Elenor
Rigby.
Ganz
am Ende der Stadt ein Turm. Und hier fand man Gunwein. Einen
Bleistift in der Hand, zeichnete er eine Skizze der Landschaft. Immer
wieder weht der Wind das Haar ins Gesicht.
In
der Stadt troff derweil eine Flüssigkeit aus den Wänden, ein
Schweiß. Unklar ist, ob ihn die Häuser selber absonderten. Oder ist
es der Schweiß der Bewohner, die wirklich ein schweißtreibendes
Leben führen? Allerlei Säfte schwitzen sie aus.
Und
irgendein Gott taucht von Zeit zu Zeit den Federhalter in den Schweiß
und schreibt damit Briefe an einen andren Gott.
Der
Wind blies einen Wirbel nach dem andern ins Haar. Hätte man dem Wind
einen Kamm in die vielen, vielen Hände drücken sollen?
Über
das graubraune Gras unten gingen Schafe, ein Mann mit einem großen
Hut auf dem Kopf ging hinter ihnen her.
Als
das fand sich schon auf Gunweins Block.
Er
selber trug die Jacke, die dem Schäfer unten fehlt.
Auf
einem Bleistift ging der Mann durch die Stadt.
Das
Leben ist schwer und vor allem langweilig. Kaum einmal passiert
etwas, was das Herz wirklich erfreut.
Der
Turm stand selber wie ein Bleistift. Manchmal wünscht sich der
Zeichner, dass der Turm die Bodenhaftung verliert, dass er schwebt.
Unabhängig
von Zeit und Raum. Vom Dasein in dieser schrecklichen, traurigen
Stadt.
Gunwein
ließ den Bleistift fallen, die Schafe fraßen ihn auf. Nun wuchsen
ihnen lange Beine. Die Beine waren auf einmal doppelt so lang.
Der
Schäfer fand nun Schutz unter ihrem Bauch.
In
Gunweins Herz aber wohnt ein Vogel. Er hat hier sein Nest.
Aber
der Vogel ist ein Junggeselle, nie hält er nach einer Vögelin
Ausschau.
Brombeerhecken
mit den letzten Blättern krochen über die Wiesen. Einmal lang,
einmal lang gestreckt.
Jahr
für Jahr breiten sich diese Hecken mehr und mehr aus.
In
einem Buch lag eine gepresste Schlüsselblume. In den Jahren ihres
Daseins hatte sie im Buch das Schwarz der Buchstaben aufgesogen, es
getrunken wie ein Vogel am Bach.
Der
Wind brachte den Zeichner zurück in die Stadt.
Der
Wind machte einen Buckel, auf dem sich Gunwein wiederfand.
Gunwein
betrat auf dem Nachhauseweg die Reinigung, wo man ihm das weiße Hemd
aushändigt.
Reinigung
stand in großen Buchstaben an diesem Haus. Das war das
Selbstverständlichste der Welt.
Elenor
Ribgy war der Name der Stadt. An dem Punkt lag sie, an dem das Land
am weitesten in das Meer ragt; hier treffen sich Wolken, Land und
Meer seit Urzeiten.
Man
sprach Englisch in dieser Stadt. Aber Gunwein ist Schwede.
Der
Pfarrer stand hinter der Theke der Reinigung. „Die Frau ist krank,
ich vertrete sie heut, ich spring für sie ein.“
„Dieses
Hemd, Hochwürden. Jede Nacht lege ich es ins Bett. Ich sitze davor,
vor dem Bett und schaue das Hemd an, wie es schläft jede Nacht. Hin
und wieder muss das Hemd gereinigt werden.“
„Gunwein.
Dafür ist die Reinigung doch da. Bringen Sie das Hemd zu uns, wenn
es der Reinigung bedarf. Die Frau hier, die Sie sonst bedient, ist
meine Schwester.“
„Ach,
Hochwürden. Ich bedanke mich.“
Der
Vorfall ist deswegen erwähnenswert, weil der Pfarrer ganz schwarz
gekleidet war, in ein bodenlanges, pechschwarzes Gewand, auf dem Kopf
saß, sogar ein viereckiger Hut; der Kopf macht ihn nicht rund.
Gunwein
betrat die Gasse mit dem Hemd, das nun in ein durchsichtiges Papier
eingeschlagen.
In
eine andre Gasse.
Der
Fluss trug das Spiegelbild der Kirche. Das Gemäuer, auf dem Wasser
schwamm das Bild der schweren Steine. Im Turm der Kirche, die schon
im vierzehnten Jahrhundert hier steht, hängt das Kleid einer Frau
aus Eisen, das ist die Glocke.
Wenn
man die Glocke läutet, so hört man kein Klingen, sondern das Lachen
einer Frau. Das ist den Leuten von Elenor Rigby peinlich, so hat man
die Glocke schon seit fünfhundert Jahren nicht mehr geläutet.
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Aus:
Atelierheft 12 von Walter Brusius,
Bad Kreuznach. Ferner sind im
Heft enthalten weitere Geschichten und vor allem Zeichnungen von Bernhard Kilchmann (Tusche, Bleistift,
Computergrafik).
Alle Hefte sind beim Autor in seinem Atelier oder bei TABERNA LIBRARIA, Mannheimerstr. 80, 55545 Bad Kreuznach, www.antiquariat-bad-kreuznach.de, für ca. 9 EUR erhältlich.
Der Autor im Interview (über Heft 12)
Der Autor im Interview (über Heft 12)
Der Zeichner Bernhard Kilchmann
Geboren in Altdorf, Schweiz
Nach einer kaufmännischen Ausbildung in Luzern studierte er die Fächer Bühnen- und Kostümbild an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Mozarteum, in Salzburg.
Auf eine dreijährige Assistenzzeit an der Kölner Oper folgten eigene Bühnenentwürfe an verschiedenen Theatern.
Sein Raum für Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“ wurde am Anhaltischen Theater Dessau mit dem Publikumspreis „Bestes Bühnenbild der Spielzeit 2005“ ausgezeichnet, und am Theater für Niedersachsen, Hildesheim, kreierte er 2010 die Gesamtausstattung zu einer erfolgreichen Inszenierung von Giuseppes Verdis „Aida“.
Seine Illustrationen zu der Erzählung „Die Köche“ sind bereits die zweite Zusammenarbeit mit Walter Brusius, dessen farbigen, assoziationsreichen Erzählstil er durch das Medium Zeichnung umsetzt.
Bernhard
Kilchmann: Wolke 2
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Bernhard
Kilchmann: Reiter
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Bernhard
Kilchmann: Yeti
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Bernhard
Kilchmann: Ich
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