SV Verlag

SV Verlag mit Handy oder Tablet entdecken!
Die neue Generation der platzsparenden Bücher - klein, stark, leicht und fast unsichtbar! E-Books bei viereggtext! Wollen Sie Anspruchsvolles veröffentlichen oder suchen Sie Lesegenuss für zu Hause oder unterwegs? Verfolgen Sie mein Programm im SV Verlag, Sie werden immer etwas Passendes entdecken ... Weitere Informationen

.

.
Dichterhain, Bände 1 bis 4

.

.
Dichterhain, Bände 5 bis 8

Übersetze/Translate/Traduis/Tradurre/Traducir/переводить/çevirmek

Donnerstag, 3. Mai 2012

Dichterhain: TROST von Heidi Huber


Trost
 
Schrittgehemmt
im Sumpf
der Enttäuschung
 
Im Augenaufschlag
gefiedert
Wolkenleicht

© Heidi Huber (*1945) 

Für Sie besucht: Sebastian Krumbiegel von den PRINZEN in Rockenhausen



Die PRINZEN, das ist der Inbegriff von Leichtigkeit, Vorwitzigkeit und klugen Texten aus Leipzig. Sie hatten sich vor Jahren getrennt. Sebastian Krumbiegel, Liederschreiber und Sänger des Chors aus ehemaligen Thomanermitgliedern, mit Bezug zur Bachtradition in der schmucken und traditionsreichen Stadt in Sachsen-Anhalt, machte sich solo auf den Weg und war am 27. April 2012 im Roten Saal der Donnersberghalle in Rockenhausen.

Dort hat man übrigens auch Gelegenheit das fotorealistische Bild von Dietmar Gross (*1957 in Bexbach/Saarland, lebt in Dienburg bei Mainz), Kahnweiler-Preisträger 1984, aus dem Jahr 1987 zu sehen. "Das Vermächtnis von Kahnweiler" zeigt Henry Kahnweiler, der der Stadt Rockenhausen seine Bibliothek, Bilder und Material zu seinem Leben hinterließ, und Picasso an einem Tisch. Picasso nackt und mit Stierfuß. Der seit 1981 vergebene Daniel-Henry Kahnweiler-Preis ist mit 15.000 DM dotiert. Er wird im Wechsel für Malerei/Grafik und Bildhauerei/Plastik ausgeschrieben. Kahnweiler hat Picasso und viele andere Künstler ab 1910 in Ausstellungen gebracht, war Mäzen und Freund von Picasso. Er verlegte u.a. Gedichte von Appolinaire und hatte hohe Qualitätsansprüche.

Das Vermächtnis von Kahnweiler, Dietmar Gross, 1987
Die gewitzte Frechheit der Prinzen klingt noch immer durch bei Sebastian Krumbiegel, ist denoch abgemildert, reifer und älter. Er bringt viele Themen zur Sprache, Rassismus, Homosexualität, Extreme Rechte, das Diktat des Geldes, Ausnahmezustände bei Menschen ("Am Limit"), bleibt eher auf der beschreibenden Ebene in seinen Liedern, fordert keine sonderlichen Interpretationsleistungen. Er moderiert, kommentiert und singt 2,5 Stunden und gibt wirklich viel aus seinem Repertoire. Den Überfall 2003 in einem Leipziger Park durch Schläger mit anschließendem Krankenhausaufenthalt hat ihn nicht verunsichert, seine Trauer über diese gewalttätige Dummheit von Menschen hat er mit einem Song weggeblasen und stetig daran gearbeitet, Depression und negativem Denken keinen Platz einzuräumen. Sebastian Krumbiegel spricht viel über seine Vorbilder, die so unterschiedlich sind, wie die Farben auf der Farbskala: Johann Sebastian Bach, die "Beatles", Rio Reiser von "Ton, Steine, Scherben", die "Comedian Harmonists" ... Auch mit Udo Lindenberg verbindet ihn eine Menge, die PRINZEN waren bei Udo Lindenberg im Programm integriert, sie erlebten seine schlimmen Phasen, wo Alkohol und bizarre Allüren den Meister lahmlegten, aber auch seine Triumphe. Krumbiegel war ab der 4. Klasse bis zum Abitur im Thomanerchor Leipzig, bevor die Karriere mit den PRINZEN begann. Und die machen sich tatsächlich dieser Tage wieder auf den Weg und singen vor allem in Kirchen ihre Lieder.

Sa., 02.06., 21:00 Uhr, Coswig
Fr., 08.06., 21:00 Uhr, Leipzig
So., 10.06., 18:00 Uhr, Wedel
Sa., 30.06., Coburg-Cortendorf
Sa., 07.07., 20:00 Uhr, Lauffen
Fr., 13.07., 20:30 Uhr, Senftenberg


Das Ende des Konzerts hatte den größten Drive und steigerte die Stimmung noch mal ordentlich mit Publikumseinbezug. Mit "Ich verweigere mich", "Nüchtern bin ich schüchtern", "Ich will zurück ins Paradies" (eine im wahrsten Sinne des Wortes pfiffige Nummer, es gab sehr gute Pfeifer in Rockenhausen!), "Du und ich lass uns abhauen" in den starken und zufriedenen Applaus. Ein milder, sehr schöner Abend im eher unbekannten Rockenhausen.

Mittwoch, 2. Mai 2012

Comedy: Oliver Polak auf DVD



„Ich darf das, ich bin Jude! Live!“Sony Music/Spassgesellschaft 2012

FSK: ab 12, Laufzeit: ca. 140 Minuten

Set-Inhalt: 1 DVD, PAL 16:9

Bonusmaterial:
- Making Of "The jew must go on"
- Videoclip zu „Lasst uns alle Juden sein“
- Judenspiel
- QCC und RTL2 Funclub Standup
Die Erwartungshaltung war groß, viele zehntausend Einheiten nach seinem deutschlandweit bewegenden Bestseller „Ich darf das, ich bin Jude“ sowie der Kulturnews-Auszeichnung „Bestes Entertainment 2010“ für die Stand-up-Show „Jud süss-sauer“ nun sein neues Programm auf DVD zu sehen!

