New Hamlet
Ich hatte wieder jenen seltsamen Traum. Ich hatte geträumt, dass Blumen wachsen aus den Stiefeln zerfetzter Soldaten. Ich erhob mich aus dem Sessel, ächzend und knackend wie eine alte Frau. Ich erwachte in der U-Bahn. Dutzendweise hingen Menschen erhängt in den Halteschlaufen, sie baumelten in jeder Kurve sie schaukelten wie ein Kinderkarussell bei jeder Erschütterung. Körper werden zur Verfügung gestellt, die Fließbandproduktion kann endlich beginnen, der Tod ist eine haushaltsübliche Menge. Tod für Mami, Tod für Papi, Tod für den Bruder, Tod für die Schwester, Tod für den Nachbarn. Bestattungsunternehmer ziehen die Soutane des Briefträgers an. Versandhauspakete und Eilzustellungen erreichen uns. Grabunterhändler tragen Grundstücksmakler auf ihren Schultern aus der Stadt. Fernseher übertragen die Verwesung: jeder Programmplatz ein Sarg, jede Nachrichtensendung jede Talkshow jede Gameshow eine Hinrichtung. Die Würmer kriechen über unser Abendmahl (Fastfood, also auch schon tot, bevor es geboren wurde, dann gegessen). Wir haben die Todesstrafe längst akzeptiert/ und diskutieren immer noch über sie, als ob sie nicht längst Realität wäre. Ein Schlachthaus: Geruch toten Fleisches so verdichtet in der Luft wie Nebelschwaden, ich griff mir an die Kehle, glaubte selbst dort Male vorzufinden, hatte meine Schwierigkeiten zu atmen. Ich glaubte, das Siegel der Ursünde wieder zu spüren. Wir sind wieder im Garten Eden, unsere Gier nach Wissen lässt Ikarus erblassen/ seine Flügel schmelzen in der Sonne. Wieder der Gedanke: Man müsste eigentlich die Schlange zwingen, den Apfel zu essen. Absolution für alle, eine Möglichkeit, den Wahnsinn zu beenden, den wir begonnen haben. Der Apfel stößt uns allen bitter auf, weil wir ihn nicht verdaut haben. Wir fressen einen Apfel nach dem anderen ohne zu kauen ohne zu schlucken. Wir werden eines Tages daran ersticken. Die Atemnot, ein erstes Zeichen dieses qualvollen Geschehens, betrifft uns alle. Sie entzieht den Babys in der Wiege die Lebenssubstanz, bevor sie überhaupt dazu in der Lage sind, sich zu wehren. Sie landen in einer Welt, die sie nicht geschaffen haben. Eine Wahl?
Ich habe Angst vor diesen Menschen ich habe Angst vor diesen Leibern. Sie machen mich lebendig begraben. Ich schreie auf unter den toten Leibern, die mich erdrücken. Prinz Hamlet erwächst aus Buchstaben und Wörtern, sein Umhang ist eine Redewendung. Seine Haut ist aus Glas. Durchsichtig, man kann seine Gedanken arbeiten sehen. Maden kriechen träge über den Schädel seines Vaters, den er in der Hand hält. Er hat sich selbst gezeugt, dieser Schädel ist sein Schädel seine alte Illusion. Ein Relikt für seine Blindheit. In Wirklichkeit war er immer vital gewesen, noch strotzend vor Kraft selbst in seinen bittersten Niederlagen. Sein Zynismus sein zitternd schiefes Lächeln waren Gesten der Kraft, wie sie sich nur die Mächtigsten erlauben können. Hamlet verfärbt sich Purpur, eine Krone sprießt aus seinen Haaren. Er schreitet die Grenzen seines Reiches ab. Sein Kopf steht kurz vorm Platzen, ein Dauerzustand. Er lebt für seine Grenzen. Ja, für seine Grenzen. Das ist der Lauf der Welt, das ist es, worum sich alles dreht. Schon allein das hätte ihm zeigen müssen, wie stark er ist. Er ist ein Extremist, royal member of the RAF. Einer der
stets aufs Neue seine Grenzen ausloten muss. Der nicht scheut, der nicht zurückweicht, dem das Risiko egal ist, für den nur die Erfahrung zählt. Eine Werterelation gibt es für ihn nicht. Kühn sagt er: Mir ist alles egal. Wenn er leidet, leidet er ehrlich, suhlt sich in seinen Tränen badet in seinem Angstschweiß. Seine Schwächen/ Macken/ Neurosen erhebt er in den Adelsstand.
Dadurch dass er sich sein Handeln bewusst macht, fängt er an zu handeln. Das Gefühl, vom Leben gelebt zu werden statt umgekehrt, schwindet. Eine Wüste explodiert in grellem grünen Leben. Höhenflug, Ekstase.
