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Dichterhain, Bände 1 bis 4

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Dichterhain, Bände 5 bis 8

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Dienstag, 23. Oktober 2012

Der Gedankenspieler (8) - ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner













Nach ein paar Stunden hatte er Mojave erreicht. Ein kleines, in die Länge des Highways gezogenes Städtchen mitten im Nirgendwo. Er stellte sein Auto auf einen der zahlreichen Parkplätze des Schnellimbisses. Wäre dort nicht der staubig karge Boden gewesen, der sich bis weit hinaus an die alles überragenden Berge erstreckte, wäre es Alexander nicht abwegig vorgekommen, sich in einem der zahlreichen Gewerbeaußenbezirke einer holländischen Großstadt zu befinden. 

Er streckte sich und schaute auf die Uhr. Ein Uhr mittags. Er lag gut in der Zeit. Am frühen Nachmittag würde er das Tal des Todes erreichen. Er schaute sich um. Autohäuser, Fast-Food-Ketten, landwirtschaftlicher Bedarf. Und doch wurde das Bild dominiert von Trucks. Als er unter den lachenden gelben Stern trat und die Tür des Fastfoodrestaurants durchschritt, erwartete ihn ein mit Fernfahrern gefüllter und in rotes Leder gehüllter Raum. Dort saßen all die harten Jungs mit ihren zahlreichen Tätowierungen. Innerlich zog er seinen imaginären Cowboyhut tief ins Gesicht. Auch er befand sich auf der Reise. Sein Zuhause war die Straße. Doch es genügte ein Blick aus dem Fenster, um zu erkennen, dass er nur mit einem Minipony unterwegs zu sein schien. Er gab seine Bestellung auf und setzte sich auf eine der ledernen Bänke. Hier draußen schien all die Hektik vergessen zu sein. Endlose, markante Gesichter. Sie alle kannten ihr Ziel. Er beneidete die raubeinigen Kerls in ihren stählernen Ungetümen. Wie umtriebig ihr Leben auch sein mochte. Sie hatten ihren Platz im Leben gefunden. 
Schnell verschlang Alexander seinen Hamburger. 

Als er wieder auf die sengend heiße Straße trat, suchte er die Gegend nach einer Einkaufsmöglichkeit ab. In etwa 200 Meter Entfernung konnte er einen kleinen Supermarkt ausfindig machen. Er setzte sich in sein Auto und fuhr herüber. Vor der Tür spielten zwei schwarze Mädchen Fangen. Ihr lockiges Haar sprang im Takt ihrer Bewegungen auf und ab. Ihre weißen Zähne blitzten ein ums andere Mal auf und ein schnatterndes Kichern überkam den kleinen Parkplatz des Supermarktes. Die Klingel über der Tür gab einen verschluckten, kaum zu hörenden Laut von sich. Dahinter musterten ihn unzählige Augen. Er fühlte sich unerwünscht. Versehentlich in eine nicht auf ihn zugeschnittene Sphäre geraten. Der Raum war mit Afroamerikanern gefüllt. Sie schienen jeden seine Schritte zu beobachten. Alexander schob seine schlechten Gedanken beiseite und sich in einen der Gänge, deren Seiten durch Regale, die ihrerseits einen Überschuss an Waren darboten, begrenzt waren. Sein Atem schnellte im hochfrequenten Takt aus seiner Lunge. Was war es nur, das ihn so beunruhigte? Schnell legte er sich auf den etwa zwei Meter großen Kerl fest, dessen Breite seiner Länge in nichts nachstand. Er behütete seine Kasse wie eine Wildschweinmutter ihr Junges. Er wandte seinen Blick nicht eine Millisekunde lang von Alexander ab. Schnell hatte Alexander den Kanister Wasser und die Packung Cracker gefunden. Behände schlich er zur Kasse und legte die beiden Teile behutsam auf den Tresen. Erst dann schaute ihn der Schwarze wieder an.

How are you?“, fragte er.
Fine and you?”, gab Alexander zurück. Wohlwissend, dass diese Floskel anders zu behandeln war.
Plötzlich klärte sich das steinerne Gesicht des farbigen Hünen und lies strahlendweiße Zähne aufblitzen.
Hey! You´re not from here! My name is Leroy. Where are you from?”

