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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Sonntag, 1. Mai 2011

Buchbesprechung: Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud

Christa Wolf
Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud
Suhrkamp Verlag 2010


Du bist dabei gewesen. Du hast es überlebt. Du kannst davon berichten.“
Wo lebten wir? In welchem gesellschaftlichen System prägten sich unsere Erfahrungen? Was macht unser Leben aus? Müssen wir uns für ein Leben entschuldigen? Diesen philosophischen Grundfragen geht die Autorin Christa Wolf, die drei deutsche Staats- und Gesellschaftsformen erlebte, in ihrem Buch "Stadt der Engel" nach.
Rezensenten schrieben, das Buch wäre schwer zu verstehen, larmoyant und voller Selbstmitleid. Wer sich nie die Frage nach dem Lebenssinn gestellt hat, nach Stärken und Schwächen seines eigenen und des Lebens aller, wird dem Buch vorwerfen, es sei kein Roman.
Die bundesdeutsche Öffentlichkeit verlangte und fordert von Christa Wolf mehr und mehr das Eine: das Bedauern, in dem kleinen Land geblieben zu sein, Enthüllungen über ihre Tätigkeit für die DDR-Staatssicherheit, Fehler in ihrer Arbeit im Schriftstellerverband. Sie verlangt eine Verzerrung der eigenen Erinnerungen. Erneut wird die deutsche Spaltung und Einheit zum Thema.

Das Buch handelt in der Stadt der Engel, in Los Angeles, in der die Autorin einige Wochen verbrachte. Hier trifft sie auf die Spuren von Feuchtwanger, Brecht, Eisler, Mann, jener deutschen Exilschriftsteller, das damals auf der Flucht vor den Nazis in der Stadt lebten. Schon sie wollten einen Staat, in dem „die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist".
Christa Wolf entwirft eine zweites Ich, das ihr ähnlich ist. Sie betrachtet sich von außen mit eigenen Augen und beschreibt einen ständigen Gesprächspartner, einen Sohn von Emigranten, der ihre Verzweiflung über den Hohn des Lebens in der DDR ebenso ernst wie spöttisch aufnimmt und reflektiert. Gleichzeitig geht sie in ihrem Forschungsprojekt im Getty Center mit den Briefen einer verstorbenen Kommunistin auf Spurensuche nach der Hoffnung aus der Zeit des Widerstandes gegen die Nazis, dem scheinbaren Beginn einer gerechteren Welt. Diese Hoffnung zerrinnt mit der fortschreitenden Entwicklung der DDR. Der Prozess wird erneut beleuchtet, den Christa Wolf eine Revolution und andere Schriftsteller nur eine „Wende“ nennen : Die Erhebung der DDR-Bürger, um Meinungs- und Reisefreiheit zu erzielen, um danach resigniert festzustellen, dass ihre Meinung wenig wert ist und das einzige, „was bleibt“, die Verbitterung und die Vergleichsmöglichkeit zweier Gesellschaftssysteme ist.
Mit Wehmut erinnert sich die Christa Wolf an die Tage der Volkserhebung, an denen sie selbst, auf dem Berliner Alexanderplatz sprechend, beteiligt war und „die Staatsmacht es als schlimmste Drohung empfand, als die Massen auf den Straßen die Losung riefen: Wir bleiben hier!" Sie hat auch nicht jene Offiziere der DDR-Armee vergessen, die ihr erzählten, wie sie in dieser Zeit die Munition der Truppe einsammelten, denn: „Einen Volksarmee schießt doch nicht auf das Volk". Und, an einer anderen Stelle des Textes erzählt sie im Gegensatz dazu wieder von der „Gerechtigkeit“, der besseren Sache, die es verteidigen wollte, dieses kleine Land. Am 17. Juni 1953 wird sie, die junge Genossin, in der Leipziger Innenstadt vom Pöbel aufgefordert, ihr Parteiabzeichen abzulegen. „Nur über meine Leiche“, antwortet sie überzeugt. Unbelehrbar wird die Presse tönen. Viele werden die Überzeugung nicht verstehen, dass es Gemeinschaftliches, Gerechteres, Besseres geben muss und es sich lohnt, dafür zu kämpfen.
Wie verletzlich das Individuum ist, wie schnell aus Begeisterung und Einsatz Verletzlichkeit und Hoffnungslosigkeit entstehen? Um sich nicht immer mehr verletzen zu lassen, benötigt man den „Overcoat" des Dr. Freud, der aber immer wieder sein Inneres nach außen kehrt. Am Ende des Buches hilft nur noch ein schwarzer weiblicher Engel, die Selbstzweifel hinweg zu tragen...

