
Sieht, in Lumpen gehüllt, die trostlose Gattin der Glut zu,
An der scheue Kinder sich hängen. Im dunkeln verlaßnen
Furchtbaren Walde opfert ein blödes unschuldiges Mädchen
Winselnd der Brunst des Verführers die zu ohnmächtige Tugend.
O wie wird der Vater mit Tränenbetröpfelten Schritten
Seines Alters Trost verzweifelnd suchen und finden
In eines Wüterichs Arm. Mit seinem erschrokkenen Enkel
Eilet der schwache Greis hinweg; in den Runzeln der Wange
Schleichen bekümmerte Tränen: Da, ach! eine schnelle Faust reißt
Aus den Armen des Vaters den weinend sich sträubenden Knaben,
Ewig zum Sclaven: o hätte sie ihn dem Leben entrissen!
Jezo rükt die lebendige Mauer der Krieger zur sichern
Nahgelegenen Stadt, und schikket sich, sie zu belagern.
Alles wird Furcht in der Stadt: die hohen offenen Thore
Werden krachend verschlossen und Trommeln rasen wie Donner.
"GOTT! wie wird es uns gehen?" rufen die bleichen Bewohner,
Die wie gescheuchte Schaafe in dummer Verwirrung umher fliehn.
Bald verirrt ihr kläglicher Blik auf die Weiber, die Kinder:
Zitternd ergreifen sie sie und stürzen nieder mit ihnen
In die dumpfigsten Höhlen, wo ewige Dämmerung schleichet.
So ergreift mit ängstiger Hand den Beutel, in dem sein
Herz ruht, wenn über ihm sein Dach in Funken davon fliegt,
Der halb todte Wuchrer. Schon hört man das trozzige Schmettern
Auffodernder Trompeten. Mit nicht zu erschütterndem Muthe
Spottet der Vestung Beschüzzer der tönenden Drohung. Der Bürger
Hörts, wankt mit gezwungenem Schritte zur Wohnung und hänget
Schaudernd die rostigen Waffen um sich. Beklemmet umhals't er
Dann die ohnmächtige Gattin und die erbleichende Tochter,
Kann nicht sprechen und weint. Dort rüstet den Jüngling die Braut aus:
Mit unzähligen Küssen heften die schönen und blassen
Lippen sich auf sein brennend Gesicht, voll wallender Tränen.
Schluchzend tröstet der Trostlose sie: "Verzag nicht, Geliebte!
GOTT wird mich schüzzen: verzag nicht!" aber sein ängstliches Trösten
Rizzet die tödtliche Wund' in ihrem Busen nur tiefer.
Plözlich entreißt er sich ihren an ihm klebenden Armen:
Stumm und lebloß, als wär' ihr Herz dem Busen entrissen,
Steht sie, ihr Chrystallenes Aug auf ihn gekehrt und
Da er nun unsichtbar wird, und da sie statt seiner sein Bildniß
Nur noch zu sehen glaubt, und da er ihr Ach voll Verzweiflung
Nicht mehr hören kann, sinkt sie, athemloß, ohne Sinnen
In verbergende Kissen und schluchst, bis auf die siegreichen
Augenlieder voll Tränen der Schlummer mitleidig hinabsinkt.
Und nun sind schon die Wälle mit Vätern und Gatten und Söhnen,
Die für Mütter und Weiber und Kinder kämpfen, besetzet.
Brennende Kugeln stürzen aus zornig brüllender Stükke
Ehernem Rachen umsonst auf die langsam sich nähernden Feinde;
Alle Gassen sind öd' und nur aus hohlen Gewölben
Tönet die wechselnde Stimme der Angst, das dumpfe Gemurmel,
Und das Aechzen der Kranken und der Säuglinge Schreien.
Plözlich fliegen in zischenden Bogen funkelnde Bomben
Ueber die Stadt dahin, in izt noch stehende Thürme -
Jezt gesunken; würgen in bangen Versammlungen oder
Tödten ein munteres Kind, um welches erschrokkne Geschwister
Zitternd betrachtend stehn. Auf hartem Strohbette wälzt sich
Ein Todkranker und weint, so oft er den schütternden Knall hört.
Jezt entbrennet ein Haus. Vergeblich schlupfen mit schnellen
Schritten die hurtigen Greise aus ihren Gewölben zum Löschen:
Der wahrnehmende Feind schießt in das lodernde Feuer,
Dort herum sinken die Retter von springenden Bomben zerschmettert,
Und die Flamme wird Glut. Die zagende blasse Besazzung
Kömmt in Verwirrung, beängstigt vom Heulen der Weiber und Kinder,
Die mit zerstreueten Haaren die rauchenden Gassen durchirren
Und vom Brande gejagt auf Wäll' und Thürme sich retten.
Schnell bedient der Belagerer sich des erhascheten Vortheils,
Stürmt mit wildem Geschrei, besteigt die Mauren und öfnet
Die gesperreten Thore durch die er blutdürstig hereinzieht.
Wie die Wolke, die lang an der Stirne des blauen Olympus
Schwarz und schwefelgelb droht, von uneinigen Winden gehindert:
Endlich plazzet sie loß, verschüttet Donner und Feuer
Und den peitschenden Hagel in hülflose Haufen der Aeren,
Die er, nicht achtend des stetigen Bükkens grausam zerknikket:
Also würget der Feind in wehrlose Schaaren der Bürger,
Die mit gebogenem Knie nicht können die Wohlthat erflehen,
Länger das Licht des Tages, das Würmern gegönnt wird, zu trinken.
Blut besprenget das Pflaster: verworrene kreischende Stimmen
Tödtender und Getödteter steigen zum zürnenden Himmel.
Von dem Schrekken ergriffen gebehren schwangere Frauen:
Unbändig stürzen die Krieger in ihre Kammern und reissen
Den bekümmerten Ehemann hinweg von der Seite der Liebsten
Und vor ihren Augen ermorden sie ihn. Ach! vergeblich
Strebt der Gebehrerin matte Hand, zum Himmel zu ringen,
Ihr Mund stammelt und stöhnt vergeblich: sie sieht ihn durchstochen
Und eine tiefe Ohnmacht verlöscht ihr glimmendes Leben.
Bräute bitten und schluchzen für die bedrohten Geliebten:
Mörder sind taub dem Girren der Liebe. Geschändete Jungfrauen
Opfern dem schröklichen Stahl ihr schönes Leben, nachdem sie
Viehischen Lüsten die Tugend geopfert. Es rauchet des Säuglings
Eingedrükketer Schedel; in seinen goldgelben Lokken
Klebt Gehirn. Wie zersprang das Herz der verzweifelnden Mutter,
Als ein Wütrich ihr sie umhalsendes furchtsames Kind mit
Plumper Faust ihr entriß! Sie fiel vor ihm nieder; die Rechte
Grif ins gezükkete Schwerdt, die Linke versuchte den Märt'rer
Zu entreissen: sie jammerte, bat, beschwur ihn, versprach ihm
In der sie ängstenden Todesangst Geld, ihr Haus - ihre Tugend.
