Nach ein paar Stunden hatte er Mojave erreicht. Ein kleines, in die Länge des Highways gezogenes Städtchen mitten im Nirgendwo. Er stellte sein Auto auf einen der zahlreichen Parkplätze des Schnellimbisses. Wäre dort nicht der staubig karge Boden gewesen, der sich bis weit hinaus an die alles überragenden Berge erstreckte, wäre es Alexander nicht abwegig vorgekommen, sich in einem der zahlreichen Gewerbeaußenbezirke einer holländischen Großstadt zu befinden.
Er streckte sich und schaute auf die Uhr. Ein Uhr mittags. Er lag gut in der Zeit. Am frühen Nachmittag würde er das Tal des Todes erreichen. Er schaute sich um. Autohäuser, Fast-Food-Ketten, landwirtschaftlicher Bedarf. Und doch wurde das Bild dominiert von Trucks. Als er unter den lachenden gelben Stern trat und die Tür des Fastfoodrestaurants durchschritt, erwartete ihn ein mit Fernfahrern gefüllter und in rotes Leder gehüllter Raum. Dort saßen all die harten Jungs mit ihren zahlreichen Tätowierungen. Innerlich zog er seinen imaginären Cowboyhut tief ins Gesicht. Auch er befand sich auf der Reise. Sein Zuhause war die Straße. Doch es genügte ein Blick aus dem Fenster, um zu erkennen, dass er nur mit einem Minipony unterwegs zu sein schien. Er gab seine Bestellung auf und setzte sich auf eine der ledernen Bänke. Hier draußen schien all die Hektik vergessen zu sein. Endlose, markante Gesichter. Sie alle kannten ihr Ziel. Er beneidete die raubeinigen Kerls in ihren stählernen Ungetümen. Wie umtriebig ihr Leben auch sein mochte. Sie hatten ihren Platz im Leben gefunden. Schnell verschlang Alexander seinen Hamburger.
Als er wieder auf die sengend heiße Straße trat, suchte er die Gegend nach einer Einkaufsmöglichkeit ab. In etwa 200 Meter Entfernung konnte er einen kleinen Supermarkt ausfindig machen. Er setzte sich in sein Auto und fuhr herüber. Vor der Tür spielten zwei schwarze Mädchen Fangen. Ihr lockiges Haar sprang im Takt ihrer Bewegungen auf und ab. Ihre weißen Zähne blitzten ein ums andere Mal auf und ein schnatterndes Kichern überkam den kleinen Parkplatz des Supermarktes. Die Klingel über der Tür gab einen verschluckten, kaum zu hörenden Laut von sich. Dahinter musterten ihn unzählige Augen. Er fühlte sich unerwünscht. Versehentlich in eine nicht auf ihn zugeschnittene Sphäre geraten. Der Raum war mit Afroamerikanern gefüllt. Sie schienen jeden seine Schritte zu beobachten. Alexander schob seine schlechten Gedanken beiseite und sich in einen der Gänge, deren Seiten durch Regale, die ihrerseits einen Überschuss an Waren darboten, begrenzt waren. Sein Atem schnellte im hochfrequenten Takt aus seiner Lunge. Was war es nur, das ihn so beunruhigte? Schnell legte er sich auf den etwa zwei Meter großen Kerl fest, dessen Breite seiner Länge in nichts nachstand. Er behütete seine Kasse wie eine Wildschweinmutter ihr Junges. Er wandte seinen Blick nicht eine Millisekunde lang von Alexander ab. Schnell hatte Alexander den Kanister Wasser und die Packung Cracker gefunden. Behände schlich er zur Kasse und legte die beiden Teile behutsam auf den Tresen. Erst dann schaute ihn der Schwarze wieder an.
„How are you?“, fragte er.
“Fine and you?”, gab Alexander zurück. Wohlwissend, dass diese Floskel anders zu behandeln war.
Plötzlich klärte sich das steinerne Gesicht des farbigen Hünen und lies strahlendweiße Zähne aufblitzen.
„Hey! You´re not from here! My name is Leroy. Where are you from?”
Leroys Stimme hatte sich schlagartig in etwas Sanftes umgekehrt. Sie wirkte beinahe kindisch im Schein seines herzlichen Lächelns. Alexander nahm sich Zeit und erzählte Leroy von seiner Heimat. Erzählte ihm von den rostigen Fördertürmen, der Nähe aller Städte zueinander und pries die Speisen, und vor allen anderen Dingen das gute Bier seiner Heimat. Und plötzlich verspürte auch er für einen kurzen Augenblick das seltsame Gefühl, ein Zuhause zu haben.
„I don´t wanna be rude. But can you please leave something German here for me?”, brachte Leroy heraus, nachdem Alexanders Referat geendet hatte. Dann zog er eine Schublade heraus und legte sie vor Alexander auf den Tresen. In ihr lag allerlei unnützer Kram aus allen Ecken der Welt. Ein brasilianisches Busfahrticket, ein französischer Reiseführer, eine englische Miniflagge. Leroys Stolz malte sich im Glanz seiner Augen ab. Alexander rannte zum Auto. Er musste nicht lange überlegen, welches Geschenk er Leroy dalassen wollte. Also kramte er kurz in seiner Tasche und zog die Taschenbuchausgabe von Hesses Siddhartha hervor, welche er auf dem Flug hierher gelesen hatte. Er klappte die erste Seite auf und schrieb hinein:
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Bewahre die Vielfalt
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Keep the diversity alive
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Leroys Augen blitzten auf wie die eines Sechsjährigen beim Erhalt einer riesigen Schokoladentorte. Der gewaltige Hühne hatte jede Scheu abgelegt. Er bedankte sich herzlich und verabschiedete sich von Alexander mit einer Umarmung, die ihm sämtliche Luft aus den Lungenflügeln presste und seine Rippen zu zerbrechen drohte.
Alexander stieg ins Auto und fädelte sich auf dem schnurgeraden Freeway ein. Noch heute Abend wollte er die kühlen Berge der Sierra erreicht haben.
©
Marco Meissner, Gladbeck
mmmarcomeissner@googlemail.com
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