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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Samstag, 6. August 2011

Buchbesprechung: Der Autor und der Lektor

 Seiltanz
Der Autor und der Lektor
Hg. und mit einem Nachwort versehen von Thedel v. Wallmoden
Göttingen 2010, 208 S., geb., Schutzumschlag
18,- € (D), Wallstein Verlag

Als Berufswunsch junger Germanistikstudenten rangiert die Arbeit in einem Verlag, speziell im Lektorat, in der Regel ziemlich weit oben. Doch wie ein Lektor konkret arbeitet, wissen die Allerwenigsten, das fertige Buch gibt keinerlei Auskunft mehr über den Entstehungsprozess. Auch ist den wenigsten klar, dass sie sich auf einen schwierigen Weg begeben, der eher mit Armut als mit finanziellem Erfolg im Leben gepaart ist. Es gibt sehr wenig Stellen, man kann sie an der Hand abzählen und wirklich Erfolg haben nur wenige. Vielen Verlagen ist eine Buchhändler- oder Verlagskaufmannlehre wichtiger als ein Studienabschluss, bis auf die renommierten Stellen, da bitte mit Doc! Aber die 1st-class-Literaturlektoren sitzen in der Regel Jahrzehnte auf ihren Posten. Der Rest nimmt mit Ratgeber- und Sachliteratur, Massenware und Korrekturen vorlieb. Und seit 2000 haben gravierende Veränderungen in der Verlagswelt wie im Wirtschaftsleben allgemein zu enormen Stellenengpässen geführt. 
Nach wie vor bleibt der Prozess der Buchentstehung jedoch spannend: Was passiert eigentlich mit dem Text auf der Strecke zwischen Manuskript und fertigem Buch? Wie gehen erfolgreiche Schriftsteller damit um, wenn jemand ihren Text kritisch beurteilt und Änderungen vorschlägt? Welche Beziehung haben Autoren, die noch nicht so bekannt sind, zu ihrem ersten Leser?
Thedel v. Wallmoden hat 45 Autorinnen und Autoren der Gegenwartsliteratur gebeten, über ihre sehr persönlichen Erfahrungen und Eindrücke in der Zusammenarbeit mit dem Lektor zu schreiben. Sie sind dieser Bitte auf ganz unterschiedliche und persönliche Weise nachgekommen und haben Texte, Gedichte oder auch Briefe geschickt. Herausgekommen ist ein wunderbarer Band, in dem namhafte Autorinnen und Autoren Einblick in ihre Ar­beitsprozesse geben.
Dass dieser Band kurz vor dem 50. Geburtstag von Thorsten Ahrend am 27.7.2010 erschien,war kein Zufall und durchaus beabsichtigt.
Mit Beiträgen von:
Jörg Albrecht, Heinz Ludwig Arnold, Lukas Bärfuss, Clemens Berger, Steven Bloom, Volker Braun, Daniela Danz, Heinrich Detering, Friedrich Dieckmann, Hugo Dittberner, Kurt Drawert, Ralph Dutli, Matthias Göritz, Durs Grünbein, Dorothea Grünzweig, Norbert Gstrein, Peter Hamm, Harald Hartung, Christoph Hein, Joachim Helfer, Steffen Jacobs, Daniel Kehlmann, Gabriele Kögl, Ulrike Kolb, Uwe Kolbe, Angela Krauß, Günter Kunert, Svealena Kutschke, Friederike Mayröcker, Andreas Neumeister, José F. A. Oliver, Sabine Peters, Hermann Peter Piwitt, Doron Rabinovici, Hendrik Rost, Gregor Sander, Silke Scheuermann, Robert Schneider, Bruno Schrep, Lutz Seiler, Alissa Walser, Martin Walser, Anne Weber, Kai Weyand, Ulf Erdmann Ziegler

Samstag, 30. Juli 2011

Buchbesprechung: Das Streichelinstitut


Clemens Berger
Das Streichelinstitut
Roman
Göttingen 2010, 356 S., geb., Schutzumschlag
19,90 € (D), Wallstein Verlag