Leroys Stimme hatte sich schlagartig in etwas Sanftes umgekehrt. Sie wirkte beinahe kindisch im Schein seines herzlichen Lächelns. Alexander nahm sich Zeit und erzählte Leroy von seiner Heimat. Erzählte ihm von den rostigen Fördertürmen, der Nähe aller Städte zueinander und pries die Speisen, und vor allen anderen Dingen das gute Bier seiner Heimat. Und plötzlich verspürte auch er für einen kurzen Augenblick das seltsame Gefühl, ein Zuhause zu haben.

I don´t wanna be rude. But can you please leave something German here for me?”, brachte Leroy heraus, nachdem Alexanders Referat geendet hatte. Dann zog er eine Schublade heraus und legte sie vor Alexander auf den Tresen. In ihr lag allerlei unnützer Kram aus allen Ecken der Welt. Ein brasilianisches Busfahrticket, ein französischer Reiseführer, eine englische Miniflagge. Leroys Stolz malte sich im Glanz seiner Augen ab. Alexander rannte zum Auto. Er musste nicht lange überlegen, welches Geschenk er Leroy dalassen wollte. Also kramte er kurz in seiner Tasche und zog die Taschenbuchausgabe von Hesses Siddhartha hervor, welche er auf dem Flug hierher gelesen hatte. Er klappte die erste Seite auf und schrieb hinein:

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Bewahre die Vielfalt
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Keep the diversity alive
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Leroys Augen blitzten auf wie die eines Sechsjährigen beim Erhalt einer riesigen Schokoladentorte. Der gewaltige Hühne hatte jede Scheu abgelegt. Er bedankte sich herzlich und verabschiedete sich von Alexander mit einer Umarmung, die ihm sämtliche Luft aus den Lungenflügeln presste und seine Rippen zu zerbrechen drohte.


Alexander stieg ins Auto und fädelte sich auf dem schnurgeraden Freeway ein. Noch heute Abend wollte er die kühlen Berge der Sierra erreicht haben
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© Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com