In seiner Show „Ich darf das, ich bin Jude! Live!“ werden nicht die üblichen Kalauerkonserven aus dem Comedyautomaten gezogen, hier wird eine komplett neue Kunstform aus der Taufe gehoben: Lesung, Stand-up, Show – und das alles mit einer gehörigen Portion Glamour! Heraus kommt eine großartige Leseshow mit den Highlights aus „Ich darf das, ich bin Jude“ und „Jud süß-sauer“ plus brandneuer Stand-ups, Smashhits wie „Lasst uns alle Juden sein!“ und „Ich möchte Teil einer Judenbewegung sein“, exquisite Gäste und dem einzigartigen Judenspiel, bei dem die Zuschauer versuchen zu erraten, welcher prominente Jude ist. Eine kabarettistische Bar Mitzwa - mit schneidendem Humor! Nicht platt - aber ganz sicher auch nicht hochdeutsch. Neben der in Berlin aufgenommenen Show „Ich darf das, ich bin Jude! Live!“ kann sich das werte DVD-Publikum auf weitere Einblicke in Oliver Polaks Schaffen freuen: Ein Making-of rund um die Aufzeichnung, eine zwanzigminütige Dokumentation „The Jew must go on“ über Polaks umtriebigen Alltag als Entertainer, der Videoclip zu seinem Hit „Lasst uns alle Juden sein“ und sein großartiger Ebay-Stand-up beim rtl2 funclub.
 Oliver Polak ist ein Phänomen. Internationale Medien werden auf ihn aufmerksam. Jüngst schrieb der Spiegel in einem fünfseitigen Artikel über seine Kunst, mehrere Artikel erschienen in US-Medien und der französische TV-Sender France 24 produzierte ein Porträt über ihn. Auf dem Kirchentag schaffte Polak es, dass 2000 Christen seinen Hit „Lasst uns alle Juden sein!“ mitsangen. Oliver Polak bringt nicht nur den jüdischen Humor zurück nach Deutschland, nein auch klassischen amerikanischen Stand-up. Authentisch, wahrhaftig und komisch! Eine humoristische Sinuskurve aus lauten „Oohs“ und leisen „Aahs“. Nennen Sie es narrative Passion, nennen Sie es Misstrauen gegen das deutsche Publikum: Er ist persönlich, berührend und gnadenlos jüdisch! Das Tel Aviv der deutschen Comedy – die Pointen-Flak geladen, greift der „Panda aus Papenburg“ an: Polak wundert sich darüber, dass er von Ebay einen gelben Stern zum Anstecken bekommt, während er sich fragt, wie man am selben Tag die Reichspogromnacht und den Mauerfall feiert! Der Entertainer freut sich, dass Hitler den Krieg verloren hat, damit ihm Hits wie wie „KZ-Klo“ oder „Hinterm Holocaust geht’s weiter“ erspart bleiben! Er hat Respekt vor Steve Jobs, der zurückgetreten ist, als er gemerkt hat, dass er dünner wird als die Geräte, die er selber entwickelt hat! Polaks Fazit: Juden waren schon Ghetto, bevor es Rapper überhaupt gab! – Polaks Humor ist mitunter so schwarz wie die Seele eines Waffenhändlers.


25.05.2012 – Mainz Unterhaus
26.05.2012 – Mainz Unterhaus
28.09.2012 – Papenburg Theater auf der Werft
Weitere Termine sind in Planung.

Dichterhain: TOLERANZ von Birgit Burkey



Toleranz

[Spontandichtung nach Wortvorgabe:
Vorurteil, Ozean, Hände, bewusst, kleinkariert] 


Lasst uns aufeinander zugehen,
die Hände reichen,
bewusst Berührung suchen,
ohne Vorurteile zu beachten.

Kleinkarierte Gedanken fluten,
wie Ozeanwellen,
oft ungewollt, uns Menschen,
Toleranz versinkt im Schlamm.

Lasst uns aufeinander zugehen,
Schritt für Schritt
und die Freiheit genießen,
Akzeptanz zu verschenken.

© Birgit Burkey, Ramstein, 2012, www.rsd-radio.com

Buchbesprechung: DAS SCHEISSLEBEN MEINES VATERS, DAS SCHEISSLEBEN MEINER MUTTER UND MEINE EIGENE SCHEISSJUGEND von Andreas Altmann


Andreas Altmann 
Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben 
meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend

München 2011, 256 Seiten, gebunden 

€ 19,99 [D], Piper Verlag



»Ich kann Opfer nicht ausstehen. Ich war selbst zu lang eins.«
Andreas Altmann




Eine Geschichte aus der beschaulichen deutschen Provinz voller Misshandlungen, Demütigungen, bigotter, tätlicher Pfarrer und verkappter Nazis. Ein Vater despotisch, tyrannisch, brutal, unterdrückend, die Mutter ein Opfer, unterdrückt und gedemütigt, die Kinder getreten und misshandelt. Und das alles in dem erzkatholischen Ort Altötting. "...das herzkranke, das gefühlskranke, das geisteskranke Arschloch Franz Xaver Altmann" (Andreas Altmann) starb alleine mit 79 an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Keiner der Familie, die Frau und die Kinder nicht, wagten sich ans Sterbebett.
Andreas Altmann erzählt von seiner Kindheit und Jugend. Und wie am Ende aus einem Opfer ein freier Mensch wird. Erst mit Mitte 30 kann er verstehen und akzeptieren, dass der Krieg aus seinem Vater ein "Schwein" gemacht hat.

Eine Kindheit der Nachkriegszeit im idyllischen Wallfahrtsort Altötting. Doch die Geschichte, die Andreas Altmann erzählt, handelt weder von Gnade noch von Wundern, sondern von brutaler Gewalt und Schrecken ohne Ende. Schonungslos blickt Altmann zurück: auf einen Vater, der als psychisches Wrack aus dem Krieg kommt und den Sohn bis zur Bewusstlosigkeit prügelt, auf eine Mutter, die zu schwach ist, um den Sohn zu schützen, und auf ein Kind, das um sein Überleben kämpft. Erst als Jugendlichem gelingt Altmann die Flucht. Die schreckliche Erfahrung aber kann ihn nicht brechen. Sie wird vielmehr der Schlüssel für ein Leben jenseits des Opferstatus. Ein Leben, in dem er seine Bestimmung als Reporter findet: »Hätte ich eine liebliche Kindheit verbracht, ich hätte nie zu schreiben begonnen, nie die Welt umrundet …«


© Nathalie Bauer

Der Autor
Andreas Altmann arbeitete u. a. als Privatchauffeur, Anlageberater, Buchclubvertreter, Parkwächter und Schauspieler, bevor er endlich das fand, was er wirklich machen wollte: die Welt bereisen und als Reporter darüber schreiben. Heute zählt er zu den bekanntesten deutschen Reiseautoren und wurde u.a. mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis und dem Seume-Literaturpreis ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm »Triffst Du Buddha, töte ihn!«. Altmann lebt in Paris.


»Es ist ein Buch gegen Krieg, gegen  Katholizismus, überhaupt Religion,gegen kleinstädtische Borniertheit, Bigotterie, Heuchelei, Feigheit,Verdruckstheit, Provinzmief, Kleinherzigkeit, Stumpfsinn, Gewalt ( … ) Etwas Besseres lässt sich aus einer Scheißkindheit kaum machen.«
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
»Das Buch ist das Beste und Böseste, was seit Thomas Bernhards "Auslöschung"...auf Alpenländisch zu lesen war über die Abgründe des Menschseins.«
Die Zeit


Dienstag, 1. Mai 2012

Fantasien zur Nacht: SCHÄTZCHEN von Ute AnneMarie Schuster

Liebes Schätzchen

Liebes Schätzchen, lass Dich küssen,
von den Lippen zu den Füßen,
wenn Du willst geh ich zurück,
halte an bei Deinem Glück.

Lass mich aus dem Nabel trinken,
zärtlich in die Höhle sinken.
Lass sich unsre Lippen finden,
sinnenfroh uns lustvoll winden.

Lass die Zeit uns wohl genießen,
bis wir ineinander fließen,
Lass Dich küssen an den Lenden,
bis wir uns an uns verschwenden.

Lass mich, lass mich, Dich verwöhnen,
ach wie lieb ich doch Dein Stöhnen,
halt mich fest mit Hand und Bein,
lass mich Dein Geliebter sein.



(c) Ute AnneMarie Schuster, Weiz, Austria

(5) Und wenn sie nicht ... Salon Rapunzel - Waschen, Schneiden, Legen.. und noch einiges mehr


 „Rapunzel! Es ist zu heiß unter der Haube, ich hab schon ein ganz rotes Gesicht!“, empörte sich Schneewittchen. „Das kommt vom Saufen, du alte Schnepfe!“, murmelte Rapunzel vor sich hin. Sie zwang sich zu einem freundlichen Lächeln, als sie zu Schneewittchen trat, um die Temperatur zu regulieren. „Besser so?“ Schneewittchen nickte gnädig. 