Als Sebastian auf dem Wiener Amt sein Streichelinstitut in der Mondscheingasse als Gewerbe eintragen lassen möchte, hat die Sachbearbeiterin Schwierigkeiten, die richtige Rubrizierung zu finden: »Massagesalon« schlägt sie ihm vor, weil ihre Liste unter »Streicheln« nichts her­gibt. Schließlich einigen sie sich auf »Lebensberatung«. Doch das Institut läuft, sogar besser als erwartet. Bald bereitet ihm die erste Regel, die seine Freundin Anna ihm abverlangt hat, kein Streicheln unter der Gürtellinie, einige Schwierigkeiten: Doch Sebastian ist niemand, der sich an Regeln hält, und die Theorien großer Philosophen legt er immer wieder gekonnt nach seinen Vorstellungen aus.
Als erfolgreicher Jungunternehmer kann sich er sich bald erstmals als »nützliches Mitglied des menschlichen Marktes« fühlen. Er hat einen geregelten Tagesablauf und muss sich endlich nicht immer von Anna aushaken lassen. Als ihm auch noch eine Klientin mit professionellen Geschäftsplänen unter die Arme greift, brummt der Laden, doch bald fürchtet er nicht nur Arthritis als Berufskrankheit.
Clemens Berger erzählt diese aberwitzige Geschichte eines liebenswerten Taugenichts mit viel Spott und hintergründigem Witz. Sein Protagonist bewegt sich dabei immer im Span­nungsfeld zwischen Philosophie, Komik und Ich-Suche. Und so weit entfernt von unserem Alltag ist die Idee des Streichelinstituts ja vielleicht gar nicht.

Clemens Berger, geb. 1979 in Güssing (Südburgenland), aufgewachsen in Oberwart, studierte Philosophie und Publizistik in Wien, wo er heute lebt. Er veröffentlichte mehrere Romane, Erzählungsbände und Theaterstücke. Für die Arbeit an »Das Streichelinstitut« erhielt er das Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds. Burgenländisches Literaturstipendiums 2009. Reisestipendium im Rahmen des Projektes mit Sprache 2010.

Montag, 11. Juli 2011

Vergabe des Ingeborg-Bachmann-Preises 2011

Maja Haderlap
Engel des Vergessens
Roman
Göttingen 2010, 288 S., geb., Schutzumschlag
18,90 € (D, Wallstein Verlag

Nach der Entscheidung der Jury steht es seit gestern Mittag fest: Die 50-jährige Kärntnerin Maja Haderlap gewinnt den Ingeborg-Bachmann-Preis 2011 mit einem Ausschnitt aus ihrem Debütroman »Engel des Vergessens«. Sie setzte sich gegen 13 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz durch.
Die Jury zeigte sich durchweg beeindruckt von ihrem ausdrucksstarken Text, der den Widerstand der Kärntner Slowenen gegen die deutsche Wehrmacht thematisiert: »Ein Idealfall von Literatur«, lobt Daniela Strigl und Alain Claude Sulzer begeistert sich über diesen »makellosen, nostalgischen Text mit großem Sprachfluß«.
Maja Haderlap erzählt die Geschichte eines Mädchens, drei Generationen einer Familie und zugleich die Geschichte eines Volkes. Sie erinnert an eine Kindheit in den Kärntner Wäldern, an die Düfte aus den Töpfen der Großmutter, aber auch an die seelischen Verwundungen durch Krieg und Verfolgung. Die im slowenischen Teil Österreichs geborene Autorin formt in ihrem fulminantem Romandebüt die Geschichte des slowenischen Volkes zu einem großen Gesang.

Die Autorin
Maja Haderlap, geb. 1961 in Eisenkappel/Zelezna Kapla (Österreich), studierte Theaterwissenschaft und Germanistik an der Universität Wien. Sie war von 1992 bis 2007 Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt. Bisher wurde Sie u.a. mit dem Hubert-Burda Preis für Lyrik (2004) und dem Österreichischen Staatsstipendium für Literatur (2006/2007; 2009/2010) ausgezeichnet. Seit 2008 lebt Maja Haderlap als freie Schriftstellerin in Klagenfurt.