Freitag, 21. September 2012

DER GEDANKENSPIELER (7). Ein Fortsetzungsroman von Marco Meissner

Mojave Wüste


Sehr lang hallten die Worte des alten Mannes durch Alexanders Kopf. Welch groteskes Bild er doch abgegeben hatte. Sein Gesicht wies jegliche Abnutzungserscheinungen auf, die nur ein wahrlich durchlebtes Leben aufzubringen im Stande war. Alexander erinnerte sich noch gut an sein Shirt im Batiklook, welches in sämtlichen Farben der Neonfarbpalette in die Augen der Betrachter zu stechen pflegte. Sein langes, graues Haar wehte im kühlen Abendwind wie die lang gezogenen, spitzen Blätter der Palmen und bildete einen milden Kontrast zur Farbenfreude des T-Shirts. Doch seine Worte legten sich wie Balsam auf Alexanders geschundene Seele. Lange hatten sie dort gesessen und aufs Meer gestarrt. Dort in dieser kleinen Strandbar am anderen Ende der Welt. Ein dumpfes, schmerzhaftes Pochen erinnerte Alexander an all die Pincher Bier, die sie im Laufe des Abends kommen ließen und leerten. Sein Name war Harry. Doch hier in Venice nannten ihn alle einfach nur Jim. Slim Jim. Und dieser Name war mehr als treffend. Wieder hatte er dieses traurig, gespenstige Bild im Kopf. Er sah wie sich die dicken Adern auf Jims Armen abmalten, hörte förmlich wie der Wind durch seine Rippen blies. Alexander hatte ihn quasi angefleht etwas zu essen. Doch all seine Aufforderungen hatte Jim stets bestimmt abgelehnt. Seit dem Tod seiner Frau hatte es ihn in diesen Teil der Welt verschlagen. Mehr schlecht als Recht hielt er sich mit dem Malen von Bildern über Wasser, welche er auf der Wiese an der Promenade verkaufte. Es waren großartige Bilder. Jim hatte eine Gabe. Mit feinem Strich legte er das Antlitz schöner Frauen im Abglanz seines Kohlestiftes auf die Leinwand. Seine Finger glitten in sanften Linien über den Stoff der Leinwand und malten mit mildem Druck die Silhouette dieser anbetungswürdigen Frau, wie es Alexander noch nie in seinem Leben erblickt hatte. Doch in ihren Augen lag nichts als die Starre des Todes, deren Blicken Alexander nicht standhalten konnte. Gerne hätte er Jim ein paar Bilder abgekauft. Doch es reichte ein Blick in die Augen der Schönheiten um Alexanders Herz in tiefschwarze Nacht zu stürzen. Jims zweite Gabe war das Zuhören. Lange hatte er Alexanders Worten still gelauscht, ohne auch nur ein Wort zu dem Gespräch beizutragen. Immer wieder gab er durch ein leichtes Anwinkeln des Kopfes zu verstehen, dass er dem Gespräch noch aufmerksam zuhörte. Und mit jeder Minute, in der sich der Abend weiter in die Nacht schob, mehrten sich die Biere, die sie tranken, und mit jedem Bier lockerte sich Alexanders Zunge zusehends. Slim Jim musste eine gewaltige Menge Sitzfleisch aufbringen, um dem jungen Mann, der sich nun so vollkommen in seinen Gedanken verloren hatte, folgen zu können. Hier hatte Alexander sein Ventil gefunden. Er legte Jim sein Leben dar, wie ein großes Buch. Eine Enzyklopädie seines Lebens. An den wichtigsten Stellen markiert und unterstrichen. Erzählte ihm von Julia, der Frau, die er über alles geliebt hatte. Erzählte, wie sie ihn verlassen und gegen einen anderen ausgetauscht hatte. Nie wieder würde er die Fehler begehen, die er begangen hatte.
„Was mit Tränen beginnt endet auch in selbigen!“, schoss es ihm wie ein Pfeil durch den Kopf. Nie wieder würde dies geschehen.
Alexander fasste sich an den Kopf. Was war nur geschehen gestern Abend? Wieso nur hatte er sich von diesem fremden Mann so in die Karten schauen lassen?
„Keep the good feelings in your heart and bury the bad as deep as you can!”, hatte er ihm geraten. Alexander hatte nicht fassen können, wie viel Kraft ihm diese einfachen Worte schenkten.
„Es ist nicht wichtig, wie viele schlechte Erfahrungen du im Leben machst, Kleiner!“, hatte er gesagt und ihn dabei so scharf und wissend angesehen, dass es Alexander vorkam, als würde sich sein Blick wie eine riesige Nähnadel in sein Herz bohren.
„Wichtig ist einzig und allein, dass du dir die Chance erhältst Gutes zu erleben. Denn erst, wenn diese Möglichkeit erlischt, ist deine Seele dem Tode geweiht.“
Alexander erinnerte sich noch sehr gut daran, wie oft er seine Seele zum Friedhof getragen hatte. Doch sie war immer wieder auferstanden.
„You´re so young! Geh raus und greif dir das Leben!“
Langsam verschwamm Jims Bild in Alexanders Kopf. Doch die Wirkung seiner Worte begleitete ihn bis weit ins Landesinnere hinein.
Chevy Impala
Er hatte Los Angeles lange hinter sich gelassen und befand sich nun in den unendlichen Weiten der Mojave-Wüste. Staub lag in der Luft und nur der Klang des Radios durchbrach die scheinbar unendliche Stille. Um ihn herum nichts als die grenzenlose Ödnis. Wohin er auch sah, überall erstreckte sich die mit niedrigen Sträuchern bewachsene und von Steinen durchzogene Wildnis bis hin zum Horizont. Es schienen Stunden zu vergehen, bis ihm wieder einmal ein anderes Auto ins Blickfeld geriet. Ein Zeichen von Leben in dieser unbelebten Landschaft. Die Sonne knallte auf das schwarze Dach seines Chevys und zum ersten Mal verspürte Alexander, was es bedeutete allein zu sein.

(c) Marco Meissner