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Dienstag, 3. März 2015

Wie war's bei Ben Beckers Lyrikperformance in Mannheim?



(c) Arne Meister
Lyriklesungen können auch ganz anders sein. Nicht langweilig, einschläfernd, Blick auf die Uhr. Das hat uns Ben Becker am Sonntag, den 01.03.2015, in Mannheim gezeigt. Natascha Huber, die den Literarischen Verein der Pfalz in der Sektion Ludwigshafen a.Rh. betreut, war auf meiner Familie-Becker-Runde mit dabei. Meret Becker war ja am Donnerstag davor zu sehen. Bruder Bens Performance "Der ewige Brunnen" ist jetzt schon gut 70-mal über die Bühne und noch immer lebendig und ein Saalfüller. Wer mit Gedichtelesungen und einem schon recht weit bekannten Programm heute noch über 400 Leute mobilisieren kann, weiß, wie man es anstellen muss. Und schuld ist eigentlich nur der 25. Dezember, an dem die Beckers mit Ziehvater Otto Sanders sich an diesem 2005 überarbeiteten Gedichtesammelband "Der ewige Brunnen" ergötzten, labten und sich amüsierten, wie andere an den Klassikern "Deutsche Lyrik aus zwei Jahrtausenden", Gustav Schwabs "Sagen des klassischen Altertums" etc.pp.  Mit Sicherheit auch mal etwas für die Bühne, wenn so viele wichtige Schauspieler wie in der Familie Becker zusammenkommen, Weihnachten mit Gedichtevorlesen zu feiern. Schuld hat aber auch sein Leben als Schauspieler, das an die 60 Filme kennt, wo allein "Schlafes Bruder" oder seine starke Präsenz in Serienkrimis, wie auch seine mehrfache Auszeichnung, ihm große Publicity bringen.

Zum meteorologischen Frühlingsanfang kam Ben Becker also mit zwei Musikern wieder einmal ins ehemalige Lichtspielhaus Capitol. Mit finsteren Mächten und Goethes Erlkönig begann der Sonntagabend, der uns sehr theatralisch, lebendig und plastisch in die Gedichte hineintrug, sie mit jeder Faser erlebbar machte und ihnen viel mehr abgewann, als ein bloßer "Vorleser" es je vermag. Weiter mit Hebbels "Der Heidknabe", der aus dem Albtraum erwacht, tatsächlich Geld zum vom Bösen umlagerten Heideort bringen soll, es ist wie ein Todesurteil. Der für vier Groschen angeheuerte Hirtenknecht ist dann der, der ihn nicht am Heideort beschützt, sondern des Geldes wegen ermordet. Mit einer Bassstimme, die leicht mitkann mit den aktuellen Bassverstärkern, und einer genialen Mimik werden wir auch hier Zeuge von mysteriösen Tötungen. Das schleift sich geradezu ein, denn im dritten Gedicht von Theodor Fontane "Das Trauerspiel von Afghanistan" erhöht sich die Zahl der Opfer um 12.999. Das Drama eines geschlagenen Heeres, mit Frauen und Kindern in der Nacht in alle Richtungen zerschlagen und zerstreut:

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen - es kam die zweite Nacht,
Umsonst, daß ihr ruft, umsonst, daß ihr wacht.

Einer kam schließlich noch heim aus Afghanistan. Dieses 1857 in London geschriebene Gedicht, wo Fontane Auslandskorrespondent war, beschreibt den katastrophalen Ausgang des ersten der drei anglo-afghanischen Kriege zwischen 1839 und 1842. In diesem Konflikt versuchten Briten und Russen die koloniale Vorherrschaft in Zentralasien zu erringen.

Ein direkter Bezug zur Jetztzeit, unsere Beteiligung an einer Fortführung dieses Krieges mit anderen Vorzeichen, der wieder einmal und nun seit über 40 Jahren dieses arme, aber traditionsreiche Land beutelt, der die Russen in ein finanzielles Desaster trieb und die Amerikaner samt allen beteiligten Nationen über alle Gebühr Jahr um Jahr festhält. Kein Wunder, dass der Sinn dieses Einsatzes immer wieder neu hinterfragt wird, so auch von Ben Becker, der zu diesem Trauerspiel einen weißen Pelz wie Schnee über sich wirft und in einem sonoren Sprechgesang "Sag mir, wo die Blumen sind" den trauernden Feldherrn mimt.