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Freitag, 13. Mai 2011

Buchvorstellung: Was (nicht) in den Akten der Securitate steht von Herta Müller

Herta Müller
Cristina und ihre Attrappe
Was (nicht) in den Akten der Securitate steht

Göttinger Sudelblätter
Herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold
Göttingen 2009, 48 S., brosch., € 9,90, Wallstein Verlag

Die Literaturnobelpreisträgerin 2009 über den Einblick in ihre Securitate-Akten: »Der Geheimdienst Ceausescus, die Securitate, hat sich nicht aufgelöst, sondern nur umbenannt in SRI (Rumänischer Informationsdienst)«.
Erst zehn Jahre nach Einrichtung des rumänischen Pendants zur Gauck-Behörde und zahlreichen zermürbenden Anfragen und Bittgesuchen erhielt Herta Müller Einsicht in ihre über 900 Seiten starke Securitate-Akte. Bei der Durchsicht stellte sie fest, dass diese in den vergangenen Jahren nicht nur frisiert, sondern regelrecht entkernt wurde: Über die Schikanen, mit denen man sie in den siebziger Jahren beispielsweise zur Mitarbeit für die Securitate zu zwingen versuchte, ist in den manipulierten Unterlagen über >Cristina< nichts mehr zu finden.
Eindrucksvoll beschreibt Herta Müller, wie sie und ihre Freunde selbst heute noch bei Besuchen in Rumänien vom SRI, dem heutigen rumänischen Geheimdienst, überwacht und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden.

Man brauchte keine Vorladung, fischte mich einfach von der Straße ab. Ich war auf dem Weg zur Friseuse und wurde von einem Polizisten durch eine schmale Blechtür ins Souterrain eines Studentenwohnheims gebracht. Drei Männer in Zivil saßen an einem Tisch. Ein kleiner Knochiger war der Chef. Er verlangte meinen Ausweis, sagte: »Na, du Hure, sehen wir uns schon wieder.« Ich hatte ihn noch nie gesehen. Mit acht arabischen Studenten sollte ich Sex haben und mich mit Strumpfhosen und Kosmetika bezahlen lassen. Ich kannte keinen einzigen arabischen Studenten. Aber er meinte, als ich das sagte: »Wenn wir wollen, finden wir auch zwanzig Araber als Zeugen. Wirst sehen, es wird ein exzellenter Prozeß.«

Ein erschreckender Bericht über die Unterwanderung einer postdiktatorischen Gesellschaft; die sich auch heute noch nicht aus dem Griff ihrer Peiniger befreit hat.
Herta Müller wurde 1953 im deutschsprachigen Nitzkydorf, Rumänien geboren. Sie studierte von 1973 bis 1976 deutsche und rumänische Philologie in Temeswar. Danach arbeitete sie als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik. Weil sie sich weigerte, für den rumänischen Geheimdienst Securitate zu arbeiten, wurde sie entlassen. Ihr erstes Buch "Niederungen" wurde in Rumänien 1982 nach vierjähriger Verzögerung nur zensiert veröffentlicht. 1984 erschien es in der Originalfassung in Deutschland und wurde mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Herta Müller konnte danach in Rumänien nicht mehr veröffentlichen und war immer wieder Verhören, Hausdurchsuchungen und Bedrohungen durch die Securitate ausgesetzt. 1987 übersiedelte sie nach Deutschland.
Das Werk Herta Müllers wurde mit vielen bedeutenden nationalen und internationalen Preisen gewürdigt, zuletzt mit dem Literatur-Nobelpreis 2009.

Sonntag, 17. April 2011

Die Friedensbewegung, ihre Buntheit und ihre Grenzen

Bei der gestrigen Vernissage zu Gaby Sommers Foto-Ausstellung: "Wehrt euch, leistet Widerstand! Die Friedensbewegung 1981-1985" in der Patton-Stiftung Saarbrücken wurde eines wieder klar: Politisches Engagement auf der Straße reicht oft nicht aus, den Bundestag umzustimmen bzw. das parlamentarische Prinzip der Mehrheit zu verändern. Ein Besuch dieser sehr interessanten und Erinnerungen an diese Zeit hervorrufenden Ausstellung rentiert sich in jedem Fall. Junge Betrachter können sich ein Bild machen, wie die Aktionen vor fast 30 Jahren abliefen, mit Petra Kelly, Gert Bastian,  Heinrich Böll, Oskar Lafontaine und vielen anderen bekannten Leuten ...

