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Freitag, 21. Dezember 2012

"Schlittenfahren im Winter an der Obermosel" von Karin Michaeli


Ein bisschen Gruseln gefällig ?



Das kleine Dorf an der Mosel, von dem hier die Rede ist, liegt am Hang. Oben auf dem Berg steht eine alte Kapelle. Die war vor tausend Jahren besiedelt von Mönchen. Sie lebten dort vom Weinanbau und von Viehzucht. Wie man erzählt, verstanden sie es gar gut, einen kräftigen Schluck aus der Flasche zu nehmen an hohen Fest- und Feiertagen. Manchmal trieben sie es so arg, das sie im Innenhof des Klosters zu heiteren Gesängen im Kreis tanzten und man erzählt sich, das diese Feste oft bis in die frühen Morgenstunden dauerten. Im Dorf unterhalb der Kapelle hallte das Echo der Gesänge nach und die Menschen schauten angstvoll nach oben, bekreuzigten sich und bekamen es mit der Angst zu tun. Niemand aus dem Dorf war je zugegen bei diesen Feiern und niemand wußte, was dort wirklich geschah. Manch einer versuchte schon mal heimlich des nachts über die Mauern zu schauen – aber die waren so hoch, das man beim beim besten Willen nichts sehen konnte. Aber es erschall schon mal eine Stimme: „Fort mit Euch, Ihr Lumpengesindel, haut ab !“

Man spekulierte, das vielleicht aus dem nahegelegenen Kloster des Nachbardorfes die Nonnen dort mit feierten – hörte man doch hin und wieder ein weibliches lautes Lachen in der Nacht erklingen.

Es war ein sagenumwobenes altes Kloster und die Geschichten um die Mönche verdichteten sich im Laufe der Jahrhunderte immer mehr. In meiner Kindheit in den sechziger Jahren waren die Geschichten schon so weit gediehen, das man den Mönchen unterstellte, sie würden nachts mit den Totenschädeln des nahegelegenen Friedhofes Fußball spielen.

Wir Kinder liebten es, abends mit den Erwachsenen auf den hohen Berg zu gehen mit Schlitten und Bobs. Ein Bob war damals keine Hartschale, mit der man Eiswände herab fegt. Ein Bob war ein langer selbst gebastelter Schlitten aus Holz, auf dem bis zu 15 Leute hintereinander sitzen konnten.

Die „guten“ Bobfahrer hatten Mitleid mit uns neidischen Kindern mit den kleinen Schlitten und holten uns auf dem Bob mit – eng eingequetscht zwischen den Erwachsenen. Die kleinen Schlitten wurden einfach hinten an den Bob dran geknüpft und darauf setzten sich dann die Erwachsenen, die uns den Platz auf dem Bob überlassen hatten.

Die Fahrt nach unten ging von der alten Kapelle bergab bis hin zum Ufer der Mosel, wobei der gute Bobfahrer früh genug abzubremsen verstand, damit wir nicht alle im Wasser landeten. Es waren immerhin an die sieben Kilometer Fahrt – da kommt ordentlich Speed auf das Gefährt. Johlend und schreiend ging die rasante Fahrt nach unten. Vor Autos brauchten wir uns nicht zu fürchten. Die fuhren zu dieser Zeit am Abend noch nicht diesen Weg, der heute eine Bundesstrasse ist und nicht mehr mit dem Schlitten befahren werden kann.

Eines Abends entfernte ich mich mit dem Nachbarjungen Benjamin heimlich von der Schlitten fahrenden Schar in Richtung Friedhof vor der Kapelle. Wir hatten den Plan, um Mitternacht zu schauen, ob dort tatsächlich die Mönche immer noch Fußball mit den Totenschädeln spielen, so wie es die Sage erzählte. Es war eine Mutprobe zwischen mir und Benjamin. „Wetten, das Du Dich nicht traust, um Mitternacht dorthin zu gehen“ sagte Benjamin zu mir. „Doch, wenn Du mitkommst, mache ich das“, lautete meine mutige Antwort. Sie war sehr mutig, weil Benjamin war klein und hätte mich niemals beschützen können – dachte ich. Benjamin liebte mich. Das war mir schon seit dem 2. Schuljahr klar – aber er interessierte mich nicht, weil er so klein und schwächlich war.

Außerdem lief ihm immer die Nase und das sah unappetitlich aus.