Im Übrigen ist die Zeit der Klagen und Anklagen vorbei, und auch über Trauer und Selbstanklage und Scham muss man hinauskommen, um nicht immer nur von einem falschen Bewusstsein ins andere zu fallen. „Im Winde klirren die Fahnen“ – Welcher Farbe auch immer. Na und? Dann klirren sie eben, aber warum haben wir es so spät gemerkt. Wir müssen leben nach einem unsicheren inneren Kompass und ohne passende Moral, nur dürfen wir uns nicht länger selbst betrügen. Ich sehe nicht, wie das ausgehen soll, wir graben in einem dunklen Stollen, aber graben müssen wir halt.“


Warum einer ist, wie er ist? Diese Suche nach dem Sinn des Lebens, die Christa Wolf anspricht, ist, angesichts einer bunten, spektakulären Medienwelt längst beantwortet: Zuschauen und im Heute leben, das Gestern vergessen und auf das Morgen pfeifen. In Los Angeles erreicht die Erzählerin das Gestern in Form von Zeitungsartikeln, von Faxen, in denen die Frau, die gestern noch als Dissidentin und berühmte Schriftstellerin galt, heute zur Parteidichterin und Denunziantin wurde. Warum sie denn nicht gegangen wäre, wird gefragt. Sieger bieten immer die Unerbittlichkeit der zwei Seiten. Die Siegerseite hat man zu wählen, die Verliererseite zu verdammen. Christa Wolf verweigert sich der Wahl, nach einem Ausweg suchend, einem Weg dazwischen, jenem „dritten Weg“ zwischen gestern, heute und morgen.
Im Heute breitet sich der „Virus der Menschenverachtung“ wieder schneller aus, meint Christa Wolf.

„Wohin sind wir unterwegs? Das weiß ich nicht."
Es geht um die Aufrichtigkeit der eigenen Erinnerung. Es geht um die Kunst des Erinnerns. Eine fast unlösbare Aufgabe.

Christa Wolf wurde 1929 in Landsberg geboren. Sie arbeitete und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lektorin, Redakteurin und Schriftstellerin und lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Gerhard Wolf, in Berlin. Wichtige Werke sind: „Der geteilte Himmel“ (1963), „Nachdenken über Christa T.“ (1969), „Kindheitsmuster“ (1976), „Kassandra“ (1983), „Der Störfall“ (1987), „Sommerstück“ (1989), „Was bleibt“ (1990), „Medea“ (1996), „Leibhaftig“ (2002, „Ein Tag im Jahr“ (2003) u.v.a.m..

Donnerstag, 21. Januar 2010

Buch: Sigrid Damm - Goethes letzte Reise

Sigrid Damm: Goethes letzte Reise, Insel Verlag 2007


(Sigrid Damm wurde 1940 in Gotha geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Berlin und Mecklenburg. In Jena studierte sie von 1959 bis 1965 Germanistik und Geschichte. Anschließend war sie als Hochschullehrerin in Jena und Berlin tätig, 1970 promovierte sie. Die Autorin ist Mitglied des P.E.N. und erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Feuchtwanger-, Mörike- und Fontane-Preis.)

„Ich war immer gerne hier. Ich glaube, es kommt von der Harmonie, in der hier alles steht, Gegend, Menschen, Clima, Thun und Lassen“ , so beschreibt Goethe sein Thüringer Arkadien. Hier im Thüringer Wald hat Goethes Gespräch mit der Erde, hat sein naturwissenschaftliches Interesse begonnen, ausgelöst durch die Verantwortung für den Ilmenauer Bergbau. Das schönste lyrische Ergebnis dieses Gesprächs, das berühmte Gedicht "Über allen Gipfeln", schrieb er 1780 an die Wand einer Jagdhütte auf dem Kickelhahn. 