Zu Gaby Sommer bei viereggtext

Der Laudator Stephan Peter führte uns die Zusammenhänge von demokratischer Protestaktion und Hürde zum Parlament in seinem interessantem Vortrag vor Augen. Die Kraft der Demokratie hat dort ihre Grenzen, wo andere Gesetze herrschen als direkte Berücksichtigung der Volksmeinung. Dabei hatte die Friedensbewegung durch den Krefelder Appell gegen die Stationierung von über 500 Mittelstreckenraketen (Cruise Missiles, Pershing II) in Deutschland 4 Millionen Menschen mobilisiert, von denen ca. 65 % ihre Ablehnung der Stationierung per Unterschrift festhielten. Die Wahl am 6.3.1983 ging klar für CDU/CSU und FDP aus, die nachfolgende Abstimmung zu den Raketen fand im Spätjahr statt. Die große Koalition aller gesellschaftlichen Kräfte durch die Friedensbewegung reichte nicht aus, das parlamentarische System zu einem Stimmungswandel zu bewegen. Es befürwortete die Stationierung.

Alle Rechte bei Gaby Sommer
Wir können dies übrigens auch sehr klar und deutlich in Sven Reichardts und Detlef Siegfrieds: "Das alternative Milieu", Göttingen 2010, nachlesen. Ein Buch über das links-alternative Milieu in der Bundesrepublik Deutschland und Europa zwischen 1968 und 1983, das all die Erscheinungen von den 1968ern bis zur Friedensbewegung betrachtet und analysiert. Über die Friedensbewegung schreibt Tim Warneke in "Aktionsformen und Politikverständnis der Friedensbewegung". Ihre Aktionen waren bunt und vielfältig: Sabotageakte, symbolische Aktionen wie atomwaffenfreie Zonen, Blockaden, Demonstrationen, Kundgebungen, Mahnwachen, Unterschriftenaktionen, Informationsveranstaltungen. Autonome suchten die militante Auseinandersetzung, wie heute noch, der Rest agierte gewaltfrei. Laufgeschwindigkeit, Kleidung, an den Händen fassen, Sprechchöre und Parolenrufe war ihre teilweise Spontan-Dramaturgie und -Regie.


Das Alternative Milieu
Antibürgerlicher Lebensstil und linke Politik in der Bundesrepublik
Deutschland und Europa 1968-1983
Hg. von Sven Reichardt und Detlef Siegfried
Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte
(Hg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg), Bd. 47
Göttingen 2010, 509 S., geb, Schutzumschlag, 39,90 €, Wallstein Verlag


In diesem Sammelband zum »Alternativen Milieu« untersuchen die Autorinnen und Autoren die Denkweise und Angebote von Alternativen zur bürgerlichen Lebenswelt anhand von Beispielen aus ganz unterschiedlichen Bereichen: So beschäftigt sich außerdem etwa Uta G. Poiger mit Feminismus und Punk, während Jens Ivo Engels die Umweltschutzbewegung untersucht. Kund Andresen setzt sich mit linkem Antisemitismus auseinander und Detlef Siegfried betrachtet die Dänemark-Wahrnehmung im westdeutschen Alternativmilieu.
Die Beiträge gehen größtenteils auf eine Kopenhagener Konferenz vom September 2008 zurück, zeichnen ein umfassendes Bild der Bewegung und legen dar, welche Rolle die Linken in den Transformationsbewegungen zwischen 1968 und den 1980er-Jahren gespielt haben.


Die Herausgeber
Sven Reichardt, geb. 1967, Juniorprofessor für Zeitgeschichte an der Universität Konstanz. 
Detlef Siegfried, geb. 1958, Associate Professor für Neuere Deutsche Geschichte und Kulturgeschichte an der Universität Kopenhagen.






Samstag, 13. November 2010

Buchbesprechung: Der Pilot in der Libelle beim Wallstein Verlag (Unabhängige Verlage in Deutschland)

Hendrik Rost
Der Pilot in der Libelle
Gedichte
Göttingen 2010, 112 Seiten, Hardcover
18 €, Wallstein Verlag

Der Autor ist Jahrgang 1969, hat bislang vier Gedichtbände und eine Übersetzung aus dem Niederländischen vorgelegt und veröffenlicht Lyrik und Essays in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Neuen Zürcher Zeitung, Jahrbuch der Lyrik, ndl und Sprache im technischen Zeitalter. Der studierte Philosoph und Literaturwissenschaftler hat bereits acht Literaturpreise erhalten, so zuletzt den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für Literatur 2004 (mehr siehe bei Wikipedia).
In sieben Schritten gruppiert Hendrik Rost seine Gedichte, die Einblicke und Interpretationen seiner und fremder Lebenssituationen geben, mitunter eine strenge Brisanz bekommen wie "400-Euro-Job", und seine Tochter und ihr/sein Welterleben thematisieren.
Der erste Schritt heißt "Mnemosyne", das gleichnamige Gedicht darin der Besuch bei der Großmutter im Rollstuhl, umgeben von Erinnerungen, Dinge und Sachen des Lebens, "Gesammelt, gestapelt und faulend". Das Absterben als ein Vergeben, Vergessen der Erlebnisse, der Modergeruch als Auflösung ... Oder ein Bild aus Hamburg-Altona, eine Plastiktüte im Unwetter wie eine Qualle im Wasser vor den Fenstern im 2. Stock im Regen tanzend ...