Wir waren also so gegen elf Uhr am späten Abend alleine auf dem kalten Friedhof und vor Mitternacht würde die bob fahrende muntere Schar nicht wieder oben sein. Wir konnten also in aller Ruhe abwarten, was geschieht. Totenstille herrschte auf dem schneebedeckten Friedhof. Der Schnee lag unschuldig und unberührt auf den Gräbern und den Friedhofswegen und es war noch nicht mal der Abdruck einer Krähe darauf zu sehen. Die Turmuhr schlug halb zwölf und in der Kapelle ging langsam ein diffuses Licht an. In dem Moment sank unser Mut bis in die Hose und wir klammerten uns aneinander. Benjamin meinte, er müsse mal eben hinter einem Baum verschwinden, um Wasser abzulassen. Er kam und kam nicht wieder. Ich wurde nervös, schlich zu dem Baum – aber Benjamin war nicht zu sehen. In den Bäumen raschelte es und ein Rabe flog erschrocken vom Geäst. Ich schaute nach oben in eine Fratze, die das Aussehen eines Totenschädels hatte. Nach einem Wischen über die Augen war die Fratze wieder weg und ich nahm allen Mut zusammen und rief laut „Benjamin, wo bist du ?!“ Nichts rührte sich. Angst fing an, sich meiner zu bemächtigen. Es war kurz vor Mitternacht und das Licht in der Kapelle wurde heller und heller. Kleines Glockengeläut drang nach außen und ich zitterte vor Angst wie Espenlaub. Starr vor Angst stand ich an den Baum gepresst mit weit geöffneten Augen. Vielleicht hatte nun meine letzte Stunde geschlagen, dachte ich mir und ich war bereit, alles was jetzt kommt, zu ertragen. Die Angstlähmung in mir ließ auch keine andere Wahl.

Die Turmuhr schlug 12 Uhr Mitternacht. Jetzt, jetzt musste es losgehen. Ich wartete auf die Mönche, die nun vielleicht auch mit meinem kleinen Kinderkörper Fußball spielen würden und mit schreckgeweiteten Augen sah ich, wie die Tür der Kapelle sich öffnete. Und in der erleuchteten Kapelle stand nun die gesamte Bob- und Schlittenfahrgemeinschaft in der Tür und sang „Happy Birthday to you“. Und Benjamin löste sich aus der Menge, trat auf mich zu und reichte mir einen Weihnachtsmann aus Schokolade. „Darf ich Dir als erster zum Geburtstag gratulieren?“, fragte er schelmisch lächelnd und drückte mir einen nasentriefenden feuchten Kuss auf die Wange. Meine Reaktion folgte in Sekundenschnelle – die Erlösung, das hier kein Massaker stattfinden würde, machte einer hellen Wut Platz und ich scheuerte ihm eine auf die Wange, das diese rot anlief. „Du Sauhund!“ schrie ich, „du Sauhund...“. Alle lachten, fingen an zu singen und brachten mir ihre Geschenke dar. „Du wolltest es immer wissen“, sagten sie, „Du hattest immer die größte Klappe, wenn es drum ging, herauszufinden, wo was los ist ! Und jetzt hast Du hier mal Dein Abenteuer! Na, gefällt es Dir?“

Nein, es gefiel mir nicht. Ich wollte nur zu Hause bei Mama und Papa sein und nie wieder heimlich abends mit den Erwachsenen Bob fahren. Denn die Bobfahrten hatte ich mir redlich erschlichen, indem ich zu Hause Lügen erzählte, ich würde die Oma Lissi betreuen, die sich am Abend so fürchtete. Aber Mama und Papa wussten wohl Bescheid und traten als letzte aus der Kapelle mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Lügen haben kurze Beine“, lachten sie mir zu, nahmen mich in die Arme und küssten mir die Tränen weg


Mit Benjamin bin ich seit 30 Jahren verheiratet. Nach dieser Geschichte sah ich niemand anderen mehr an. - Aber wenn er im Januar Geburtstag hat, wird er eine Überraschung erleben. Meine Koffer sind gepackt. Das Ticket für Kuba ist organisiert. Ich kann fließend spanisch sprechen. Das habe ich in dreißig Jahren heimlich gelernt und in Kuba werde ich mit Benjamins Lebensversicherung ein neues Leben anfangen.

Die Überraschung wird perfekt sein. So wie damals vor 40 Jahren werde ich ihn zur Kapelle bitten um Mitternacht und ihm sagen, dass ich mal Wasser lassen muss hinter einem Baum. Er wird um Mitternacht die Tür zur Kapelle öffnen, weil er meine Stimme von innen rufen hört „Benjamin, komm doch rein – Deine Liebste wartet auf Dich!“ -

Nach meinem heimlichen Elektrikerkursus in Frankreich bin ich in der Lage, eine Türklinke unter Starkstrom zu setzen und alle Relikte, die auf einen Kurzschluss hinweisen, zu entfernen. Er hatte immer schon ein schwaches Herz, der kleine kränkliche Benjamin mit dem feuchten Schnodder unter der Nase ...

Mein Alibi ist perfekt. Ich beherrsche den Computer nach einem PC-Kursus in Luxemburg meisterhaft und während er vor der Kapelle den Weg ins Jenseits antritt, schreibe ich eine Geschichte zu Hause. Eine Geschichte darüber, wie man kleine Kinder erschreckt ...

Oh, übrigens:

Die Geschichte ging gut aus für mich. Ich sitze in Varadero am Strand mit einem Coctail und klappere auf meinem Laptop in meinen Erinnerungen und dabei fiel mir diese wichtige Geschichte ein.

(c) Karin Michaeli

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