Rapunzel stöhnte leise. Diese furchtbaren Kopfschmerzen. Alles hatte sie schon probiert und nichts half. Das kam von der kaputten Halswirbelsäule. Es ist eben nicht gesund, wenn alle möglichen Leute meinen, ihr Zopf wäre ein Kletterstrick. Gut, den hübschen Prinzen, ihren jetzigen Gatten, hatte sie ja noch gerne in den Turm gehievt, aber diese alte Zauberin, die fette Qualle – nee, das war zuviel gewesen. Das hält das stärkste Rückgrat nicht aus. Heute war es aber auch wieder besonders schlimm. Kaum auszuhalten. 


Und der Salon rappelvoll. Seit einigen Wochen musste sie auch noch alles allein machen. Warum nur hatte König Erdal ihre beiden Lehrmädchen, Schneeweißchen und Rosenrot, mitgenommen? Gerade jetzt, wo sie sich so geschickt angestellt hatten. Was für ein Vater! Anstatt froh zu sein, dass seine Kinder eine vernünftige Ausbildung bekamen! 


Rapunzel lachte leise, bei dem Gedanken, wie ungeschickt die zwei anfangs gewesen waren. Meine Güte, was hatte sich der Zwerg aufgeregt, als sie ihm den Bart komplett abgeschnippelt hatten. Zur Innung wollte er gehen und sich beschweren. Erst als alle ihm bestätigten, dass er ohne Bart mindestens 20 Jahre jünger aussähe, hatte er sich beruhigt. Ach, sie könnte die beiden jetzt gut gebrauchen. Aber man munkelte ja, dass König Erdal vielleicht doch zurückkommen wollte. Na – sie würde die zwei mit Kusshand wieder nehmen. 


Eigentlich konnte sie ja stolz darauf sein, was sie so alles geschafft hatte. Wenn sie bedachte, aus was für Verhältnissen sie sich hochgearbeitet hatte! Ihre Eltern waren arm wie die Kirchenmäuse. Als ihre Mutter mit ihr schwanger war, konnte sie sich nicht mal eine vernünftige und ausgewogene Ernährung leisten. Ihr Vater hatte dann bei der Nachbarin den Feldsalat geklaut, damit Mutter wenigstens ein paar Vitamine bekam. Natürlich war er erwischt worden. Die alte Vettel hatte vielleicht einen Aufstand gemacht, wegen dem bisschen Grünzeug. Und ihr Vater, der auch nicht mutiger war als Eulalias Mann, versprach ihr als Entschädigung das noch ungeborene Kind. Eltern gibt es! Wenn sie es wenigstens besser gehabt hätte, bei der Alten. Aber im Gegenteil! Eingesperrt wurde sie, jahrelang!! Papa hatte Angst vor ein paar Tagen Knast gehabt – und sie sollte lebenslänglich für ihn sitzen. 


Es kam ihr immer noch wie ein Wunder vor, dass sie eines Tages Theodor, ihren Traumprinzen, kennen gelernt hatte. Wochenlang war er immer heimlich zu ihr hinaufgeklettert, bis die Alte sie eines Tages erwischte. Da war dann Schluss mit lustig. Theo sprang aus dem Fenster, wobei er sich schwer verletzte und Rapunzel wurde in die Wüste geschickt. Obwohl sie damals schon schwanger war! Ganz allein hatte sie die Zwillinge zur Welt gebracht. Ihre beiden Jungs – Max und Moritz. Was waren das für Wonneproppen! Jahrelang musste sie sich mit den beiden alleine durchschlagen. Leicht war das nicht! Und dann immer die Angst, was wohl aus Theo geworden ist. Jahre später, die Jungs gingen schon in den Kindergarten und sie machte gerade ihren Meister als Friseurin, traf sie ihn zufällig wieder. Beim Sturz aus dem Fenster hatte er sich den Sehnerv verletzt und war erblindet. Aber sie hatte ihn wieder, das war die Hauptsache! Mittlerweile konnte er sogar wieder sehen. 


Rapunzel schmunzelte. Das war auch so eine Geschichte. Diese komischen Typen aus dem Menschenreich, die Brüder Grimm, hatten eine rührselige Story daraus gemacht. Ihre Tränen hätten ihm das Augenlicht wiedergegeben. So ein Quatsch! Wer glaubt denn so was? Dr. Eisenbart, ein berühmter Neurochirurg, hatte ihn operiert. Für teures Geld, aber dafür mit Erfolg! Sie hätten sich diese Operation gar nicht leisten können, wenn ihr nicht der Zufall zur Hilfe gekommen wäre! Ja, manchmal gehört auch eine Portion Glück dazu. 


Sie würde diesem Bärenhäuter jedenfalls auf ewig dankbar sein! Wenn sie noch daran dachte, wie er damals in ihren gerade neu eröffneten Salon gekommen war. Du lieber Himmel, wie sah der Mann aus! Und wie der gestunken hatte! Sämtliche Spiegel waren beschlagen. Das kommt davon, wenn man sich mit dem Teufel einlässt. Sieben Jahre hatte er sich nicht gewaschen und rasiert, geschweige denn die Haare geschnitten. Dafür hatte der Teufel ihm immerwährenden Reichtum und eigenhändige Reinigung nach Ablauf der Zeit versprochen. Nun ja, das Geld hatte er genommen, aber vom Teufel gewaschen werden wollte er nicht. So kam er zu Rapunzel. Sie hatte dann wieder einen Menschen aus ihm gemacht. Einen sehr attraktiven, nebenbei bemerkt. Und gelohnt hatte es sich allemal! Die Operation konnte bezahlt werden und der Salon war auch mit einem Schlag schuldenfrei! 


Ach, es könnte alles so schön sein. Theo und sie liebten sich, wie am ersten Tag. Die Zwillinge waren bildhübsche Kerle geworden. Nur leider steckten sie gerade mitten in der Pubertät! Was die schon alles angestellt hatten! Der Witwe Bolte die Hühner geklaut, die kleine Holzbrücke über den Bach angesägt, so dass der Schneider fast ertrunken wäre – und als Krönung hatten sie den alten Lehrer fast in die Luft gesprengt. Rapunzel seufzte tief auf! Zur Zeit mussten die beiden den Wald vom Müll säubern. Sozialstunden! Konnten sie sich bei ihrem Streetworker, Herrn Busch, bedanken. Der hatte gerade noch mal den Jugendknast abwenden können. 


Eine Uhr klingelte. Es wurde Zeit, Schneewittchen von den Trockenhaube zu befreien. Während Rapunzel mit geschickten Fingern die Lockenwickler herausnahm und ihre Freundin frisierte, hing sie weiter ihren Gedanken nach. Diese Kinder! 


Herr Busch meinte aber, in den beiden würde, trotz allem, ein guter Kern stecken. Hatten sie sich doch letztens so rührend um Rotkäppchen gekümmert. Das Mädel war ihnen, total aufgelöst, im Wald begegnet. Max und Moritz hatten sich ganz liebevoll ihrer angenommen, sie getröstet und nach Hause gebracht. Wer weiß, was ohne die zwei noch alles passiert wäre. Die Leute rätselten immer noch, was wohl bei Rotkäppchens Großmutter geschehen war. Weder die alte Frau noch das Kind sagten ein Wort zu dieser mysteriösen Angelegenheit. 


Ob man wohl jemals herausfinden würde, was die Kleine nun gesehen hat? 




© Siglinde Goertz, Uedem

Dichterhain: Carmen, frisch aus der Hexennacht - von Carmen Olivar

Carmen

Carmen ist das weibliche Weib.
Sie fühlt die Glut auf ihrem Leib.
Prall voll Leben, Leidenschaft – ja Lust.
Das rasende Herz in ihrer Brust.