Den Handlungsrahmen für Sigrid Damms Buch bilden die sechs Tage der letzte Reise Goethes im August 1831. Es wird eine Fahrt in die Vergangenheit, um Dauerndem und Verschwundenem zu begegnen, eine Wallfahrt zu den Stätten früherer Leiden und Freuden. Der große Weimarer Dichter fährt mit seinen beiden Enkeln Walther und Wolfgang nach Ilmenau. Zweck der Reise ist in erster Linie, den Weimarer Feierlichkeiten zu seinem 82. Geburtstag zu entgehen. Der alte Meister zieht sich von solchen Anlässen gern zurück. Lieber verreist er als geduldiger Großvater mit „dem kleinen Volk im zweyten Grad“. Trotz seiner Liebe mussten sich Goethes Enkelkinder später im Leben der Last des großen Namens beugen. Die Erzählerin nutzt nun diesen Ausflug des alten Mannes als Metapher für seine letzten geistigen Wanderungen, wie die Vollendung des zweiten Teils des „Faust“, Goethes Liebe zu Ulrike von Levetzow, Erinnerungen an seinen in Italien verstorbenen Sohn August, seinen Glauben an das Fortbestehen des Geistes nach dem Tode und seine Reise ohne Rückkehr im März 1832.

Für Goethe ist am 26. August 1831 die Kutsche angespannt, „früh um halb Sieben aus Weimar“. In Ilmenau angekommen, feiert er seinen Geburtstag. Es ist der letzte, den er erlebt. Früh gratuliert der zehnjährige Wolf, mit dem Goethe frühstückt, während „der gute Walther sein Morgenschläfchen“ fortsetzt. Festlich begehen die Ilmenauer den Tag. An seinem Geburtstag packt Goethe einen Gegenstand aus und stellt ihn vor sich hin: ein zerbrechliches böhmisches Glas mit den Eingravierungen von drei Namen, denen der Amalie von Levetzow, ihrer Tochter Ulrike und einer der jüngeren Schwestern. An diesem Abend schreibt Goethe an Frau von Levetzow…

Mit diesem Ritual beginnt der Rückblick auf Goethes letzte Liebe, die Reisen nach Böhmen in den Jahren 1821 bis 1823, in dem ein bewegendes Bild dieser glücklichen und doch von Beginn an überschatteten Begegnung gezeichnet wird, deren schmerzliche Verarbeitung Goethe erst in der großen „Marienbader Elegie“ gelingt. Verknüpft mit dem Ablauf des 29. August in Ilmenau sind Hinweise auf Goethes Lektüre und auf den vom Hof in Weimar als offiziellem Vertreter entsandten Oberforstmeister von Fritsch: Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes und einstige Freunde, so an Knebel. Der Abschluss der Reise naht. Goethe erinnert sich: „Bey einem außerordentlich schönen, dieses Jahr seltenem Wetter befuhr ich auf neuerrichteten Chausseen die sonst kaum gehbaren Wege, freute mich an den Lindenalleen, bey deren Pflanzungen ich vor 50 Jahren zugegen war…“

Sigrid Damm kennzeichnet auch das schwierige Vater-Sohn-Verhältnis als eine Konsequenz der Bedingungen: „Es ist dieses Weimar mit seiner fürchterlichen Prosa, Kleinheit, Missgunst, Häme und seinem Neid. August von Goethe, der Sohn der geschmähten Vulpius, kann die uneheliche Geburt nie abstreifen, wie sehr sein Vater sich auch vor ihn stellt, ihn in jeder Weise protegiert. Genau das verstärkt die Abwehr gegen ihn geradezu.“ Um den Meister besser zu verstehen, geht die Autorin auf sein Reisetagebuch ein: „Eine Ahnung von der Tragödie dieses Mannes … zeigen seine Aufzeichnungen aus Italien: als lateinische Grabschrift bestimmt er: „Goethe, der Sohn, seinem Vater vorangehend, starb vierzigjährig, 1830“, am 27. Oktober 1830.