Aber er lacht' ihrer Wuth: so lachen nächtliche Blitze,
So lachen Flammen der Hölle durchs sie umwölbende Dunkel.
Zischend stieß er den Stahl durch den unschuldigsten Busen,
Da fiel das zarte Kind mit Zappeln zur Erde; die Wange
Ward mit zunehmender Blässe und purpurnem Blute gefärbet.
"Mutter! Mutter!" erscholl noch von den bebenden Lippen,
Als ihm das Leben entwich: es strekkte die Hände, die Füsse
Von sich und blieb, ohne Rettung tod, zu den Füssen der Mutter.
Ganz bleich, mit verwildertem Auge, zerrungenen Händen,
Die sich ausgeraufte Lokken fülleten, flog sie
Wie eine kindberaubte Löwin, auf den Barbaren,
Raubt ihm das Schwerdt und tödtete ihn und sich mit dem Schwerdte.
Wie aus dem Toderfüllten Eden die Satane zogen,
So, auf Verwüstung stolz, ziehn aus ausspeyenden Tohren
Ueber mit Schutt und Leichen gefüllte Gräben die Barbarn.
Schwarz von Rauch, voll wartender Blizze, schauet der Himmel
Auf die Verruchten hinab und winkt dem feindlichen Heere
Wider sie anzuziehn und Henker den Henkern zu werden.
Schnell pflanzt auf dem weiten, zertretenen, stäubenden Akker
Sich ein blizzender Zaun von Schwerdtern, es toben die Trommeln
Und die Fahnen flattern bedeutend, wie Abbadons Flügel,
Ueber die Haufen dahin, die stumm zum Tode sich ordnen.
Brust gegen Brust gekehrt stehn die geweiheten Mörder,
Frech, gedankenloß, doch heimlich voll Sorgens und traurig.
Wie ein Wandrer erschrikt, wenn er unvermuthet den Rachen
Des zerreissenden Löwen vor ihm aufgesperrt siehet
Und nicht fliehen mehr kann: so beben sie, da die Geschüzze
Gegen sie angeführt, mit offenem Schlund' ihnen drohen.
Jezt ertönt die Trompete: sie sendet Schrekken auf Schrekken
In die Gebeine des Kriegers hinab. Jezt rufet die Stimme
Der Hauptleute zum Streit. Man strekt die blanken Gewehre -
Bliz auf Bliz und Knall auf Knall verwunden und tödten.
Menschen sinken wie Mükken, wie ein gewaltiger Schlag stürzt,
Taumeln betäubt darnieder, betäubt, bis eisernes Krachen
Sich eröfnender Thore der Ewigkeit sie aus dem Traum wekt.
Mit verdreheten Augen entstürzt der verwundete Frevler
Dem unter ihm wegstreichenden Roß. In umspannender dunkler
Todesangst suchet die starrende Hand die andre, sie noch zum
Richter zu falten: umsonst! zu kurz ist die Zeit seiner Busse,
Da er die längere frech, mit leichtsinniger Boßheit versäumet.
Ihr, die eure Pflicht aufruft, den winkenden Fahnen
In tausendfache Gefahren zu folgen, erbebt vor dem Tode,
Eh er noch auf der drohenden Spizze des feindlichen Schwerdtes
Vor eurem Busen steht: schaut ihm ins furchtbare Antliz,
Werdet vertraut mit ihm, gewöhnt euch zu seinen Schrekken,
Eh sein abscheulich Geripp euch unvermuthet umhalset.
Zagen und Schauder verbreitendes Bild! Aufdampfende Ströme
Menschenbluts rinnen auf dem untern ehernen Fußtritt des Heeres
Donnernden Akker, der izt zum harten Wege getreten,
Sie nicht bergen mehr kann. Entstellete Leichen, Waffen,
Kleider, unkenntliche Fahnen, Aeser geschlachteter Rosse,
Liegen unter den Füssen der Streiter zerstampft und verwirret.
Rauch und Staub verdunkelt die Gegend. Kugeln und Flammen
Fahren schröklich umher: das Schwerdt wird wüthend geschwungen
Durch die seufzende Luft, und Blut trieft herab von der Schneide.
Knallen, Schreyen, Wiehern und Winseln ertönen vermischet
Und die kläglichen Stimmen Verwundter und Sterbender werden
Fürchterlich unterbrochen von jauchzenden Siegesposaunen.
So viele Völker hier kämpften, so viele Zungen und Sprachen
Flehn von verschiedenen Gottheiten oder von Märtrern Erbarmen.
Hier eröfnet den Mund ein weicherzogner Jüngling;
Aber der Schall seiner Stimme verschwindt im wirbelnden Lärmen.
Dort strekt flehend ein Gatte die Hand aus, der sich der Gattin
Und der unmündigen Kinder erinnert und gern dem Getümmel
Noch entränne, noch lebte: aber die schnaubenden Rosse
Stürmen über ihm weg und erstikken den Funken des Lebens.
Damon, ein Vater und Held, der an der Seite des ersten
Des geliebtesten Sohnes voll Staub und Blut lag, erblikt' ihn:
Als er ihn sah, da schob er sich näher zu ihm, umarmt' ihn:
"O dich segn' ich, Geliebter! daß deine ehrende Wunde
Blut fürs Vaterland strömt! Sei getrost! die Kämpfe des Todes
Endet unsterblicher Lohn: laß uns mit Freuden sie kämpfen!
Freue dich, Sohn, und stirb!" Der sprachlose Jüngling
Zärtlicher, furchtsamer von Empfindung, hörte den Helden
Nicht. Sein trübes Auge tröpfelt' unzälige Tränen
In das Blut seiner Wunde und sein Herz brach seufzend.
Indeß end't sich die Schlacht. Ein Theil der Siegenden eilet
Denen Entfliehenden nach, von welchen ein plözlicher Regen
Abgeworfener Kleider und Waffen den Boden bedekket.
Fliegend wiehern die Rosse. Wolken von Staub verhüllen
Laufende Fußgänger ihren Verfolgern. Feigere Sieger
Plündern die Leichen in ihrem Blut. Abscheulicher Anblik!
Menschlicher sind die, die mütterlich Erdreich den Todten eröfnen
Und unter schönen Blumen Helden zu ruhen vergönnen,
Die der Großsprecher Glük durch stumme Wunden erkauften.
Flekken der Menschheit, vom wildsten der höllischen Geister ersonnen,
Krig, Zerstörer der Freuden, Verderber friedseliger Staaten!
So erschreklich du bist, sind schreklicher oft deine Folgen,
Die Jahrhunderte durch dein Andenken wieder erneuern.