Carmen ist der Brand der Gefühle.
Drängt auf Herausforderung – schafft Kühle.
In ihr tobt das Feuer – das Blut.
Will Begehren – will des Mannes Glut.

Carmen ist Schimmer, Lebenssaft – ist Glanz.
Troubadoure fordern sie zum Tanz.
Im roten Gewand zum Flamenco.
Männerherzen schmelzen nur so.

Carmen ist die wärmende Verzauberin.
Gütige schwarze Zigeunerin.
Ihr Anspruch auf Liebe – ja Freiheit.
Ist Emotion – ist andalusische Ausgelassenheit.


© Carmen Olivar, 07.02.2000

Montag, 30. April 2012

Dichterhain: LASS ZUR HEXENNACHT… von Harma-Regina Rieth

© Harma Regina Rieth

LASS ZUR HEXENNACHT…

Lass das Universum, die höhere Macht, entscheiden…
Lass das Universum
und alle Elementen meine Genugtuung einleiten
Lass mich meine Wünsche
auf diesem Wege bis zu den kalten Sternen weiterleiten
Lass meine Gedanken
mit dem Wind auf diesem Wege sich verbreiten


Lass mich bis zur dunklen Nacht
das Feuer der Vergeltung entfachen
Lass die Wahrheit wahr werden
und sie wird zum Leben erwachen
Lass die Lügner nicht weiter
alles Umfeld verblenden
Lass den Lügnern zur Ermahnung
Glockengeläut aus der Unendlichkeit zu Gehör senden
Lass das Reich der Wahrheit näher rücken
Lass der Erde die Blume der Unschuld nicht zerpflücken


Lass alles Übel der Welt nicht in uns erstarren
Lass das Böse nicht bei uns verharren


Lass das Feuer der Gerechtigkeit weiter brennen
Lass die Menschen sich versammeln
und die Richter die Falschheit rechtzeitig erkennen


Lass uns nicht vor uns selber fliehen
Lass uns näher zusammenziehen


Lass das Wasser alles wieder miteinander verbinden
im Quell der Vernunft wird man sich letztendlich erneut wiederfinden

Krähen, die selbst in der schwärzesten Hexennacht weiterfliegen,
werden mit ihren dunklen Augen alles Böse lautlos erkennen und
ihre Flügel bis zur Ohnmacht schinden, bis sie sich vor Schmerz winden

Es läuten die Glocken …

Es wird Frieden werden ... und die Krähe folgt der Nacht …

Glut und Asche auf das Haupt des Bösen …



Es ist wieder Hexennacht


© Harma Regina Rieth

Sonntag, 29. April 2012

Animé-Event: Makoto Shinkai hat Signierstunde in Hannover


Regisseur Makoto Shinkai wird im Juli 2012 anlässlich der DVD-Veröffentlichung seines neuen Films Children Who Chase Lost Voices seine europäischen Fans besuchen.




Der Regisseur, der mit Voices of a Distant Star und 5 cm per Second bekannt geworden ist, wird zwischen 2. und 9. Juli 2012 Europa bereisen. In Paris (Frankreich) wird er Ehrengast der Convention Japan Expo sein. Weitere Stationen der Reise sind Dublin (Irland) und Hannover (Deutschland), wo er jeweils die offiziellen Premieren seines neuen Films Children Who Chase Lost Voices eröffnen wird. Am 11. April 2012 hatte sich Makoto Shinkai mit einer Videobotschaft an seine deutschen Fans gewandt. Die Botschaft wurde auf Facebook (www.facebook.com/kaze.deutschland) und der Kazé-Homepage (www.kaze-online.de) veröffentlicht.

Über Makoto Shinkai
Der Regisseur Makoto Shinkai (5cm per Second, Voices of a Distant Star, The Place Promised in Our Early Days) ist ein Autodidakt und hat eine sichere Hand dafür, seine Ideen und Emotionen durch seine Animationsfilme auszudrücken. Das Multitalent unter den Filmemachern hat die Funktionen eines Animators, Redakteurs, Regisseurs und Koloristen eingenommen und gezeigt, dass er keine Mühe scheut, um seine Ideen umzusetzen. Seine Filme wurden von Kritikern und Festivals rund um den Globus als wunderbare Unterhaltung gelobt.

Über den Film:
Die junge Asuna ist bereits sehr selbstständig, aber auch sehr einsam. Ihr Vater starb früh und ihre Mutter muss hart arbeiten. Ihre wenige freie Zeit verbringt sie damit, den Klängen eines Kristallradios zu lauschen, das sie von ihrem Vater bekam. Eines Tages empfängt Asuna darauf eine mysteriöse Melodie, die sie verzaubert. Als wäre sie von einer fremden Seele berührt worden.
Auf dem Heimweg durch die Hügel wird Asuna von einer riesigen Bestie angegriffen. Aus dem Nichts erscheint ein geheimnisvoller junger Mann und rettet sie. Er stellt sich als Shun vor und behauptet, aus dem fernen Land Agartha zu stammen. Shun erzählt Asuna, dass er an die Oberfläche gekommen ist, um jemanden zu suchen. Und dann verschwindet er genauso plötzlich, wie er gekommen ist. Doch das ist erst der Anfang eines großen Abenteuers …

Für die Premiere der deutschen Synchronfassung wurde einer der schönsten Kino-Säle Deutschlands gewählt: das Hochhaus-Kino in der Kuppel des Anzeiger-Hochhauses in Hannover.
Zuvor wird Makoto Shinkai sich in einer Signierstunde seinen deutschen Fans stellen. Die genauen Daten werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben.

Heute Abend






LA MANNSCHAR in Neunkirchen/Saar und LESEN & KULTUR - Jahresfeier u.a. mit Lesung von Jungautoren, Jugendtheater und Szenischer Lesung aus "Gilgamesh und Enkidu" im HalbNeunTheater, Darmstadt 
siehe REGIONALE EVENTS

Samstag, 28. April 2012

Buchbesprechung: WIE MAN JEDE LÜGE ERKENNT


Pamela Meyer
Wie man jede Lüge erkennt
Zeichen verstehen, Täuschung durchschauen, Wahrheit ermitteln
München 2011, 288 Seiten, gebunden,
17,99 € (D), mvg Verlag


Wie erkenne ich, dass mich mein Partner, meine Eltern, meine Kinder oder meine Freunde anlügen? Wir werden jeden Tag im Schnitt fast 200-mal belogen. Dennoch sind Menschen unglaublich schlecht darin, Lügen zu erkennen: Unsere Erfolgsquote liegt bei nur 52 %, also kaum besser, als wenn wir einfach eine Münze werfen würden. Mit diesem Buch können wir etwas dagegen tun: Durch die Verknüpfung von drei Disziplinen – Gesichtserkennungstraining, Befragungstraining und einer umfassenden Studie über Betrugstechniken – erhalten wir das umfassende und entscheidende Wissen, wie wir Lügen entlarven und die richtigen Informationen herauslesen können.

Mit Meyers BASIC-Methode lernen wir Schritt für Schritt, wie wir in Zukunft Lügner sofort identifizieren, und erhalten darüber hinaus erprobte Vorgehensweisen und Techniken, wie wir künftig zuverlässig die Wahrheit herausfinden können. Denn Hinweise auf Unwahrheiten und Betrügereien gibt es überall – wir müssen nur die Geheimsprache der Gesten, Gefühle und Schlüsselwörter verstehen.