(c) Thomas Reich
Ich hatte wieder jenen seltsamen Traum. Ich hatte geträumt, dass Blumen wachsen aus den Stiefeln zerfetzter Soldaten. Ich erhob mich aus dem Sessel, ächzend und knackend wie eine alte Frau. Ich erwachte in der U-Bahn. Dutzendweise hingen Menschen erhängt in den Halteschlaufen, sie baumelten in jeder Kurve sie schaukelten wie ein Kinderkarussell bei jeder Erschütterung. Körper werden zur Verfügung gestellt, die Fließbandproduktion kann endlich beginnen, der Tod ist eine haushaltsübliche Menge. Tod für Mami, Tod für Papi, Tod für den Bruder, Tod für die Schwester, Tod für den Nachbarn. Bestattungsunternehmer ziehen die Soutane des Briefträgers an. Versandhauspakete und Eilzustellungen erreichen uns. Grabunterhändler tragen Grundstücksmakler auf ihren Schultern aus der Stadt. Fernseher übertragen die Verwesung: jeder Programmplatz ein Sarg, jede Nachrichtensendung jede Talkshow jede Gameshow eine Hinrichtung. Die Würmer kriechen über unser Abendmahl (Fastfood, also auch schon tot, bevor es geboren wurde, dann gegessen). Wir haben die Todesstrafe längst akzeptiert/ und diskutieren immer noch über sie, als ob sie nicht längst Realität wäre. Ein Schlachthaus: Geruch toten Fleisches so verdichtet in der Luft wie Nebelschwaden, ich griff mir an die Kehle, glaubte selbst dort Male vorzufinden, hatte meine Schwierigkeiten zu atmen. Ich glaubte, das Siegel der Ursünde wieder zu spüren. Wir sind wieder im Garten Eden, unsere Gier nach Wissen lässt Ikarus erblassen/ seine Flügel schmelzen in der Sonne. Wieder der Gedanke: Man müsste eigentlich die Schlange zwingen, den Apfel zu essen. Absolution für alle, eine Möglichkeit, den Wahnsinn zu beenden, den wir begonnen haben. Der Apfel stößt uns allen bitter auf, weil wir ihn nicht verdaut haben. Wir fressen einen Apfel nach dem anderen ohne zu kauen ohne zu schlucken. Wir werden eines Tages daran ersticken. Die Atemnot, ein erstes Zeichen dieses qualvollen Geschehens, betrifft uns alle. Sie entzieht den Babys in der Wiege die Lebenssubstanz, bevor sie überhaupt dazu in der Lage sind, sich zu wehren. Sie landen in einer Welt, die sie nicht geschaffen haben. Eine Wahl?
Ich habe Angst vor diesen Menschen ich habe Angst vor diesen Leibern. Sie machen mich lebendig begraben. Ich schreie auf unter den toten Leibern, die mich erdrücken. Prinz Hamlet erwächst aus Buchstaben und Wörtern, sein Umhang ist eine Redewendung. Seine Haut ist aus Glas. Durchsichtig, man kann seine Gedanken arbeiten sehen. Maden kriechen träge über den Schädel seines Vaters, den er in der Hand hält. Er hat sich selbst gezeugt, dieser Schädel ist sein Schädel seine alte Illusion. Ein Relikt für seine Blindheit. In Wirklichkeit war er immer vital gewesen, noch strotzend vor Kraft selbst in seinen bittersten Niederlagen. Sein Zynismus sein zitternd schiefes Lächeln waren Gesten der Kraft, wie sie sich nur die Mächtigsten erlauben können. Hamlet verfärbt sich Purpur, eine Krone sprießt aus seinen Haaren. Er schreitet die Grenzen seines Reiches ab. Sein Kopf steht kurz vorm Platzen, ein Dauerzustand. Er lebt für seine Grenzen. Ja, für seine Grenzen. Das ist der Lauf der Welt, das ist es, worum sich alles dreht. Schon allein das hätte ihm zeigen müssen, wie stark er ist. Er ist ein Extremist, royal member of the RAF. Einer der
stets aufs Neue seine Grenzen ausloten muss. Der nicht scheut, der nicht zurückweicht, dem das Risiko egal ist, für den nur die Erfahrung zählt. Eine Werterelation gibt es für ihn nicht. Kühn sagt er: Mir ist alles egal. Wenn er leidet, leidet er ehrlich, suhlt sich in seinen Tränen badet in seinem Angstschweiß. Seine Schwächen/ Macken/ Neurosen erhebt er in den Adelsstand.
Dadurch dass er sich sein Handeln bewusst macht, fängt er an zu handeln. Das Gefühl, vom Leben gelebt zu werden statt umgekehrt, schwindet. Eine Wüste explodiert in grellem grünen Leben. Höhenflug, Ekstase.
(c) Thomas Reich
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