Schallet nach langem Kriegesgeschrei die tröstliche Stimme
Der Posaune des Friedens an fröhlich nachhallenden Ufern:
Ach dann nahet der Landmann mit stillen unschuldigen Tränen,
Sucht sein verlassenes Dorf und findet glimmende Asche,
Sucht sein wallendes Feld, die Auen voll hüpfender Schaafe
Und die Berge voll Reben: und findt unkenntliche Wüsten.
So fand Noah die vormals lächelnde Erde verschlemmet
Als er aus dem schwimmenden Sarge neugierig heraustrat.
Tiefer gebeugt betrachtet die ihm izt drohenden Mauren
Seiner einst zierlichen Wohnung der Bürger. So stumm und erschrokken
Sah der mäonische Held die vorigen Freunde, mit jeder
Tugend des Lebens geschmükt, auf Circens bezauberter Insel
Ihn als zottigte Bären mit wildem Schnauben bedräuen.
Ganze Geschlechter ziehn hülfloß umher. Dort kriechet ein Alter
An dem dürren Stekken: ihm folgen mit langsamen Schritten
Seine entstellten Kinder nebst ihrer wehmütigen Mutter:
Alle in Lumpen, alle vom Gipfel des Glüks und des Reichthums
Zu der tiefsten Tiefe der Dürftigkeit niedergesunken.
Stolz geht der niedrige Reiche der sie geplündert, vorüber,
Hört, umwikkelt mit Tressen, bekannt mit Seufzern und Flüchen,
Nicht das stete Gewinsel der nakten hungrigen Knaben,
Noch das Stöhnen des Greises, der sie zu trösten versuchet.
Schändliche Sieger! die wehrlose friedengewöhnte Geschlechte
In ihren Häusern bestürmen und aus den Wällen voll Reben
Mit bepanzerten Händen verscheuchen: die köstliche Weine
Nicht aus Helmen entwaffneter Helden, aus gottlosem Raube
Und dem Heiligthum sonst geweihten Gefässen verschlukken.
Ists Verdienst ein Räuber zu sein, ists Lorbeeren würdig?
Oder lispelt sie nicht in eurem Busen, die Stimme
Die allmächtige Stimme der Menschlichkeit und des Erbarmens?
Oder erschrekket euch nie der fluchende Seufzer des Bettlers,
Einst ein glüklicher Bürger? Weigert die Hand sich nicht, bebt nicht,
Zu berühren ein Gut das fremdes Mühen verdiente?
Eure Kinder und Weiber, (ich sehe die rächende Zukunft)
Irren verlassen umher von einem Wuchrer gedrükket:
Tränen bahnen sich Wege auf ihre trostlose Wangen
Und ihr Busen gewöhnt sich zu bittern und heimlichen Seufzern.
Gräßlicher sind der Muse die Tygerseelen, die Morden
Und Unschuldiger rinnendes Blut zum Labsale wählen,
Lachen zu Flammen der Dörfer und jauchzen ins Schreien der Märtrer.
Einst wenn der sein Opfer aufspahrende Tod euch hinwirft,
Sollen tränende Augen, tränlose Augen, weit offen,
Um euer Lager blinken, ein stetes Winseln und Heulen
In eure Ohren schallen und aller der Elenden Flüche
Wie ein hoher Berg auf eurem ringenden Busen,
Der unter fruchtloser Müh sie von sich zu welzen, hinstirbt,
Ruhen. Höret und bebt: Es ist für Teufel ein Gott da.
Alles ist jezt öd' und Handlung, Gewerbe und Handwerk
Unterbrochen. Einsam zerstreuet seufzen die Menschen
Nach den besseren Zeiten, doch seufzen sie lange vergeblich.
Selten tritt nicht der magere Hunger, gefräßige Seuchen
Und weiterndtende Pest in die Fußtapfen des Krieges.
Oft erobern Tyrannen die schon verheereten Länder
Und ihre Herrschaft ist ewiger Krieg: sie pressen beraubten
Und erst schwach emporstrebenden Bürgern armselige Güter,
Schiffbrüchigen den Schiffbruch ab und nennen sich Väter.
Oft müssen die Ueberwundnen den scheuen Nakken hinbeugen
Dem unerträglichen Joch der Gefangenschaft. Grausame Ketten
Klingen an ihren unschuldigen Händen; umschränkende Blökke
Muß ihr müder Fuß, als wären sie Räuber, fortschleppen.
Noch einen Blik, empfindliche Muse! vergönne mir, die du
Schon der Tränen satt bist, die in dein Saytenspiel fallen.
Laß uns're Augen mit den gebrochenen Strahlen des Tages
Dämmernde Höhlen, die Gräber lebendig modernder Sklaven
Durchirren, laß uns die dunkeln Tränen auf ihren blassen
Gelben Wangen zählen (so krümmt zwischen Ufern von Schwefel
Sich der schwarze Styx); laß uns des Tunischen Räubers,
Oder des grausamen Türken, des Vieherniedrigten Tartarn
Wilde Aekker durchwandern, wo lärmende Ketten harmonisch
Tiefe Seufzer gleich Rindern pflügender Christen begleiten.
Dort im furchtbaren schwarzen Hayn, vom Strahle der Sonne
Selten nur angelacht (wie tröstet diß Lächeln die Seele!),
Arbeitet Silvius einsam. Er war ein blühender Jüngling,
Als er die trostlose Braut, mit nicht zu stillenden Tränen
Ahndungsvoll verließ, für seine Brüder zu kämpfen.
Aber wie hat der Gram izt in seine Wangen voll Rosen
Tiefe Furchen gezogen! Wie fliessen vom Kinn, den die Schöne
Oft mit sanfter Hand gestreichelt, die eißgrauen Haare!
Ach! und hätt' er kein Herz, das nur für Liebe geschaffen,
Nur für sanfte Triebe gestimmet wäre, wie glüklich
Wär' er! Aber bey jedem Stoß der klingenden Schaufel
In den felsharten Boden, hart wie seine Bewohner,
Fällt eine Träne mit nieder. "O Gott!" ruft er oft und hält die
Braunen Arme lange verzagend zum Himmel gebreitet.
Auch der scheinet ihm unbarmherzig: dann wirft er sich nieder,
Stekket sein Haupt in den Staub, bedekket mit Tränen die Gräsgen,
Betet und ächzet und schreyt. Verborgen lauschende Barbarn
Eilen herzu und färben mit Blut die betenden Arme.
Keine Wiesen reizen sein Aug': er ist wie ein Todter:
Stumm schleicht er aufs Feld, stumm eilet er weg zu der Höhle,
Die ihn schreklich erwartet; doch segnet er sie, denn das Dunkel
Das nie Phöbus noch Luna besucht, verbirgt seine Tränen
Und die bemooßten Gewölbe hallen des nächtlichen Flehens
Flüstern tröstlich zurük, gleich einer Antwort der Gottheit.