Eine Leseprobe steht Ihnen hier zur Verfügung. http://www.mvg-verlag.de/mediafiles/articles/pdfdemo/978-3-86882-221-2.pdf


Pamela Meyer ist die Gründerin von Simpatico Networks, einer der führenden Firmen, die soziale Netzwerke im Internet betreiben. Sie hat einen MBA in Harvard absolviert und ist zertifizierte Betrugssachverständige. Sie ist umfassend ausgebildet in Interview- und Befragungstechniken, der Interpretation von Mikroexpressionen des Gesichts und der Körpersprache sowie der Analyse von Aussagen und Verhalten. Für das Buch Wie man jede Lüge erkennt hat sie mehrere Jahre mit einem Forschungsteam zusammengearbeitet und eine umfassende Studie über Lügen und Betrug zusammengestellt.

Dichterhain: SONETT von Hermann Mensing

sonett

es muss an einem kühlen montag doch
ein vers aus nichts zu schmieden sein,
versatzstücke, die sonst allein, 
sich paaren unter meinem joch. 

es sollte doch, trotz hagelschlag, 
ein hauch von frühling möglich werden, 
ein lied, das uns'rer existenz auf erden, 
ein wenig glanz verleiht für diesen tag.

sei nett, ruft es, schreib ein sonett
nichts leichter, sieh, da kommt es schon,
ergreift besitz, steigt majestätisch auf den thron.

grüßt alle, die das leben schätzen,
schenkt wein aus und gibt allen frei,
damit das leben eine freude sei.





(c) Hermann Mensing, Münster

Szenische Lesungen von Rüdiger Heins mit Felicitas Göbel und Viktoria Vonseelen


Auf der Binger Kleinkunstbühne "Binger Bühne" fand letzten Sonntag, 22.4.2012, die szenische Lesung „Uruk“ von und mit Rüdiger Heins statt, der in "Gilgamesh und Enkidu" das uralte Gilgamesh-Epos ausführlich verarbeitet hat. Seine Interpretation kam 2011 in Bingen zur Uraufführung und wurde hier als Ausschnitt aus dem Ganzen präsentiert.
Als Schauspielerinnen Felicitas Göbel und Viktoria Vonseelen, die in verschiedene Rollen schlüpfen, die Hauptrollen auch mal tauschen, dominant jedoch die Zuordnung eine schauspiel- und theaterpädagogisch ausgebildete Felicitas Göbel, der südländische geheimnisvolle Typ, als archaischer, starker, dunkler Kämpfer, mit Anklang an das alttestamentarische Biest, erd- und naturverbunden, schön, stark. Gilgamesh als der helle Unbesiegbare, Heldenhafte, Posierende, Schöne durch die musik- ballet-, tanz- und sprechausgebildete Veronika Vonseelen, der blonde klingende Typ. 

Die Geschichte spielt am Schnittpunkt Megalith (Jungsteinzeit) und Antike, sie ist mittlerweile 4900 Jahre alt. Es ist eine Geschichte um Gilgamesh, den starken und tyrannischen Herrscher von Uruk, dem man den Bau einer sehr langen Stadtmauer von 12 m Höhe nachsagt und der unbesiegbar war. Zwei Teile Gott, ein Teil Mensch fehlte ihm jedoch ein starker Gegenpart, an dem er sich messen konnte. Die Bewohner von Uruk wünschten sich daher von den Göttern einen solchen, die daraufhin Enkidu schufen, der aus zwei Teilen Tier und einem Teil Mensch aus der Steppe kam. 
Die beiden treffen aufeinander, kämpfen und alle Sinne springen an, sie verlieben sich im Kampf ineinander und werden ein homoerotisches Paar. Ein Leben in tiefer Freundschaft und Liebe, bis die Götter Enkidu im Kampf sterben lassen. Hier kommt die aristotelische Poetik zum Zug, die im Gilgamesh-Epos bereits vorverwirklicht war. Das Aufeinandertreffen der Helden und ihre Prüfung durch die Götter ist unweigerlich mit Stationen verbunden, sie müssen auf ihrer Reise Aufgaben erfüllen, einen Weg beschreiten, sich verlieren. Das Teleologische, Zielgerichtete ist typisch für diesen Dramentyp, im krassen Gegensatz zum statischen Drama eines Samuel Beckett, keine Handlung, kein Ziel. Gilgamesh ist auferlegt die Trennung zu verschmerzen, das Leid zu ertragen. Als geläuterter Herrscher kehrt er zurück und lässt nun Weisheit und Liebe im Regieren walten.

Eine schöne Bereicherung, dieser Lesung zuzuschauen, künstlerischer Genuss vom Feinsten.

Morgen ist nun im HalbNeun Theater Darmstadt, Sandstraße 32, ab 17 Uhr die Neugründung des Vereins „Lesen & Kultur für alle e.V., Münster in Hessen“.

Ziel des Vereins ist die Stärkung der Lesekompetenz sowohl der leseschwachen als auch der lesestarken Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen. Es wird ein buntes Programm mit Theatervorführungen, Lesungen und Musik geboten. Dr. Michael Hüttenberger, Gewinner des diesjährigen Stockstädter Literaturpreises wird eine Lesung halten. Er ist Initiator des Projektes „Lesen für alle“. Es wird das Jugendtheaterstück „Der Sommernachtstraum“ von Shakespeare aufgeführt. Dies wird inszeniert von Georgios Slimistinos, Gründer des ZwischenZeittheaters in Frankfurt. Des Weiteren wird aus dem Werk „Gilgamesh und Enkidu“ des bekannten Schriftstellers und Regisseurs Rüdiger Heins eine Szenische Lesung "Uruk" mit den beiden ansprechenden Schauspielerinnen Felicitas Göbel und Viktoria Vonseelen (s.o.) aufgeführt.

Heute Abend

Frühlings-Soirée und Orientalischer Abend in Neunkirchen/Saar
siehe REGIONALE EVENTS








CITY in Kaiserslautern am 7.7.2012

Ostrock Legende CITY in der Fruchthalle Kaiserslautern am 7. Juli 2012





Das Legendäre "Am Fenster" hat sie noch zu DDR-Zeiten über alle Grenzen berühmt gemacht. Dieses Jahr wird CITY das 40. Bühnenjubiläum feiern. Tickets für dieses einzige Konzert in der Region Rheinland-Pfalz / Hessen / Saarland / Rheinland  können Sie jetzt bereits bestellen.