Am 31. August 1831 brechen die Reisenden schließlich von Ilmenau aus zur Heimfahrt auf. Goethe verbleibt noch ein Lebensrest von 202 Tagen. Das Werk „Faust II“ geht er mit der Schwiegertochter Ottilie als Vorleserin im Winter durch. Das Siegel des im August des vorigen Jahres verschlossenen Manuskripts wird noch einmal geöffnet. An „Dichtung und Wahrheit“ und der „Farbenlehre“ arbeitet er weiter. Besonders in seiner Rolle als Hausvater wird Goethe uns nochmals vorgestellt. Er plant die Frühjahrsbestellung im Garten und weilt am 20. Februar zum letzten Mal im Gartenhaus im Park an der Ilm. Dann das Ende, Krankheit und Tod.

Die Autorin schließt mit den Worten des Malers Friedrich Preller: „Vorliegende kleine Zeichnung habe ich selbst aufs genaueste nach dem Hochseligen gezeichnet und darf wohl sagen, dass sie wirklich ähnlich sei. Welchen schönen, ruhigen Ausdruck er auch nach seinem Leben noch hatte, können Sie wohl sehen…“ Schon früh beschäftigte sich Goethe mit dem Altern und dem Tod, den er stets floh. 1823 steht in einem Brief: „Lange leben heißt gar vieles überleben, geliebte, gehasste, gleichgültige Menschen, Königreiche, Hauptstädte, ja Wälder und Bäume, die wir jugendlich gesäet und gepflanzt. Wir überleben uns selbst…“, und im Jahr der wirklichen Reise: „Im hohen Alter, wo uns die Jahre nach und nach wieder entziehen, was sie uns früher so freundlich und reichlich gebracht haben, halte ich für die erste Pflicht gegen uns selbst und gegen die Welt, genau zu bemerken und zu schätzen, was uns noch übrig bleibt.“ Es ist ein Buch mit rührenden Passagen, das zeigt, dass Altern und Tod Geben und Nehmen bedeutet, das aber auch wenig Überraschendes für den Leser enthält, dem Goethes Briefe oder die Gespräche mit Eckermann bekannt sind.

Der aufmerksame Leser findet kleine Schwächen im Werk der Autorin. Fragen wie „Stellt nicht diese Dichtung die höhere Wahrheit dar?“ bleiben unbeantwortet. An manchen Stellen bleibt Damms Lektüre der Originale etwas oberflächlich, was einem aufmerksamen Leser nicht entgeht. So zitiert die Autorin einen Brief Goethes an Amalie von Levetzow, der Mutter Ulrikes: „Dabey, hoff ich, wird sie nicht abläugnen, daß es eine hübsche Sache sey, geliebt zu werden, wenn auch der Freund manchmal unbequem fallen möchte.“ Dann stellt die Autorin einige Fragen, die ihre eigene Interpretation wiedergeben „Und der Schluss des Satzes, worauf deutet er? Wohl nicht auf den Troubadour, der vor den Augen der Angebeteten auf den Knien liegt, sondern auf den alten Mann, der ausrutscht und sich nicht wieder aufzurichten vermag? (S. 207)“ Sie verstand die Wendung „unbequem fallen“ als „stürzen“, nicht als „lästig fallen“, wie sie wahrscheinlich gemeint war. Dann wiederum wird vergessen, was nur wenige Seiten zuvor berichtet wurde. Aus einem Brief des Enkels Wolfgang wird berichtet, der die geplante Rückreise nach Weimar über Schwarzburg und Rudolstadt ankündigt. Der Enkel ist enttäuscht, dass die Reisegesellschaft den gleichen Weg zurück nehmen wird, den sie gekommen ist. Sigrid Damm schreibt: „Bei der Herfahrt hat man die Bestellung aufgegeben. Da die Gasthofrechnung nicht überliefert ist und auch Krauses Tagebuch keine Auskunft gibt, können wir es nur vermuten.“ Warum soll Goethe allerdings ein Mittagsmahl bestellen, wenn er weder den Rückreisetag kennt, noch plant, auf der Rückfahrt wieder vorbeizukommen? Sigrid Damm bringt uns Goethe im Alltag als liebenden Großvater, großzügigen Gastgeber, zweifelnden Greis und begehrenden Mann nahe. Für den ernsthaft an Goethes Gedanken Interessierten lässt es zu viele Fragen offen. Trotzdem tauchte ich schwer aus dem Vergangenem auf, das Sigrid Damm zur Gegenwart werden ließ.




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