Selten verschließt ein kurzer verräthrischer Schlaf ihm die Augen,
Müde zu weinen: dann schaun die furchtbarthürmenden Mauren
Wie mitleidig nieder auf ihn, so siehet ein Kirchthurm
Auf die umher begrabnen herab. Und wenn kaum der erwachte
Morgen noch auf den Hügeln umherglänzt und Thäler durchschleichet,
So entschliesset sein Blik sich dem traurigen Lichte schon wieder,
Irrt verwildert umher, erkennt das alte Behältniß
Und der erneuerte Tag erneuert das Maaß seines Kummers.
Unterdeß gehen der Braut die Jahregedünkten Tage,
Jeder von Tränen durchweint vorüber. Im ängstenden Traume
Sieht sie oft den Geliebten von Ungeheuern umgeben,
Oder umarmt ihn in düstern Höhlen, an welchen das Heulen
Wüthender Wasserfälle herauftönt. - Bis an dem Himmel
Der sie erhört, ein glücklicher Tag zur Erde hinab lacht,
Da den geliebten Sclaven sein Freund sein Damon erlöset.
Athemloß rennt er zu ihm: der staunet ihn an und spricht nicht.
Ihre zitternden Arme umschlingen sich, ehe die Brust kann
Worte herausarbeiten, umschlingen sich, gleich als wären
Beyde ein Körper. Wie rollen die freudigen redenden Tränen
Des Unglüklichen Wangen hinab, wie drükt er den Liebling
Ans laut schluchzende Herz! So hoch empfindet kein Seraph.
"Folge mir, spricht der, du bist befreyt." So rühret kein Donner,
Schrekket kein plözlicher Bliz, wie dieses Wort die versunkne
Muthlose Seele aufschüttelt. Noch ist sie nur ganz Staunen,
Und verzweiflungsvolle Hofnung: doch bald wird die volle
Freude des Herzens Wunden heilen, die tiefgegrabnen
Runzeln des Antlizzes eben machen und Blüthe drauf pflanzen.
Und nun folgt er mit ungewissen Tritten, die magre
Hand in die Hand des Freundes geheftet, die Stirne, aus der die
Ganze Seele leuchtet, auf seine Achsel gelehnt, dem
Edlen Retter und weint und kann ihm nicht danken: "Damon!"
Lispelt er manchmal (die Stimm ist ersäuft in Tränen), und drükt ihn
Fester an seine Brust und lezt ihm die Wange mit Küssen.
Unsichtbar stehn ihre Schuzgeister, lächeln sich ihre Entzükkung
Und umarmen sich zärtlicher bei dem Anblik der Freundschaft
Ihrer Beschüzten. - Und jezt versuche die Muse Wonne,
Die nur fühlen sich läßt, zu schildern. Er eilet, er flieget
Zu seinem andern Leben. Sie sizt, die welken Arme
Unter das Haupt gestüzt: ihre bleichen reizenden Wangen
Schmükken küssenswürdige Tränen, wie Thautropfen Liljen.
Also in Gram versunken sizt sie: sieh! da eröfnet
Schnell sich die Thüre des Zimmers. Ein Mann, (noch rauh sind die Züge
Des einst männlich schönen Gesichts in dem seinen verstekket)
In ungewöhnlicher Kleidung, mit wild herabfallendem Barte
Und entzündeten Augen umarmt lautweinend die Schöne.
Gleich als hätt' ein mitternächtlicher Schatten mit kaltem
Schröklichen Arm sie umschlungen, bleibt sie, vom Gefühle verlassen.
Doch bald öfnen ihr seine unzähligen Küsse das blaue
Himmlische Aug', es strömt von Zeugen ihrer Empfindung
Eh sie noch deutlich empfindet. Er spricht ihren Namen mit Stammeln
Tausendmal aus, drükt ihre kraftlose Hand an die Lippen,
Wäscht sie in seinen Tränen. "Geliebteste, theuerste, beste,
Theuerste Doris!" Sie zittert, betrachtet ihn, und erkennt ihn:
"Silvius! - Bist du es, Silvius? Bist du es, theurer Geliebter?
Ist es ein täuschender Traum, der dich mir schenket? Wie oder
Seh ich vielleicht im Todesthale dich wieder? - Du bist es,
Ja, du bist es!" - Jauchzen erfüllt die Gegend und Freude
Ist der Liebenden Seele, die sie belebet und fortreißt,
Daß sie Handlungen üben, der Einfalt und Kindheit sich nähern,
Die der gelehrte Vater am staubichten Pulte belachet.
Dann wenn die rauschende Freude vorbeygerauschet ist, kann sie
An dem werthen Geliebten nicht satt sich sehen, dann kann er
An der theuren Geliebten nicht satt sich küssen: dann trennt sie
Nimmer sich von ihm. Er muß tief in dem einsamen Hayne,
Der ihm wieder Ruhe zulispelt, am gleitenden Bache,
Des unabläßiges Murmeln ihm nicht mehr Schwermuth erwekket,
Seine Geschicht' ihr erzählen. Sie troknet dann zärtlich die Tränen
Die die Erzehlung begleiten, und muß auch ihm ihren Kummer,
Ihre Geschicht' erzehlen, dann küßt er die reizenden Tränen
Von ihren Wangen weg, die ihre Erzehlung begleiten.
Gedicht von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792)
Erstes Buch. Der Krieg
Junge traurige Muse! besinge die schreklichen Plagen,
Die unerbittlich der Todesengel aus Schaalen des Zornes
Ueber die Länder ausschüttet, wenn frech gehäufete Schulden
Wider ein ganzes Volk vom Richter Gerechtigkeit heischen.
Wechselnde Scenen voll Grauen, stellt euch den furchtsamen Sinnen
In eurer ganzen Abscheulichkeit dar. Entkleidete Felder!
Rauchende Mauren und Thürme! Boßhaftig schleichende Lüfte!
Menschliche Schatten, nicht Menschen mehr, mit todblassen Gesichtern,
Mit bluttränenden Augen! Auf winselnde Kinder und Frauen!
Streitende, gegen einander erhizzete Vesten des Weltbaus,
Erd' und Feuer und Dampf und Wasserfluthen und Stürme!
Gebt mir den furchtbaren Stoff zu meinem ernsten Gesange.
Und ihr, denen ich singe, mein Preis ist, fühlet und weinet!
Weinet edle Menschlichkeit auf meine klagenden Saiten,
Weinet Tränen des Danks zu dem, der göttlich erbarmend
Noch die Gewitter der Rache, (sie brausten, wüteten, eilten
Ueber euch gräßlich hinauf) von euren Häuptern zurük hielt.
Du zuerst, der Landplagen Vater, mit Donner und Feuer
Ueber die Erde stürmend, durch Menschenopfer und Blut nicht,
Nicht durch Verödung und Wimmern der ganzen Natur zu versöhnen,
Krieg! oder nenn' ich dich lieber den ehrlich gemacheten Todschlag?
Pflanze mir Schwerdter vors Auge, färbe mit Blut meine Laute,
Daß meiner Brust voll Schrekken kein zärtlicher Seufzer entfliehe,
Oder ein sanfter Ton von meinen Saiten nicht irre.