Aquatisches Altona


Eine Scheibe im Hausflur fällt dem Sturm zum Opfer.
Eine schwarze Plane, gegen Regen im Fensterrahmen,
schlagt im Wind wie Segel eines Havaristen.

Wenn das Wetter der nächsten Tage so wird
wie der hektische Ansager bei der Vorhersage,
werden wir untergehen.

Oder wir sind es längst. Vorm Schlafzimmerfenster

im zweiten Stock treibt eine Plastiktüte, Qualle im Strom.
Wolken brechen am Riff der Mietshäuser gegenüber.

In Gruppe 2 "Recherche" das Ergründen des Gewesenen, das Vergangene als ein inhaltsarmes und sinnentleertes Leben im Zeichen des verlorenen Arbeitsplatzes, den Kopf jedoch voll damit. In "Fraktur" das Erlebnisses eines Unfalls, ein Kieferbruch lähmt, vieles vergessen aus dieser Zeit, ein Verlust. Die Fraktur machte handlungsunfähig, Halt gab nur der Anblick eines gesunden OP-Schwestern-Kinns... Später Vermissen, Hingezogensein, immer dieses Bild und die nachfolgende Schwärze der Narkose, die alles ausblendete. "Die Libelle" als ein Vergleich mit der persönlichen Entwicklung, die Notizen aus der Larvenzeit, tausend Seiten vernichtet, verbrannt, als nichtig erklärt, bevor der Flug begann. Hier weiß der Pilot genau, dass er das zukünftige Leben steuert ...
"Aus alten Heften" thematisiert im nächsten Schritt die Liebe, den Liebestaumel, den Zeitausschalter (oder den Zeitvertreiber?), im sich wiederholenden Ritual des Davonfließens den anderen als Quelle wahrnehmen, ihn nutzen: "Sei Dieb, damit die Dinge endlich Wert bekommen, zur Quelle bringt man leere Gefäße mit."
In der Gruppe "Meditation" scheint mir das Eindringen der Außenwelt in verschiedenen Perspektiven thematisiert. Laut und eindringlich, einen Bruch mit den Ideen und Empfindungen hervorrufend, eher zu einem Rückzug veranlassend. Hier singende Kegelschwestern, die allzu zotig, zu derb, etwas ansprechen, das so nicht bei jedem funktioniert ...
"Für Solostimmen. Schuhmann-Korrespondenz" fokussieren das Gefangensein im Begehren und Zurückstoßen der Geliebten aus Pflichtbewusstsein, Schutzangebot für den anderen, hier eingefangen im Krankheitsbild des syphillitischen Robert Schumann, der aus Schaffensdrang in der Endphase seiner Lebenszeit Städtenamen aus dem Atlas abschrieb ...
Die "Blindbewerbung" eine ungewöhnliche, eine menschliche Bewerbung auf eine Stelle, die noch nicht ausgeschrieben ist. Man liest nichts über das Prahlen mit Fertigkeiten und Wissen, sondern nur über das Menschsein an sich. Sie bekommen einen Menschen, mit allen Vorzügen und ... sterblich. Und ganz überraschend in "Gebrechen": Demenz ist überall und die höchste Form davon die Liebe. Das Vergessen, das Versiegen von Sprache, das Ende?
In der letzten Gruppe dann der Namensgeber "Deutschlandradio". Ein Aufruf, auszusteigen, wenn "der Wagen liegen geblieben ist." In Mut zu investieren und große Gedanken zu pflegen, um Gewinne machen zu können, denn alles kann immer "noch billiger" angeboten werden. Qualität eher selten.
Im "400-Euro-Job" gekonnt eingefangen die Betrachtung des langzeitarbeitslosen Geisteswissenschaftler durch Arbeitskollegen im Minijob-Milieu... "Was ihr könnt, will keiner wissen oder haben." Was bleibt ist Literatur schaffen, Gedichte schreiben, die sich mehr oder weniger leicht verkaufen ...