Im Kontrast zu diesem traurigen Thema dann ein Ausflug in Klatsch und Tratsch mit Hintergrund, womit der Künstler die ganze Ernsthaftigkeit wieder aufhob und Platz für Ulk und Witz ließ. Ob nun der Frisör von Ursula von der Ley(Leid)en, die mit anderen immer durch salbungsvolle Worte für die Fortführung der Mission in Afghanistan wirbt, und sein Draht zum Networkmarketing, das es schafft, ein Billigparfüm mit seinem Namen für viel Geld zahlreich unter die Leute zu bringen, oder der Schalterbeamte am Flughafen, der Becker wohl verklagen wird, wegen ... einer Sonnenbrille und einer Beleidigung. Wir erfahren bei der Gelegenheit auch, dass der Abend mal brutto ca. 15.500 € bringt, die zwischen Raummiete, Technik, Personal, Becker und seinen Musikern aufgeteilt werden müssen. Das sind vielleicht zwei Tage Parfümverkauf, der Monat hat allerdings 30 Tage ... und Performances sind nicht jeden Abend. Ursula v.d.L.'s Frisör Udo Walz bleibt im Vorteil.


Credits to www.faceland.com
Und weiter geht es mit einem fulminanten "Der Zauberlehrling" von Goethe, der uns so lebendig wird, als ob der Hexenmeister direkt auf uns spränge. Becker zieht den Hexenhut aus Schloss Hogwart auf und schon ist er mittendrin im Gedicht, breitet eine Zauberstube aus wie ein vom Schauspiel gebautes Pop-up. Herrliche Fühlbarkeit und Nahrung für die Fantasie. So weiter über Heines "Ritter Olaf", der beim König in Ungnade fiel, weil er Beischlaf mit dessen Tochter hatte, o h n e  verheiratet zu sein. Das Beil wartet, und Olaf darf vor der Hinrichtung noch Hochzeit mit der Geliebten (an der Tafel) feiern. Um Mitternacht ist es um ihn geschehen. Auch in Heines "Belsazar" der Tod des Gotteslästerers König von Babylon, dessen Hohn ihm die alttestamentarische Flammenbotschaft an der Wand einbringt, die den Untergang Babylons voraussagt, und ihm den nächtlichen Tod durch seine Knechte, die Gottes Zorn fürchten. Den Übergang zu Schillers "Der Handschuh" (kein Todesopfer, aber ein Frauenverächter) übt Becker mit seinen Leuten und dem Publikum zur Belustigung ein paar Mal ganz engagiert, bis es sitzt.

Wir betreten sodann die Welt der harten Männer. Emanuel Geibels "Die Goldgräber" beschreibt  den Gold Rush nach 1848, bei dem sich viele gegenseitig umlegten, um das Körnchen vom anderen auch noch zu bekommen. Die Hinterhältigkeit, Fiesheit und Habgier dieser Goldgräber spüren wir intensiv zwischen den Fingerspitzen bei der Rezitation der Zeilen des Lübeckers, der im 19. Jahrhundert Rang und Namen gewann.
Ein weiterer Knüller, der jedoch nicht nur für Beckers, auch für die Zuschauer sicher einen Seltenheitswert hat, ist die Ballade "Nis Randers", die von vielen bearbeitet, hier stammt sie von Otto Ernst (Schmidt), dargeboten wird. Ein vermisster Sohn, ein gestrandetes Schiff, ein Mann "todesmatt" im Mast und ein Nis, der tapfer hinüberrudert und seinen Bruder findet. Wie der drei Jahre im Mast oder auf dem Schiff überlebte, will ich gar nicht reflektieren, hartes Männerzeug halt. Im Gewitterblitzlicht kehrt das Boot zurück: „Sagt Mutter, ’s ist Uwe!“ Dieser Satz, so modern und küstennah, hat was von düsterem Hans-Albers-Film und Sonntagnachmittagprogramm, obgleich schon lange vorher, 1901, veröffentlicht. Beckers amüsieren sich über diesen Schlusssatz regelmäßig.
Zum Ende noch die berühmt-berüchtigte Ballade "John Maynard" von Theodor Fontane, die viele Schüler im Haupt- und Realschulbereich fesselt und dessen Opfer- und Heldentod sie zumindest in der Pfalz tatsächlich dazu bringt, ein Gedicht auswendig zu lernen. Beeindruckend auch Ben Beckers folgende Liedinterpretation mit broadwaymäßiger Beweglichkeit zum Vorhang.

Gedichte erleben, Lyrik sichtbar werden lassen, das ist die kurzweilige Kunst, die nur einige Schauspieler wirklich gut beherrschen, Ben Becker gehört dazu. Der Abend macht Spaß, ist "lehrreich", obwohl ihm an den germanistischen Interessen nichts liegt, und bleibt außergewöhnlich.

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