Was für ein dumpfes Prasseln erwacht aus jener Entfernung,
Welches von schwazzenden Bergen der Widerhall dumpfer zurük tönt?
Ach ihr seid es, Bothen des Kriegs, Herolde des Todes,
Ihr lautkrachenden Trommeln, von Mordgesängen begleitet.
O wie flieget das Herz des erblassend-lauschenden Landmanns!
Schnell entfällt den starren Händen die Sichel: er eilet
Mit oft sinkenden Knien zum Dorf und verkündigt den Nachbarn:
"Fliehet! der Feind ist da." Sie hörens, erblassen und rennen
Männer und Weiber unsinnig mit fliegendem Haar durcheinander:
"Ach, was sollen wir thun?" und keiner rathet dem andern:
"Wohin sollen wir fliehn?" und keiner flieht vor Bestürzung.
Zögert nur! Seht ihr, wie nicht vom Himmel genährete Blizze
Jene Nebel zertrennen und hört ihr den Donner der Stükke? -
Seht ihr den Berg mit Wolken weissagenden Staubes bedekket?
Jezo senkt sich der Staub ins Thal. Helleuchtende Waffen
Dekken wie Aeren die Hügel. Mit stampfenden Fußtritten eilet
An ihrer Neige der Krieger hinab. So stürzen die Ströme
Im Schneeschmelzenden Lenz von steilen Felsen und machen
Ruhige Fluren zum wilden See. Schon seufzet der Akker
Unter gewafneten Schnittern, oder die nährenden Halmen
Werden von frechen Füssen im schlechten Sande begraben.
Plözlich erhebt sich ein banges Geschrei. Vor brennenden Hütten
Heulet der nakte Landmann. Mit Händeringen und Seufzen
Sieht, in Lumpen gehüllt, die trostlose Gattin der Glut zu,
An der scheue Kinder sich hängen. Im dunkeln verlaßnen
Furchtbaren Walde opfert ein blödes unschuldiges Mädchen
Winselnd der Brunst des Verführers die zu ohnmächtige Tugend.
O wie wird der Vater mit Tränenbetröpfelten Schritten
Seines Alters Trost verzweifelnd suchen und finden
In eines Wüterichs Arm. Mit seinem erschrokkenen Enkel
Eilet der schwache Greis hinweg; in den Runzeln der Wange
Schleichen bekümmerte Tränen: Da, ach! eine schnelle Faust reißt
Aus den Armen des Vaters den weinend sich sträubenden Knaben,
Ewig zum Sclaven: o hätte sie ihn dem Leben entrissen!
Jezo rükt die lebendige Mauer der Krieger zur sichern
Nahgelegenen Stadt, und schikket sich, sie zu belagern.
Alles wird Furcht in der Stadt: die hohen offenen Thore
Werden krachend verschlossen und Trommeln rasen wie Donner.
"GOTT! wie wird es uns gehen?" rufen die bleichen Bewohner,
Die wie gescheuchte Schaafe in dummer Verwirrung umher fliehn.
Bald verirrt ihr kläglicher Blik auf die Weiber, die Kinder:
Zitternd ergreifen sie sie und stürzen nieder mit ihnen
In die dumpfigsten Höhlen, wo ewige Dämmerung schleichet.
So ergreift mit ängstiger Hand den Beutel, in dem sein
Herz ruht, wenn über ihm sein Dach in Funken davon fliegt,
Der halb todte Wuchrer. Schon hört man das trozzige Schmettern
Auffodernder Trompeten. Mit nicht zu erschütterndem Muthe
Spottet der Vestung Beschüzzer der tönenden Drohung. Der Bürger
Hörts, wankt mit gezwungenem Schritte zur Wohnung und hänget
Schaudernd die rostigen Waffen um sich. Beklemmet umhals't er
Dann die ohnmächtige Gattin und die erbleichende Tochter,
Kann nicht sprechen und weint. Dort rüstet den Jüngling die Braut aus:
Mit unzähligen Küssen heften die schönen und blassen
Lippen sich auf sein brennend Gesicht, voll wallender Tränen.
Schluchzend tröstet der Trostlose sie: "Verzag nicht, Geliebte!
GOTT wird mich schüzzen: verzag nicht!" aber sein ängstliches Trösten
Rizzet die tödtliche Wund' in ihrem Busen nur tiefer.
Plözlich entreißt er sich ihren an ihm klebenden Armen:
Stumm und lebloß, als wär' ihr Herz dem Busen entrissen,
Steht sie, ihr Chrystallenes Aug auf ihn gekehrt und
Da er nun unsichtbar wird, und da sie statt seiner sein Bildniß
Nur noch zu sehen glaubt, und da er ihr Ach voll Verzweiflung
Nicht mehr hören kann, sinkt sie, athemloß, ohne Sinnen
In verbergende Kissen und schluchst, bis auf die siegreichen
Augenlieder voll Tränen der Schlummer mitleidig hinabsinkt.
Und nun sind schon die Wälle mit Vätern und Gatten und Söhnen,
Die für Mütter und Weiber und Kinder kämpfen, besetzet.
Brennende Kugeln stürzen aus zornig brüllender Stükke
Ehernem Rachen umsonst auf die langsam sich nähernden Feinde;
Alle Gassen sind öd' und nur aus hohlen Gewölben
Tönet die wechselnde Stimme der Angst, das dumpfe Gemurmel,
Und das Aechzen der Kranken und der Säuglinge Schreien.
Plözlich fliegen in zischenden Bogen funkelnde Bomben
Ueber die Stadt dahin, in izt noch stehende Thürme -
Jezt gesunken; würgen in bangen Versammlungen oder
Tödten ein munteres Kind, um welches erschrokkne Geschwister
Zitternd betrachtend stehn. Auf hartem Strohbette wälzt sich
Ein Todkranker und weint, so oft er den schütternden Knall hört.
Jezt entbrennet ein Haus. Vergeblich schlupfen mit schnellen
Schritten die hurtigen Greise aus ihren Gewölben zum Löschen:
Der wahrnehmende Feind schießt in das lodernde Feuer,
Dort herum sinken die Retter von springenden Bomben zerschmettert,
Und die Flamme wird Glut. Die zagende blasse Besazzung
Kömmt in Verwirrung, beängstigt vom Heulen der Weiber und Kinder,
Die mit zerstreueten Haaren die rauchenden Gassen durchirren
Und vom Brande gejagt auf Wäll' und Thürme sich retten.
Schnell bedient der Belagerer sich des erhascheten Vortheils,
Stürmt mit wildem Geschrei, besteigt die Mauren und öfnet
Die gesperreten Thore durch die er blutdürstig hereinzieht.