"Für immer jung: 40 Jahre CITY" eine Betrachtung von Olaf Leitner
CITY - das ist ja nicht nur eine Band. Auch wenn es schon ausreichen würde bei einer Band wie dieser. CITY - das ist Kulturgeschichte. Deutsche Kulturgeschichte. CITY hat drei Deutschlands erlebt und in seinen Songs abgebildet: Die DDR als Heimat, die BRD als Gastspielreiseland, und nun, friedlich und mit Nachdruck zusammen gezimmert, die BRDDR. "Wir als Band betrachten uns immer als Spiegel der Gesellschaft oder der Umgebung, in der wir auftreten."
Damals wie heute: "Wir haben immer versucht, die Themen aufzugreifen, die bewegen. Kleine Wahrheiten mussten wir in den Texten verstecken, wo zwischen den Zeilen lesbar wurde, was wir meinten", sagt Toni Krahl.
CITY steht exemplarisch für jenen Teil der DDR-Rockmusik, der sich mühte, das Maß anAnpassung gering zu halten und über das Medium Text und Musik mit List, Mut und Intelligenz die bescheidenen Möglichkeiten der Wahrheitsfindung und -verbreitung zu nutzen. Toni Krahl war im Umgang mit der Obrigkeit bereits von leidvollen Erfahrungen geprägt. Im Spätsommer 1968 hatte er, naiv, aber mit Courage, "kleine stümperhaft gestaltete Flugblätter" verteilt, auf denen er gegen den Einmarsch der Warschauer Pakt Staaten in die CSSR protestieren wollte. Er wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Ereignis, das in der Gegenwart noch seinen Niederschlag findet: "Prager Frühling. Wut im Bauch. Sechzehn Wochen hinter Gittern. Das war ich", singt er auf der neuen CD "Für immer jung".
Wir waren die geduldete Opposition, es gab da noch die ungeduldete und die verbotene. Wir saßen immer auf schmalem Grat, und da sitzen wir immer noch. Wir sind dem heutigen System genauso suspekt wie dem vorherigen, und wollen immer noch dasselbe erreichen wie früher. Aber irgendwie macht das Don-Quijote-Spiel auch Spaß. Ohne Gegenwind ist es langweilig!
Ich bin sicher, dass auch die Rockmusik der DDR zum allmählichen Untergang der Republik beigetragen hat. Die getarnten Botschaften der Texte, aber auch die Vitalität und Kraft der Musik, eingespielt von großartigen Sängern und Instrumentalisten, hat der als "Kampfreserve der Partei" missverstandenen Jugend Kraft und Selbstbewusstsein gegeben, um das Herumkommandiert-zu-werden einfach zu ignorieren. Die Leute von CITY waren Protagonisten der Szene. Und sie haben die Wende gemeistert, haben den zeitweiligen Stillstand durch Aktivitäten wie Gründung eines eigenen Plattenlabels überlebt, konnten sich in die neue Szene einfädeln und mit ansehen, wie viele der so umschwärmten Wessi-Bands an Glanz verloren. Sie hielten durch ihre Lieder Erinnerungen wach und gaben damit den neuen Bundesbürgern ihre Identität wieder, die im Talmiglanz westlicher Attraktionen zu verblassen drohte.


Nach 4 Jahrzehnten sind CITY immer noch…
  • eine echte, keine zugezogene oder eingemeindete Berliner Band, eine Band der längst gesamtdeutschen Hauptstadt.
  • da bleiben ein gutes Dutzend Alben, mindestens doppelt so viele einprägsame Hits und ihre nachhaltige Präsenz auf der Bühne.
  • City anno 2012 ist immer noch strikter, exzellenter Rock'n'Roll ohne Schleichen und Swing-Bremsen.
Karten gibt es an allen bekannten Vorverkaufstellen und natürlich über www.kunstgriff-event.de unter Tickets.

Freitag, 27. April 2012

Buchbesprechung: Land der Empörer


Ulrich Stockheim
Land der Empörer. 
Euro-Krise, Integration, Schulden und Sozialstaat: Warum Deutschland nur mit Klartext seine wichtigen Probleme lösen wird. 
München 2011, 240 Seiten, gebunden,
19,99 €. riva Verlag

Die Politiker schmeißen mit Dreck aufeinander: Thema, Vorschlag, Vorschlag abgelehnt, neues Thema, Empörung, kein Ergebnis. Klartext bleibt Mangelware. Das Buch Land der Empörer von Kommunikationsexperte Ulrich Stockheim zeigt auf, wie die perfekt geölte Empörungsmaschine funktioniert und nach welchem Muster Entrüstung aufgebaut wird. Gleichzeitig liefert es zehn konkrete Hinweise, wie wir es in Zukunft besser machen können,um eine gesunde Debattenkultur in Deutschland wiederzubeleben. 
Politiker sprechen Wahrheiten nicht mehr an, wichtige Entscheidungen werden vertagt und zerredet. Oftmals führt erst ein schwerwiegendes, schreckliches Ereignis dazu, Farbe zu bekennen und Klartext zu reden. Aktuelles Beispiel: Das Horror-Beben in Japan und die daraus neu entflammte Atomkraft-Debatte in Deutschland. Der Energie-Mix der nächsten Jahrzehnte - der gerade erst von der Bundesregierung gegen den Bürgerwillen niedergelegt wurde – ist seit der Katastrophe in Japan Geschichte. Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete die erst Ende 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung für drei Monate. Die sieben ältesten Atomkraftwerke in Deutschland werden nun sogar stillgelegt. Eine Entscheidung, die noch vor kurzem undenkbar gewesen wäre. Ob das nun als wahlpolitisches Manöver oder als wirkliche Wende in der Auseinandersetzung mit politisch strittigen Sachfragen zu werten ist, wird die Zukunft zeigen.
Doch in der Regel haben konkrete Entscheidungen dieser Art seitens der Politik Seltenheitswert. Ulrich Stockheim veranschaulicht in seinem Buch anhand aktueller Medienbeispiele unterschiedliche Methoden, die Politiker anwenden– nur um keinen Klartext reden zu müssen. Einer, der lange als mutig galt, weil er sich offenbar kraftvoll gegen die Empörer stellte, musste im März 2011 den Hut nehmen: Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, der in diesem Buch an einigen Stellen vorkommt. Wegen seiner Abschreiberei. Lächerliche Vorwürfe im Vergleich zu seinen Bemühungen, sagt der Autor.
Als Kommunikationsberater interessiert es Stockheim, weshalb die im Kern einfachen Regeln der Kommunikation auf der öffentlichen Bühne der Politik so sträflich ignoriert werden. Klartext sprechen, frühzeitig die Probleme benennen, in Krisen die Wahrheit so schnell wie möglich auf den Tisch bringen, Emotionen weglassen, Ziele formulieren und Erreichtes genauso nennen wie Verfehltes. Das ist der Handwerks- und Wissenskasten der Kommunikation. Nur der offene Austausch der Meinungen und Vorschläge, sachlich, ergebnisoffen und klar kommuniziert, wird das Land aus der Entscheidungslosigkeit führen. Und dafür lohnt es sich einzutreten.

Der Autor
Ulrich Stockheim gehört zu den führenden Kommunikationsberatern für Wirtschaft und Politik. Der Diplom-Volkswirt startete 1993 seine Karriere als Finanzjournalist der Zeitschrift Wertpapier, anschließend arbeitete er fünf Jahre beim Wirtschaftsmagazin Capital, dessen New Yorker Korrespondent er 1998 und 1999 war. Nachdem er drei Jahre als Geschäftsführer des Wertpapier-Verlages gearbeitet hatte, gründete er Stockheim Media. Die Kommunikationsberatung ist in Köln, Frankfurt und New York tätig. Ulrich Stockheim ist Autor der Bücher Inside Wall Street und Mr. Daks – Aktienstrategien für alle.