4oo-Euro-Job

Wer "wird denn jetzt Millionär? Und kannst du
Heckeschneiden? Das Problem mit euch
Studierten ist, man muss euch alles erklären.
Was ihr könnt, will keiner wissen oder haben.
Ein Pfund Versuchen wird ein Gramm Gelingen.
Sommer, unter den Silberlinden verhungern
die Hummeln an Nektar ohne jeden Nährwert.
Warst du so klug, wärst du gar nicht hier,
oder willst du nichts erreichen? Zwei Tage
halten die meisten aus, dann sind sie weg.
Willst du nicht reich werden? Die paar Fragen.
Du sitzt doch den ganzen Tag über Büchern.
Davon vergreist du auch nur oder du willst
auswandern oder wirst auf der Stelle depressiv.
Krieg ich was ab von deiner Million? Hol mal
Mettbrötchcn. Überall diese krepierten Bienen.


Ein Gedichtband, den man mehrmals lesen will, Deutungen suchen und immer wieder neue Aspekte hinzufügen. Hendrik Rost hat uns vieles zu sagen, den nächsten Band erwartet man mit großer Neugierde.

Drei Gedichte von ihm selbst vorgetragen.

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Sonntag, 24. Oktober 2010

Buchbesprechung/Autorenlesung (26./27.10.10): Kim Kwang-Kyu (Unabhängige Verlage in Deutschland)

Kim Kwang-Kyu
Botschaften vom grünen Planeten
Gedichte
Aus dem Koreanischen von Chong Heyong  und Birgit Mersmann,
Nachdichtungen  von Heinz Ludwig Arnold.
Göttingen 2010, 96 S., Hardcover mit Schutzumschlag,
18,- €, Wallstein Verlag
            
Charakteristisch für Kim Kwang-Kyus Gedichte ist die moderne unverschörkelte Sprache mit großer Nähe zur Prosa. Thematisch drehen sich seine Gedichte um Menschliches - um die Beziehungen von Menschen untereinander, von Menschen  zu Göttern und zur Natur.
In dem Titelgedicht »Botschaften vom grünen Planeten« geht es um die Vergänglichkeit des Menschen. Die Natur hingegen wird ihn überdauern: Denn so hochmütig der Mensch  ist, so blind ist er auch für seine Umgebung.
Der Autor liebt die Natur, beschreibt sie als das schneller als die Erddrehung sich entwickelnde Grün im Frühjahr - eine Metapher für die schnell vergehende Zeit des beschäftigten oder nicht mehr viel wahrnehmenden Menschen. Er verbindet Naturbilder auch mit Zerstörung, so die Wüste und der Völkermord, die Verwüstung des Menschlichen. Unter der geschickten Verwendung von ironischen und lakonischen Elementen spricht er Kritik an falschen Entwicklungen der Gesellschaft, an Unterdrückung, Leid und Erpressung aus. Hier kann Zeit bedrohlicher sein als normal, eine Todesdrohung in falschen politischen Verhältnissen, so in dem Gedicht "Unaufhaltbare Zeit".
In den Anmerkungen  finden sich Erläuterungen zu einzelnen Begriffen sowie eine Notiz
zur Vorgehensweise der Übersetzer: Heinz Ludwig Arnold hat nach Rohübersetzungen
Nachdichtungen unternommen. Eine interessante Begegnung über Ländergrenzen hinweg ...

Habenichtse
Sie besitzen nichts
nur Gummischuhe an den nackten Füßen
Jacken und Hosen Blusen und Röcke
aus Baumwolle
Aber sind sie nicht liebenswert
wie sie so dasitzen, nebeneinander
Jungen und Mädchen
auch wenn  sie nichts besitzen?
Diese Habenichtse
haben ein gutes Herz, sind kräftig
und arbeiten fleißig
Unter ihren Händen                                         
sprießen bunte Blumen aus der Erde                      
gedeihen prächtige Kürbisse auf dem Dach                 
Der frische Wind kühlt ihren Schweiß
und am  Himmel leuchten Sonne Mond und Sterne
Arm  in Arm
gehen sie als vertraute Freunde
Wange an Wange
werden sie ein zärtliches Paar
Erinnern wir uns:
Haben  unsere Eltern
mit klugem Kopf und kräftigen Händen
nicht viel erreicht
obwohl  sie nichts besaßen
als sie geboren wurden?
Da  sitzen sie nun
unsere lieben Töchter und Söhne