Wie die Wolke, die lang an der Stirne des blauen Olympus
Schwarz und schwefelgelb droht, von uneinigen Winden gehindert:
Endlich plazzet sie loß, verschüttet Donner und Feuer
Und den peitschenden Hagel in hülflose Haufen der Aeren,
Die er, nicht achtend des stetigen Bükkens grausam zerknikket:
Also würget der Feind in wehrlose Schaaren der Bürger,
Die mit gebogenem Knie nicht können die Wohlthat erflehen,
Länger das Licht des Tages, das Würmern gegönnt wird, zu trinken.
Blut besprenget das Pflaster: verworrene kreischende Stimmen
Tödtender und Getödteter steigen zum zürnenden Himmel.
Von dem Schrekken ergriffen gebehren schwangere Frauen:
Unbändig stürzen die Krieger in ihre Kammern und reissen
Den bekümmerten Ehemann hinweg von der Seite der Liebsten
Und vor ihren Augen ermorden sie ihn. Ach! vergeblich
Strebt der Gebehrerin matte Hand, zum Himmel zu ringen,
Ihr Mund stammelt und stöhnt vergeblich: sie sieht ihn durchstochen
Und eine tiefe Ohnmacht verlöscht ihr glimmendes Leben.
Bräute bitten und schluchzen für die bedrohten Geliebten:
Mörder sind taub dem Girren der Liebe. Geschändete Jungfrauen
Opfern dem schröklichen Stahl ihr schönes Leben, nachdem sie
Viehischen Lüsten die Tugend geopfert. Es rauchet des Säuglings
Eingedrükketer Schedel; in seinen goldgelben Lokken
Klebt Gehirn. Wie zersprang das Herz der verzweifelnden Mutter,
Als ein Wütrich ihr sie umhalsendes furchtsames Kind mit
Plumper Faust ihr entriß! Sie fiel vor ihm nieder; die Rechte
Grif ins gezükkete Schwerdt, die Linke versuchte den Märt'rer
Zu entreissen: sie jammerte, bat, beschwur ihn, versprach ihm
In der sie ängstenden Todesangst Geld, ihr Haus - ihre Tugend.
Aber er lacht' ihrer Wuth: so lachen nächtliche Blitze,
So lachen Flammen der Hölle durchs sie umwölbende Dunkel.
Zischend stieß er den Stahl durch den unschuldigsten Busen,
Da fiel das zarte Kind mit Zappeln zur Erde; die Wange
Ward mit zunehmender Blässe und purpurnem Blute gefärbet.
"Mutter! Mutter!" erscholl noch von den bebenden Lippen,
Als ihm das Leben entwich: es strekkte die Hände, die Füsse
Von sich und blieb, ohne Rettung tod, zu den Füssen der Mutter.
Ganz bleich, mit verwildertem Auge, zerrungenen Händen,
Die sich ausgeraufte Lokken fülleten, flog sie
Wie eine kindberaubte Löwin, auf den Barbaren,
Raubt ihm das Schwerdt und tödtete ihn und sich mit dem Schwerdte.
Wie aus dem Toderfüllten Eden die Satane zogen,
So, auf Verwüstung stolz, ziehn aus ausspeyenden Tohren
Ueber mit Schutt und Leichen gefüllte Gräben die Barbarn.
Schwarz von Rauch, voll wartender Blizze, schauet der Himmel
Auf die Verruchten hinab und winkt dem feindlichen Heere
Wider sie anzuziehn und Henker den Henkern zu werden.
Schnell pflanzt auf dem weiten, zertretenen, stäubenden Akker
Sich ein blizzender Zaun von Schwerdtern, es toben die Trommeln
Und die Fahnen flattern bedeutend, wie Abbadons Flügel,
Ueber die Haufen dahin, die stumm zum Tode sich ordnen.
Brust gegen Brust gekehrt stehn die geweiheten Mörder,
Frech, gedankenloß, doch heimlich voll Sorgens und traurig.
Wie ein Wandrer erschrikt, wenn er unvermuthet den Rachen
Des zerreissenden Löwen vor ihm aufgesperrt siehet
Und nicht fliehen mehr kann: so beben sie, da die Geschüzze
Gegen sie angeführt, mit offenem Schlund' ihnen drohen.
Jezt ertönt die Trompete: sie sendet Schrekken auf Schrekken
In die Gebeine des Kriegers hinab. Jezt rufet die Stimme
Der Hauptleute zum Streit. Man strekt die blanken Gewehre -
Bliz auf Bliz und Knall auf Knall verwunden und tödten.
Menschen sinken wie Mükken, wie ein gewaltiger Schlag stürzt,
Taumeln betäubt darnieder, betäubt, bis eisernes Krachen
Sich eröfnender Thore der Ewigkeit sie aus dem Traum wekt.
Mit verdreheten Augen entstürzt der verwundete Frevler
Dem unter ihm wegstreichenden Roß. In umspannender dunkler
Todesangst suchet die starrende Hand die andre, sie noch zum
Richter zu falten: umsonst! zu kurz ist die Zeit seiner Busse,
Da er die längere frech, mit leichtsinniger Boßheit versäumet.
Ihr, die eure Pflicht aufruft, den winkenden Fahnen
In tausendfache Gefahren zu folgen, erbebt vor dem Tode,
Eh er noch auf der drohenden Spizze des feindlichen Schwerdtes
Vor eurem Busen steht: schaut ihm ins furchtbare Antliz,
Werdet vertraut mit ihm, gewöhnt euch zu seinen Schrekken,
Eh sein abscheulich Geripp euch unvermuthet umhalset.
Zagen und Schauder verbreitendes Bild! Aufdampfende Ströme
Menschenbluts rinnen auf dem untern ehernen Fußtritt des Heeres
Donnernden Akker, der izt zum harten Wege getreten,
Sie nicht bergen mehr kann. Entstellete Leichen, Waffen,
Kleider, unkenntliche Fahnen, Aeser geschlachteter Rosse,
Liegen unter den Füssen der Streiter zerstampft und verwirret.
Rauch und Staub verdunkelt die Gegend. Kugeln und Flammen
Fahren schröklich umher: das Schwerdt wird wüthend geschwungen
Durch die seufzende Luft, und Blut trieft herab von der Schneide.
Knallen, Schreyen, Wiehern und Winseln ertönen vermischet
Und die kläglichen Stimmen Verwundter und Sterbender werden
Fürchterlich unterbrochen von jauchzenden Siegesposaunen.
So viele Völker hier kämpften, so viele Zungen und Sprachen
Flehn von verschiedenen Gottheiten oder von Märtrern Erbarmen.
Hier eröfnet den Mund ein weicherzogner Jüngling;
Aber der Schall seiner Stimme verschwindt im wirbelnden Lärmen.
Dort strekt flehend ein Gatte die Hand aus, der sich der Gattin
Und der unmündigen Kinder erinnert und gern dem Getümmel
Noch entränne, noch lebte: aber die schnaubenden Rosse
Stürmen über ihm weg und erstikken den Funken des Lebens.