Die 10 Gebote für politische Kultur in Kurzform - als Diskussionsstoff
1. Raus aus der Komfortzone und hinein in die Debatte! 
Das erfordert Mut zur eigenen Meinung und die Kraft, sich auch gegen Widerstände zu verteidigen. Die abweichende Meinung und der Widerspruch sind also notwendige Bedingungen für eine Gesellschaft. 
2. Die Moralkeule ist ein verlässlicher Debatten-Killer! 
Denn: Moralische Argumente entkräften jede Debatte – sie diskreditieren vielmehr denjenigen, der die Argumente vertritt. 
3. Content geht vor Performance! 
Dass Image Inhalt ersetzt ist eine fatale Entwicklung. 
4. Political Correctness rechtfertigt keine sachliche Unkorrektheit! 
Wenn aus Rücksicht Vorsicht wird und aus Vorsicht Verklemmtheit, dann werden Debatten sinnlos. Wenn es also die Sache erfordert, muss es möglich sein, Klartext zu reden, statt vor Betroffenheit zu verstummen. 
5. Meinungen sind keine Glaubensbekenntnisse! 
Wir schaffen es immer wieder, politische Auseinandersetzungen zu Gesinnungskämpfen zu stilisieren, und reißen damit tiefe Gräben auf. Kompromisslinien zu sehen und öffentlich zu vertreten kann manchmal mutiger sein, als mit heiligem Ernst eine Maximalposition zu vertreten. 
6. Keine Ein-Satz-Debatten bitte! 
Es gehört zu den Mechanismen im Medienspiel, einen einzelnen Satz – vollkommen aus dem Kontext gerissen – zum Skandal aufzubauschen. Debatten, die daraus resultieren sind vollkommen sinnentleert. 
7. Es gibt keine Tabus, nur schlechte Argumente! 
Hätte Thilo Sarrazin ohne das Prädikat „Tabubrecher“ den gleichen Erfolg gehabt? Würde unsere Debattenkultur funktionieren, wäre es gelungen, seine Denkanstöße aufzunehmen und aus schlechten Argumenten die Luft raus zulassen. Die Behauptung vermeintlicher Tabubrüche wirkt wie ein Gütesiegel und verhindert, dass sich schlechte Argumente als solche erweisen. 
8. Empörung verhindert Entscheidungen! 
Medienwirksame Aufregung ersetzt Argumente, Schreierei eine sachgerechte Diskussion. 
9. Keine begrifflichen Nebelkerzen bitte! 
Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung gelingt am besten durch starke Bilder und begriffliche Nebelkerzen, welche die Emotionen des Publikums ansprechen. Doch Wahrnehmungssteuerung ist das Gegenteil von Aufklärung. 
10. Mehr Mut zum Pragmatismus! 
Wir gehen Probleme lieber grundsätzlich an und bleiben dann in den Grundsätzen stecken. Aber wie kann es sein, dass es so viel Mut erfordert, praktisch zu denken und pragmatisch zu handeln?  



Heute Abend


Sebastian Krumbiegel, Donnersberghalle, Rockenhausen
siehe REGIONALE EVENTS

Der Gedankenspieler (03). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner


Der Gedankenspieler (03)

Mit langen Schritten rannte sie über den klapprigen Schotter des Parkplatzes. Die knochigen Steine unter ihren Füßen knirschten lauthals auf und stellten ihre Fußgelenke auf eine harte Probe. Sie war mal wieder spät dran. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie in der letzten Zeit einmal nicht auf dem Sprung gewesen wäre. Eine Familie und Freunde im Ruhrgebiet zu haben und gleichzeitig ein Studium in Siegen zu absolvieren bereitete ihrem Zeitmanagement doch einige Druckstellen. Mental hatte sie sich mit dem Gedanken angefreundet, Siegerin zu sein. Doch ihr Herz und ihre Wurzeln zogen sie immer wieder zurück in ihr schaurigschönes Heimatnest. 
Sie kam aus einer dieser Städte, die nur dann einmal in der Zeitung auftauchen, wenn etwas Schreckliches passiert. Und wenn auch wenig Positives über diesen Ort zu berichten war, so schlug ihr Herz doch immer wieder höher, wenn sie die Grenzen ihrer Heimat erblickte.
Nun aber musste sie sich beeilen. Sie wollte diesen Job behalten. Er brachte unkompliziert und schnell ein paar Euro mehr in die arg strapazierte, studentische Haushaltskasse.
Und auch wenn sie erst wenige Wochen dabei war, so hatte sie doch schon so viele Freundschaften unter den Mitarbeitern dort geschlossen, dass sie sich auch dort irgendwie zu Hause fühlte.
Hastig hetzte sie die lang gezogene Stahltreppe hinauf in den ersten Stock der Halle. Wo in früheren Zeiten unter Schweiß und Muskelkraft das schwarze Gold des Ruhrgebiets zu Tage befördert wurde, führte man heute Konzerte, Theaterstücke und allerlei andere Veranstaltungen auf. Unbeschreiblich war die Länge dieser Halle. Unfassbar seine Architektur. Jenny hatte schon viel gesehen, kannte die Pläne vieler großer Bauwerke weit um den Erdball verteilt. Doch dieses Gebäude war einfach einzigartig. Es wurde im Volksmund der Tempel der Arbeit genannt und so konnte man es auch durchaus bezeichnen. Sie liebte die Halle sehr. An den Wänden zogen sich wunderbare Fresken in die Höhe. Der stark ramponierte Boden mit Kacheln gefliest. Wer es nicht besser wusste, hätte nie damit gerechnet, dass dies jemals eine Arbeitsstätte war. Es erweckte den Eindruck, der Schönheit wegen erbaut worden zu sein. Doch die mehr als mannshohen Maschinen im hinteren Bereich der Halle überzeugten vom Gegenteil. Die schon in der Kaiserzeit errichteten Apparaturen dienten heute nur als stilvoller Bühnenhintergrund. Die Tontechniker machten gerade ihren letzten Soundcheck als Jenny das obere Plateau erreichte. Die kraftvollen, ja beinahe majestätisch anmutenden Backsteinmauern hatten schon lang den Kampf gegen die frostige Dezemberkälte aufgegeben. Jenny wusste nicht, ob sie deswegen fröstelte oder ob es der Gedanke an Herrn Landmann war, der sie mit starrem, eisigem Blick, auf seine Armbanduhr klopfend, erwartete.
„Sie sind mal wieder zu spät, Frau Jäger. Lange geht das nicht mehr gut mit ihnen.“
„Tut mir leid, Herr Landgraf. Wird bestimmt nie wieder vorkommen“, entschuldigte sich Jenny und versuchte dabei ihr unschuldigstes Gesicht zu präsentieren. Im Hintergrund konnte sie nur zu gut erkennen wie Larissa und Annika sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen konnten. Es erfasste sie augenblicklich. Durch den Frohsinn der anderen angesteckt huschte auch ihr ein scheues Lächeln über das Gesicht.
„Sie finden das wohl auch noch komisch!“, fauchte Herr Landgraf, „Passen Sie lieber auf, dass Ihnen das Lachen nicht schneller vergeht, als Ihnen lieb ist!“
„Passen Sie mal lieber auf, dass ich Ihnen nicht ihre hässliche Nase abbeiße!“, hätte sie gerne gesagt, doch stattdessen brachte sie nur ein kleinlautes :„Nein! Herr Landgraf! Tut mir leid Herr Landgraf!“, heraus. Oh. Egal wie sie sich anstrengte. Sie konnte diesen eingebildeten Fatzken sowieso nicht leiden. Umso schlimmer war es da noch, dass er sich diesmal ausnahmsweise auch noch im Recht befand. Schnell reihte sie sich in die lang gezogen Reihe der Mitarbeiter ein.
„Arsch!“, knirschte sie durch ihre Vorderzähne, die ihr Mund bei der Bildung eines schelmischen Lächelns freilegte. Annika tat sich schwer nicht laut loszulachen. Doch zuerst einmal war Herr Landgraf an der Reihe. Wie ein Brigardegeneral schritt er die Reihen seiner Mitarbeiter ab.
„Nun da wir ja jetzt vollzählig sind kann ich ja endlich beginnen.“
Er hatte seinen feisten Körper in einen pechschwarzen, unfassbar teuren Anzug gepresst. Sein Hemdkragen war aufs aller Sorgfältigste gebügelt. Doch an den Knöpfen spannte sich das weiße Hemd so sehr, dass es den Blick auf das eng anliegende, weiße Feinreippunterhemd freigab. 
„Heute ist ein großer Tag für unser Unternehmen. Alles was in dieser Gegend von Rang und Namen ist wird heute hier vertreten sein. Aus diesem Grund dulde ich heute keine Fehler! Und jetzt los! Ich bezahle Sie schließlich nicht fürs Rumstehen und Löcher in die Luft gucken.“
Die Mitarbeiter, Kochgehilfen und Servicekräfte wechselten kurze, aber vielsagende Blicke untereinander. Wie oft schon hatten sie diese Rede gehört. Immer war es ein wichtiger Tag und immer war irgendwer Wichtiges da. Doch niemand hatte den Mut Herrn Landmann darauf aufmerksam zu machen.