Unaufhaltbare Zeit                                 
Es war falsch, dass ich zur Rinderlende und zum Salat
eine ganze Flasche Rotwein getrunken habe.
Nun  sind sie gekommen.
Sie knallten mir eine Liste mit den Namen meiner noch
lebenden Schulfreunde unter die Nase und verlangten,
ich solle zehn davon ausstreichen.
Ein Zehntel meiner Schulfreunde hatte bereits die Welt
verlassen, doch sie verlangten von mir, dass ich noch
zehn streiche. Das konnte ich nicht.
Und musste es doch.
Ich strich mich selbst, weigerte mich aber, noch neun an-
dere zu streichen. Obwohl sie mich unter Druck setzten,
strich ich keinen mehr.
Die Zeit, die unaufhaltbare, rückt naher.
Für einen Augenblick wusste ich nicht, ob ich schlief
oder wachte.


Der Autor:
Kim  Kwang-Kyu,  geb. 1941, Studium der Germanistik in Seoul ab 1960; in den 1970er Jahren längere Deutschlandaufenthalte. Promotion über Günter Eich; bis 2006 Professur für Germanistik an der Hanyang-Universtität Seoul. Er ist einer der wichtigsten Kulturmittler und  Übersetzer aus dem Deutschen. Seit 1979 veröffentlichte er acht, auch international viel beachtete Gedichtbände sowie einen Band mit Prosa.

Heinz Ludwig Arnold ist seit 1995 Honorarprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen und hat sich mit etlichen Herausgeberschaften und Buchveröffentlichungen, vor allem im Zusammenhang mit Gegenwartsliteratur einen Namen gemacht. 1963 gründete er die Zeitschrift für Literatur "text + kritik", seit 1978 ist er außerdem Herausgeber des "Kritischen Lexikons zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG)" und von 1983 bis 2008 des "Kritischen Lexikons zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur (KLfG)". Von 1995 bis 2000 gab er die elfbändige Anthologie "Die deutsche Literatur seit 1945" heraus.    

+++ AKTUELL +++ AKTUELL+++AKTUELL +++ AKTUELL+++AKTUELL 

Lesung mit Kim Kwang-Kyu Moderation: Sylvia Bräsel
Termin:26.10.2010 um 11:30 Uhr
Leipzig, Gutenbergschule, Gutenbergplatz 8

Lesung mit Kim Kwang-Kyu Moderation: Sylvia Bräsel
Termin:26.10.2010 um 20:00 Uhr
Halle, Raum Hellrot, Mühlweg 22

Dialogische Lesung mit den Lyrikern Kim Kwang-Kyu und Jan Volker Röhnert Moderation und Einführung: Sylvia Bräsel und Chong Heyong
Termin:27.10.2010 um 19:00 Uhr
Jena, Schiller-Gartenhaus in Jena

Weitere Informationen finden Sie unter http://www.wallstein-verlag.de/9783835307476.html

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Mittwoch, 6. Oktober 2010

Unabhängige Verlage in Deutschland: "Fatrasien" beim Wallstein Verlag, am 7. Okt. 2010 auf der Buchmesse zu hören

Ralph Dutli
Fatrasien
Absurde Poesie des Mittelalters
Göttingen 2010, 144 Seiten, Hardcover
19 €, Wallstein Verlag