Damon, ein Vater und Held, der an der Seite des ersten
Des geliebtesten Sohnes voll Staub und Blut lag, erblikt' ihn:
Als er ihn sah, da schob er sich näher zu ihm, umarmt' ihn:
"O dich segn' ich, Geliebter! daß deine ehrende Wunde
Blut fürs Vaterland strömt! Sei getrost! die Kämpfe des Todes
Endet unsterblicher Lohn: laß uns mit Freuden sie kämpfen!
Freue dich, Sohn, und stirb!" Der sprachlose Jüngling
Zärtlicher, furchtsamer von Empfindung, hörte den Helden
Nicht. Sein trübes Auge tröpfelt' unzälige Tränen
In das Blut seiner Wunde und sein Herz brach seufzend.
Indeß end't sich die Schlacht. Ein Theil der Siegenden eilet
Denen Entfliehenden nach, von welchen ein plözlicher Regen
Abgeworfener Kleider und Waffen den Boden bedekket.
Fliegend wiehern die Rosse. Wolken von Staub verhüllen
Laufende Fußgänger ihren Verfolgern. Feigere Sieger
Plündern die Leichen in ihrem Blut. Abscheulicher Anblik!
Menschlicher sind die, die mütterlich Erdreich den Todten eröfnen
Und unter schönen Blumen Helden zu ruhen vergönnen,
Die der Großsprecher Glük durch stumme Wunden erkauften.
Flekken der Menschheit, vom wildsten der höllischen Geister ersonnen,
Krig, Zerstörer der Freuden, Verderber friedseliger Staaten!
So erschreklich du bist, sind schreklicher oft deine Folgen,
Die Jahrhunderte durch dein Andenken wieder erneuern.
Schallet nach langem Kriegesgeschrei die tröstliche Stimme
Der Posaune des Friedens an fröhlich nachhallenden Ufern:
Ach dann nahet der Landmann mit stillen unschuldigen Tränen,
Sucht sein verlassenes Dorf und findet glimmende Asche,
Sucht sein wallendes Feld, die Auen voll hüpfender Schaafe
Und die Berge voll Reben: und findt unkenntliche Wüsten.
So fand Noah die vormals lächelnde Erde verschlemmet
Als er aus dem schwimmenden Sarge neugierig heraustrat.
Tiefer gebeugt betrachtet die ihm izt drohenden Mauren
Seiner einst zierlichen Wohnung der Bürger. So stumm und erschrokken
Sah der mäonische Held die vorigen Freunde, mit jeder
Tugend des Lebens geschmükt, auf Circens bezauberter Insel
Ihn als zottigte Bären mit wildem Schnauben bedräuen.
Ganze Geschlechter ziehn hülfloß umher. Dort kriechet ein Alter
An dem dürren Stekken: ihm folgen mit langsamen Schritten
Seine entstellten Kinder nebst ihrer wehmütigen Mutter:
Alle in Lumpen, alle vom Gipfel des Glüks und des Reichthums
Zu der tiefsten Tiefe der Dürftigkeit niedergesunken.
Stolz geht der niedrige Reiche der sie geplündert, vorüber,
Hört, umwikkelt mit Tressen, bekannt mit Seufzern und Flüchen,
Nicht das stete Gewinsel der nakten hungrigen Knaben,
Noch das Stöhnen des Greises, der sie zu trösten versuchet.
Schändliche Sieger! die wehrlose friedengewöhnte Geschlechte
In ihren Häusern bestürmen und aus den Wällen voll Reben
Mit bepanzerten Händen verscheuchen: die köstliche Weine
Nicht aus Helmen entwaffneter Helden, aus gottlosem Raube
Und dem Heiligthum sonst geweihten Gefässen verschlukken.
Ists Verdienst ein Räuber zu sein, ists Lorbeeren würdig?
Oder lispelt sie nicht in eurem Busen, die Stimme
Die allmächtige Stimme der Menschlichkeit und des Erbarmens?
Oder erschrekket euch nie der fluchende Seufzer des Bettlers,
Einst ein glüklicher Bürger? Weigert die Hand sich nicht, bebt nicht,
Zu berühren ein Gut das fremdes Mühen verdiente?
Eure Kinder und Weiber, (ich sehe die rächende Zukunft)
Irren verlassen umher von einem Wuchrer gedrükket:
Tränen bahnen sich Wege auf ihre trostlose Wangen
Und ihr Busen gewöhnt sich zu bittern und heimlichen Seufzern.
Gräßlicher sind der Muse die Tygerseelen, die Morden
Und Unschuldiger rinnendes Blut zum Labsale wählen,
Lachen zu Flammen der Dörfer und jauchzen ins Schreien der Märtrer.
Einst wenn der sein Opfer aufspahrende Tod euch hinwirft,
Sollen tränende Augen, tränlose Augen, weit offen,
Um euer Lager blinken, ein stetes Winseln und Heulen
In eure Ohren schallen und aller der Elenden Flüche
Wie ein hoher Berg auf eurem ringenden Busen,
Der unter fruchtloser Müh sie von sich zu welzen, hinstirbt,
Ruhen. Höret und bebt: Es ist für Teufel ein Gott da.
Alles ist jezt öd' und Handlung, Gewerbe und Handwerk
Unterbrochen. Einsam zerstreuet seufzen die Menschen
Nach den besseren Zeiten, doch seufzen sie lange vergeblich.
Selten tritt nicht der magere Hunger, gefräßige Seuchen
Und weiterndtende Pest in die Fußtapfen des Krieges.
Oft erobern Tyrannen die schon verheereten Länder
Und ihre Herrschaft ist ewiger Krieg: sie pressen beraubten
Und erst schwach emporstrebenden Bürgern armselige Güter,
Schiffbrüchigen den Schiffbruch ab und nennen sich Väter.
Oft müssen die Ueberwundnen den scheuen Nakken hinbeugen
Dem unerträglichen Joch der Gefangenschaft. Grausame Ketten
Klingen an ihren unschuldigen Händen; umschränkende Blökke
Muß ihr müder Fuß, als wären sie Räuber, fortschleppen.
Noch einen Blik, empfindliche Muse! vergönne mir, die du
Schon der Tränen satt bist, die in dein Saytenspiel fallen.
Laß uns're Augen mit den gebrochenen Strahlen des Tages
Dämmernde Höhlen, die Gräber lebendig modernder Sklaven
Durchirren, laß uns die dunkeln Tränen auf ihren blassen
Gelben Wangen zählen (so krümmt zwischen Ufern von Schwefel
Sich der schwarze Styx); laß uns des Tunischen Räubers,
Oder des grausamen Türken, des Vieherniedrigten Tartarn
Wilde Aekker durchwandern, wo lärmende Ketten harmonisch
Tiefe Seufzer gleich Rindern pflügender Christen begleiten.
