Fahndungsfoto: Dominik Reichenbach / Artwork: Claus Piffl |
Mehr Paranoia als die Polizei erlaubt
Wer sich jetzt wundert, dass dieser Neue Glossenhauer (fast) pünktlich kommt, dem sage ich:
Meine eigene Verwunderung könnte kaum größer sein.
Und normalerweise wundere ich mich nicht über mich. Ich kenn mich ja. Ja, bei mir, da wundert mich gar nichts mehr. Deshalb: Nein, meine Verwunderung basiert auf einer neuen Studie Diese Studie hat nämlich durch einen langfristigen Feldversuch in Kassel herausgefunden, dass - Trommelwirbel - mehr Polizei auf den Straßen zu keinem größeren Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung führt. Teilweise sogar zum Gegenteil.
Und deswegen herrscht jetzt große Verwunderung. Also nicht bei mir. Aber in den mit Sicherheitsagenden befassten Institutionen (also Polizei und CDU zum Beispiel).
Und bei mir herrscht große Verwunderung über die große Verwunderung.
Denn wenn ich Polizei sehe, denk ich mir: „Oh verdammt. Da ist was passiert. Aber was?“ Und bin - kaum hab ich den Polizeiwagen gesehen - verunsichert.
So geht’s sichtlich nicht nur mir. Und dass sich viele Leute mehr Polizei auf den Straßen wünschen, ist kein Widerspruch. Denn der Projektleiter zieht nach der Studie das trockene Fazit, dass sichtlich “Wunsch und Wirkung nicht immer dasselbe sind“. Kennt man ja auch bei Kindern. Die wünschen sich eine riiiiesige Tafel Schokolade. Und wenn sie die dann bekommen und aufgegessen haben, sind sie dann glücklich? Nein. Sie kotzen.
„Wunsch und Wirklichkeit sind nicht immer dasselbe“ wäre eigentlich ein guter Spruch, um ihn auf T-Shirts zu drucken.
Das alles führt naturgemäß zur Frage:
Was würde denn das Sicherheitsgefühl verstärken?
Ich sag mal: Schallplattenläden. Ich kann mir kein Kriminalitätsszenario vorstellen in dessen Zentrum ein Schallplattengeschäft und seine Inhaber stehen. Menschen, die Schallplattengeschäfte betreiben sind meistens etwas aus der Zeit gefallenen Freaks, die sich für entweder für finnischen Progressiv-Rock der frühen Achtziger Jahre begeistern oder für noch uninteressante Sachen. Zum Beispiel für das zweite Solo-Album des dritten Bassisten einer finnischen Progressiv-Rock der frühen Achtziger Jahre. Das sind Leute, die gerne seltsame Musik hören (zum Beispiel finnische Progressiv-Rock der frühen Achtziger Jahre) , T-Shirts mit seltsamen Aufschriften tragen (z.B.: „Wunsch und Wirklichkeit sind nicht immer dasselbe“) und nur in sehr geringem Ausmaß mit der Wirklichkeit in Verbindung stehen.
Und um kriminell zu werden muss man eins auf jeden Fall: In Kontakt mit der Realität sein.
Deshalb nennen sich ein paar von diesen kriminellen Organisationen auch „Realitäten-Vermittlung.“ Aber lassen wir mal davon ab. Man muss ja auch nicht immer über René Benko reden.
Bleiben wir beim Thema:
Was könnte also zu mehr Sicherheitsgefühl beitragen?
Blumenhändler! Stink langweilig, ja, richtig. Aber Langeweile ist auch eine Form der Sicherheit.
Oder Kinderspielplätze. Wo Kinder spielen, vermutet man keine kriminellen Machenschaften. Also mehr Kinderspielplätze auf die Straßen und in die Redaktionen der Bild- und der Kronen Zeitung, sowie Schaukeln, Rutschen und Ringelspiele in die Räumlichkeiten der AfD- und FPÖ-Fraktion. Das sind ja alles Orte, wo sich die Leute besonders unsicher fühlen. Es scheint ja, dass diese Fachleute für angewandte Paranoia Opfer ihrer eigenen Fantasien sind. Die spielen schon seit Jahren ständig „Ich seh, ich seh, was Du nicht siehst… und das ist total gefährlich!!“ und erfinden dabei ständig Dinge, die außer ihnen keiner sieht. Und dann haben sie Angst beim Einschlafen und nennen das „Bedrohung des Abendlands“.
Dabei wissen wir doch durch die Berichte dieser Tage, wodurch die europäische Staaten wirklich bedroht werden: chinesische und russische Spione, die im Umfeld dieser Parteien tätig sind.
Und was führt noch zu Gefühl von Unsicherheit? Lärm. Ja, Lärm verursacht Stress, Stress lässt einen unruhig werden, und ständige Unruhe führt schließlich zu: Unsicherheitsgefühlen. Also raus aus unseren Städten mit allem, was Lärm macht und überflüssig ist. Zum Beispiel: Autos, Rasenmäher, Autos, Laubbläser, Autos, Staubsauger, Autos, ständig bellende Hunde und - vor allem - nicht zu vergessen: Autos. Und diese ständigen Wiederholungen! Die stressen auch.
Dann wird es leise werden.
Und friedlich.
Und schön.
Nur hat weniger Lärm natürlich auch negative Aspekte. Kennt man ja vom Land.
Da man hört man ständig, was die Nachbarn so treiben. Das will man ja auch nicht immer mitbekommen. Und noch schlimmer: Man hört auch, was sie reden. Und denken. Und meinen.
Und die Leute meinen ja eine Menge. Zum Beispiel meinen sie etwa, dass der Klimawandel eine Erfindung von Lego und den Juden ist (wer sich jetzt fragt: „Warum von Lego?“, für den hab ich die Gegenfrage: „Warum von den Juden?“), halten „Casino“ für das italienische Wort für „kleinen Käse“, und glauben, dass Paradoxon ein Medikament gegen Parodontose ist.
Und dann fordern sie auch noch - ganz heimlich auf ihrem Balkon - endlich mehr Polizei auf den Straßen, weil das irgendein Idiot auf ihrem Smartphone auch gemeint hat.
Und wenn ich sowas höre, dann bin ich nicht verwundert.
Aber es steigert mein Unsicherheitsgefühl.
Groebner Live:
„ÜberHaltung“ 3.5. Aschaffenburg, Hofgarten - 4.5. Karlsruhe, Orgelfabrik - 24.5. Oberndorf bei Salzburg, Freiraum - 28. und 29. 5. Graz, Theatercafé
Und 16.5.: „Zwischenrechnung“ Groebner liest und singt zur Lage der Welt, Frankfurt, Buch&Wein
Alle Infos hier!
Der „Neue Glossenhauer“ ist ein Projekt der freiwilligen Selbstausbeutung, wer es dennoch materiell unterstützen will, hier wäre die Bankverbindung für Österreich:
Severin Groebner, Bawag, IBAN: AT39 6000 0000 7212 6709
Hier die jene für Deutschland:
Severin Groebner, Stadtsparkasse München, IBAN: DE51 7015 0000 0031 1293 64
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