„Sie sind zu spät, Frau Jäger!“, imitierte Annika die markant tiefe Stimme Landmanns. „Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen.“
Die drei Mädchen kugelten sich vor Lachen. In den scheinbar sicheren Gründen des Umkleideraums angekommen gab es für die drei kein Halten mehr.
„Sobald ich genug verdiene, bin ich hier schneller weg, als dieser Mistkerl gucken kann.“
Jenny war immer noch ein wenig eingeschnappt über ihre öffentliche Demütigung. Sie streifte sich ihre schwarze Arbeitsbluse über und schnitt den anderen beiden ein Grimasse. Plötzlich sprang die Tür auf.
„Kann ich Ihnen vielleicht noch einen Kaffee dazu reichen. Ist das eigentlich alles nur ein Witz hier für Sie?!“
Der Kopf Landmanns war zu einem gewaltigen, roten Ballon angeschwollen, der jeden Moment zu platzen drohte. 
Die drei jungen Frauen senkten die Köpfe und waren im Begriff den Raum wortlos zu verlassenn als Landmanns fester Griff Jennys Schulter erfasste.
„Sie nicht, Fräulein Jäger! Sie bleiben kurz mal hier! Die anderen beiden finden sich umgehend an der Theke ein. Lassen Sie sich von Frau Schrödter Tabletts geben. Heute ist Service angesagt.“
Hilflos warfen Larissa und Annika ihrer Freundin noch einen letzten Blick zu. Doch Landmanns Auftritt duldete weder Widerwort noch Aufschub. Und so verschwanden sie so schnell sie konnten durch die noch offenstehende Tür.
„Was ist bloß los mit Ihnen? Ich habe für heute echt die Faxen dicke! Sie werden sich sofort in die Küche begeben. Lassen Sie sich eine Schürze geben. Für heute ist Küchendienst angesagt! Ich kann und will Sie heute vorne nicht sehen!“
Jenny konnte es nicht fassen. Nicht die Küche. Das konnte er ihr doch nicht antun. Für den Service war der Dienst in der Küche gleichzusetzen mit einem einmonatigem Aufenthalt im strengsten Gulag Sibiriens. Denn genauso pflegte Lutmilla Smetlova diese Abteilung zu führen. Mit harter Hand schikanierte sie das Personal, wie es ihr gerade passte. Niemand war gut genug für sie und erstrecht konnte ihr niemand das Wasser reichen.
„Was du willst? Kann ich gebrauchen dich nicht!“, waren die ersten Worte, die Jenny in der Küche zu hören bekam. In der Küche herrschte eines: STILLE. Natürlich konnte man das hektische Klopfen der Messer hören, wenn sie auf die Schneidebretter trafen. In den Töpfen köchelten Suppen und Soßen vor sich hin und auch sonst war der Ort erfüllt von geschäftigem Treiben. Doch Stimmen waren nicht zu hören. Wenn hier jemand etwas zu sagen hatte, dann war es Lutmilla.
„Musst du schneiden dünner!“ oder „Was du machen? Geh weg! Ich gucke!“ waren die einzigen menschlichen Laute, die man hier vernehmen konnte.


Jenny hatte die höchst fordernde Aufgabe erhalten, die Dessertschälchen zu garnieren. Und obwohl ihr dieser Ort überhaupt nicht gefiel, bemerkte sie doch schnell eine bemerkenswerte Freude daran. Auf der anderen Seite des Raumes waren Füsun und Semra damit beschäftigt, Kalbsbäckchen zu schneiden und auf Tellern zu verteilen. Es erschien Jenny als könne ihnen selbst ein Erdbeben keine Gemütsneigung abringen. Mit stoischer Ruhe erledigten die beiden rüstigen Türkinnen die ihnen anvertrauten Aufgaben, ohne auch nur den kleinsten Verdacht auf Unzufriedenheit auszulösen.
„Wenn sie unsere Sprache sprechen würden, wären sie wahrscheinlich schon lang nicht mehr hier“, dachte Jenny und legte noch ein paar gehackte Pistazienkerne auf die weiße Mousse au Chocolat. 
„Kannst du nicht machen richtig?“, keifte sie Ludmilla urplötzlich an, „Habe ich gesagt Fingerspitz! Nicht Hand voll!“
Energisch entriss Ludmilla ihr die Schale und machte sich hektisch daran, Jennys Aufgabe zu vollenden.
„Geh gucken, was machen Soße!“, rief die beliebte Russin ihr hinterher, „Einfach nur umrühren! Das schaffen selbst du!“
Jenny wollte protestieren, doch das konnte sie sich gerade heute nicht erlauben. Also kümmerte sie sich um die Soße. Lustlos rührte sie immer wieder in dem riesigen Topf. Beinahe apathisch schweifte ihr Blick durch die Küche und blieb bei einem jungen Mann hängen, der kunstvolle Rosen aus Karottenstümpfen schnitzte. Wer war dieser Typ. Seitdem sie hier arbeitete, war er auch dabei, doch sie wusste überhaupt nichts über ihn.
Als Ludmilla sich in Richtung Toilette bewegte, nutzte Jenny ihre Chance: „Wie heißt du?“, fragte sie ihn direkt.
Der junge Mann war einfach zu sehr in Gedanken, als dass er darauf reagieren konnte.
„Ähhm. Entschuldigung. Ich habe dich hier schon oft gesehen. Aber ich kenne deinen Namen nicht.“
Der junge Mann hob kurz den Kopf an. Sein lockiges, braunes Haar stand ihm ungeordnet kreuz und quer auf dem Kopf.
„Ich .. ich bin Alexander“, sagte er leise und senkte sofort wieder seinen Kopf. Wieder einmal war es gespenstig ruhig in der Küche. Jenny war irritiert. 
„Wer bist du?“
Er schaute ihr nicht direkt in die Augen. Fokussierte sich direkt wieder auf die Arbeit.
„Ich heiße Jenny“, gab sie zurück.
„Deine Suppe!“
„Was ist mit meiner Suppe?“
„Ich glaube, sie brennt an.“
„Ach, du heilige Sch…“
Schnellen Schrittes begab sich Jenny zurück zu ihrer Kochstelle. Ein beißender Schmerz durchzog ihren Finger, als sie den Topf vom Ofen nahm. In ihrer Panik hatte sie vergessen, einen Topflappen zu benutzen. Beinahe hätte sie den Topf fallen lassen. Doch im letzten Moment bekam der junge Mann ihn zu fassen. Er drückte ihn auf eines der kalten Kochfelder und ließ schnell kaltes Wasser ins Waschbecken laufen. 
„Kühl deinen Finger“, sagte er zu ihr. Dann stellte er die Hitze der Kochplatte etwas kleiner ein, probierte die Soße und sagte:
„Oh, noch mal Glück gehabt.“
Danach begab er sich wieder an seinen Arbeitsplatz und schnitt weiter kunstvolle Blätter in die Karotte vor sich.
Jenny ließ etwas Wasser auf ein Handtuch laufen und stellte es dann ab. Dann begab sie sich wieder zu ihrem so genannten Arbeitsplatz. Auf dem Weg dort hin flüsterte sie Alexander noch ein leises Danke zu und gab sich wieder ihrer anspruchsvollen Tätigkeit hin.



To be continued....

©Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com
Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Handlungen sind rein zufällig und ganz und gar unbeabsichtigt.