Dort im furchtbaren schwarzen Hayn, vom Strahle der Sonne
Selten nur angelacht (wie tröstet diß Lächeln die Seele!),
Arbeitet Silvius einsam. Er war ein blühender Jüngling,
Als er die trostlose Braut, mit nicht zu stillenden Tränen
Ahndungsvoll verließ, für seine Brüder zu kämpfen.
Aber wie hat der Gram izt in seine Wangen voll Rosen
Tiefe Furchen gezogen! Wie fliessen vom Kinn, den die Schöne
Oft mit sanfter Hand gestreichelt, die eißgrauen Haare!
Ach! und hätt' er kein Herz, das nur für Liebe geschaffen,
Nur für sanfte Triebe gestimmet wäre, wie glüklich
Wär' er! Aber bey jedem Stoß der klingenden Schaufel
In den felsharten Boden, hart wie seine Bewohner,
Fällt eine Träne mit nieder. "O Gott!" ruft er oft und hält die
Braunen Arme lange verzagend zum Himmel gebreitet.
Auch der scheinet ihm unbarmherzig: dann wirft er sich nieder,
Stekket sein Haupt in den Staub, bedekket mit Tränen die Gräsgen,
Betet und ächzet und schreyt. Verborgen lauschende Barbarn
Eilen herzu und färben mit Blut die betenden Arme.
Keine Wiesen reizen sein Aug': er ist wie ein Todter:
Stumm schleicht er aufs Feld, stumm eilet er weg zu der Höhle,
Die ihn schreklich erwartet; doch segnet er sie, denn das Dunkel
Das nie Phöbus noch Luna besucht, verbirgt seine Tränen
Und die bemooßten Gewölbe hallen des nächtlichen Flehens
Flüstern tröstlich zurük, gleich einer Antwort der Gottheit.
Selten verschließt ein kurzer verräthrischer Schlaf ihm die Augen,
Müde zu weinen: dann schaun die furchtbarthürmenden Mauren
Wie mitleidig nieder auf ihn, so siehet ein Kirchthurm
Auf die umher begrabnen herab. Und wenn kaum der erwachte
Morgen noch auf den Hügeln umherglänzt und Thäler durchschleichet,
So entschliesset sein Blik sich dem traurigen Lichte schon wieder,
Irrt verwildert umher, erkennt das alte Behältniß
Und der erneuerte Tag erneuert das Maaß seines Kummers.
Unterdeß gehen der Braut die Jahregedünkten Tage,
Jeder von Tränen durchweint vorüber. Im ängstenden Traume
Sieht sie oft den Geliebten von Ungeheuern umgeben,
Oder umarmt ihn in düstern Höhlen, an welchen das Heulen
Wüthender Wasserfälle herauftönt. - Bis an dem Himmel
Der sie erhört, ein glücklicher Tag zur Erde hinab lacht,
Da den geliebten Sclaven sein Freund sein Damon erlöset.
Athemloß rennt er zu ihm: der staunet ihn an und spricht nicht.
Ihre zitternden Arme umschlingen sich, ehe die Brust kann
Worte herausarbeiten, umschlingen sich, gleich als wären
Beyde ein Körper. Wie rollen die freudigen redenden Tränen
Des Unglüklichen Wangen hinab, wie drükt er den Liebling
Ans laut schluchzende Herz! So hoch empfindet kein Seraph.
"Folge mir, spricht der, du bist befreyt." So rühret kein Donner,
Schrekket kein plözlicher Bliz, wie dieses Wort die versunkne
Muthlose Seele aufschüttelt. Noch ist sie nur ganz Staunen,
Und verzweiflungsvolle Hofnung: doch bald wird die volle
Freude des Herzens Wunden heilen, die tiefgegrabnen
Runzeln des Antlizzes eben machen und Blüthe drauf pflanzen.
Und nun folgt er mit ungewissen Tritten, die magre
Hand in die Hand des Freundes geheftet, die Stirne, aus der die
Ganze Seele leuchtet, auf seine Achsel gelehnt, dem
Edlen Retter und weint und kann ihm nicht danken: "Damon!"
Lispelt er manchmal (die Stimm ist ersäuft in Tränen), und drükt ihn
Fester an seine Brust und lezt ihm die Wange mit Küssen.
Unsichtbar stehn ihre Schuzgeister, lächeln sich ihre Entzükkung
Und umarmen sich zärtlicher bei dem Anblik der Freundschaft
Ihrer Beschüzten. - Und jezt versuche die Muse Wonne,
Die nur fühlen sich läßt, zu schildern. Er eilet, er flieget
Zu seinem andern Leben. Sie sizt, die welken Arme
Unter das Haupt gestüzt: ihre bleichen reizenden Wangen
Schmükken küssenswürdige Tränen, wie Thautropfen Liljen.
Also in Gram versunken sizt sie: sieh! da eröfnet
Schnell sich die Thüre des Zimmers. Ein Mann, (noch rauh sind die Züge
Des einst männlich schönen Gesichts in dem seinen verstekket)
In ungewöhnlicher Kleidung, mit wild herabfallendem Barte
Und entzündeten Augen umarmt lautweinend die Schöne.
Gleich als hätt' ein mitternächtlicher Schatten mit kaltem
Schröklichen Arm sie umschlungen, bleibt sie, vom Gefühle verlassen.
Doch bald öfnen ihr seine unzähligen Küsse das blaue
Himmlische Aug', es strömt von Zeugen ihrer Empfindung
Eh sie noch deutlich empfindet. Er spricht ihren Namen mit Stammeln
Tausendmal aus, drükt ihre kraftlose Hand an die Lippen,
Wäscht sie in seinen Tränen. "Geliebteste, theuerste, beste,
Theuerste Doris!" Sie zittert, betrachtet ihn, und erkennt ihn:
"Silvius! - Bist du es, Silvius? Bist du es, theurer Geliebter?
Ist es ein täuschender Traum, der dich mir schenket? Wie oder
Seh ich vielleicht im Todesthale dich wieder? - Du bist es,
Ja, du bist es!" - Jauchzen erfüllt die Gegend und Freude
Ist der Liebenden Seele, die sie belebet und fortreißt,
Daß sie Handlungen üben, der Einfalt und Kindheit sich nähern,
Die der gelehrte Vater am staubichten Pulte belachet.
Dann wenn die rauschende Freude vorbeygerauschet ist, kann sie
An dem werthen Geliebten nicht satt sich sehen, dann kann er
An der theuren Geliebten nicht satt sich küssen: dann trennt sie
Nimmer sich von ihm. Er muß tief in dem einsamen Hayne,
Der ihm wieder Ruhe zulispelt, am gleitenden Bache,
Des unabläßiges Murmeln ihm nicht mehr Schwermuth erwekket,
Seine Geschicht' ihr erzählen. Sie troknet dann zärtlich die Tränen
Die die Erzehlung begleiten, und muß auch ihm ihren Kummer,
Ihre Geschicht' erzehlen, dann küßt er die reizenden Tränen
Von ihren Wangen weg, die ihre Erzehlung begleiten.
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