Ein absolut bemerkenswertes und spannendes Bändchen über Fatrasien und Fatras aus dem mittelalterlichen Frankreich. Um das Geheimnis dieser Bezeichnungen zu lüften: Es handelt sich um parodistische, satirische, karnevalistische, spöttische, widersprüchliche, verblüffende, bissige, frivole, obszöne, subversive, aggressive und bizarre poetische Ergüsse, "Anti-Lyrik", die zu den obskuren Randgenres der Weltpoesie zählen.
Wie der Herausgeber und Übersetzer so modern und ansprechend formuliert, verbirgt sich hinter diesen Dichtweisen "eine - vielleicht improvisierte - Performance-Rede, eine Art mittelalterliche Slam Poetry oder scharfer Rap". Dies scheint ihm mehr für die Fatras zu gelten, die eine ebenso feste Bauart haben wie die Fatrasien, jedoch eine Weiterentwicklung der Fatrasien darstellen.Sie haben sich wohl am Rande der etablierten und seriösen literarischen Rituale der religiösen Gesellschaften Puys und der Dichter-Bruderschaften confréries entwickelt. Das Erhabene des Höfischen und Aristokratischen ist ihnen fremd. Ihr Zweck war wohl das Lachen nicht zu verlernen in finsteren Zeiten unter Zuhilfenahme des Spottes, der Tabuverletzung und der offensichtlichen Sinnveränderung. Elf Verse (6 +5) mit dem Reimschema aabaab / babab konstituieren den Anspruch auf eine Fatrasie. Bei den Fatras sind es 13 Verse, 2 harmonische "Heile-Welt-Verse" vorab und dann 11 Verse folgend, die alles demontieren, was bei der Fatrasie gleich von Beginn an wirksam ist. Die Fatras haben das Reimschema AB AabaabbabaB.
Hochburg der Gedichte war die nordfranzösische Stadt Arras, die zum Zeitpunkt des Auftretens in französischer Hand war, später burgundisch/englisch sowie habsburgisch, und erst durch Louis XIII. ab 1640 wieder in den Armen von Paris landete. Blütezeit der Fatrasien von Arras war etwa um 1290 für einige Jahre, es gab jedoch schon früher um die Jahre1240/1250 welche. Die Dichter der Spaßgedichte von 1240/50 sind unbekannt, die Jahrzehnte älteren überlieferten aristokratischen Fatrasien (klassischer Widerspruch!) stammen wohl von Philippe de Rémy, Sire de Beaumanoir. Die Fatras tauchten im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts mit Watriquet Brassenel de Couvin um 1325 auf. Sie verschwanden wieder, traten 100 Jahre später wieder bei Baudet Herenc und Jean Régnier (hier Gefängnispoesie und Gefoltertenhumor im 30-jährigen Krieg) an die Öffentlichkeit und sind eigentlich nicht mehr aus der Literatur späterer bekannter Autoren wegzudenken. Francois Villon bemühte diese Sichtweise wieder im 15. Jahrhundert, Rimbaud im 19. Jahrhundert. Auch Sprach- und Lyrikexperimente im 20. Jahrhundert greifen auf den Nonsens, das Widersprüchliche in wesentlich modernerer Form jedoch zurück.
Die Wiege der Nonsensgedichte liegt in der Antike. Vergil und Ovid hatten bereits das Widersprüchliche und sinnentleerte Gegenläufige gepflegt, die Bibel kennt diese Stilform auch.
Fazit: Ein fesselndes Kennenlernen des Unsinns aus Arras auf Deutsch und Französisch mit einer kurzen und lehrreichen Darstellung des Herausgebers. Ein ungewöhnliches Geschenk für Lyrikfreunde. Die Reime konnten bei der Übersetzung nicht wiedergegeben werden - ein Unternehmen von "fatrasischer Unmöglichkeit".

Nr. 43
"Ein heiliger Leib aus Celle* / machte mit einem Leder vom Aal, / dass der Mond aufging, / und ein Aas / hatte eine Tochter, / die das Meer davontrug. / Sie wären tot angekommen, / wäre nicht eine Sichel gewesen, / die auszog, sie zu befreien / für ein Hoppeldimoppel / am Donnerstag beim Abendbrot.


Uns cors sainz de Cille
Fist d'un cuir d'anguille
La lune lever,
Et une morille
Avoit une fille
Qui portoit la mer.
Mort fussent a l'ariver,
Se ne fust une faucille
Qui les ala delivrer
Por une
byreliquoquille,
Le Juedy au soupper.


*Celle: La Celle-en-Brie, Benediktinerabtei bei Meaux."


Nr 46
"... Eine brütende Lerche / hatte einen Striegel gepackt / auf dem Schwanz einer Ziege / und ihn derart mit dem Arsch geschubst, / dass die Stadtmauer von Paris kaputtging."


--> Auf der Frankfurter Buchmesse wird Ralph Dutli dieses Buch am Donnerstag, 7.10., im Rahmen von open books vorstellen: 07.10.2010, um 18:30 Uhr,
Frankfurt, open books im Kunstverein, Heussenstamm-Galerie, Braubachstraße 34,
Moderation: Thorsten Ahrend
Weitere Informationen hier
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